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Die Gleichheit
eine Verschärfung. Von christlicher Seite wurde versucht, in den Zeitungen die Niederlage als einen Teilerfolg auszuposaunen. So fort erging vom Arbeitgeberverband die Weisung, die Aussperrung zu vollziehen. 4000 gut christlich gesinnte Arbeiter wurden von ebenso christlich gesinnten Unternehmern auf das Straßenpflaster gesetzt. Sie sollten schriftlich die bedingungslose Unterwerfung bescheinigen. Zweifellos war den Unternehmern die Gesamtsituation günstig. Die Leitung des christlichen Arbeiterverbandes war dem auch mit Hochdruck tätig, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Nach zweiwöchiger Dauer wurde die Wiederaufnahme der Arbeit zu den alten Bedingungen beschlossen. In fast allen Orten ist die Arbeit aufgenommen. Nur in wenigen Betrieben sind noch kleinere Differenzen. Der Unternehmerverband fündigt erneut Aussperrung an. Die Beilegung kann nur eine Frage weniger Tage sein. Als Resultat des Ringens der letzten Wochen haben die Textilarbeiter zwei Zeilerfolge und eine Niederlage zu verzeichnen. Neue Rämpfe tündigen sich an. Der Klassenkampf beherrscht die Zeit. Auch die den Klassenkampf theoretisch verwerfenden christlichen Arbeiter sind zur Praxis des Klassentampfes gezwungen. Deshalb, Textilarbeiter und arbeiterinnen, schließt eure Reihen! h. j.
Frauen als tapfere Bundesgenoffinnen ihrer Männer. Einen vollen Sieg errangen die Arbeiter der Waggonfabrik Herbrand A.-G. in Köln- Ehrenfeld durch festes Aushalten im Streit. Die 800 Arbeiter der Firma forderten neunstündige Arbeitszeit, 10 Prozent Lohnerhöhung und wöchentliche Lohnzahlung am Freitag. Nach mehrmaligen Verhandlungen wurden diese Forde rungen abgewiesen, worauf die gesamte Arbeiterschaft der Firma in den Ausstand trat. Die Direktoren täuschten sich in der von ihnen geäußerten Vermutung, daß der Hunger die Ausständigen in die Fabrik zurücktreiben werde. Nach vierwöchigem Kampfe erhielten die Arbeiter die Aufforderung, die Arbeit zu den alten Bedingungen wieder aufzunehmen, andernfalls ihre Posten besetzt würden. Die Streifenden hielten stand. Am 15. Mai rückte eine Berliner Streitbrecherbande an, die die Bahnverwaltung in Viehwagen direkt in die Fabrik befördern ließ. Die Streifenden bewahrten die größte Ruhe. Bald hatte die Firma Herbrand eingesehen, welch untaugliche Arbeitskräfte sie erhalten hatte. Vier der Streitbrecher verunglückten in den ersten Tagen. Die Firma war schließlich zu neuen Verhandlungen mit den Ausständigen gezwungen, deren Forderungen sie nach mehreren Tagen bewilligte. In dem fünfwöchigen Kampfe haben die Frauen der Streifenden ihre Männer tapfer unterstützt, haben sie sich als deren treue Kameraden bewährt. Ohne ihre Einsicht und Festigkeit wäre das Aushalten in der Auflehnung gegen das Unternehmertum unmöglich gewesen. Mögen sich die proletarischen Frauen immer mehr um die rote Fahne der Arbeit scharen und sie zum Siege tragen helfen! Rosa Ransenberg.
Aus der Gewerkschaftsbewegung Rußlands . Die blutige " Beruhigungspolitik" der russischen Reaktion und ihres Handlangers, des Ministerpräsidenten Stolypin , erweist sich, je länger fie andauert, um so offenkundiger als erfolglos und vor allem als unfähig, die Arbeiterbewegung niederzuhalten, um welchen Preis die Bourgeoisie fie schließlich noch in Kauf nehmen würde. In letzter Zeit richtete die Regierung ihr Augenmert namentlich darauf, die gewerkschaftliche Betätigung der Arbeiterklasse zu erdrosseln. Zahlreiche Verhaftungen von Arbeitern fanden in der Provinz statt, während sie in Petersburg und Moskau überhaupt nicht aufhören. Legale, durch alle gesetzlichen Paragraphen gedeckte Gewerkschaften wurden aufgelöst, so die starke Organisation der Metallarbeiter und die rührige Gewerkschaft der Buchdrucker in Petersburg . Gewertschaftsblätter werden konfisziert und verboten. Doch alle diese Gewaltmaßregeln müssen schließlich an der schöpferischen Kraft und dem tampfmutigen Geist des russischen Proletariats scheitern. Und nicht zuletzt sind es die Frauen, die Zeugnis davon geben, daß sich in der Arbeiterschaft, ungeachtet der barbarischen Verfol gungen und Unterdrückungen, das Leben wieder kräftig zu entfalten beginnt. Abgesehen von den Arbeitseinstellungen, an denen Frauen gemeinschaftlich mit Männern beteiligt waren, fanden in diesem Jahre bereits mehrere Streits statt, die von Arbeiterinnen eingeleitet und durchgeführt wurden. In Petersburg legten 400 Textilarbeiterinnen der Sampsonschen Fabrik die Arbeit nieder mit der Forderung eines höheren Lohnes. Kurz darauf brach ein Streit aus in der Textilfabrik Beck Nr. 1. Hier waren an den trockenen Watermaschinen neue Arbeitsmethoden eingeführt worden, die von den Arbeiterinnen den doppelten Kraftaufwand erforderten. Die Arbeiterinnen stellten an die Direktion der Fabrit eine Reihe von Forderungen. Unter anderem die Abschaffung der neuen Arbeitsmethode, würdigere Behandlung, Aufhebung der Untersuchung beim
Nr. 19
Verlassen der Arbeit und Festlegung einer Ruhezeit von sechs Wochen für Wöchnerinnen, die bis dahin gewöhnlich entlassen wurden. Die Arbeiterinnen der Fabrit Be c Nr. 2 stellten zur Unterstüßung dieser Forderungen gleichfalls die Arbeit ein. Die Streits blieben nicht erfolglos. Wenn auch die neue Arbeitsmethode beibehalten wurde, so mußte die Direktion doch in ver schiedenen Punkten nachgeben. Vor allem wurde die sechswöchige Ruhezeit für Wöchnerinnen zugestanden. Fast zur selben Zeit traten die Textilarbeiterinnen der Firma Malzoff in Streit, und bemerkenswert ist, daß auch sie eine Ruhezeit für Wöchnerinnen verlangten. Das zeigt, daß diese bedeutsame Forderung auch unter den russischen Proletarierinnen fest Wurzel zu fassen beginnt. Das Gewerkschaftsblatt der Textilarbeiter, das bald darauf einen Aufruf an die Arbeiterinnen erließ, der Organisation beizutreten, wurde von der Polizei konfisziert.
