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Die Gleichheit
Unternehmergewinn gestiegen ist. Denn wem tönen bei dem An blick der Reklame nicht Eugen Richters berüchtigte Worte an einen Druckereibesitzer in die Ohren:„ Stellen Sie doch Mädchen ein!"
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Die Arbeiterinnen im Vergoldergewerbe. Dieser Berufs. zweig ist nur in einer beschränkten Anzahl deutscher Drte vertreten. Trotzdem die Tätigkeit in dem Vergoldergewerbe an sich wenig für Frauen geeignet ist, werden solche in allen wichtigeren Orten des Gewerbes beschäftigt. Arbeiterinnen werden sowohl beim Schleifen, Grundieren und Polieren der Holzleisten, bei der schmutzigen Arbeit des Farbigmachens wie beim Versilbern und Vergolden ver wendet. Daneben fann man aber vielfach die Erfahrung machen, daß die billige Frauenarbeit durch die noch billigere Jugendlicher verdrängt wird. Eine Statistit, welche die Zentralkommission der Vergolder im Deutschen Holzarbeiterverband in diesem Jahre aufnahm, hat neben 3269 männlichen 501 weibliche und 347 jugend: liche Arbeiter und 209 Lehrlinge erfaßt. Weibliche Arbeitskräfte werden danach in größerer Zahl in Berlin , Guben , Hamburg Altona , Köln , München und Pasing , Neubrandenburg in Mecklenburg und in Ulm beschäftigt. Die Arbeitszeit schwantt zwischen 48 und 60 Wochenstunden. Der durchschnittliche Wochenverdienst beträgt bei den Arbeitern 28,19 Mt., bei den Arbeite rinnen 14,59 Mt. Bei den letzteren erreichen die höchsten Ortsdurchschnitte Altona mit 14,87 Mt., Strelit mit 14,25 Mt., Köln mit 17,93 Mt. und Berlin mit 18,43 Mt. Den niedrigsten Lohn dagegen findet man in Meerane in Sachsen und in Lauter bach im Schwarzwald mit 9,55 bezw. 9,57 Mt. Mit Ausnahme von Berlin , wo aber die großen Entfernungen Ausgaben für Fahrgeld bedingen, ist die Zahl der Arbeiterinnen mit über 15 Mt. Wochenverdienst nur eine geringe.
fk.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Johanna Greie- Cramer Eine Trauerbotschaft nach der anderen erhalten die deutschen Genossinnen aus dem Ausland. In Elisabeth( Staat New York ) ist im August die treue und erprobte Borkämpferin des Sozialismus Johanna Greie Gramer ge storben. Eine Deutsche , die von den Stürmen des Sozialistengesetzes über den Ozean getrieben wurde, nahm sie als teuerstes Gut aus der Heimat die sozialistische Heilslehre mit. Die wuchs, befestigte sich und befruchtete das schriftstellerische und rednerische Talent des jungen Weibes. Bald ging Genoffin Greie- Cramer, in der sozia listischen Bewegung der Vereinigten Staaten arbeitend, führend voran und wurde die Begründerin der ersten zentralisierten sozia listischen Frauenorganisation. Mit dem gesprochenen Worte und der Feder hat sie dem weltumspannenden Ideal des Sozialismus treu gedient, bis schweres Leiden sie daniederwarf. Wir werden in der nächsten Nummer von dem Leben dieser Treuen und Tapferen mehr sagen, die es verdient hat, daß sie auch bei den deutschen Genossinnen unvergessen bleibt.
Frauenstimmrecht.
Das aktive und passive Wahlrecht für die Schulvorstände im Herzogtum Gotha haben die Lehrerinnen dort kürzlich durch eine Gesetzesvorlage erhalten, der der Landtag seine Zu stimmung gegeben hat.
Eine Union der amerikanischen Suffragettes ist in den Vers einigten Staaten gegründet worden. Die neue Organisation will unabhängig von allen politischen Parteien bleiben, hat den Kampf für das Frauenwahlrecht als einziges Ziel auf ihre Fahne ge schrieben und nimmt Männer wie Frauen als Mitglieder auf.
Ein Erfolg der Frauen bei den Gemeinderatswahlen in Seattle einer bedeutenden Stadt im Staate Washington wird gemeldet. Von neun Kandidaten, welche von den Frauen auf gestellt wurden, drangen acht durch. In der Stadt Tacoma des gleichen Staates soll die Wahlberechtigung der Frauen entscheidend dafür gewesen sein, daß der von ihnen als unwürdig erklärte Bürgermeister aus seinem Amte entfernt wurde.
Sittlichkeitsfrage.
