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Die Gleichheit

brust genossen hatten, 1,8 Kilogramm durchschnittlich mehr wogen als die, die nur bis 3 Monate die natürliche Nahrung erhalten hatten, daß sie durchschnittlich 0,4 Zentimeter mehr Brustumfang hatten und 1,7 Zentimeter mehr Körperlänge, und daß bei der militärischen Musterung die mit Muttermilch Genährten 8,7 Pros zent mehr Taugliche ergaben. Von je 100 Musterungspflichtigen, die ehemals nicht gestillt worden waren, also künstliche Ernährung hatten, erwiesen sich als militärtauglich nur 31 Prozent, von denen, bie bis 3 Monate gestillt waren, waren militärtauglich 39 Prozent, von den 3 bis 6 Monate Gestillten waren militärtauglich 42 Pro­jent und von den 6 bis 9 Monate Gestillten waren militärtauglich 45 Prozent. Und wenn Sie mehr Beweise haben wollen, dann empfehle ich Ihnen zum Studium die Broschüre, die uns Herr Professor Dr. Mayet, der ja Mitarbeiter im Reichsstatistischen Amte ist, hier unterbreitet hat unter dem Titel: Der Schutz für Mutter und Kind durch eine reichsgesetzliche Mutterschafts- und Familien­versicherung". Sie finden da eine Fülle von weiterem Tatsachen­material.

Die Herren, die den Antrag gestellt haben, den ich vorhin schon charakterisierte, die Herren Jrl und Hufnagel, sind ja aus Bayern  . Für Bayern   liegen Untersuchungen vor von den Doktoren Roth  und Hahn, die durch Herrn Mayet bearbeitet worden sind. Es ist für Bayern   eine Karte ausgearbeitet worden, die das Land in drei Gebiete teilt, in drei Stufen nach der Höhe der Säuglingssterblich­teit; das erste Gebiet ist das der höchsten Säuglingssterblichkeit von 30 bis 40 Prozent der Geborenen, das zweite hat eine mittlere Säuglingssterblichkeit von 20 bis 30 Prozent und die dritte Stufe hat eine mäßigere Säuglingssterblichkeit von unter 20 Prozent. Sie fehen daraus auch, was für Gegenden es noch im Deutschen   Reiche gibt. Wenn der Reichsdurchschnitt der Kindersterblichkeit 1907 17,8 Prozent betrug, so ist der dadurch entstanden, daß wir bessere Gebiete haben mit geringerem Durchschnitt, aber auch Gebiete, wo die Säuglingssterblichkeit 30 bis 40 Prozent der Geborenen be­trägt wie in Teilen Bayerns  , in dem Heimatland der Herren Huf­nagel und Jrl.

Nun hat Herr Professor Dr. Mayet die Frage nach der Ursache der verschiedenen Säuglingssterblichkeit untersucht, und er berichtet darüber:

Die Gegenüberstellung der von mir errechneten durchschnitt­lichen Stillmonate, also die Zeit, wo das Kind die Mutterbruſt bekommt, für das Areal jeder dieser drei Stufen ergab, daß, je länger durchschnittlich gestillt wurde, um so geringer die Säug lingssterblichkeit war. Es zeigte sich, daß in den unmittelbaren Städten Bayerns   bei der durchschnittlichen Stillbauer von nur 27 Tagen diese hohe Säuglingssterblichkeit von 30 und 40 Pro­zent und darüber sich sand. Der durchschnittlichen Stilldauer von 2 Monaten und 24 Tagen entsprach die mittelmäßige Säug­lingssterblichkeit von 20 bis 30 Prozent, und der langen Still­dauer von 3/2 Monaten und mehr die niedrigste Säuglingssterb­lichkeit von 10 bis 20 Prozent."

Meine Herren, hier sehen Sie den Weg gegeben, auf dem diese exorbitant hohe Säuglingssterblichkeit herabgedrückt werden kann. Der Weg lautet: Man trage dafür Sorge, daß die Mütter in wach fendem Maße ihre Kinder selbst stillen, und daß sie ihnen möglichst lange die natürliche Nahrung geben können. Das ist der Weg, auf dem das Ziel zu erreichen ist. ( Schluß solgt.)

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. In den hessischen Wahlfreifen Offen­bach- Dieburg, Darmstadt   und Erbach   referierte die Unterzeich­nete in den nachfolgenden Orten: Weißkirchen  , Urberach  , Bieber  , Obertshausen  , Offenbach  , Mühlheim  , Haufen, Klein Kroheburg, Seligenstadt  , Heusenstamm  , Dreis eichenhain, Dießebach, Isenburg  , Klein- Auheim  , Reinheim  , Spachbrücken  , Klein- Steinheim  , Bürgel  , Egelsbach  , Oberroden  , Langen  , Sprendlingen  , Die­ tersheim  , Hainstadt  , Hahn bei Pfungsstadt, Darmstadt  , Rosdorf  , Erzhausen  , Ober- Rennstadt, Nieder- Renn­stadt, Michelstadt   und Leerfelden im Odenwald  . Zur Bes handlung stand das Thema: Lebensmittelverteuerung und die Auf­gaben der Frauen bei den kommenden Reichstagswahlen". Trotz ungünstiger äußerer Umstände waren die Versammlungen bis auf einige sehr gut besucht, vor allem von Frauen, die allerorts zwei Drittel der Teilnehmer ausmachten. In manchen Orten des Dies burger Kreises reichten die Lofale nicht aus, um die Besucher zu fassen. Mit großer Aufmerksamkeit folgten die Frauen den Worten der Referentin, die oft durch zustimmende Zwischenrufe von den

