Nr. 26
Die Gleichheit
vollständig abgebrochen. Die Unternehmer haben zwar schon etwas nachgegeben, ihre Zugeständnisse sind jedoch so geringfügig, daß auf ihrer Grundlage eine Einigung nicht zustande kommen konnte. Unterdessen flaut die Aussperrung ab. Jn Dresden nehmen die Streifenden und Ausgesperrten die Arbeit wieder auf. Die thüringischen Metallindustriellen haben denn auch beschlossen, daß die einzelnen Betriebe in Einigungsverhandlungen mit den Ars beitern eintreten dürfen. Im Glühlampenwerk Schneider in Berlin sind 400 Arbeiterinnen und 50 Arbeiter aus nichtigen Gründen entlassen worden. Plötzlich wurden von den Arbeiterinnen einer Abteilung des Betriebs Überstunden verlangt. Da verschiedene Arbeitsplätze leer waren, beantworteten die Arbeiterinnen dieses Anfinnen dadurch, daß sie die Einstellung neuer Arbeitskräfte for derten und die Überstunden verweigerten. Daraufhin wurden 20 Arbeiterinnen entlassen, denen andere folgten, die in der Hauptsache für ihre Zugehörigkeit zur Organisation büßen sollten. So find 400 Arbeiterinnen brutal auf die Straße gesetzt worden, weil sie ihr Selbstbestimmungsrecht wahrten und solidarisch im Interesse arbeitsloser Berufsgenossinnen handelten.
Eine Lohnbewegung im Leipziger Lithographie- und Steindruckgewerbe, die sich zunächst auf das männliche Per sonal beschränkt, droht auf das Hilfspersonal und damit auch auf die Arbeiterinnen überzugreifen. Zwischen den Steindruckereibes sitzern und der Organisation der Steindruckereihilfsarbeiterinnen besteht aber ein Tarifsverhältnis, das bis Ende dieses Jahres Gültigkeit hat. Die Unternehmer könnten also die Kündigung des Hilfsarbeiterpersonals nur unter Tarifbruch vornehmen. Es finden in der Folge zwischen den Organisationsleitungen Verhandlungen statt. In der Chemnitzer Kartonnageindustrie bereitet sich eine Lohnbewegung vor. Die Unternehmer haben die Einreichung eines Tarifes durch die Arbeiter und Arbeiterinnen nicht beantwortet.
Ein Boykott der Fabrikate der Plangeschen Mühlen ist von den zuständigen Instanzen verhängt worden, auf den wir unsere Leserinnen besonders aufmerksam machen. Die Arbeiter der Plangeschen Mühle in Düsseldorf hatten Lohnforderungen ges stellt; die Direktion begnügte sich nicht damit, sie abzulehnen, sons bern sie maßregelte obendrein organisierte Arbeiter. Vermittlungs versuche, auch die des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine, blieben ergebnislos. So mußte es zur Erklärung des Boykotts tommen, der außer dem Düsseldorfer Betrieb auch die Plangeschen Mühlen in Soest und Harburg- Wilhelmsburg trifft.
Über die wirtschaftliche und soziale Lage der An gestellten in den Bureaus der Rechtsanwälte hat der Verband der Bureauangestellten eine Statistik veranstaltet. Uns intereffieren davon namentlich die Angaben über die Lohnverhältnisse des weiblichen Personals. Die Statistit erstreckte fich auf 2649 Lehrlinge, 1087 weibliche und 1858 männliche Angestellte. Ein Ge halt bis zu 50 Mr. monatlich beziehen 47,8 Prozent der Angestellten ( der Mehrzahl nach weibliche), von 51 bis zu 100 Mt. monatlich beziehen 25,1 Prozent und über 150 Mt. nur 11,6 Prozent. In der gegenwärtigen Stellung waren 48 Prozent der männlichen und 43,7 Prozent der weiblichen Angestellten weniger als ein Jahr tätig. Monatliche Gehaltszahlung hatten 92,8 Prozent. Nur 4 Prozent erhalten das Gehalt während Krankheit weiter. Über die soziale Schicht, aus der die Angestellten sich rekrutieren, sagt die Statistik, daß 44 Prozent des männlichen und 27,6 Prozent des weiblichen Bureaupersonals aus Arbeiterfamilien stammen, die übrigen aus den Kreisen des Mittelstandes. 75,7 Prozent der männlichen und 70,8 Prozent der weiblichen Angestellten hatten nur Volksschul bildung genossen.
