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2. Bericht der Kontrollkommission.
Berichterstatter: A. Kaden.
3. Parlamentarischer Bericht.
Berichterstatter: A. Geck.
4. Die Reichsversicherungsordnung.
Berichterstatter: H. Molkenbuhr.
5. Die Reichstagswahlen.
Berichterstatter: A. Bebel.
Die Gleichheit
Vor dem Parteitag, am 8. und 9. September, wird die Frauen fonferenz tagen. Die vorläufige Tagesordnung lautet:
1. Geschäftsbericht des Frauenbureaus.
Berichterstatterinnen: D. Baader und 2. Zietz.
2. Die Frauen und die Reichstagswahlen. Berichterstatterin: Klara Zettin.
3. Die Frauen und die Gemeindepolitit.
Von der Agitation. In der Provinz Hannover wurden im Februar, März, April und Mai in drei Etappen 28 öffentliche Bersammlungen abgehalten, die besonders der Gewinnung der Frauen für die Partei dienen sollten. Veranlaßt war die Agitation von dem Vorstand dieses Bezirks. Die Unterzeichnete sprach in Uslar Solling , Heinholz, Fernrode, Osterode a. H., Wülfel, Münden , Gaismar, Göttingen , Bovenden , Ostlutter. Clausthal- Zellerfeld , Gleidingen , Groß- Rhüden, Ahlfeld, Celle , Peine , Lehrte , Anderten, Burgdorf , Gif horn , Ricklingen , Springe , Hameln , Nienburg a. d. Weser , Walsrode , Melle , Osnabrück und Quafenbrück über das Thema:„ Das Interesse der Frauen an den nächsten Reichstagswahlen". Die meisten Versammlungen waren sehr gut, und zwar zum überwiegenden Teil von Frauen besucht. Der steigende Steuerdruck, die durch indirekte Abgaben und Unternehmerorganisationen herbeigeführte Verteuerung der Lebensmittel, die Verminderung der Erwerbsgelegenheit für die Tabalarbeiterschaft und andere Kategorien von Proletariern, wie alle die sonsti gen Leiden, die die bürgerlichen Mehrheitsparteien und die Regie rung durch ihre Maßnahmen verschuldeten, haben zusammen mit der kapitalistischen Ausbeutung auch dem Blödesten die Augen geöffnet. Die sozialistischen Lehren werden begierig in die Herzen und Hirne aufgenommen, neue Anhänger und Kämpfer strömen uns zu. Hannover leidet unter den noch immer geltenden alten hannöverschen Städte und Landgemeindeordnungen. Die Wahl gesetze zu den kommunalen Körperschaften machen es den Proletariern unmöglich, einen Vertreter in sie zu senden. Die Arbeiterschaft bleibt in der Gemeinde einflußlos, wenn sie nicht die Öffentlichkeit anruft. Die Herrschenden, das heißt die Besitzenden, verstehen ihre Übermacht vortrefflich auszunußen. Dafür ein Beispiel. In vielen Gegenden Hannovers besteht seit Menschengedenken das Gewohnheitsrecht, daß an bestimmten Tagen der Woche das Holz aus dem Walde geholt werden darf. Jüngst wurde den Einwohnern von Groß Rhüden dieses Recht durch die Waldgenossenschaft( Vereinigung der Großbauern und Waldbesitzer) geschmälert, diese hob einen Holztag der Woche auf. Die Empörung der Betroffenen darüber ist groß; ganz besonders sind die Frauen erbittert, die für geringen Lohn schwer bei denselben Bauern arbeiten müssen, die das alte Gewohnheitsrecht zunichte machten. Die Frauen werden die Maßregel heimzahlen. Der Zusammenhalt, den sie durch den Beitritt zum sozialdemokratischen Verein und zur Organi sation der Landarbeiter gewinnen, wird ihnen die Kraft verleihen, ihre Arbeitskraft in Zukunft nicht mehr sür den billigen Lohn wie jetzt zu verkaufen. In den kleinen hannöverischen Städten ist oft wenig Arbeitsgelegenheit vorhanden. So beherrscht zum Beispiel in Gifhorn eine Glashütte den ganzen Ort. Die Arbeiter wurden hier ausgesperrt, weil sie ihrer gewerkschaftlichen Organisation beigetreten waren. Die Einwohner von Bovenden sind der Verarmung preisgegeben, weil dort die Erhöhung der Tabaksteuer die Tabakindustrie fast ruiniert hat. Überall in der Provinz, in der Stadt wie auf dem Lande ist das Los der Frauen ein fast noch schwereres als das der Männer, die als Bauarbeiter schaffen, bei schlechtem Lohn in den fiskalischen Gruben in Glausthal oder in den Steinbachen und Gipswerfen in Osterode a. H., oder Ostlutter dem Verdienst nachgehen und bald Berufskrankheiten aller Art zum Opfer fallen. Die Frauen fronden zum Teil in den Papier, Gummi- und Textilfabriken der Gegend, tagsüber geplagt von der Sorge um die schußlosen, sich selbst überlassenen Kleinen. Viele von ihnen arbeiten auch bei Bauern im Taglohn oder Akkord. Im Höchstfal verdienen sie dann den Tag 2 Mt., jedoch haben sie sich so abrackern müssen, daß sie vor Schmerzen im ganzen Körper taum schlafen können. Nach der aufreibenden Tagesarbeit beginnt für die erwerbstätigen Frauen der zweite Arbeitstag. In
