Nr. 22

Die Gleichheit

also deutlich, daß die Bewohner der Gaughäuser eine weit größere Sterblichkeit aufzuweisen haben. Ob das in erster Linie mit den dürftigen Lebensverhältnissen dieser Schicht im allges meinen zusammenhängt, oder ob sich dabei noch besondere Nach teile des ungefunden Wohnhaustypus geltend machen, muß dahingestellt bleiben." Es ist klar, daß die elenden Arbeits- und Lebensverhältnisse der Unbemittelten zusammen mit den un gesunden Wohnungen die aufreizende Höhe ihrer Sterblichkeit bewirken. Diese Höhe könnte, wenn sie auch heutzutage nicht ganz zu beseitigen ist, doch herabgemindert werden, wenn die sozialdemokratischen Reformforderungen, vor allem die Forde rungen zum Schutze der Mütter und Kinder, durchgeführt würden. Aber die bürgerliche Gesellschaft, die Schuld an der hohen Sterblichkeit trägt, sezt ihrer Verwirklichung heftigsten Widerstand entgegen und tut so gut wie nichts, die Sterblich feit zu mindern. Das ist erst fürzlich im deutschen Reichstag bei der Beratung der Reichsversicherungsordnung, zumal des Mutter und Säuglingsschutes, aufs brutalste zutage getreten. Aber ein Ende der Unterdrückung naht. Wenn ihre Zeit erfüllt ist, wird die grausame, lebenvernichtende kapitalistische Ord­nung" der Gesellschaft der Ordnung der Zukunft weichen, die herbeizuführen das klassenbewußte Proletariat am Werke ist. M. Ws.

Der Kampf

im Hamburger Holzgewerbe.

Hamburg , 22. Juli 1911. Volle 18 Wochen dauert nunmehr der Kampf, und noch ver­mag niemand mit Bestimmtheit zu sagen, ob die nächste Zeit den Frieden bringen wird. Einig und geschlossen wie am ersten Tage des Kampfes steht auch heute noch die Arbeiterschaft zusammen, und sie hat bis jetzt noch jeden Schlag des Unternehmertums und seiner Helfershelfer glänzend pariert. Und was hat man nicht alles versucht, um die Holzarbeiter unterzukriegen! hind ma

Bei der Proklamation des Kampfes stand der Deutsche Holz­arbeiterverband allein. Der christliche Verband, der in Hamburg zwar nur eine geringe Mitgliederzahl hat, sprach es in seinem Organ öffentlich aus, daß er Gegner der vom Deutschen Holz­arbeiterverband erstrebten obligatorischen paritätischen Arbeitsnach­weise sei. Diese Stellungnahme mußte den Unternehmern immer­hin den Rücken steifen. Allerdings erklärten sich die meisten Mit­glieder des christlichen Verbandes mit ihren Kollegen solidarisch, schon weil sie wußten, daß der Kampf nicht allein um den Arbeits­nachweis geht. Doch in einer größeren Wertstelle, wo die Christen" herrschend sind, blieben sie samt und sonders bei der Arbeit. Noch gemeiner benahm sich der Hirsch Dunckersche Gewerkverein der Tischler. Seine Mitglieder arbeiten ohne Ausnahme als Streit brecher weiter. Und der Hamburger Vorsitzende der Hirsche" suchte in bestreifte Betriebe Arbeiter zu bringen, welche für eine Piano­fortefabrik nach dem Kampfgebiet tamen.

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Die mit Hilfe der Streitbrecherlieferanten und durch Inserate nach Hamburg geschleppten Arbeitswilligen" bemühte sich der Arbeitgeberschutzverband zu organisieren. Es ward ein Holz arbeiterverband für Hamburg und Umgegend von 1911" gegründet. Bisher zeigte sich jedoch unter den Holzarbeitern kein Boden für gelbe Organisationsbestrebungen, und selbst die Hamburger Streif brecher waren nur durch Zwang zum Beitritt zu bewegen. Der neue Verband" wurde vom Sekretär des Arbeitgeberschutzver bandes, Herrn Gurlitt, aus der Taufe gehoben, als Vorsitzender ward ein bankrotter Tischlermeister auserlesen. Mit dieser Organi fation " eigener Art vereinbarte dann der Arbeitgeberschutzverband einen Tarifvertrag, und der Deutsche Holzarbeiterverband soll ges zwungen werden, diesen Vertrag anzuerkennen. Was das bedeutet, wird einem klar, wenn man hört, daß für Blankenese , das zum Bertragsgebiet gehört, ein Mindestlohn von 60 Pf. festgelegt wurde, während der abgelaufene Vertrag bereits 68 Pf. vorsah. Als Abs laufstermin für den Vertrag wurde der Zeitpunkt vereinbart, der auch im Baugewerbe als Ablaufstermin gilt. Hierdurch will man erreichen, daß man bei einem etwaigen Kampfe im Baugewerbe im Jahre 1913 auch gleich mit dem Holzarbeiterverband abrechnen tann. Natürlich ist der Deutsche Holzarbeiterverband nicht im mindesten gesonnen, sich ein derartiges Machwerk aufnötigen zu lassen.