Welch schweren Schlag die Zoll- und Steuerpolitik des Deutschen Reiches der Tabatindustrie versetzt hat, zeigt der Zabatarbeiterverband in seinem Bericht für das Jahr 1910. Der Geschäftsgang lag teilweise ganz danieder. Eine ungewöhnlich starke Arbeitslosigkeit herrschte unter den Tabalarbeitern und-arbeiterinnen besonders in Nordwestdeutschland , Westfalen , Hamburg und Bremen . Im ersten Halbjahr 1910 mußten aus Reichsmitteln 3 870 926 Mt. Unterstüßung an Arbeitslose im Ge werbe gezahlt werden. Die Arbeitslosigkeit war in dem angegebenen Zeitraum noch umfangreicher als im zweiten Halbjahr 1909. Nach den von der Tabakberufsgenossenschaft festgestellten Lohn beträgen war ein Rückgang bei der Herstellung der Fabrikate zu verzeichnen, der 11,6 Prozent in der Zigarrenindustrie, 6,4 Prozent in der Rauchtabakindustrie und 6,5 Prozent in der Rautabakindustrie betrug. Die Zigarettenbranche hat sich bald erholt. Der Verband nahm Erhebungen vor, die sich nur auf Mitglieder erstreckten, die infolge der neuen Tabaksteuer arbeitslos geworden waren. Danach waren etwa 10 Prozent der
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Mitglieder ein Opfer der Arbeitslosigkeit. Für Unterstützung der Arbeitslosen mußte der Verband im Berichtsjahr nicht weniger als 82 000 Mt. verausgaben. Unter den angedeuteten ungünstigen Verhältnissen ist es doppelt hoch zu werten, daß der Verband respek table Erfolge erzielen fonnte. Besonders erfreulich ist es, daß er 1300 weibliche Mitglieder neu gewann; die Zahl der männlichen Organisierten erhöhte sich nur um 121. Der Verband sezte manches zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse durch. Für 9053 Beschäftigte wurden Lohnerhöhungen bis zu 2,50 Mt. pro Woche erreicht, und es gelang, für 1504 Personen die Arbeitszeit um zusammen 5929 Stunden wöchentlich zu verkürzen. Versuche zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen konnten abgeschlagen werden. So hat auch die schwer bedrängte Organisation. der Tabalarbeiter das letzte Geschäftsjahr in Ghren bestanden.#
In der Holzindustrie wurde in den letzten Wochen eine größere Anzahl von Lohnbewegungen mit zum Teil recht erfreulichen Ergebnissen zum Abschluß gebracht. Nach achtwöchigem Streik kam in Cham in Bayern ein Tarifvertrag zustande, während dessen Geltungsbauer die Arbeitszeit von 56 auf 55 Wochenstunden sinkta und der Stundenlohn um 8 Pf. steigt. Ein volles halbes Jahr haben die Tischler in Forst im Ausstand verharrt. Nachdem der Arbeitsvertrag im Februar abgelaufen war, machten die Unter nehmer durch ihr mangelndes Entgegenkommen eine Einigung unmöglich- wagten doch die Meister den Arbeitern eine Lohnerhöhung von ½ Pf. pro Stunde zu bieten. Ebenso lehnten es die Herren schroff ab, sich einem Schiedsspruch zu unterwerfen. Als Lohn für ihre zähe Ausdauer erhalten nunmehr die Arbeiter durch Vertrag eine Stunde Arbeitszeitverkürzung, 4 Pf. Lohnerhöhung, 89 Pf. Durchschnittslohn und einen Akkordtarif, der eine größere Sicherheit der Atfordsätze gewährt.
