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Die Gleichheit

Demonstrationen und Bittprozessionen; seine Bilder umkränzten sie mit Lorbeer, seinen Namenstag begingen sie festlich; für ihn be­reicherten sie den christlichsozialen Wahlfonds. Der Schöne Karl" aber wurde auf die Höhen der Macht emporgehoben, und damit war der Frauenbund überflüssig geworden. Luegers Tod löste vollends das Gefüge der Organisation. Noch am Sonntag vor den Stich­wahlen appellierte das christlichsoziale Hauptorgan an die sturm erprobten Frauenbataillone Luegers". Im Namen des Toten wurden sie aufgefordert, die Partei vom Untergang zu retten. Der Appell blieb fruchtlos. Politisch zählt der Frauenbund nicht mehr, und den Niedergang der Partei fonnte er nicht aufhalten.

Die freiheitlichen bürgerlichen Frauen Wiens, vor allem das Stimmrechtskomitee und die Reichsorganisation der Hausfrauen, arbeiteten fleißig für die freiheitlichen Kandidaten. Sie hielten Ver sammlungen ab und luden die Kandidaten ein, um sie über ihre Stellung zur politischen Gleichberechtigung der Frauen zu befragen. Sie agitierten in Wien auch für die sozialdemokratischen Kandidaten, wo diese in Stichwahlen mit den Christlichsozialen standen. Gegen den gemeinsamen Feind, gegen die Christlichsozialen, gegen den Klerikalismus, war die allgemeine Wahlparole in Wien und Nieder­ österreich .

Vergebens bemühte sich die Regierung am Tage nach den Haupt­wahlen, ein Generalfompromiß zwischen Freiheitlichen und Christlich­sozialen gegen die Sozialdemokratie zustande zu bringen. Der Deutsche Nationalverband, dem Deutschradikale, Deutschfortschrittliche usw. angehören, hätte mit Begeisterung das Bündnis mit den Christlich­fozialen geschlossen. Aber diese Absichten scheiterten an der Wiener bürgerlichen Wählerschaft, die mit Entrüstung die Zumutung ab= lehnte, für den Feind von gestern, morgen in den Wahlkampf zu ziehen. Wo Sozialdemokraten mit Christlichsozialen in Stichwahlen standen, stimmten die Deutschfreiheitlichen für den Kandidaten der Sozialdemokratie, nicht aus Liebe zu uns, sondern aus Haß gegen den Klerikalismus. Wir wissen wohl, daß manches Mandat, das wir unter diesen Umständen eroberten, nicht den tatsächlichen Stärke verhältnissen unserer Partei entspricht. Aber was wir in Wien ein nächstes mal wieder einbüßen, werden wir in den Sudeten = ländern wieder gewinnen, wo wir diesmal dem Terrorismus und der Niedertracht erlegen sind. Zweifellos hat zu unseren Verlusten in Böhmen , Mähren und Schlesien auch der Konflikt in unseren Reihen um die Form der Organisation beigetragen. Den noch nicht vollständig vom Sozialismus durchdrungenen deutschen Arbeitern find wir nicht deutsch genug, während die tschechischen Arbeiter in gemischtsprachigen Gebieten unter der Einwirkung des Separatis­mus nicht mit derselben Begeisterung in die Wahlagitation traten wie bei früheren Wahlen.

So half vieles zusammen, die Situation für uns zu erschweren. Die Partei aber wird keinen Augenblick zögern, an die Arbeit zu gehen, um die Organisation für die nächsten Wahlen zu stärken. Daß die sozialdemokratische Fraktion unter ihren 80 bis 82 Ab­geordneten die polnischen und ruthenischen Wahlen sind noch nicht ganz beendet 19 Vertreter der Reichshauptstadt zählt( 38 Wahlkreise hat Wien im ganzen), bedeutet eine Verstärkung ihrer Stellung, die uns über die Verluste in der Provinz, wenn auch nicht beruhigt, so doch leichter hinwegkommen läßt.

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Die Genoffinnen werden auch nicht unterlassen, ihre Organi fationen zu prüfen und auszubauen, um ein nächstes Mal ihr Teil zu neuen Siegen und zur Wiedereroberung des Verlorenen bei­zutragen.

Aus der Bewegung.

a. p.

Von der Agitation. Im unterfränkischen Reichstagswahl­freis Schweinfurt referierte die Unterzeichnete Mitte Juni in Agitationsversammlungen. In Schweinfurt sprach sie in einer Frauenversammlung über das Thema: Die Frau und die Po­litit", in Iltmann und Kirchaich über: Voltsentrechtung, Wolfsausbeutung und die Parole des schwarz- blauen Blocks". Der letzteren Versammlung, die außerordentlich stark von Frauen und Mädchen besucht war, wohnte auch der junge Pfarrer des Ortes bei. Durch Zwischenrufe gab er seinen Unwillen fund und meldete sich zum Worte, als die Diskussion einsetzte, nachdem der Beifall verhallt war, der die Zustimmung der weitaus meisten Anwesen­den zu den Gedankengängen des Vortrags zum Ausdruck brachte. Die Versammlung ließ den Pfarrer zuerst ruhig sprechen, bis der in politischen Dingen offenbar unbewanderte Redner anfing, die Sudelschriften von München- Gladbach zu verlesen. Nun riß ihr die Geduld, und als der geistliche Herr gar die Lebensmittelverteue= rung mit den Worten zu entschuldigen versuchte, daß die Reichen doch genau so wie die Armen die indirekten Steuern zahlen müßten,

