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Die Gleichheit

lung in einer zweiten Versammlung fanden. In dieser erschienen auch zwei Vorarbeiterinnen. Eine davon, Frau Döhler, verlangte das Wort zu einer Rechtfertigung. Sie versuchte, Klagen gegen die Beamtinnen zurückzuweisen, die in der ersten Versammlung laut ge­worden waren. Es sei nicht wahr, daß die Vorarbeiterinnen grob und rücksichtslos sind, daß hochschwangere Frauen bei schweren Arbeiten verwendet werden, und daß bevorzugte Arbeit diejenigen erhalten, die Posten haben. Im übrigen sähe sich der Fabrikant die Arbeiterinnen gar nicht erst an, er nehme sie und brauche sie. Die Fabrit zahle gute Löhne und sei ein Versorgungshaus für die Arbeite­rinnen. Die Ausführungen lösten bei den letzteren natürlich Miß­fallen und Erregung aus. Die Anklagen in der ersten Versammlung waren hauptsächlich gegen Frau Fechner und nicht gegen Frau Döhler erhoben worden. Nach dieser sprach eine allgemein recht unbeliebte Arbeiterin. Sie sagte, Frau Döhler hätte ganz recht, die faulen Luders wollten nichts machen", die Vorarbeiterinnen sollten nur die Knute in die Hand nehmen und die Arbeiterinnen zur Arbeit peitschen. Ein Wutschrei der Anwesenden folgte diesen Worten, und es kostete große überwindung, diese Musterarbeiterin leichten Kaufes ziehen zu lassen. Beim Verlassen des Saales er­klärte das allem Anschein nach betrunkene Weib: Wer was will, den steche ich über den Haufen." Es wurde allseitig behauptet, diese Arbeiterin habe ein Messer bei sich gehabt. In der darauf­folgenden Woche arbeitete sie nicht, so daß Konflikte ausblieben. Die Arbeiterinnen hatten beschlossen, nicht mehr mit ihr zusammen zu schaffen. Die dritte Versammlung beschäftigte sich mit den Vor­kommnissen der letzten Versammlung und mit der Frage, ob die Konservenfabrik von W. und F. tatsächlich ein Versorgungshaus sür die Arbeiterinnen ist. Die Beamtinnen und die verhaßte Arbeiterin waren diesmal nicht erschienen, so konnte in Ruhe verhandelt wer­den. Die Referentin wies an der Hand reichen Materials nach, daß die Fabrik recht weit davon entfernt ist, eine Versorgungsan­stalt zu sein. Behandlung und Löhne ließen nicht auf eine solche schließen. Nicht um den Armen der Ärmsten Arbeit zu geben, wird während der Saison in der Konservenindustrie alles genommen, sondern weil alle Kräfte den Profit erhöhen helfen: die Früchte verderben, wenn sie nicht rechtzeitig konserviert werden. Der Er­folg der Versammlungen für den Fabritarbeiterverband war groß.

Die Verbände der Sattler und Transportarbeiter hielten je eine Versammlung in Dresden und Striefen ab, die ebenfalls sehr gut besucht waren. In diesen Versammlungen kam es haupt­sächlich darauf an, den Frauen die Notwendigkeit der gewerkschaft lichen Organisation ihrer Männer zu beweisen. Für den Holz= arbeiterverband fanden in Oberneuschönberg , Blumenau, Deutsch- Georgental, Milka und Großhardmannsdorf öffentliche Versammlungen statt, in denen die Unterzeichnete über Die Lebens­mittelteuerung und die Notwendigkeit der Organisation" referierte. Auch sie hatten einen guten Erfolg. Eine überfüllte Versammlung tagte in Uebigan- Dresden . Hier galt es, der Bevölkerung die Forderungen der Bäckergehilfen zur Kenntnis zu bringen, die die Bäckermeister nicht anerkennen wollten. Ein Lehrer mußte aus der Versammlung hinausgewiesen werden, weil er sich flegelhaft benahm. Im übrigen verlief die Versammlung vorzüglich und hatte zur Folge, daß die Bäckermeister sich bereit erklärten, mit der Verbandsleitung zu unterhandeln. In Hosterwitz a. E. fand eine Protestversammlung gegen die zunehmende Teuerung statt. Der politische Kampf und die Kriegsheyzer an der Arbeit" war das Thema dreier überfüllter Versammlungen, die in Jöhstadt , Geyers­dorf und Mulda tagten. In Geyersdorf war das Lokal viel zu klein, um die Erschienenen zu fassen. In Jöhstadt hatte man mit fleinlichen Mitteln versucht, die Versammlung unmöglich zu machen. Die Einladungsplakate wurden zum Teil erst nachmittags gegen 4 und 5 Uhr angebracht, so daß viele gar nichts von dem Statt­finden der Versammlung wußten. Die Plakate waren nur mit Reiß nägeln befestigt worden, wahrscheinlich in der Hoffnung, daß der Wind sie bald wieder abreißen würde. Daß solche Mittel auf die Dauer nicht Erfolg haben, bewies der Erfolg der Veranstaltung. Stürmisch erklang in den Versammlungen der Ruf, in den auch die anwesen den Gegner einstimmten: Wir wollen feinen Krieg, wir wollen den Frieden!" Auch diese Versammlungen brachten neue Mitglieder für die Partei und neue Abonnenten für die Arbeiterpresse. So geht es vorwärts, trotz alledem. Marie Wackwig.

