288Die GleichheitNr. 18höhten Löhne die Dienstboten sich gar schon nach der Mode kleiden.Uns wundert nur, daß sie zum Beweis dafür nicht auf die Bauern-mägde im Gebirge hingewiesen hat, die zur Stallarbeit Hosentrage». Eine andere Dame bestritt, daß die Dienstboten eine zulange Arbeitszeit hätten. Das komme nur ausnahmsweise vor. DieHerrschaften seien ja vollständig in der Hand ihrer Dienstboten.Wollten diese die Stellung wechseln, verhielten sie sich so, daß mansie nicht behalten könne. Es geschähe beinahe schon zu viel fürdas Volk! Sehr richtig! ertönte es zu diesem Spruch aus der Mitteder Versammlung. Noch mehr derartigen Kohl anzuhören, davorwurde man wohl nur durch den Umstand bewahrt, daß die Vergnügungen den Damen lockend winkten. Aber auch die Kürze derVerhandlungen hat genügt, um das soziale Verständnis der Damenglänzend zu erweisen. Die öffentliche Versammlung des Verbandesostpreußischer Frauenvereine ist nur eines unter vielen anderenBeispielen, die zeigen, was die Arbeiterinnen im allgemeinen unddie Dienstboten im besonderen von der bürgerlichen Frauenbewegung zu erwarten haben. L. öl.Für den Militäretat stimmte die erste Frau, die in Norwegen in das Parlament eingezogen ist: Fräulein Ragstad. Wirhaben seinerzeit berichtet, daß diese bei der letzten Wahl nur alsStellvertreterin erwählt wurde, da jedoch der erwählte Abgeordneteals Beamter zu häusiger Abwesenheit gezwungen ist, trat demnorwegischen Wahlgesetz entsprechend später Fräulein Ragstad alsaktives Mitglied in das Parlament ein. Ihren Befähigungsnachweisals politische Stütze der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung hat die Dame bereits mit ihrer Jungfernrede erbracht.Die sozialdemokratische Fraktion des Storthings hatte beantragt,vom Militäretat eine Million Kronen zu streichen. Die Forderungwurde von der Regierung bekämpft, und mit der Regierung imBunde wendete sich Fräulein Ragstad dagegen. Sie betonte, daßsie zwar für den Frieden und die Schlichtung internationalerKonflikte durch Schiedsgerichte sei, aber„einem vernünftigen undder Leistungsfähigkeit des norwegischen Volkes angepaßten Militäretat" ihre Zustimmung gebe. Fräulein Ragstad hat damit als einkonsequentes Glied der bürgerlichen Klassen gesprochen und gehandelt. Ihr Verhalten beleuchtet wieder einmal, wie töricht dasGerede von der Interessengemeinschaft aller Frauen ist. Es läßt denunüberbrückbaren Klassengegensatz erkennen, der zwischen bürgerlichen Frauen und Prolelarierinnen gähnt. Der Vorgang bestätigtaber auch noch ein anderes: es ist gerade die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, welche den Klassengegensatzinnerhalb der Frauenwelt scharf zutage treten läßt. Wie Figurazeigt, stellen die bürgerlichen Frauen ihre politischen Rechte inerster Linie ganz selbstverständlich in den Dienst ihrer Klasse undnicht ihres Geschlechts. Bekämen wir heute in Deutschland dasFrauenwahlrecht, so würde nicht bloß das militärfromme FräuleinLischnewska, so würden viele von der großen Schwesternschaft derFrauen schwärmende Damen durch ihre Haltung der Gesellschaftder Ausbeutung und Knechtung des Menschen durch den Menschenbekunden:„Lieb Vaterland magst ruhig sein!"Verschiedenes.Eine Äußerung bürgerlicher Beschränktheit über die Armut.„Arme Leute gibt es viel oder wenig in der Welt, wie man's nimmt.Wenn alle diejenigen als arm gelten sollen, die etwas entbehrenmüssen, dann gibt es überhaupt nur Arme. Versteht man unterarmen Leuten aber nur solche, die Mangel an dem Notwendigstenleiden, so sind es Gott sei Dank recht wenige, und diese wenigenwürden fast ganz verschwinden, wenn Trägheit und Genußsuchtnicht dafür sorgten, daß sie nicht alle werden."Welch eine erhebende Probe philosophischer Begabung! Wennjemand der Meinung sein sollte, die Verfasserin oder der Verfasserder vorstehenden Zeilen sei dümmer, als es die Polizei erlaubt, soirrt er sich. Die Polizei hat nichts wider diese Dummheit gehabt,denn der Unsinn ist als erster Absatz eines Artikels„Arme Frauen"in einer Nummer des„Illustrierten Unterhaltungsblattes" erschienen, einer Beilage zur„Deutschen Eisenbahn-Zeitung". Wennman sich den zweiten Teil des dritte» Satzes etwas genauer ansieht, so entdeckt man, daß das Geschwafel in einer ganz richtigenSchlußfolgerung endet.