Nr. 23

Die Gleichheit

Genosse Hoffmann sagte: Wir werden für den freifinnigen Antrag stimmen( Ah! im Zentrum und rechts)- wir werden dafür stimmen, ich glaube ja zu Ihrem Schmerze.( Rufe rechts: Nein!) Wir nehmen, was zu haben ist, erklären aber, daß wir das nur als eine Ab­schlagszahlung ansehen, daß uns dieser Antrag nicht weit genug geht. Sie wissen, daß wir vor allen Dingen eine Herabsetzung des Alters der Wahlberechtigung auf 20 Jahre verlangen.( Zurufe rechts.) Sie genieren sich ja nicht, in Ihre Gesetze aufzunehmen, daß von Leuten im Alter von 14, 15, 16 Jahren schon Steuern erhoben werden für die Erhaltung des Staats; Ste genieren sich ja nicht, zu bestimmen, daß von 17 Jahren und unter Umständen früher, von 18 und 19 Jahren aber bestimmt, der junge Mann Soldat werden, Leben und Gesundheit für das Vaterland einsetzen muß. ( Sehr richtig! rechts.) Nun, wenn man mit 17, 18 Jahren schon flug genug ist, Leben und Gesundheit für das Vaterland zu opfern, dann muß man auch mit 20 Jahren flug genug sein, teilzunehmen an der Lenkung der Geschicke dieses Vaterlandes, und wenn es zu langt, mit 17 Jahren eventuell schon den Kaiferthron zu besteigen, dann langt es auch mit 20 Jahren zu, an dem Wahlrecht teilzu nehmen.( Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Auch das Frauenwahlrecht verlangen wir. Man hat noch in ben letzten Tagen hier von Damenwahlrecht" gesprochen. Nun, wir haben Ihnen ja bei der rheinischen Landgemeindeordnung ges zeigt, daß wir kein Damenwahlrecht haben wollen. Wir wollen das allgemeine Wahlrecht haben, wir wollen das Wahlrecht haben für alle über 20 Jahre Alten, ob Mann, ob Frau. Und wir meinen dazu berechtigt zu sein. Es ist ja nur bedauerlich, daß man Ihnen sagen fann: Sie hören nichts und lernen nichts. Schon im Jahre 1895 ist es im deutschen Reichstag am 13. Februar mein Partei­freund Bebel gewesen, der darauf hingewiesen hat, wie falsch Ihre Argumente sind, wenn Sie sagen: der Mann soll das Wahlrecht haben, denn er muß mit Leben und Gesundheit eventuell als Sol­dat einstehen für das Vaterland. Darauf antwortete damals Bebel:

Erlauben Sie! Wenn Sie sagen: hier ist eine Pflicht und eine Gefahr für die Männer, die gibt ihnen Anspruch auf ein Recht - dann sage ich: es gibt auch eine Gefahr für die Frauen, die unendlich größer ist als die Gefahr, der sich die Männer in den Kriegen aussetzen. Auf Grund der Statistik find in Preußen im Zeitraum von 1816 bis 1876 allein rund 322000 Frauen am Kindbettfieber gestorben.( Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Zählen Sie alle Männer in Preußen, die innerhalb dieser Zeit in Schlachten und Gefahren gefallen sind, zusammen, und Sie werden nicht entfernt auf die gleiche Zahl kommen.

Ohne Geburten haben Sie feine Soldaten( Sehr richtig! rechts); so ist es auch die Frau, die hier Opfer bringen muß, so ist es auch die Frau, die ein gleiches Wahlrecht wohl beanspruchen kann.

Es gibt auch eine ganze Reihe von Staaten- ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen, die bereits das Wahlrecht für die Frauen eingeführt haben, eine ganze Reihe von Staaten in Amerika   und auch solche in Europa  . Ich erinnere an das Bundes­parlament in Finnland  , an das norwegische Parlament. Ich er­innere daran, daß außerdem in anderen Staaten bereits das Frauen­wahlrecht zu den Gemeindevertretungen besteht, so in Dänemark  , England, Norwegen   usw. Meine Herren, gestatten Sie mir gerade in bezug auf das Frauenwahlrecht noch einen Hinweis, nämlich auf den Staat Wyoming   in Amerika  . An dem bereits genannten Tage führte Bebel von diesem Staate im Reichstag   an:

Nun gibt es aber in den Vereinigten Staaten   einen Staat, der am 12. Dezember 1894 sogar das fünfundzwanzigjährige Jubi­läum des politischen Stimmrechts der Frauen offiziell gefeiert hat. Im Jahre 1894 bereits das fünfundzwanzigste Jubiläum! Und da hat die Volksvertretung dieses Staates einstimmig folgende Adresse beschlossen, die ich Ihnen hier zum besten geben will. Sie lautet:

Der Besitz und die Ausübung des Stimmrechts durch die Frauen in Wyoming   hat keinerlei schlechte, sondern nach vielen Richtungen hin gute Folgen gehabt. Es hat in hervorragender Weise dazu beigetragen, Verbrechen und Armut aus diesem Staate zu verbannen, und zwar ohne alle Gewaltmaßregeln. Es hat friedliche und ordentliche Wahlen, eine gute Regierung, einen bemerkenswerten Grad der Zivilisation, eine öffentliche Ordnung herbeiführen helfen, und wir weisen mit Stolz auf die Tatsache hin, daß seit 25 Jahren, seit die Frauen das Stimmrecht besißen, kein Distritt ein Armenhaus besitzt und unsere Gefängnisse so gut wie leer und Verbrechen so gut wie unbekannt sind. Gestützt auf unsere Erfahrung dringen wir darauf, daß jeder zivilisierte Staat auf Erden den Frauen ohne Verzug das Stimmrecht geben soll.