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der Häuslichkeit gilt es Ordnung zu schaffen, die Kinder zu waschen, den Pachtacker zu besorgen, falls der Mann nicht in der Lage ist, diese Arbeit zu übernehmen. Dazu muß das Vieh gefüttert, für den andern Tag muß das Essen vorbereitet werden, und all die Hunderterlei Dinge sind zu verrichten, die den Frauen überlassen bleiben. Früh 4 Uhr heißt es aufstehen und die Plage be= ginnt von neuem. Die Sozialdemokratie allein ist es, die in dies vorzeitig Leib und Seele zermürbende Leben Hoffnung trägt. Nicht mehr geduldig nehmen die Frauen ihr Schicksal auf die Schultern. Nein, kampfesfroh und kampfesmutig treten sie an der Seite ihrer Männer den Organisationen bei. Die Arbeiterfrauen aus Städten und Dörfern regen sich, sie wissen, was bei der Reichstagswahl auf dem Spiele steht. Das schmähliche Verhalten der bürgerlichen Parteien bei der Reichsversicherungsordnung hat aufs neue und deutlich erwiesen, daß nur die Sozialdemokratie zuverlässig für das Wohl der Ausgebeuteten und Bedrückten eintritt. Die stattgefundenen Versammlungen haben ihr Teil dazu beigetragen, die Ideen des Sozialismus in weiteren Kreisen zu verbreiten. Viele neue Mitglieder, neue Kämpfer sind für unsere Partei gewonnen worden. Die Frauen werden mit aller Hartnäckigkeit und aller Begeisterung, die dem weiblichen Geschlecht eigen ist, dafür sorgen, daß recht viele Sozialdemokraten in den nächsten Reichstag gewählt werden, und daß die sozialdemokratische Bewegung erstarte. Sie wollen dazu helfen, daß durch ernsten heiligen Kampf Menschenglück und Freude für sie selbst und ihre Kinder erblühen.
Jm Reichstagswahlkreis Hof- Münchberg- Naila- Selb sprach Genossin Reichert Berlin in sieben öffentlichen Frauenversammlungen, die die Unterzeichnete einberufen hatte, über das Thema: „ Die Frauen und die kommenden Reichstagswahlen". Von dieser Agitation wurden die Orte Hof, Helmbrechts , Münchberg , Naila , Rehau , Schönwald und Selb erfaßt. In Hof war unsere Veranstaltung nicht gut besucht, weil am gleichen Tage die Textilarbeiteraussperrung aufgehoben worden war und die Frauen sich vormittags und nachmittags an den gewerkschaftlichen Versamm lungen start beteiligt hatten. Trotzdem wurden 14 weibliche Parteimitglieder gewonnen. In Helmbrechts , wo Handweber mit 10 Mr. Wochenverdienst ihr fümmerliches Dasein fristen, traten 15 Frauen der politischen Organisation bei. Die Versammlung in Münchberg fügte den 23 Mitgliedern, die an diesem Orte einige Wochen zuvor der Partei geworben worden waren, vier neue hinzu. Der Versammlungsbesuch ließ viel zu wünschen übrig. Sehr gut besucht war die Versammlung in Naila , einem Ort, in dem die schönsten Handstickereien und Durchbrucharbeiten hergestellt werden. Die zierliche und feine Arbeit ist nicht genug zu bewundern, aber so fein sie ist, so schlecht ist der Lohn. Er reicht buchstäblich nicht einmal zum Sattessen aus. Als die Referentin in der Versammlung die indirekten Steuern und den ungeheuren Zoll auf Fleisch fritisierte, erklärten die Anwesenden übereinstimmend:„ Ein Pfund Fleisch haben wir noch nie in unserem Kochtopf gehabt, wir müssen uns mit Talg und Suppenbein begnügen." Das standalöseste ist, daß die Heimarbeiterinnen nie wissen, was sie für ihre Arbeit befommen, das wird vom Faktor erst nach der Fertigstellung bestimmt. Manchmal glauben die Armsten etwas mehr verdient zu haben wie gewöhnlich, aber die Auszahlung macht ihren Hoffnungen allemal ein Ende. Erfreulich ist es, daß auch sie aufangen, sich um Politik zu kümmern. Die Begeisterung war ihnen in der Versammlung vom Gesicht abzulesen.„ Wir wollen auch mithelfen, ein menschliches Dasein zu schaffen!" riefen sie, und 55 Frauen und Mädchen traten der Partei bei. Für die letzten drei Versammlungen hatten die Genossen erfolgreich agitiert, die Säle waren bis auf den letzten Platz besetzt. In Rehau , wo die Porzellanindustrie und die Schuhfabrikation vorherrscht, ließen sich 57 Mitglieder in die politische Organisation aufnehmen, die Höchstzahl, die auf dieser Tour in einer Versammlung erreicht wurde. In Schönwald und Selb drückte die Arbeiterschaft der Porzellanindustrie den Veranstaltungen den Stempel auf. Es war zu merken, daß man es hier mit Arbeitern und Arbeiterinnen zu tun hat, deren Lebenslage besser ist als die der armen Textilarbeiter. In Schönwald wurden der Sozialdemokratie 44 Mitglieder gewonnen, dort war eine Lohnbewegung in Vorbereitung, welche etwa 100 Frauen und Mädchen der gewerkschaftlichen Organisation zugeführt hatte. Die Versammlung in Selb brachte 51 Aufnahmen, womit die dortigen rührigen Genossen aber nicht zufrieden waren, sie versprachen, die als Ziel gesetzten 100 voll zu machen. Wenn wan bedenkt, daß auch hier erst in der Woche vorher über 100 Frauen und Mädchen sich der gewerkschaftlichen Organisation angeschlossen hatten, so kann man mit dem Resultat wohl zufrieden sein. Alles in allem brachte die Agitationstour 240 neue Mit