Nr. 21

Die Gleichheit

folgt den Zweck, Grobheit und schlechte Manieren aus der Welt zu schaffen.

Der Kongreß an dem viele Lehrerinnen teilnahmen- sprach sich für die Anstellung von Fabrifinspektorinnen und Polizeiassi stentinnen aus, ebenso forderte er die Gleichstellung der Lehrer und Lehrerinnen im Gehalt, dem Grundsatz gemäß: für gleiche Leistung gleichen Lohn. Ohne gründliche Erörterung und recht platonisch billigte er das Referat der Genossin Bizzari, das darauf hinaus­lief, den gewerkschaftlichen Frauenorganisationen müsse mehr Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet werden. Ebenso stimmte er aber auch einem Antrag zu, der die Errichtung eines Voltssekretariats für Frauen verlangt, das alle Stände vereinigen und auch mit Wohl­tätigkeitseinrichtungen verquickt sein soll. Interessant und eingehend behandelte Dr. Valeria Benetti die Nachforschung nach der Vater schaft" und Lösbarkeit und Unlösbarkeit der Ehe". Beide Referate gipfelten darin, daß die juristische Stellung der Frau im Familien recht und das ganze Familienrecht selbst nach einer radikalen Um­gestaltung verlangen. Leider aber beschränkten sie sich auf die juristische Seite der Fragen, die Vortragende, eine gebildete und gewissenhafte Juristin, ließ den sozialen Untergrund völlig außer acht und zog nicht einmal Erscheinungen so auffälliger Art wie die moderne kapitalistische Großindustrie und die Erwerbsarbeit der Frauen in den Kreis ihrer Erörterungen, Erscheinungen, ohne deren Bergliederung nach Ursache und Wirkung doch die Notwendig­feit einer durchgreifenden Reform des Familienrechts nicht über­zeugend nachgewiesen werden kann.

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In Verbindung mit dem Kongreß traten die Mitglieder des Frauenstimmrechtskomitees zu einer besonderen Sitzung zu­sammen. Auch sie trug das Gepräge der Unklarheit und Prinzipien­losigkeit. Die Frauenrechtlerin Dr. Teresa Labriola vertrat einen ausgesprochen individualistischen Standpunkt. Nicht als Klasse, nicht als Erwerbstätige, nicht als Arbeiterinnen, sondern als Einzel­persönlichkeiten fordern wir das Wahlrecht. Dies der Kern ihrer Ausführungen. Die Sozialistin Linda Maluati empfahl ihrerseits zur Frauenwahlrechtsfrage die Resolution Kulischoff, wie sie der Gewerkschaftskongreß nach der Begründung durch Genossin Gora an genommen hat( Nr. 19 der Gleichheit"). Unter allgemeiner Kon­fusion auch Nichtmitglieder des Frauenwahlrechtskomitees nahmen an der Abstimmung teil gelangte die nachstehende Resolution zur Annahme: Da unter den Anwesenden allgemeine überein­stimmung darüber herrscht, daß das Frauenwahlrecht eingeführt werden muß, soll eine entsprechende Petition an das Parlament gesendet werden und sind sofort Vorträge und Versammlungen zu gunsten des Frauenwahlrechts zu veranstalten." Die Sigung wurde. von einem Mitglied der italienischen Kammer geleitet, Herrn Milani, der sich als begeisterter Verfechter des Frauenwahlrechts vorstellte und unter dem Beifall der tagenden Frauenrechtlerinnen von der weiblichen Persönlichkeit und der Notwendigkeit ihrer Befreiung sprach, für die stets unentwegt zu kämpfen der Herr verhieß. Setzen wir zur richtigen Würdigung dieser Verheißung den tönenden Worten reale Tatsachen gegenüber. Herr Milani ist Besitzer der Papier­fabriken in Fabriano   der Ort ist seit dem Mittelalter der Sit einer berühmten Papierfabrikation und beutet hier die weiblichen Arbeitsträfte ohne jede Rücksicht auf die weibliche Per­sönlichkeit" aus, von der sie untrennbar sind. Die Zumpenfortiere­rinnen, die diesen selbstlosen Kämpen für das Frauenwahlrecht, für die weibliche Persönlichkeit bereichern dürfen und bereichern müssen, erhalten etwa 60 Pf. pro Tag, wofür sie außer einer leiblich und geistig abgerackerten und ausgeschundenen Persönlichkeit noch giftige Strankheitsfeime nach Hause bringen. Wird der Schwärmer für das Recht der weiblichen Persönlichkeit wohl auch das Recht der Per­sönlichkeit seiner Lohnstlavinnen anerkennen, wenn diese eines Tags für Verkürzung der Arbeitszeit und Lohnerhöhung kämpfen?...

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Erfahrungen, die unausbleiblich find, sobald die Frauenrechtelei aus dem luftigen Reich schönklingender Redensarten auf den harten, aber festen Boden wirklich praktischer Arbeit und damit konkreter Verhältnisse tritt, werden auch in Italien   lehren, daß die Beteili gung von Genofsinnen an bürgerlichen Kongressen zum mindesten einen Zeitverlust bedeutet. Auch hier muß sich die Erkenntnis durch­ringen, daß die Sozialistinnen nicht mit den bürgerlichen Schwestern" zusammenarbeiten können, und daß innerhalb der Frauenbewegung eine reinliche Klassenfcheidung not tut, die die Kraft aller Genossinnen auf die Arbeit und den Kampf für den Sozialismus konzentriert. Angelika Balabanoff.

Für und wider das Frauenwahlrecht.

