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Die Gleichheit

Dieser Herr machte mit einigen lumpigen Märklein hungernde Unglückselige seinen zum Teil ganz perversen Gelüsten will­fährig. Die Lieblingsunterhaltung der ehrenwerten Schützer der bürgerlichen Moral war ein Versteckerlespiel". Ein Mäd­chen mußte sich in der Wohnung verstecken, wer von den Herren es fand, durfte fünf Minuten mit ihm allein sein, mußte aber dafür 1 bis 3 Mr. bezahlen. Weigerte eine zum Abendessen Eingeladene, sich den schmutzigen Wünschen der würdigen Herren zu fügen, so wurde sie als dumme Gans" bezeichnet, beschimpft und davongejagt.

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Der schon erwähnte Bankdirektor, Ley ist der Name dieses Edlen, erschien als Zeuge vor Gericht und verhielt sich äußerst zugeknöpft, was seine etwaige Beteiligung an den Orgien an­belangte. Sogar seine eigenen früheren Aussagen vor dem Untersuchungsrichter, die ihn belasteten, erklärte er nun für der Mann ist unwahr. Dagegen legte diese Ordnungsstüze Kaufmannsgerichtsbeisitzer und bekleidet viele andere Ehren­ämter mit großer Offenherzigkeit ein soziales Glaubens­bekenntnis ab, das festgenagelt zu werden verdient: Ich be­trachtete die Mädchen als Ware," meinte der Wackere und fügte hinzu: 3Zudem gehören die Mädchen doch nicht zur besseren Gesellschaft, sondern sind minderwertiger Gattung." In der gleichen Weise äußerten sich zwei weitere Zeugen, die wegen des Verdachts der Mitschuld nicht vereidigt wurden: ein Apotheker und ein städtischer Bauführer, die Wohnungs­genossen des Pfeiffer. Weil Pfeiffer nur wegen eines Teils der zur Anklage gestellten Fälle juristisch gefaßt werden konnte, so kam er mit der geringen Strafe von zwei Monaten Gefängnis davon.

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und dessen Abschluß in mehrfacher Hinsicht zum Nachdenken an­regt. Es handelt sich um den Kampf der Knopfarbeiter in Frankenhausen   am Kyffhäuser  .

Ein stiller, bescheidener Menschenschlag, reich an Gemüt und anhänglich an die schöne Heimat, lebt in den Knopfmacherorten Frankenhausen, Kelbra   und Berga  , ein Menschenschlag, wie er in Gegenden weitab vom Weltverkehr angetroffen wird. Wir finden ihn mit seiner Genügsamkeit wieder im schönen Schwarzwald  , im Erzgebirge  , im Harz und einigen anderen mit Naturschönheiten ge= segneten Gegenden. Was uns aber auch in der Regel hier auf­fällt, das treffen wir ebenfalls in den Orten an, die um den Kyff­häufer gelagert sind: Armut, bittere Armut! Trotzdem hängen die armen Proletarier des Landstrichs an ihren Bergen; und wenn einzelne in die Welt verschlagen werden, so bedarf es nur der Er­innerung an die Heimat, und die Tränen fließen reichlich über die Wangen. Bei den wiederholten Lohnkämpfen der Knopfarbeiter in den Kyffhäuser   Orten hatte ich oft die Aufgabe, auf die Abreise der Ledigen hinzuwirken. Ich habe es mir redlich Mühe kosten lassen, ihnen die weit günstigeren Arbeitsbedingungen an anderen Plätzen und die Schönheiten anderer Gegenden zu schildern. Es mochte wohl gelingen, die Leute in einer günstigen Stunde von der Notwendigkeit der Abreise zu überzeugen. Hatte sich aber ihr Auge erst wieder an den Schönheiten des Rybise" satt getrunken, so waren die Vorsäge zur Abwanderung rasch verflogen. Die jungen Männer waren nicht fortzubringen, lieber gingen sie hin und ar­beiteten im Steinbruch oder auf dem Felde, um auf die Streif­unterstützung verzichten zu können, aber sie blieben an ihrem Kyff­ häuser  . Proletarier, welche die Welt gesehen, weil das Kapital sie Nomaden gleich von Ort zu Ort hett, vermögen diese Anhänglich­feit faum zu begreifen, und doch ist mir das Herz aufgegangen, wenn ich Zeuge war, wie alt und jung durch den Wald dahin­zogen, Not und Elend vergessend, ein heimatliches Lied vor sich hin summend oder wenn das Völfchen laut jauchzend über die grünen Matten schritt.

Die Unternehmer wissen das Gemüt der Bevölkerung in ihrer Art zu würdigen". Wie sie im Sonneberger   Bezirk die Spiel­waren und Christbaumschmuckarbeiter und Rästlenmacher, im Erz gebirge die Spielwaren-, Musikinstrumenten- und Bürstenarbeiter, im Harz die Stuhlmacher und im Schwarzwald   die Uhrenarbeiter und Schnitzer in ausgiebigem Maße ihrem Profit dienstbar machen, so verstehen sie auch am Kyffhäuser   mit Erfolg die guten Eigen­schaften der Nichtbesißenden zur Erhöhung des Unternehmergewinns auszunützen. Die Heimarbeit wurde hier frühzeitig eingeführt. Weib und Kind mußten angestrengt mit tätig sein, damit die Fa milie den fümmerlichen Lebensunterhalt erwerben konnte. Von früh bis in die Nacht hört man die Drehbank surren, sieht man den Vater beim Ausbohren oder Fassonieren, den jugendlichen Sohn beim Löchern und die Mutter und Tochter beim Sortieren und Aufnähen der Knöpfe. Als Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer dient in vielen Fällen derfelbe einzige Raum. Als Folge davon und des Staubes, der sich bei der Verarbeitung des spröden Ma terials entwickelt, treten häufige Erkrankungen der Atmungsorgane und der Augen aller Familienangehörigen auf. Alles in allem: Elend über Elend in den Knopfmacherfamilien, während die Ver