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So hat im Jahre 1894 bereits ein Parlament in Amerika   votiert, und Sie sträuben sich heute noch dagegen, den Frauen auch nur in der Kommune das Stimmrecht zu geben. Was nühen all die sonder­baren Reden darüber, daß die Frauen nicht für das Wahlrecht reif wären. Wären sie wirklich nicht reif, so würde das die Schuld der Erziehung, die Schuld der Art und Weise sein, wie man dem Volke die Kenntnisse vorenthält.( Sehr richtig! bei den Sozial­demokraten.) Es wird aber sogar behauptet, die Frau wäre, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus geurteilt, nicht befähigt, von der Natur nicht dazu veranlagt, am politischen Leben teilzunehmen. Ja, meine Herren, in den Geschichtsbüchern unserer Schulen wird doch von der Regierungsweisheit einer Maria Theresia  , ja selbst von der Regierungsflugheit einer Katharina II.   erzählt. In Eng­land hat vor nicht langer Zeit eine regierende Königin auf dem Thron gesessen, und ich will nicht behaupten, daß sie es schlechter gemacht hätte als der verstorbene Nachfolger; Spanien   hat jahre­lang eine regierende Regentin gehabt, und in den Niederlanden sitzt heute noch eine regierende Königin auf dem Thron. Wenn der Frauenverstand dazu langt, über Wohl und Wehe von Millionen Menschen zu entscheiden, dann wird er auch wohl dazu ausreichen, an dem eigenen Wohl und Wehe der Frauen mitzuarbeiten. Die Frau des arbeitenden Voltes muß ihre Kinder, die sie unter Schmerzen gebiert und unter Kummer und Sorgen groß zieht, dem Militaris­mus überliefern; dann muß sie auch ein Recht haben, mitzureden und mitzusprechen bei der Leitung der Geschicke unseres Vaterlandes."

Aus der Bewegung.

Von den Organisationen. Die Hamburger   Frauens bildungsabende nehmen ihren erfolgreichen Fortgang. In Harvestehude   hielt am 14. Juni Genosse Lauftötter einen vorzüglichen Vortrag über Freiheitsdichter und ihre Bedeutung für den Sozialismus". Der Sozialismus ist nicht lediglich eine wirtschaftliche Frage, so führte der Referent aus. Er bedeutet eine Umwälzung der gesamten Kultur. Dadurch wird der Be­freiungskampf des Proletariats zu einem Jdeenkampf auf allen Gebieten des geistigen Lebens und zieht einen guten Teil seiner Kraft aus dem Boden der Kunst. Und vor allem die Dichter haben, so tief ihnen auch der Stempel ihrer sozialen Umgebung aufgeprägt ist, in ihrer Sehnsucht nach höheren Formen der Kultur die geistige Rüstkammer des lämpfenden Proletariats reich ausgestattet. In Fuhlsbüttel   sprach am 17. Juni Ges nosse Fröhlich über Rebellenlieder". Der Vortrag gewann an Lebendigkeit durch die packende Wiedergabe einer großen Anzahl von Freiheitsgedichten. An der Hand der Geschichte des neun zehnten Jahrhunderts zeigte der Redner, wie die soziale und poli tische Gärung in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, die in der Revolution von 1848 ihren Höhepunkt erreichte, eine Reihe bedeutender Dichter auf den Plan rief. Dann kam eine Zeit politischer Reaktion und auch des Stillstandes der sozialen Lyrit. Mit dem Einsetzen der modernen Arbeiterbewegung belebte sich die Dichtung, gewann wieder sozialen Inhalt, befruchtet durch den immer schärfer sich entwickelnden Klassenkampf des Proletariats.

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Die Frauenbildungsabende, die sich durchweg eines guten Be­suchs erfreuen, regen die weiblichen Parteimitglieder zu weiter­gehender Betätigung an. Etliche Genoffinnen hatten unter Zu­grundelegung der Broschüre von Luise Zieh Zur Frage des Mutter- und Säuglingsschutes" Referate ausgearbeitet, denen an den Frauenbildungsabenden interessante Diskussionen folgten. Solche Vorträge und Diskussionen haben neben ihrer aufklärenden Wir­fung das Gute, daß sie das Selbstvertrauen so mancher noch za­genden Genoffin wecken und diese zur praktischen Mitarbeit er­mutigen. Zur Zeit des Bäckerstreits wurden die Genoffinnen bei allen Frauenbildungsabenden aufgefordert, die kämpfenden Bäckergesellen dadurch zu unterstützen, daß sie die gesperrten Brot­filialen in allen Stadtteilen besuchten und das dort kaufende Bublifum über den Grund und die Notwendigkeit des Boykotts aufklärten. Dieser Aufforderung sind die Genossinnen auch treulich nachgekommen, und sie haben dadurch zu dem Erfolg der Streifen­den mit beigetragen.

e. g.

Jahresbericht über die proletarische Frauenbewegung in Stettin  . Für die Agitation unter den Proletarierinnen Stettins  und Pommerns ist im vergangenen Jahre viel Arbeit und Zeit aufgewendet worden. Die Erkenntnis, daß die Frauen an der Verwirklichung unserer Ziele mithelfen müssen, bricht sich unter den Genoffen immer mehr Bahn und veranlaßt sie, der proletari­schen Frauenbewegung mehr Beachtung als früher zu schenken. Die Erfolge der einschlägigen Bestrebungen sind jedoch nicht immer