Die Unternehmer famen bald zu der Überzeugung, daß mit den herangeschafften Streitbrechern nicht einmal die dringendsten Ar­beiten fertiggestellt werden können. Erstens weil die Arbeits­

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willigen an Zahl viel zu gering sind, und zweitens weil die meisten von ihnen brauchbare Arbeit überhaupt nicht leisten können. Die Kapitalisten verschmähten daher kein Mittel, um Uneinigkeit in die Reihen der kämpfenden Arbeiter zu tragen. Es wurde ihnen immer wieder nahegelegt", nur ja die Arbeit bald aufzunehmen, weil sonst ihre guten Arbeitsstellen von Arbeitswilligen besetzt würden". Hierauf gaben sich die Herren alle Mühe, die Streifleitung in falsches Licht zu bringen. Die bürgerliche Presse mußte den Arbeitern er­zählen, daß die Leitung ihnen nicht allein ungenaue, sondern sogar unwahre Berichte über die Verhandlungen und Sugeständnisse der Arbeitgeber gegeben habe. Schließlich wandte man sich mit einem Flugblatt an die kämpfenden Holzarbeiter, um ihre Einigkeit zu brechen. Alles vergeblich! Die Arbeiter haben von diesem Wisch den Gebrauch gemacht, zu dem er einzig dienen kann. Sind sie doch über den Gang der Dinge, aber auch über die Absichten der Unternehmer nur zu gut unterrichtet. Dafür hatte das Flugblatt aber eine ganz andere, von seinen Urhebern nicht beabsichtigte Wirkung. Den anständigen Arbeitgebern wurden durch die Ver­öffentlichung dieses Flugblatts mit seinen unverschämten Lügen die Augen darüber geöffnet, wie es um eine Sache stehen muß, die mit solchen Mitteln geführt wird. Rund 20 Firmen erklärten sich innerhalb zwei Tagen bereit, Einzelverträge mit dem Holzarbeiter verband abzuschließen, und zwar waren dies Firmen, welche zu den maßgebenden im Gewerbe gehören. Die Zahl der abgeschlossenen Einzelverträge stieg dadurch auf rund 300, und diese umfassen zirka 1800 Arbeiter. Man konnte annehmen, daß die Leitung der Arbeits geber nach diesem Reinfall den Mund weniger voll nehmen würde. Weit gefehlt! Nunmehr schwindelte man den Arbeitgebern vor, ,, beim Holzarbeiterverband geht das Geld zur Neige", nur noch furze Zeit, und er ist gezwungen, nachzugeben. Das war Ende Juni. Wenige Tage darauf beschloß eine Mitgliederversammlung des Holzarbeiterverbandes, allen verheirateten Streifenden zum 1. Juli einen Mietszuschuß von 20 Mt. zu gewähren, und stellte den gleichen Zuschuß auch für die kommenden Monate in Aussicht. Die Rechnung des Generalstabs der Unternehmer erwies sich also auch in diesem Punkte als gefälscht. Er mußte in den Bezirksversamm lungen der Arbeitgeber die Erklärung abgeben, daß man nach dem Beschluß des Holzarbeiterverbandes noch mit einer längeren Dauer des Kampfes zu rechnen hätte; der Vorstand des Arbeitgeberschutz­verbandes sei daher gezwungen, mit den vorhandenen Mitteln haushälterisch umzugehen und die Unterstützung pro beschäftigten Arbeiter und Tag von 2 auf 1 Wt. herabzusetzen. Das schlug dem Faß den Boden aus. Eine Anzahl Arbeitgeber fand sich zusammen und erklärte, daß die Geschichte so nicht mehr weitergehen könne. Man verlangte vom Arbeitgeberschutzverband stürmisch, er solle Verhandlungen in die Wege leiten, um einen ehrlichen Frieden herbeizuführen. Diese Forderung wurde von der Leitung kurz und bündig abgelehnt und den Beschwerdeführern die Tür gewiesen. Jetzt brach die offene Rebellion im Lager der Unternehmer aus. Als die Leitung es ablehnte, eine Versammlung einzuberufen, taten dies einige Firmen auf einige Faust. Die in dieser Versammlung anwesenden Arbeitgeber beschäftigen ungefähr 1000 Arbeiter; sie beschlossen, den Arbeitgeberschutzverband aufzufordern, umgehend Verhandlungen in die Wege zu Teiten, widrigenfalls würden sie sich als besondere Vereinigung konstituieren und mit dem Holzarbeiter verband einen Korporativvertrag vereinbaren. In einer Versamm­lung des Arbeitgeberschutzverbandes am 7. Juli wurden die be treffenden Firmen daraufhin in der gröbsten Weise angegriffen, und es wurde auf Veranlassung der leitenden Personen beschlossen, den Kampf unter allen Umständen fortzuführen.

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Einige Tage vorher bot Herr Dr. Naumann, Vorsitzender der Arbeitsnachweise der Patriotischen Gesellschaft ", seine Vermittlung an; das gleiche taten der Präsident der Bürgerschaft, Oberlandes präsident Dr. Engel und der Syndikus Dr. Grunov. Herr Dr. Nau mann der, nebenbei gesagt, ein eifriges Mitglied des Reichs verbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie" ist hatte dabei nur im Auge, den Arbeitsnachweis der Holzindustrie der Patrio­ tischen Gesellschaft " in die Hände zu spielen. Bei den Verhand­lungen, die hierauf im Beisein der drei Herren stattfanden, mutete man dem Holzarbeiterverband sogar zu, dem gelben neugeschaffenen Holzarbeiterverband Sitz und Stimme in der Aussichtskommission einzuräumen. Eine solche Selbstentmannung wies der Holzarbeiter verband natürlich entschieden zurück. Seine Gegenvorschläge wurden nicht allein von den Arbeitgebervertretern schroff abgelehnt, sondern auch von den Herren Dr. Engel und Naumann bekämpft. Die Verhandlungen sind dann endgültig gescheitert.

Inzwischen haben die rebellisch gewordenen Unternehmer die angedrohte Vereinsgründung vollzogen. Dieser Teil der Unter­rehmer hat sich einstimmig für die Errichtung eines paritätischen