Wie sich die Sozialdemokratie und wie sich das Zentrum zum Frauenwahlrecht stellt, das haben wir bereits nach den Verhand­

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lungen des preußischen Abgeordnetenhauses über die Petition des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht mitgeteilt. Wir lassen nun die wesentlichen Ausführungen von hüben und drüben folgen.

Genosse Leinert setzte die Feinde des gleichen Wahlrechts in Preußen auf das Armesünderbänkchen. Gegen die Petitionskom­mission, welche die Eingabe der Frauenrechtlerinnen nichtachtend, wie eine Bagatelle behandelt hatte, sagte er unter anderem zur Begründung der Forderung vollen Bürgerrechts für das weibliche Geschlecht: Es ist sehr eigenartig, daß die Kommission die Peti­tion des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht in Berlin  gar nicht materiell behandelt hat, sondern nur formell darüber hingegangen ist, und zwar mit der Begründung, daß man schon 1909 Übergang zur Tagesordnung beschlossen habe, daß im Jahre 1910 die Wahlrechtsvorlage eingebracht sei, und daß die politischen Verhältnisse sich nicht geändert hätten; darum sei der Übergang zur Tagesordnung gerechtfertigt.( Hört, hört! bei den Sozialdemo­fraten.) Das entspricht durchaus nicht der Bedeutung des Gegen standes, es wäre notwendig, daß die Kommission materiell darauf eingegangen wäre.( Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)

Verschiedene Staaten haben schon das politische Wahlrecht für die Frauen. Ich will nicht nur an die verschiedenen amerikanischen  Staaten erinnern: in Norwegen   haben die Frauen das Wahlrecht feit 1907, in Dänemark   besteht das kommunale Wahlrecht für Frauen, und wir haben doch in Preußen die Bestimmung, daß die grund­besitzenden Frauen in den Landgemeinden das Stimmrecht besitzen, es aber nicht selber ausüben dürfen. Außerdem haben wir in der Sozialgesetzgebung bei der Kranken- und Unfallversicherung das Wahlrecht der Frauen in derselben Weise wie für die Männer. Es ist auch seinerzeit vom Zentrum beantragt worden, das Wahlrecht zum Gewerbegericht für Frauen ebenfalls mit einzuführen. Außer­dem ist die Berufstätigkeit der Frauen derartig gewachsen, daß es wirklich notwendig gewesen wäre, zu untersuchen, ob denn nicht in Anbetracht der Bedeutung, die die Erwerbstätigkeit der Frau gewonnen hat, nun auch der Frau das politische Wahlrecht ge= währt werden soll. Die Berufszählung hat ergeben, daß in Preußen insgesamt 5762930 Frauen im Hauptberuf erwerbstätig sind unter 18038 389 überhaupt hauptberuflich erwerbstätigen Personen.( Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Also fast ein Drittel der Erwerbs­tätigen sind Frauen. Wenn man daher über die Ansprüche, die diese Frauen zweifellos an die Gesetzgebung zu stellen haben, so ohne weiteres zur Tagesordnung übergeht, so mag das vielleicht der ganzen Wertschätzung der Frau entsprechen( o, o! rechts), die die Parteien, die das beschlossen haben, ihr zum Ausdruck bringen wollten.( Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten Widerspruch rechts.)

Es handelt sich aber nicht nur um die erwerbstätigen Frauen, sondern überhaupt um die Frau, und ich muß wirklich den Mut bewundern, der darin liegt, über solche Forderungen, ohne sie ma­teriell zu prüfen, ohne weiteres zur Tagesordnung überzugehen. Dazu lag am allerwenigsten Veranlassung vor. Wenn wir sehen, daß in allen Kulturstaaten das Wahlrecht für die Frauen Fort­schritte macht, dann hätte doch dieses hohe Haus sicherlich Veran­lassung gehabt, sich auch um das Frauenwahlrecht in anderer Weise zu bemühen, als es geschehen ist. Man muß sich vergegenwärtigen, daß die Frauen sich auch im Deutschen Reich   und ganz besonders hier in dem verjunkerten Preußen politischen Einfluß nur ganz langsam, aber sicher haben erwerben können. In dem früheren preußischen Vereinsgesetz war den Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verboten. Im Jahre 1908 ist ihnen aber durch Reichsgesetz das Vereinsrecht gleich den Männern gegeben worden. Trotz alledem steht man heute noch auf dem rückständigen Stand­punkt, daß die Frau sich nicht politisch betätigen darf. Das ist auch in der Rede des Kaisers in Königsberg   zum Ausdruck gekommen, die den Frauen die stille Arbeit im Hause empfahl.( Abgeordneter Hoffmann: Aber Regimentskommandeuse darf sie sein!)

Nun ist allerdings in dem Petitionsbericht sehr vorsichtig ge­sagt worden, daß es auf absehbare Zeit" ganz aussichtslos sei, das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für beide Geschlechter in Preußen einzuführen. Das ist aber auch das ein­zige, was an Vorbehalten gemacht worden ist, und mich wundert nur, daß, entsprechend der heutigen Stimmung, die bei den Mehr­heitsparteien in der Beziehung hier vorhanden ist, nicht gleich ge­sagt worden ist, daß es dauernd und nur für Preußen ausge­schlossen werden muß, die Frauen überhaupt zur politischen Be­tätigung zuzulassen.( Sehr richtig! rechts.) Sie sagen: Sehr richtig! Sie werden noch einmal gezwungen sein, den Frauen das politische Wahlrecht zu geben, und zwar dann, wenn Ihnen das Wasser bis an die Kehle gekommen ist, wenn die Männer größtenteils sozial­