Nr. 20

Die Gleichheit

Ein internationaler Seemannsstreit machte seit längerer Zeit viel von sich reden. Schon seit Wochen wurde in der bürgerlichen Presse verkündet, die Seeleute aller Länder wollten an einem bestimmten Tage die Arbeit einstellen, wodurch der ge­samte Güterverkehr zu Wasser stocken würde. Wie fich bald her­ausstellte, konnte von einem einheitlichen Streik in allen Kultur­ländern keine Rede sein. Die in der internationalen Trans­portarbeiterföderation vereinigten Organisationen der See­leute hatten sich auf Konferenzen in Kopenhagen   und Ant­ werpen   wohl mit der Frage eines internationalen Streifs be= faßt, nach Lage der Verhältnisse war jedoch an ein allgemeines Vorgehen nicht zu denken. Auch über die aufzustellenden Forde­rungen waren keine bestimmten Beschlüsse gefaßt worden; solche zu formulieren wurde den Organisationen der einzelnen Länder über­lassen. Diese übermittelten darauf fast überall den Reedern die Forderungen der Seeleute. Von der internationalen Organi­sation der Reeder, der beinahe alle Reeder angehören, wurde der Beschluß gefaßt, daß es ihren Landesorganisationen nicht ge­stattet sei, der Seemannsorganisation irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Dieser Beschluß wurde jedoch von den deutschen  Reedern zuerst durchbrochen, die in allen Hafenstädten der Nord­und Ostsee   eine Erhöhung der Heuer- und des Überstundengeldes bewilligten. Auch in Österreich   machten die Unternehmer Zu­geständnisse. Dagegen lehnten die Reeder der übrigen Länder alle Forderungen ab. Somit waren die Seeleute Deutschlands   und Österreichs   aus der Bewegung ausgeschieden, ferner auch die Italiens  , da die Arbeitsverhältnisse dort unter Mitwirkung der Organisationen gefeßlich geregelt sind. Die Seeleute Schwedens  und Norwegens   sahen aus taktischen Gründen von einer Beteili­gung am Ausstand ab. Und da Frankreich   nicht auf der Kon­ferenz der Seeleute vertreten war, so kamen nur noch die Seeleute in England, Belgien  , Holland  , Dänemark   und Nord= amerita für einen Streit in Frage. Mit dem angesetzten Tage haben demnach in England, Holland   und in Belgien   die organisierten Seeleute die Arbeit eingestellt. Aber nur in den eng­lischen Häfen hat der Ausstand zunächst weiteren Umfang ange= nommen, und dort war er auch von größeren Erfolgen begleitet. Zur Zeit, wo wir diese Zeilen schreiben, ist die Bewegung noch nicht überall mit einem Erfolg für die Arbeiter abgeschlossen. Zu einer größeren Ausdehnung und zu einem übergreifen des Streits auf andere Länder wird es jedoch kaum kommen.

Ein Konflikt im Verliner Buchdruckgewerbe hat be­sonderes Aufsehen erregt. Zwei Rotationsmaschinenmeister bei der Firma Scherl, die als Vertrauensmänner ihre Schuldigkeit getan und die Forderungen der Arbeiter vertreten hatten, wurden vom Tarifamt des Tarifbruchs für schuldig befunden und daraufhin von der Firma entlassen. Nunmehr erklärten sich die übrigen Maschinen­meister der Firma mit den Entlassenen solidarisch, und da die Firma die zwei nicht wieder einstellen wollte, legten auch die übrigen Maschinenmeister die Arbeit nieder. Der Versuch der Firma, ihre Arbeit in zwei anderen Druckereien herstellen zu lassen, scheiterte an der Weigerung der Maschinenmeister daselbst, solche Arbeit zu verrichten. Dadurch kamen viele Berliner   Zeitungsleser um ihre Lektüre, zumal die anderen zwei Druckereien mit der bestreiften Firma insofern Solidarität übten, als sie ihre Zeitungen auch nur in beschränktem Umfang erscheinen ließen. Das Verhalten der zwei Maschinenmeister wurde von den Tarifinstanzen verurteilt und von der Verbandsleitung der Buchdrucker mißbilligt. In Arbeiterkreisen und in den Kreisen der Berliner   Buchdrucker selbst ist jedoch die Meinung sehr stark vertreten, daß das Tarifamt mit seinem Spruch zu weit ging und insbesondere mit seiner Verurteilung des Verhal tens der zwei Maschinenmeister als Vertrauensmänner seine Befug nisse überschritten habe. Nach Beilegung des Konfliktes, der mit der Wiedereinstellung der Maschinenmeister endete, hat dann auch eine stürmisch verlaufene Berliner   Buchdruckerversammlung sich ent­schieden gegen die Entscheidung des Tarifamtes und die Haltung der Verbandsleitung gewandt und verlangt, daß die Gehilfenver­treter im Tarifamt ihre Amter niederlegen sollten.

Der Streit im Hamburger Holzgewerbe wird unerschüttert weitergeführt. Mit einem Flugblatt, in dem die Leiter der Ar­beiterorganisation verleumdet wurden, versuchten die Unternehmer letthin Zwiftigkeiten in die Reihen der Streitenden zu tragen. Der Erfolg aber war, daß einige Arbeitgeber, angewidert von dieser unehrlichen Kampfesweise, Frieden mit den Arbeitern schlossen und Die Streits der Braun­den Tarifvertrag unterzeichneten. fohlenarbeiter in Mitteldeutschland   dauern unverändert an. Die Bäcker haben in Mannheim   einen durchschlagenden Erfolg erzielt; sie stehen in& ßlingen und in Dresden   noch in einer Tarifbewegung. Die Fleischer haben in Bremen

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mit Hilfe eines von der Arbeiterschaft energisch durchgeführten Boykotts den Versuch der Meister glatt abgeschlagen, ihnen das Roalitionsrecht zu rauben. Einen Sieg für denselben Kampf­preis erfochten die Arbeiter und Arbeiterinnen in der Seifen­pulverfabrik von Dr. Thompson in Düsseldorf  . Die Leipziger   Metallindustriellen drohen eine allgemeine Aus­sperrung an für den Fall, daß der Streit der Gießerei­arbeiter nicht beendet wird. In der Reiseartitelsattler­und Portefeuille industrie ist es durch Verhandlungen zur Aufstellung eines neuen Tarifs gekommen, der manche Verbesse­rungen bringt und nun den Parteien zur Zustimmung vorgelegt werden muß.