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Anwesenden unterbrochen wurde. Freudig riefen die meisten, daß fie bei der kommenden Reichstagswahl mit den Herrschenden, mit den Lebensmittelverteuerern abrechnen wollen, so viel es in ihren Kräften steht, und daß die Frauen bei der Wahl wenn auch nicht wählen, so doch wühlen können. Daß die Frauen auch in den schwarzen Gegenden mehr und mehr zum Bewußtsein ihrer Klassen­lage kommen, war in allen Versammlungen zu erkennen und hat sich auch bei der Gemeinderatswahl in Urberach   gezeigt. Die Frauen haben dort den Genossen tüchtig geholfen, so daß die So­zialdemokratie einen vollen Sieg errang, sämtliche drei Mandate fielen ihr zu. Alles Schimpfen des Herrn Pfarrers auf die bösen Roten und die roten Frauen hat nichts geholfen. In Ober­ roden   schimpfte der katholische Geistliche von der Kanzel herunter, daß ein rotes Weib" von Berlin   käme und die Frauen aufklären wolle. Die Frauen und Männer von Oberroden brauchten jedoch diese Aufklärung nicht, sie sollten nur auf den Herrn Pfarrer hören und nicht in die Versammlung gehen. Die war aber trotz allem gut besucht. Mehr als 285 Frauen und 83 Männer wurden durch diese Agitation der Partei zugeführt, und der Leserkreis der Gleichheit" wie der Parteipresse ward erweitert.

Am 19. März referierte die Unterzeichnete in Hettstedt   und Mansfeld   im Kreise Eisleben   in gut besuchten Versammlungen, die die Resolution über das Frauenwahlrecht einstimmig annahmen und unserer Sache neue Kämpferinnen gewannen. Leider fehlte in diesen Versammlungen die zum Frauentag herausgegebene Agita tionszeitung Frauenwahlrecht". Berta Lung wig.

Greiz   liegt in einem jener deutschen   Vaterländchen, in welchen die Frauen bis 1908 des Rechtes beraubt waren, auch nur an poli­tischen Versammlungen teilzunehmen. Von ihrer politischen Organi fierung fonnte natürlich erst recht nicht die Rede sein. Die gesell schaftliche Entwicklung schuf aber auch in Greiz   die Vorbedingungen für das Aufblühen der sozialistischen   Frauenbewegung. Stadt und Umgegend find der Sitz einer reichen Textilindustrie, welche viele Tausende von Arbeiterinnen dem Profit des ausbeutenden Unter­nehmertums tributpflichtig gemacht hat. Hart prallen hier die Gegensätze zwischen Arbeit und Rapital aufeinander, Greiz   ist zut einem sozialen Kampfboden geworden, und die Proletarierinnen werden durch ihre Klassenlage mittelbar oder unmittelbar zu wich­tigen, ja entscheidenden Mitträgerinnen aller wirtschaftlichen Kämpfe. Das hat sich erst vor kurzem wieder gezeigt, als die Textilarbeiter­schaft einen der mächtigsten Unternehmer zum Nachgeben gezwungen hat. Seitdem die Fesseln des alten politischen Vereinsunrechts ge fallen sind, nehmen aber die Greizer   Proletarierinnen auch wach­senden Anteil am politischen Leben. Wie tiefe Wurzeln die sozia­ listischen   Jdeale in ihrer Seele geschlagen haben, das bewies der Frauentag. Nicht bloß aus Greiz   selbst, auch aus den anliegenden Ortschaften waren die Frauen so zahlreich zur Versammlung her­beigeströmt, daß aus dem großen Tivolisaal die Tische entfernt werden mußten, um Platz zu schaffen. Die Ausführungen der Ge­noffin Woldt Berlin   über die Bürgerrechte der Frauen fanden lebhafte Zustimmung. Der Frauentag hat auch in Greiz   die Be­geisterung und die Energie der politisch organisierten Genofsinnen gestärkt. Er wird die besten Früchte für die Schulung und die Arbeit der Genossinnen tragen.

E. W.

Von den Organisationen. Freudig können die Genofsinnen Rix­dorfs auf die letzte Zeit ihrer Tätigkeit zurückschauen. Ihre inten­sive Arbeit ist von manchen schönen Erfolgen gekrönt worden. Im Sommer 1909 zählte die Rixdorfer Parteiorganisation 879 Frauen, im August 1910 aber schon 2300, 18 Prozent der 12 600 Partei­mitglieder. Nach dem Bericht des Parteivorstandes waren im vorigen Jahre in Deutschland   durchschnittlich 13 Prozent aller Parteimitglieder Frauen, Rigdorf hat also mit seinen 18 Prozent den Durchschnitt überschritten. Die Organisation begann bereits vor mehreren Jahren mit der Einrichtung von vier Leseabenden die Arbeit für die Weiterbildung der proletarischen Frauen. Bald darauf, im September 1909, erhöhte sie die Zahl dieser Veranstal tungen auf 24. Der Erfolg hat die Richtigkeit der Maßnahme be­wiesen. Die Einrichtung von mehr Leseabenden hat zur Folge ge­habt, daß die bereits vorgebildeten Genossinnen sich auf die ver­schiedenen Veranstaltungen verteilen mußten und dadurch zu leb= hafter Mitwirkung angeregt wurden. In der ersten Zeit machte fich naturgemäß ein Mangel an Referenten bemerkbar. Bald aber stellten sich eine Reihe von Genossen und Genossinnen zur Ver­fügung, darunter Anfänger im Referieren, die sich rasch einarbeiteten und durchaus bewährten. Die Leseabende sind durchschnittlich gut besucht; es werden verschiedene Themata behandelt, natürlich stets auf Grund unseres Parteiprogramms. Zur Vorberc tung der Lese­abende dient eine Kommission, deren Leiterinnen in engster Füh­lung stehen. Für Genossinnen, die agitatorisch tätig sind oder künftig