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Einen schönen Erfolg haben die 500 Arbeiter der Weißmöbel fabriken in Oeynhausen errungen. In diesem Badeort ist die Lebenshaltung schon seit langem außerordentlich teuer. Die Ers ringung günstigerer Arbeitsbedingungen wurde besonders dadurch sehr erschwert, daß viele Arbeiter, die aus den umliegenden Dörfern tommen und auf einem kleinen Grundstück selbst etwas Lebensmittel ziehen, sich mit niedrigeren Löhnen zufrieden gaben als die zugewanderten Arbeiter. Das ist nun durch das Eingreifen der Organisation anders geworden. Der Holzarbeiterverband hat dort in letzten Jahren erfreuliche Fortschritte gemacht, und so konnte jetzt, ohne daß eine Arbeitsniederlegung erforderlich wurde, zum ersten Male ein Tarifvertrag abgeschlossen werden. Die Arbeitszeit wird von bisher 60 auf 57 Stunden und 1913 auf 56 Stunden in der Woche herabgesetzt. Die Stundenlöhne werden sofort um 8 Pf., im ganzen um 7 Pf. erhöht, die Alfordsätze in entsprechens dem Verhältnis. Der Durchschnittslohn soll für Tischler 43 Pf., für Maschinen und Hilfsarbeiter 33 Pf. betragen und während der Vertragszeit um 4 Pf. steigen.
Gleichfalls ohne Streit wurden Lohnbewegungen der Tischler in Nordenham , Nienburg a. d. Weser , in Iserlohn , Fechen heim und Velbert zum Abschluß gebracht. Erreicht wurden dabei Verkürzungen der wöchentlichen Arbeitszeit um 2 bis 4 Stun den und Erhöhungen der Stundenlöhne um durchschnittlich 7 und 8 Pf. innerhalb der Vertragszeit. In Stellau bei Lübeck wurde das bisher noch bestehende Kost- und Logissystem abgeschafft und die Arbeitszeit, die 10 bis 10 Stunden betrug, auf 9½ und von 1912 ab auf 9 Stunden täglich festgesetzt.
Die Stuhlarbeiter in Blomberg erhöhten die Sätze ihres Alfordtarifs so, daß etwa 2 Mt. wöchentlicher Mehrverdienst herauskommt. Dagegen mußte der große Kampf in Rabenau wegen des starken Zuftroms von Arbeitswilligen vorläufig abgebrochen werden.
Die Stellmacher errangen in Meerane 5 Stunden Arbeitszeitverkürzung und Erhöhung der Stundenlöhne von 8 Pf. im Laufe von 3 Jahren. Jm benachbarten Glauchau wurde in der Wagens fabrit die Arbeitszeit von 62% auf 58 Wochenstunden herabgesetzt und sofort 4 Pf. und für später noch zweimal je 2 Pf. Zulage zu den Stundenlöhnen gewährt. In Gelsenkirchen , wo bisher noch 11 Stunden täglich gefrondet werden mußte, soll fünftig 10 Stunden gearbeitet werden. Neben 4 Pf. Zulage wird hier 50 Pf. Durchschnittsstundenlohn geboten.
Unter den Berufen, in denen die Arbeiterinnen stärker vertreten sind, weist eine Goldleisten- und Rahmenfabrik in München einen beachtenswerten Tarifabschluß auf. Die Firma stand bisher als einzige noch außerhalb der Tarifgemeinschaft. Die Wochenarbeitszeit wurde hier auf 53, für später auf 52 Stunden festgesetzt. Vergolder erhalten im ersten Gesellenjahr 40, im dritten 52 f. Mindestlohn; Hilfsarbeiter mit 16 Jahren 30 Pf., mit 20 Jahren 45 Pf. Stundenlohn; Arbeiterinnen sofort 20 Pf., nach einjähriger