Notizenteil. Dienstbotenfrage.
a. k.
Die Ortsgruppe Leipzig bes Hausangestelltenverbandes berichtete bei ihrer letzten Generalversammlung über das vierte Jahr ihres Bestehens, das zweite seit der erfolgten Zentralisierung der Dienstbotenvereine. Ende März 1910 zählte die Leipziger Gruppe 118 Mitglieder, im März 1911 161. Jm Berichtsjahre waren 65 Mitglieder neu aufgenommen worden, 25 traten aus, weil sie ver zogen oder ihren Beruf aufgaben. Zur Erledigung der Geschäfte hatten 16 Vorstandssitungen und vier Kassenrevisionen stattgefunden. Die Abrechnung an die Zentrale in Berlin erfolgt in jedem Quartal, und fünftig wird auch der Bericht vierteljährlich gegeben werden. Die Gruppe hatte eine Einnahme von 874,24 Mt., eine Ausgabe von 753,09 Mt. und dementsprechend einen Kassenbestand von 121,15 Mt. Der alte Vorstand wurde wiedergewählt mit Ausnahme der ausgeschiedenen Frau Mai, zu deren Nachfolgerin Frau Refert bestimmt wurde; Ersatzperson der letzteren ist Fraulein Peters. Die Kassiererin, Frau Hebold, nahm ihren Posten nur auf ein halbes Jahr an und hofft, daß sich dann eine andere Genossin dafür findet. Die Organisation hielt während des letzten Jahres acht Versammlungen mit aufklärenden Vorträgen ab, darunter drei öffentliche, die durch Flugblattverbreitungen vorbereitet wurden. Außerdem fanden acht Unterhaltungsabende, das Stif tungsfest, zwei Ausflüge und eine Stechfahnpartie statt. In einigen der Versammlungen wurde die reichsgesetzliche Regelung der Stel lenvermittlungsgebühren und die Krankenversicherungspflicht für die Dienenden behandelt. Es ist zu bedauern, daß die jüngeren Mädchen anscheinend der Behandlung aller ernsteren Fragen fein tieferes Interesse entgegenbringen und daher auch die Versammlungen nicht gut besuchen. Die geselligen Veranstaltungen fanden im Gegensatz dazu zahlreichen Zuspruch. Die Organisationsleitung schlichtete Streitigkeiten wegen Lohnzahlung, Zeugnisausstellung, Zeugnisänderung und plötzlicher Entlassung. Trotz aller Warnung hatten einige Mitglieder Schriftstücke unterzeichnet, die ihnen von der Herrschaft vorgelegt worden waren. Damit hatten sie sich aller ihrer Ansprüche an diese begeben, so daß das Eingreifen der Dr. ganisation für ihre Interessen erfolglos war. Ehe ein Mädchen dem Drängen der Herrschaft folgend etwas unterschreibt, sollte es den Rat der Drganisationsleitung einholen, es wird dann vor Schaden bewahrt bleiben. Vielfach wird die Organisation zum Zweck einer Stellenvermittelung angegangen. Laut Statut muß der lostenlose städtische Stellennachweis, Grimmaische Straße Han delshof, in Anspruch genommen werden, doch sollen sich dort stellenlose Mitglieder auf die Zugehörigkeit zum Hausangestelltenverband berufen. Die Drganisation vermittelte übrigens den Mitgliedern trotz allem nach Kräften Stellungen. Eine Neueinrichtung sind die Nähabende, die Mittwochs und Donnerstags nach dem 15. jedes Monats stattfinden. Möchten recht viele Mitglieder von dieser Einrichtung Gebrauch machen. Eine von der Zentrale veranstaltete Statistik über die Wohnräume der Mädchen fand leider nicht das nötige Verständnis. Von 100 Fragebogen tamen nach wiederholter Aufforderung nur 18 ausgefüllt zurück. Eine Tatsache muß noch verzeichnet werden. Die im Volkshaus beschäftigten Hausangestellten sind sehr schwer oder auch gar nicht für die Organisation zu gewinnen. Der Wechsel der Angestellten ist dort sehr groß; von 12 Mädchen, die die Gruppe im letzten Sommer nach wiederholten Betriebsbesprechungen gewonnen hatte, sind nur noch zwei im Voltshaus und im Verband. Die neu Angestellten haben den Weg zur Organisation noch nicht gefunden. Als Grund ihrer Weigerung, sich zu organisieren, machen sie gewöhnlich geltend, sie hätten keinen einzigen freien Sonntag, fie tönnten an den ge