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Die Gleichheit
Diese Einsendung hat uns selbstverständlich veranlaßt, unseren Mitarbeiter zu ersuchen, seine Notizen und seine Erinnerungen zu prüfen, ob Frau Altmann- Gottheiner zu Recht oder Unrecht den Satz seines Berichtes bestreitet. Wie er uns mitteilt, findet er weder in den einen noch den anderen eine Spur davon, daß in dem fraglichen Referat die Forderung des passiven Frauenwahlrechts in nicht zu übersehender Weise mit Nachdruck vertreten worden wäre. Auch uns eingeschickte Berichte der Würzburger Tagespresse schweigen sich über diesen Punkt aus. Der von Frau Altmann- Gottheiner angezogene Paffus ihres Manuskripts ist fein einwandfreies Zeugnis dafür, daß sie die Wählbarkeit der Frauen zu den Gemeindevertretungen tatsächlich gefordert hat. Die Dame hat zu den wenigen Rednerinnen der Tagung gehört, die ihre Ausführungen frei vortrugen. Da kann ihr leicht geschehen sein, was auch anderen schon passiert ist: daß im Eifer des Gefechts der angeführte Sat unter das Rednerpult gefallen ist. Doch wie dem auch sei, jedenfalls ist dieser eine Satz als Begründung einer so grundlegenden Forderung, wie es das passive Frauenwahlrecht ist, herzlich mager. Wäre dem nicht so, so hätte über die Stellung der Referentin nicht einmal der leiseste Zweifel entstehen können. Uns will daher be dünken, daß Frau Altmann- Gottheiners Einsendung weniger eine " Berichtigung" ist, als vielmehr eine notwendige Erklärung, wie diese frauenrechtlerische Führerin zur Frage des passiven Wahlrechts der Frau in der Gemeinde steht.
Die Frau in öffentlichen Aemtern.
Eine Frau als Forscherin im Dienste einer Regierung. Mit Studien im Papualand hat die australische Regierung eine Frau betraut. Die Untersuchungen sollen feststellen, welche Aussichten im Papualand( Britisch Neuguinea) für Ansiedler vorhanden sind. Die Forschungsergebnisse sollen in einem Werke nieder gelegt werden, das die Regierung veröffentlicht.
Die Zulassung der Frauen zu allen Beamtenstellen in 38 land fordert ein Gesetzentwurf, dem das Unterhaus bereits seine Zustimmung gegeben hat. In Zusammenhang mit dieser Reform der Frauenrechte sieht der nämliche Gesetzentwurf eine Erweiterung der Frauenbildung vor. Er gewährt den Frauen das Recht, sämtliche Lehranstalten des Landes zu besuchen und die dort vorges schriebenen Examen zu bestehen. Jsland hat bis jetzt keine Uni versität, wird sie aber noch im Laufe dieses Jahres erhalten, und es versteht sich, daß das weibliche Geschlecht auch zu den Universitätsstudien als vollberechtigt zugelassen werden soll. Wenn das isländische Oberhaus dem Entwurf beitritt, so ist im Lande die volle Gleichberechtigung der Geschlechter in bezug auf höhere Bildung und Berufstätigkeit verwirklicht.
Frauen als Mitglieder einer kommunalen Studienkommis sion sind von der Stadt Kopenhagen berufen worden. Diese entsendete eine solche Kommission nach Deutschland , um in Dresden die Hygiene- Ausstellung zu besuchen und hervorragende kommunale Einrichtungen kennen zu lernen. Der Kommission gehören außer 8 männlichen auch 3 weibliche Stadtverordnete an, eine Sozialdemokratin, eine bürgerlich Radikale und eine Konservative.
Verschiedenes.
Kieler Feste. Kiel hat im Zeichen der Festlichkeiten gelebt. Die Flugwoche haben wir hinter uns und dann die bekannte Kieler Woche ", die wie gewöhnlich mit großem Tamtam eingeleitet wurde. Alle diejenigen, die materielle Vorteile aus der Kieler Woche ziehen, hatten sich auf das„ Ereignis" vorbereitet. In den Geschäften, die man in der kapitalistischen Welt ,, vornehm" nennt, hatten die Angestellten alle Hände voll zu tun, denn es famen die„ gnädigen Frauen" der Offiziere und anderer Schichten der besitzenden Klassen, um ihre großen Einkäufe für die Kieler Woche zu machen. Die Damen brauchten neue Kleider, Ball- und Salonschuhe und tausenderlei eleganten, modischen Trödel, der ihre„ holde Weiblichkeit" verschönen sollte. Wollte man doch den auswärtigen Gästen gefallen, die in der Kieler Woche bei den offiziellen Festlichkeiten zusammenströmen. Die raffiniertesten Mode- und Toilettentricks werden zu diesem edlen, weiblichen Zweck aufgeboten und das Geld spielt dabei gar teine Rolle. Aber neben dem Glanz, dem Flirt und Tand, der Genußsucht und der Verlogenheit der offiziellen, der vornehmen Welt kroch das krasse, tiefe, namenlose Elend hervor, um sich ebenfalls für die Kieler Woche zu schmücken. Auch die Prostitution legte Festtagslleider an, um die fremden Männer zu locken, au fesseln, auch sie wollte ihr Geschäft machen". Der Eingang zu den Bordellstraßen war im Stile der Geschäftshäuser mit Fähnchen und Blumen geschmückt. Ob die vornehmen Damen, die in diesen Tagen flirten