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da gab's kein Halten mehr. Die Frauen riefen in heller Ent­rüstung: Ja, wenn wir die Einnahmen der Reichen hätten, dann tät's uns auch nicht weh, für Brot, Fleisch, Zucker und Kaffee mehr zu zahlen!" Die Versammlung ließ über ihre Meinung und Stel lungnahme feinen Zweifel, so daß der Pfarrer es vorzog, seine weitere Weisheit für sich zu behalten, denn mit den Kirchaichner Steigerwaldlern war nicht mehr gut Kirschen essen. Die Arbeiter­schaft von Kirchaich sollte dafür sorgen, daß die Einsicht in das politische Leben, die sie selbst an den Tag legte, im ganzen Wahl­freis verbreitet würde. Bei der letzten Reichstagswahl fielen auf den Zentrumsmann Holzapfel 10568, auf den Nationalliberalen 6832, auf unseren Genossen Säckler aber nur 3121 Stimmen. Die Referentin ersuchte in ihren Schlußausführungen die Anwesenden, es nicht bei dem Beifall in den Versammlungen bewenden zu lassen, sondern bei der kommenden Reichstagswahl für den sozialdemokra tischen Kandidaten zu agitieren und ihm ihre Stimmen zu geben. Auch die Frauen sollten ihr möglichstes tun, damit der Zentrümler nicht wieder in das Parlament einzieht, der in allen entscheidenden Fragen die Interessen der werktätigen Bevölkerung dem Vorteil der Reichen und Ausgebeuteten geopfert hat. Wie sehr die Ver­sammlung den Diener Gottes verschnupft hat, beweisen die Ver sammlungsberichte in den verschiedenen Zentrumsblättern, die nach der alten Methode hergestellt sind: Sie lügen wie die Teufel und Helene Grünberg. schwindeln aus Prinzip.

In dem Mainz benachbarten Orte Kostheim hielt der Fabrik­arbeiterverband am 8. Juni eine Versammlung der Arbeite­rinnen der dortigen Papier - und Zellulosefabrik ab. Der Geschäfts­führer des Fabritarbeiterverbandes, Genosse Winkler, und Ge­nossin Eifinger unterzogen alle Mißstände des Betriebs wie die Lohnverhältnisse daselbst einer fachlichen Kritik. Die Referentin wies auf die hohen Kulturaufgaben einer Organisation hin und forderte die Anwesenden auf, sich dem Verband anzuschließen. Die aufmerksamen Zuhörerinnen kamen dieser Aufforderung sofort nach, und so war der Erfolg ein sehr guter. Voraussichtlich wird es in der Papier - und Zellulosefabrit zu Kostheim bald feine Indiffe­renten mehr geben. Dem Fabrifarbeiterverband sind durch intensive Agitation im letzten Quartal insgesamt 200 neue Mitglieder zu­geführt worden. Apollonia Eisinger.

Von den Organisationen. Der sozialdemokratische Frauentag hat allerwärts die beste Propaganda für die proletarische Frauen­bewegung gemacht. Durch die an diesem Tage entfaltete Agitation ist nicht nur dort, wo der sozialdemokratischen Partei schon weib­liche Mitglieder angehörten, deren Zahl bedeutend erhöht worden; in Orten, wo es noch keine politisch organisierten Frauen gab, ist es zur Bildung von Frauengruppen gekommen. Zu diesen Orten gehört Leisnig . Die Ortsgruppe sozialdemokratischer Frauen, die dort jetzt gegründet worden ist, zählt gegenwärtig 46 Mitglieder. Viele davon erhalten durch ihre Gewerkschaftsverbände die Gleich­heit", die andern beziehen sie durch die Parteiorganisation. Hoffent­lich nimmt die Vereinigung eine gute Entwicklung.

Meineid und Sozialdemokratie. Mit der Verschärfung der Klassengegensätze mehren sich die Versuche, die Justiz unter Ver­legung ihrer gesetzlichen Grundlage zu einem unmittelbaren Werk­zeug des Kampfes wider die vordringende Arbeiterklasse zu machen. Das zeigte sich wieder bei einer Schöffengerichtsverhandlung in Danzig , die durch ein simples Strafmandat veranlaßt war. Ge­nossin Broßwitz hatte am 18. Januar eine Versammlung der weiblichen Mitglieder des Eozialdemokratischen Vereins Danzig­Stadt geleitet. Entgegen den Bestimmungen des Reichsvereins­gesetzes ließ der Polizeipräsident die Mitgliederversammlung über­wachen und veranlaßte hinterher ein gerichtliches Strafmandat über 30 Mt. oder sechs Tage Haft gegen Genossin Broßwiß, weil die Versammlung angeblich öffentlich gewesen und trotzdem nicht po­lizeilich gemeldet worden sein soll. Gegen dieses Strasmandat wurde Einspruch erhoben, über den das Schöffengericht zu ver­handeln hatte. Den Vorsiz dabei führte ein bislang unbekannter Assessor Warmbrunn, der aber inzwischen kräftig für seinen Nachruhm und eine gute Karriere gesorgt hat. Rechtsanwalt Rosenbaum wies nach, daß tatsächlich eine Mitgliederversamm lung vorlag, die durch ein Inserat in der Volkswacht" so zeitig bekannt gemacht war, daß die Polizei bereits am 15. Januar Kennt nis hatte und die überwachung veranlaßte. Auf jeden Fall müsse das Inserat als Anmeldung gelten, da deren Form im Vereins­gesetz nicht vorgeschrieben sei. Der Polizeikommissär Günther folgerte die Öffentlichkeit der Versammlung aus seinem Eindruck und der Tatsache, daß auch einige Männer anwesend waren! Weiter­hin beschwor Polizeikommissär Günther, daß eine größere Anzahl Nichtmitglieder in der Versammlung anwesend gewesen sei. Darauf­hin nötigte ihn der Verteidiger zu der Erklärung, daß er kein