Von der Pariser Sittenpolizei. Der berüchtigte Pariser Polizeipräfett Lépine hat sich vor dem Staatsrat eine schwere Niederlage geholt. Ein Reglement der Polizeipräfettur von 1878 bestimmte, daß die Eintragung von Frauen in die Prostituierten liste durch den Bureauchef der Sittenpolizei angeordnet werden sollte. Erhob die Frau Einwände dagegen oder war sie minderjährig, so war die Entscheidung der Sittenkommission vorbehalten,
Nr. 26
die aus einem Delegierten der Präfektur und zwei Polizeikommis fären bestand. Haftstrafen über eingeschriebene Prostituierte, welche die fittenpolizeilichen Vorschriften nicht beachteten, wurden durch den Polizeipräfetten auf Antrag des als Untersuchungskommissär fungierenden Bureauchefs verhängt. 1908 hatte nun Lépine eine Verordnung erlassen, die sowohl die Eintragung in die Liste wie die Bestrafung der übertretungen einem administrativen Gericht übergab, das aus dem Präfekten oder seinem Delegierten und zwei ehemaligen Polizeikommissären oder zwei Präfefturbes amten als Beisitzern bestehen sollte. Gegen die Entscheidungen dieses Gerichtes war ein Refurs an den Präfekten vorgesehen. Die von dem Polizeipräfetten verfügte Neuordnung hatte mehrere Jahre Geltung. Schließlich aber hat der Staatsrat die Verordnung für ungesetzlich erklärt, da die Befugnis, eine rechtsprechende Behörde zu schaffen, nur der Gesetzgebung und nicht einem Verwaltungsorgan zukomme. Mit dieser Entscheidung ist allerdings wieder nur das Reglement von 1878 in Kraft gesetzt worden, das im Wesen auf die Ordonnanzen der Polizeileutnantschaft von 1684, 1713 und 1778 zurückgeht! In der Tat ist im Verfahren der Sittenpolizei von den Errungenschaften der Revolution nichts zu spüren. Die Menschen. rechte", deren fiebter Artikel sagt:" Niemand kann in anderen als in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in anderen als den von diesem vorgeschriebenen Formen verhaftet und festgehalten wer den," existieren für die unglücklichsten Opfer der bürgerlichen„ Ordnung" nicht. Im Jahre 1903 zum Beispiel sind nicht weniger als 13 014 Frauen administrativ abgeurteilt und gefangen gesetzt wor den! Die herrschenden Klassen aber lassen unbekümmert diese Schmach sich verewigen. Die„ Gesellschaft" huldigt den paar emporgekommenen Kurtisanen und wirft ihnen ungemessene, dem Proletariat abgepreßte Reichtümer in den Schoß; für die ungezählten Frauen, die in der Nacht des Elends, der Krankheit und des Ver brechens zugrunde gehen, hat sie kein Auge oder gar eine pharis säische Verachtung.
Verschiedenes.
o. p.
Ueber die Bedeutung der Arbeit für die gesamte Kultur entwicklung schreibt Ulrich Wendt in seinem Werke„ Die Technik als Kulturmacht in sozialer und in geistiger Beziehung" folgende treffenden Worte:„ Man kann getrost und gern sagen, daß für die Entwicklung der gesamten Kultur, der materiellen wie der geistigen, die Arbeit des Handwerkers und Fabritarbeiters ebenso notwendig, ebenso wertvoll, ebenso produktiv und also auch ebenso edel ist wie die Arbeit des Gelehrten, der hinter seinen Büchern sitzt. Der Handwerker liefert die Anschauungen, der Gelehrte die Begriffe. Der scheinbar große Unterschied zwischen beider Tätigkeit liegt nur darin, daß der Gelehrte als einzelner die Abstraktionen zieht, zu welchen die Masse der Handarbeiter die Anschauungen ge geben hat." Der Verfasser des genannten Werkes war früher Leiter der Reichsdruckerei. Er ist seiner Auffassung nach nichts weniger als Sozialdemokrat. Aber die mitgeteilte Wirkung der Handarbeit deckt sich durchaus mit deren Wertschätzung durch den Sozialismus. Daher fämpft die Sozialdemokratie für die Befreiung jeder Arbeit, der Hands wie der Kopfarbeit; daher stellt sie die Arbeit in den Mittelpunkt der Volkserziehung, die sie verlangt. Es ist sicherlich gründliches Studium, vereinigt mit der praktischen Erfahrung eigener Berufsarbeit, was Ulrich Wendt zu seiner Anschauung von der Bes deutung der Handarbeit geführt hat. Sein Ausspruch ist einer jener Beweise dafür, daß ernstes Wissen und vorurteilsloses Denken heute zu Schlußfolgerungen führen müssen, wie sie der Sozialismus fon sequent zieht und vertritt.
Berichtigung. Die Notiz in Nr. 24 Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft in den schweizerischen Kleinbetrieben" bedarf der Korrektur. Es ist leider nicht richtig, daß die sogenannten Ladentöchter gesetzlich geschützt sind. Ein Geseß, das sie schützen sollte, wurde vor ungefähr einem Jahre in der Volksabstimmung verworfen. Zur richtigen Beurteilung der schweizerischen Verhältnisse sei hinzugefügt, daß die Züricher Inspektorin Fräulein Dr. Albrecht Inspektorin zur Durchführung des Arbeiterinnenschutzgesetzes und nicht des Fabritgesetzes ist. Dem kantonalen Arbeiterinnenschutzgesetz unterstehen Betriebe, die zu wenig Personen beschäftigen, als daß sie unter das bundesstaatliche Fabrikgesetz fallen tönnten. Zum Schlusse bitten wir noch, einen Druckfehler zu berichtigen. Es muß heißen: Postkinder( nicht Kostkinder). Die Bezeichnung stamint daher, daß die Kinder die Gänge zur Post usw. besorgen müssen. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .
Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.$. in Stuttgart .