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und kokettierten, etwas von dem neben ihnen wuchernden Elend der„ Dirnen" ahnten? Wohl kaum, und wenn je, so würden sie doch nur mit Verachtung und Ekel auf die herabblicken, zu denen die Männer, auch Männer ihrer Gesellschaftssphäre, und gerade dieser gehen, um Stunden käuflicher Liebe zu genießen. Die offiziellen Festlichkeiten zeigen kraß und ohne moralische Verhüllung den häßlichen Bodensatz der korrumpierten fapitalistischen Gesellschaft. Das Dirnentum blüht und gedeiht mit dem Kapitalismus und den Profiten seiner Nutznießer. Da es sich in den meisten Fällen um Töchter des Volkes handelt, die dem tiefen Elend der Prostitution ver fallen, so ist es auch Aufgabe der Frauen des Volkes, sich nicht schaudernd von den unglücklichen Opfern der Gesellschaft abzu wenden, sondern den Blick auf ihre Not zu wenden, die Ursachen ihres Absturzes in die gesellschaftlichen Tiefen zu begreifen und ihnen entgegenzuwirken durch Reformen, welche die Not der Massen lindern und die Stellung der Frau, besonders der arbeitenden Frau heben. Wir sind uns zwar klar darüber, daß die Prostitution als Kind des Privateigentums erst mit ihm zusammen verschwin den kann, doch dürfen wir nicht achtlos an diesem Schandfleck der Gesellschaft vorübergehen. Er muß uns aneifern, unerbittliche Kritik an der kapitalistischen Ordnung zu üben und mit allen Kräften dahin zu wirken, daß an ihre Stelle eine neue, bessere Ordnung der Dinge tritt, die Ordnung des Sozialismus. Diese Aufgabe fann nur erfüllt werden durch den Anschluß aller Frauen des arbeitenden Voltes an die Sozialdemokratie. Aber noch eine andere Festlichkeit, die mit großer Reklame eingeleitet wurde, appelliert an das Nachdenken der proletarischen Frauen und Mütter. Wie in vielen anderen Städten Deutschlands , so hatte die bürgerliche Wohltätigkeit auch in Kiel ihren Blumentag. Sie fümmerte sich nicht darum, daß an den weißen zarten Blumen, die man in jedem Geschäft liegen sah, das Blut und die Tränen Ausgebeuteter fleben. Die Blumen werden ja größtenteils in der Heimindustrie herge stellt, und hier sind die Löhne der Arbeiterinnen so schauderhaft niedrig, daß Hunger und Schande Tür und Tor geöffnet ist. Der Erlös des Blumenverkaufs sollte in Riel wie anderwärts auch nach Abzug all der vielen großen und kleinen Unkosten tranten und sterben. den Säuglingen des Proletariats zugute kommen. Im Reichstag ver höhnte die Majorität der bürgerlichen Gesetzgeber bei der Schaffung der Reichsversicherungsordnung den Jammer, das Recht der Mütter und Kinder. Blumentage sollen das Elend zudecken, das die bür gerliche Gesellschaft entstehen läßt, sie sollen das Gewissen ber Besitzenden betäuben. Die großen Plakate und Annoncen des Wohl tätigkeitsunternehmens zeigten unbewußt recht drastisch, was hinter dem Blumentage steckte. Auf schwarzem Grund- sollte es das sah man furchtbare Elend der Säuglingssterblichkeit darstellen? eine Wiege, die mit Blumen ganz überdeckt war, wahrscheinlich damit niemand das darin liegende halbverhungerte und sieche Kind des Proletariers erblickt. Rein noch so üppiger Blumenflor fann das graue Gespenst der Not verscheuchen, das uns in der Heim arbeit, in der Säuglingssterblichkeit entgegentritt. Nur der bewußte Klassenkampf des Proletariats kann das tun. Die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Ausgebeuteten nehmen tapfer den Kampf gegen die Pein der ausgebeuteten Frauen und für ihr volles Recht auf; sie wenden sich auch gegen die Ungeheuerlichkeit des Kindsmords, dessen die kapitalistische Gesellschaft sich schuldig macht. Die Reformen, die sie erstreben, können allein der Kindersterblichkeit wirksamer begegnen, als alle Blumentage zusammen genommen. Es ist übrigens bekannt, in welch hohem Maße diese Veranstaltungen dem Amüsement, der Gefallsucht nichtstuender Dämchen dienen, die für ihre Toiletten mehr ausgeben, als für die Notleidenden zusammengebettelt wird. Dabei kommt auch noch- wie bei der Herstellung der Blumen das Kapital zu seinem Profit. In einem Geschäftshaus der Dänischen Straße zum Beispiel waren ,, Kleider für den Blumentag" ausgestellt, von denen manche ,, nur" 1200 Mt. kosteten! Die Tatsache allein muß zu denken geben! Ob sich wohl unter den Blumenverkäuferinnen, die in einem ele. ganten Rostüm als Wohltäterinnen paradierten, eine einzige ge funden hätte, die bereit gewesen wäre, zugunsten der kränklichen Kinder auf eine neue Toilette zu verzichten? Die proletarischen Frauen können nicht nachdrücklich genug gegen den groben Unfug der Blumentage protestieren. Sie können aber auch nie mit zu großer Energie gegen die fapitalistische Ordnung kämpfen, deren Wesen Ausbeutung und Unterdrückung ist und damit Not und Jammer für die Ausgebeuteten und Unterdrückten, und deren Nuz nießer statt großzügiger Reformarbeit nur Almosen kennen, die obendrein recht häufig durch Heuchelei beschmutzt werden. c. t.
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