„... Diese wenigen würden fast ganz verschwinden, wenn Trägheit und Genußsucht nicht dafür sorgte», daßsie nicht alle werden." Das stimmt, denn allerdings ist es die Furchtdavor, ihr Leben voller Trägheit und Genußsucht aufgeben zumüssen, die die Besitzenden zu Feinden der Umgestaltung derHeuligen Gesellschaftsordnung in die sozialistische macht. In ihrwürden Leute, die Mangel an dem Notwendigsten leiden, überhaupt nicht existieren. Man könnte der Dame zu ihrer Einsichtgratulieren, wenn man sich nicht sagen müßte, daß sie dem Satzegewiß nicht diesen Sinn geben wollte. Wie könnte sie auch sonst davonreden, daß es„Gott sei Dank recht wenige" sind, die Mangel andem Notwendigsten leiden? Nach der amtlichen Statistik von 1910blieben 42 Prozent der gesamten preußische» Bevölkerung unterhalb der Einkommensgrenze von 900 Mk. jährlich, hatten somitweniger als 7ö Mk. im Monat für ihren Unterhalt. Fast die Hälfteder gesamten Einwohner Preußens litt also.Mangel an dem Notwendigsten", denn für 75 Mk. monatlich und gar noch weniger kannheutzutage kein alleinstehender Mensch, geschweige denn eine ganzeFamilie ohne große Entbehrungen leben. Welch eine Trägheit undGenußsucht mag unter diesen„Gott sei Dank recht wenigen" herrschen! Die Trägheit wird ihren Höhepunkt in dem Wunsche finden,sich einmal auszuschlafen, die Genußsucht in dem, sich täglich sattzu essen. Die Arbeitslosigkeit, die die Verfasserin wahrscheinlichmit der Trägheit meint, überfällt den Arbeiter wie ein Naturereignis,gegen das er machtlos ist. Aber von all dem abgesehen: selbstwenn die Mangelleidenden ihre angebliche Trägheit und Genußsucht ablegten, so würden sie nach den Worten der Verfasserin nur„fast ganz", nicht aber völlig verschwinden. Die Logik der Dame hathier ein Loch, denn wenn die Armut auch dann noch bestehen bleibt,so muß sie noch andere Ursachen haben als die genannten Laster.Die anderen Abschnitte des Artikels führen zwei Beispiele vonarmen Frauen an,„die nicht schlecht sind, die Mangel leiden, obgleich es nicht nötig wäre", denen„schwer zu helfen" ist. Die eine„hat 9 Jahre in einem vornehmen Hause gedient, zuletzt 4 Jahreals Köchin. Fettes Fleisch ißt sie nicht und liebt sie nicht, auch keinenSpeck oder Schmalz, sie ist an den großen Buttertopf, an Quantitätund Qualität der Nahrungsmittel des großen Hauses gewöhnt, mitwenig Mitteln versteht sie nicht zu wirtschaften; immer fehlt es, undes steht zu befürchten, daß der noch immer geduldige Mann dies baldeinmal satt bekommt." Wenn die Frali mehr Mittel bekäme, dannwürde sie schon wirtschaften können, sonst wäre sie wohl nicht soviele Jahre als Dienstmädchen und Köchin beschäftigt worden. Dievornehme Herrschaft scheint auch keinen Speck und kein Schmalzgegessen und sich in der Quantität und Qualität der Nahrungsmittel keine Beschränkung auferlegt zu haben. Was bei ihr alsselbstverständlich erscheint, wird bei einer Arbeiterfamilie als Verschwendung angesehen. Wenn„der noch immer geduldige Mann"verständig ist, so wird er die Schuld an dem Mangel nicht seinerFrau zuschieben, auch wenn sie nicht die beste Haushälterin ist,sondern den heutigen Wirtschaftsverhältnissen, die die einen hungernlassen, während die anderen übersättigt sind. Er wird es nicht somachen wie der andere, von dem die verehrliche Autorin erzählt, daßes ihn allabendlich aus seinem Daheim nach der Destille treibt, weilseine Frau nie Geld hat;„sie greift das zur Miete Bestiminte an,sie versetzt in momentanen Notlagen, sie arbeitet sich in Schuldenhinein. Warum? Sie hat vom vierzehnten Jahre an der verwitweten Mutter und den Geschwistern helfen müssen. Sie ist fünfJahre in einer Buchdruckerei gewesen.... Nun versteht die Armenicht zu wirtschaften." Nähen kann sie nicht, Strümpfe stopfen auchnicht, das besorgt der Mann— wie schröcklich!— für sich allein.Was in aller Welt kann diese Frau dafür, daß sie von Jugend auffür den Profit anderer arbeiten mußte und keine hauswirtschaftliche Ausbildung erhielt? Und außerdem: wie soll man, wennman kein Geld hat, anders dem Hunger wehren als dadurch, daßman angreift, was für andere Zwecks noch vorhanden ist, daß manversetzt oder Schulden macht? Es fällt ja kein Manna mehr vomHimmel, und gebratene Tauben fliegen auch nicht in der Luft herum. Man müßte gerade denen, die zuviel haben, ihren Überflußnehmen, aber das heißt heutzutage stehlen und wird bestraft.Was soll daraus werden? seufzt die Verfasserin am Schlüsse.Die Zahl derer wird glücklicherweise immer geringer, denen solcheVerhältnisse nichts anderes entlocken als diesen Seufzer, und dieZahl derer immer größer, die diesen Seufzer zu beantworte» wissen.Nicht die Tatsache, daß die eine Arbeiterfrau fettes Fleisch nichtißt und die andere keine Schürzen nähen und keine Strümpfestopfen kann, trägt die Schuld daran, daß in ungezählten Familienständig Mangel herrscht, sondern die kapitalistische Wirtschaftsweise,die einigen wenigen die Produktionsmittel überläßt und die übrigenzwingt, diesen ivenigen für einen Bettellohn ihre Arbeitskraft zuverkaufen. Diese Wirtschaftsweise gilt es umzuändern in eine andere,in der die Produktionsmittel das Gemeingut aller sind, in der esdeshalb keine Ansbeutnng mehr gibt und keinen ständigen Mangel,der heute nicht nur bei„Gott sei Dank recht wenigen", sondernbei der großen Mehrheit herrscht. M. Wengels.Berantwortttch für die RedaMon: Frau Klara Zetttn(Zundel), Wilhelmshöhe,Post Degerloch bei Stuttgart.Druck und«erlag von I. H. W. Dies Nachf.«.m.b.H. in Stuttgart.