Schmuzaffären, wie sie die Verhandlungen offenbart haben, sind gewiß nichts Vereinzeltes und Neues in den Kreisen der " besseren Gesellschaft". Was aber den Nürnberger   Fall über viele seinesgleichen heraushebt, ist die scharfe Beleuchtung des Busammenhangs, der zwischen Not und Unsittlichkeit besteht. Hunger und Entbehrungen waren es meist, welche den reichen Wüstlingen die Opfer firrten. Die Lustobjekte der Nürnberger  Lebemänner waren ausnahmslos Lohnsklavinnen, Töchter von Arbeitern oder kleineren Beamten, die sich im Elend befanden oder hart an der Grenze des Elends herumirrten. Doch nicht das allein ist charakteristisch. Die dem Laster Unterlegenen waren ausnahmslos indifferente Proletarierinnen, die ins Lumpen­proletariat herabsanken, sich für ein warmes Abendbrot ver­fauften, sich für ein paar Schandpfennige einem geilen Burschen in die Arme warfen. Sie standen dem Heere der organisierten, der kämpfenden Arbeiterklasse fern. Nichts wußten sie von der Aufklärung, welche zum Zusammenschluß in der Organisation, welche zum Ringen für bessere Entlohnung der Arbeit, für eine menschenwürdige Existenz der Schaffenden treibt. Wie sie willige Objekte der kapitalistischen   Ausbeutung in Kontor und Laden waren, so ließen sie sich auch zu willfährigen Objekten zahlungs- leger und Fabrikanten wie die Händler sowohl mit Perlmutter­fähiger Geilheit erniedrigen. Das Auftreten der Mädchen vor Gericht ließ feinen Zweifel darüber, daß ihnen das Klassen­bewußtsein ganz fremd war, daß sie fein höheres Jdeal kannten, als die Narreteien der Modedamen nachzuäffen. Die weiblichen Handelsangestellten mit Klassenbewußtsein und dem sozialisti schen Jdeak erfüllen, sie in Reih' und Glied ihrer Gewerkschaft, des Zentralverbandes stellen, wie auch der Sozialdemokratie zuführen: das ist die beste Schutzwehr gegen das Versinken in das Lumpenproletariat. Verkäuferinnen und Kontoristinnen, die sich ihres Wertes und ihrer Würde als Schaffende und Frauen bewußt sind, die für den verdienten Lohn ihrer Arbeitsleistungen in der Gegenwart kämpfen, für ihre volle soziale Befreiung in der Zukunft, die sich in ihrem Sehnen und Ringen eins wissen mit Millionen, die werden gegen den Druck der Not und die Lockung des Lasters widerstandsfähig sein. Auch für sie wird der proletarische Klassenkampf die stärkste emportragende fitt­liche Macht sein.

Die verfluchte Bedürfnislosigkeit.

K. H.

Nach 35 wöchiger Dauer wurde ein Kampf beendet, an welchem Hunderte weiblicher und männlicher Proletarier beteiligt waren,

muscheln als auch mit fertigen Waren im Laufe der Zeit zum größten Teile reiche Leute geworden sind.

In den letzten Jahren gingen einige der Unternehmer dazu über, eigene Fabrikräume mit Kraftbetrieb einzurichten. Die Ma­schine zur Bearbeitung der Knöpfe fand aber keinen rechten Ein­gang. Die Arbeiter führten das auf das" spröde Material" zurück, welches eine maschinelle Bearbeitung nicht vertrage. Der Hinweis darauf, daß in der Steinnußknopfbranche Arbeitsmaschinen aller Art seit langen Jahren verwandt werden und sich bewährt haben, vermochte nicht die gang und gäbe Ansicht zu ändern. In Wirk­lichkeit lagen die Dinge so, daß die Fabrikanten ihre Waren in der Heimarbeit billiger hergestellt bekommen als im Fabrikbetrieb; die Herren hatten darum kein Interesse an der Anschaffung kostspieliger Arbeitsmaschinen. Als nun die Arbeiter vor einem halben Jahre, gestützt durch ihre gute Organisation, eine nennenswerte Erhöhung ihrer Löhne verlangten, schwand mit einem Male die Animosität" der Fabrikanten gegen die Maschine. Da war das Material nicht mehr zu spröde", die Kapitalisten rechneten nur noch, ob sie die Arbeiter durch die Einführung von Maschinen niederzwingen und dabei obendrein noch ein Geschäft machen könnten. Kurze Zeit darauf hielten Maschinen verschiedener Systeme ihren Einzug in Frankenhausen  . Zunächst ungläubig den Kopf schüttelnd, dann aber mit nachdenklichen Mienen sahen die Arbeiter der weiteren Ent­wicklung der Dinge entgegen, und bald kamen sie zu der Ansicht: