Nr. 20

Die Gleichheit

die Maschine nimmt uns unser Brot, auch in der Perlmutterknopf­industrie hat sie ihren Siegeslauf angetreten. Heute schon hat die Maschine in Frankenhausen rund 50 Prozent der vor dem Kampfe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen brotlos gemacht. Ver­hältnismäßig leicht haben sich die Knopfarbeiter mit der Entwick­lung der Dinge abgefunden. Zunächst mußte alles aufgeboten wer­den, die überflüssig gewordenen Arbeitskräfte in anderen Industrien unterzubringen oder zur Abreise zu bewegen. Was alles Reden früher nicht vermocht hatte, das erzwang nun die Entwicklung der Dinge. Viele Bewohner des Kyffhäuſergebirges verließen das idyl­lische Heimatfleckchen, weitere werden folgen.

Ein durchschlagender Erfolg im Lohnkampf war unter den ge­gebenen Verhältnissen nicht mehr zu erzielen. Es mußte darum versucht werden, die Bewegung auf annehmbare Weise zu beenden, ohne daß die Organisation erheblichen Schaden erlitt. Das ist ge­lungen. Wenn auch nur mit einem geringen Erfolg, so kehren doch die Arbeiter und Arbeiterinnen erhobenen Hauptes an ihre Arbeits­plätze zurück, und die Organisation steht ungeschwächt da, bereit, jeden Augenblick die Interessen ihrer Mitglieder aufs neue mit Entschiedenheit zu vertreten.

Der Kampf hat den Arbeitern die rauhe Wirklichkeit enthüllt. Die kapitalistische Ordnung läßt dem Armen nicht den Lurus" der Liebe zur Heimat, sie reißt ihn von der teuren Scholle und treibt ihu unstet und flüchtig" dem Erwerb nach. Wer in Frankenhausen und Umgegend anderer Meinung war, ist heute gründlich kuriert. Doch auch die Ansichten der Unternehmer ändern sich. Solange die Arbeiter dank ihrer verfluchten Bedürfnislosigkeit mit ihrer jammervollen Entlohnung zufrieden waren, hatten die Unternehmer tein Interesse an einer Änderung des Produktionsprozesses, sobald sie höhere Ansprüche ans Leben stellten, wurde die früher ver­schriene Maschine eingeführt. Ein Glück für dieses Gebiet, daß die Maschine aufräumt mit dem Elend der Hausindustrie, und daß sie die überflüssigen Arbeitskräfte gebieterisch in die Welt hinausweist. Ein Trost für den Verlust der schönen Heimat wird die Solidari­tät der Klaffengenossen sein, die ihnen draußen in den Stürmen des Lebens beistehen. Die Bedürfnislosigkeit, welche soviel Schuld daran trägt, daß die Lage der Knopfmacher am Kyffhäuser eine gar so unglückselige ist, wird endlich immer mehr verschwinden. Auch diese Proletarier werden zu der Einsicht kommen, daß sie das Recht haben, weit höhere Ansprüche an das Leben zu stellen. Das Kapital läßt es an dem Anstoß zur nötigen Aufklärung nicht fehlen. Ge­wiß ist es bedauerlich, daß zunächst gar mancher Knopfarbeiter schwer unter dieser Entwicklung leiden muß. Für die Dauer aber und für die Arbeiterbewegung bedeutet sie einen großen Gewinn. In Hunderte von Herzen und Hirne wurde die alte Wahrheit ein­gegraben: Es gibt keine Harmonie zwischen Kapital und Arbeit." Das Kyffhäuser Schulbeispiel muß neue Tausende mit glühendem Haß gegen die heutige Wirtschaftsordnung erfüllen, muß sie an­eifern, für die Idee des Sozialismus zu wirken. Die Gegner ar­beiten für uns die Entwicklung bringt uns unserem Ziele näher.

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G. B.

Die Reichsratswahlen in Desterreich.

I. K. Die Haupt- und Nachwahlen sind vorüber. Die Genos­finnen haben eifrig mitgearbeitet im Wahlkampf und ihre Schuldig feit für die Sache des Proletariats getan. Ist doch für die Frauen das Ergebnis der Wahlen von großer Bedeutung, nicht nur weil jeder Erfolg der sozialdemokratischen Arbeiterpartei auch ihr Er folg ist, sondern auch weil die Zuerteilung des politischen Vereins­rechts an die Frauen von der Zusammensetzung des neuen Parla­ments abhängt. Bekanntlich hatte der Reichsrat dem betreffenden Antrag der Sozialdemokratie zugestimmt, er wurde aber aufgelöst, ehe noch das Herrenhaus gesprochen hatte. Ferner hat das neue Parlament mitzuentscheiden über die Alters- und Invalidenver­sicherung, den Mutterschutz, die Einbeziehung der Dienstnehme rinnen, Heimarbeiterinnen und Landarbeiterinnen in die Kranken­versicherung. Das Frauenreichskomitee richtete daher an die Genossinnen die Aufforderung, sich mit allen Kräften an der Wahl­agitation zu beteiligen. Den Frauenorganisationen wurde Agita­tionsmaterial zur Verfügung gestellt, und auf Vorschlag des Frauen= reichskomitees gab die Parteivertretung ein Flugblatt an die Frauen heraus und eine Broschüre Die Frauen und die Reichsrats­wahlen". In allen Wiener Bezirken fanden sozialdemokratische Frauenversammlungen statt, und am Wahltag arbeiteten viele Ge­nossinnen in den Wahlkomitees mit. Auch außerhalb Wiens wur den zahlreiche Frauenversammlungen abgehalten, zu denen meist das Frauenreichskomitee Referentinnen entsandte. Der Wahlkampf war diesmal wesentlich schwerer als 1907. Damals wurde zum ersten­

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mal nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählt, das durch die Sozial­demokratie erobert worden war. Unter dem Eindruck dieses großen Erfolges gaben uns damals viele Nichtsozialdemokraten ihre Stimme, und manches Mandat fiel uns zu, das wir aus eigener Kraft nicht hätten erobern können. Mittlerweile haben sich die Klassengegensätze verschärft, vor allem aber hat der nationale Ge danke" Orgien gefeiert. Unter dem Schlagwort des Deutschtums" hat sich alles gegen uns vereinigt, was außer den Christlichsozialen zu den Hassern der Sozialdemokratie gehört. Gelbe Organisationen entstanden, die ,, Deutsche Arbeiterpartei" unter der Führung einiger politisch charakterlofer Subjekte wurde gegründet. So marschierten nationale Arbeiter im Bunde mit den bürgerlichen Scharfmachern, mit den Feinden des Koalitionsrechts und den Gegnern der Sozial­reform gegen uns. Der, Deutsche Nationalverband" hat sich rasch berüchtigt gemacht, er wird für die deutschen Genossinnen am besten durch den Hinweis gekennzeichnet sein, daß er nach der Methode des Reichslügenverbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie arbeitet. Unerhörtester Terrorismus und scham­loseste Verleumdung waren die Waffen unserer Gegner. Als Bei­spiel ihrer Kampfesweise diene folgendes. Außer dem Genossen Karpeles gibt es in der österreichischen Partei keinen Genossen, der eine Villa besitzt, wohl aber einige Genossen, die kleine bescheidene Häuschen haben. Die charaktervollen" Leute vom Nationalver­band ließen Bilder der Willen" der sozialdemokratischen Führer auf Plakaten öffentlich anschlagen unter der Aufschrift: Sozialdemokra tische Wohnungsfürsorge". Genossen Glöckl mietete man in Deutschböhmen aus dem Hotel aus, und den Wirt bedrohte man, damit er ihm kein Essen verabreiche. Mietzinssteigerungen und Entlassungen wurden in Deutschböhmen sozialdemokratischen Wählern angekündigt, und in den Fabriken befahl man den Ar­beitern, ihre Legitimationen und ihre Stimmzettel abzuliefern. Am Wahltag ließ man sie von Werkmeistern zur Urne führen. Dabei gibt es in Osterreich ein Gesez zum Schuße vor Wahlbeeinflussungen und gegen Wahlmißbräuche! So ist es gelungen, uns in den Sudeten­ländern durch Ausnüßung der wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler Wähler eine Niederlage zu bereiten. Ein weiteres zum Teil erfolg reiches Kampfmittel gegen uns war die Erregung der nationalen Instinkte. Den national empfindenden Arbeitern, die sich von bürger­lichen Einflüssen noch nicht freigemacht haben, erzählte man, wir feien als internationale Sozialdemokraten Verräter am Deutschtum.

Obwohl im neuen Parlament unsere Fraktion 80 bis 82 Mann start sein wird, unser Verlust also nur 6 bis 8 Mandate beträgt, haben wir einige schmerzliche Rückschläge erlitten. Die Sudeten länder, Böhmen , Mähren und Schlesien sind zum großen Teil vom Deutschen Nationalverband" erobert worden. In Mähren haben wir kein deutsches Mandat gewonnen und drei Mandate verloren; in Schlesien nur ein einziges neu erobert, und zwei wurden uns entrissen. In Deutsch böhmen aber haben uns Deutsch­nationale und Christlichsoziale zusammen einige Niederlagen bei­gebracht. Wir haben in der Hauptwahl zwei, in der Stichwahl am 30. Juni fünf böhmische Mandate verloren und nur ein neues- Asch­errungen. Obwohl diese Verluste durch den beispiellos glänzenden Sieg in Wien und Niederösterreich wettgemacht wurden, fönnen wir sie doch nicht verwinden. Die Partei wird alle Kraft und die ganze Macht ihrer Organisation einsetzen, um das nächstemal zurück­zuerobern, was wir diesmal verloren haben. Nicht der Verlust der Mandate ist das Schmerzlichste, sondern unerträglich ist der Gedanke, daß das industrielle Böhmen von Feinden der Arbeiterklasse im Parlament vertreten sein soll.

In Wien haben wir in der Stichwahl drei Mandate behauptet und neun neue gewonnen. In Niederösterreich haben wir in der Stichwahl einem bisherigen Mandat zwei neue Size hinzugefügt, aber auch einen alten eingebüßt. Unterlegen ist in der Reichshaupt­stadt und in Niederösterreich die Christlichsoziale Partei . Sie wurde einfach hinweggefegt. Alle christlichsozialen Führer, die mit Lueger und durch ihn emporgekommen sind, erlitten Niederlagen: der Bürgermeister und Vizebürgermeister, zwei gewesene und ein aktiver Minister, der Präsident des Abgeordnetenhauses und der Parteichef. Die Vergewaltiger der Schule in Land und Stadt kehren nicht wieder ins Parlament zurück. Namen wie Geßmann, Prinz Lichtenstein, dann der von Lueger zu seinem Nachfolger auf den Bürgermeisterstuhl bestimmte Doktor Weißkirchner sind heute er­ledigt. Die einst so stolze, mächtige, hochmütige Partei ist an ihren Sünden zugrunde gegangen. Der ehemals berühmte christliche Wiener Frauenbund, der in den neunziger Jahren des ver gangenen Jahrhunderts große Bedeutung besessen hat, ist politisch längst ausgeschaltet. Die treibende Krast dieser Frauenorganisation war Dr. Karl Queger. Er war ihr Programm, für ihn arbeiteten diese Frauen mit beispiellosem Fanatismus, für ihn veranstalteten sie