Der Streit der Wäschereiarbeiterinnen in Bremen  wurde bereits nach kurzer Dauer mit Erfolg beendet. Die Arbeite­rinnen erhielten Lohnzulagen von 5 bis 10 Prozent. Ist der Er­folg auch bescheiden, so konnte auch er nur errungen werden durch die Kraft der Organisation, der die meisten der Arbeiterinnen an­gehören. Die früheren sogenannten wilden Streits gingen stets verloren. Das muß ein Ansporn für die Wäschereiarbeiterinnen anderer Städte sein, sich dem Schneiderverband in Scharen anzuschließen, damit ihre so verbesserungsbedürftigen Arbeitsvers # hältnisse gehoben werden.

Lohnbewegungen der Arbeiterinnen in den Hamburger Wäschereien und Plättereien. Die im Verband der Fabrik­arbeiter organisierten Arbeiterinnen mehrerer Wäschereien und Plättereien Hamburgs haben in letzter Zeit erfolgreiche Lohnbewe­gungen geführt. In der Färberei und chemischen Reini­gungsanstalt von Karstadt   wurde der im Jahre 1909 ab= geschlossene Tarifvertrag gekündigt. Durch Verhandlungen zwi schen der Betriebsleitung und einer Kommission der Plätterinnen ( nur diese hatten Vertrag) wurde eine Erhöhung der Akkordsätze um durchschnittlich 10 Prozent erreicht. Die tarifliche Festlegung dieser erhöhten Säße soll eventuell im Juli erfolgen, falls dann ein Vertrag für alle Arbeiter und Arbeiterinnen des Betriebs ab­geschlossen wird. Es kommen hier 36 Plätterinnen in Frage.  - Die Affordplätterinnen der Färberei und Reinigungs­anstalt von 2. Brandt beauftragten die Verbandsleitung, der Firma die Forderung auf Regelung der Akkordsätze und einer an­deren Staffelung der Stundenlöhne zu unterbreiten. Das geschah. Die darauf zwischen der Firma und der Verbandsleitung geführten Verhandlungen führten zum Abschluß eines Tarifvertrags auf zwei Jahre. Der Einstellungslohn für Plättlehrlinge beträgt 15 Pf. pro Stunde; nach sechswöchiger Beschäftigung müssen 25 Pf., nach vierteljähriger 30 Pf. bezahlt werden. Plätterinnen, die noch nicht auf Garderobe gearbeitet haben, erhalten 25 Pf. Einstellungslohn, der nach sechs Wochen auf 30 Pf. steigt. Perfette Blätterinnen be kommen sofort bei Einstellung 30 Pf. Für Überstunden werden 5 Pf. Aufschlag bezahlt; die Affordsäge werden geregelt und teil­weise erhöht. Der Hauswäscherei von Welcher, Wands= beck, wurden gleichfalls Forderungen unterbreitet. Hier wurde der Stundenlohn für Arbeiterinnen auf 22 bis 27 Pf. festgesetzt; Ar­beiterinnen, die den Höchstlohn schon erhalten, bekommen 1 Pf. Zulage. Überstunden werden mit 20 Prozent, Sonntagsarbeit wird mit 40 Prozent Ausschlag bezahlt. Nach einjähriger Beschäftigung werden drei Tage Ferien unter Fortzahlung des Lohnes gewährt. h. sch.

Von gewerkschaftlichen Generalversammlungen ist zu be­richten, an deren Beratungen und Beschlüssen die Arbeiterinnen und mithin auch unsere Genossinnen ein besonderes Interesse haben. In Berlin   hat der vierte Verbandstag der Blumen und Blätterarbeiter stattgefunden, der unter seinen 922 Mitgliedern mehr Frauen als Männer zählt. Diese Organisation, die von Ge noffin Ihrer vor zehn Jahren mit gegründet und bis zu ihrem Tode geleitet worden ist, soll ein Schutz und Schirm für eine der ausgebeutetsten Arbeiterkategorien sein, die sich überwiegend aus Heimarbeiterinnen zusammensetzt. Sie begegnet daher den größten Schwierigkeiten, und es ist nicht verwunderlich, daß auf dem Ver­bandstag über langsame Fortschritte manche Klage laut wurde. Trotz allem hat der Verband in der dreijährigen Berichtsperiode 39 Lohnbewegungen geführt, die meist ohne Streik und mit Erfolg beendet werden konnten. Die Verhandlungen ließen scharfe Schlag­lichter auf die Lage der Blumen- und Blätterarbeiter fallen, und zwar insbesondere auf das nahezu trostlose Glend der Heim­arbeiterinnen in Sebnih und anderen Orten noch. Sie brachten auch reiches Tatsachenmaterial über den schäbigen Kapita­listenkniff bei, den Arbeitstag der Fabrikarbeiterinnen durch gesetzwidriges Mitgeben von Arbeit nach Hause zu verlängern. Die Tagung der Blumenarbeiter stimmte grund­sätzlich der Verschmelzung des Verbandes mit dem der Hutmacher