Jahresbericht der Genoffinnen in Potsdam . Trotz örtlicher Schwierigkeiten gelang es auch hier, Fortschritte zu machen. Natur­gemäß darf man in dieser Residenzstadt, der die Industrie fehlt, nicht auf große Erfolge rechnen. Die Parteiorganisation zählt gegenwärtig 90 weibliche Mitglieder, ausschließlich Frauen von Parteigenossen. Die meisten unserer Genossinnen sind gezwungen, durch Aufwartung oder Waschen den Verdienst des Mannes zu

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ergänzen. Die einzige öffentliche Frauenversammlung im Berichtsjahr fand aus Anlaß des Frauentags statt. Genossin Wurm Berlin legte in ausgezeichneter Weise die Bedeutung des Frauenwahlrechts dar. Diese Veranstaltung, die leider schwach be­sucht war, brachte uns 17 neue Mitglieder. Durch eine Hausagi: tation steigerten einige eifrige Genossinnen die Zahl der Leserinnen der Gleichheit" von 16 auf 60. Während bis vor einem Jahre die Leseabende alle vierzehn Tage abgehalten wurden, ließen wir sie im Berichtsjahr auf Anraten der Parteileitung nur alle vier Wochen stattfinden; leider traf die Erwartung nicht ein, daß die Genossinnen dafür die Wahlvereinsversammlungen eifriger be­suchen würden. Die Zahl der Besucherinnen der Leseabende be­trug durchschnittlich 30. Anfangs wurden Broschüren vorgelesen und hierauf das Gelesene diskutiert; doch wagten immer nur wenige Genossinnen, sich an der Aussprache zu beteiligen. In letzter Zeit wurden auch Vorträge gehalten, denen die Genossinnen mit großen Interesse folgten. So sprach Genossin Anna Matschke- Berlin über Mutter- und Säuglingsschutz. Ferner unterstützten uns hiesige Parteigenossen in dankenswerter Weise durch Vorträge, die folgende Themata behandelten: Die Grundlagen des Sozialismus"," Die Königsberger Kaiserrede"," Krankenkassenwahlen und Konsum genossenschaftswesen". Wir hoffen, im neuen Jahre weiter vor­wärts zu schreiten, um mit Erfolg an den kommenden Kämpfen teilnehmen und neue Kräfte aus ihnen ziehen zu können. Marie Riehl. Jahresbericht der Mannheimer Genofsinnen. Die proles tarische Frauenorganisation in Mannheim hat im letzten Jahre be­deutende Fortschritte gemacht. Die Zahl der weiblichen Partei­mitglieder stieg von 215 auf 422, von denen etwa die Hälfte die Gleichheit" lesen. Es muß fünftig die Aufgabe der Genos­sinnen sein, bei jeder Gelegenheit für ihr Organ zu agitieren. Am besten haben dazu die Kassiererinnen Gelegenheit. In der Agi­tation wurde alles getan, um die Frauen für den proletarischen Klassenkampf zu interessieren. Vier öffentliche Frauenver­sammlungen und 22 Mitgliederversammlungen mit zu­meist belehrenden Vorträgen fanden statt. In den Mitgliederver­sammlungen referierten die Genossen R. Böttger, R. Böttger, Nagel, Amann, Strobel, Braun, Wehner, Engel, H. Remmele und Seyler und die Genossinnen Kehl und Blase. Genosse R. Böttger erläuterte Zweck und Ziele der in Mannheim gegründeten Gartenstadtgenossenschaft und machte es den Genossinnen zur Pflicht, dieses Unternehmen zu unterstützen, das den Arbeitern gesunde Wohnungsverhältnisse schaffen will. Ge­nosse K. Böttger berichtete über die Brüsseler Weltausstellung. In Worten und Bildern führte Genosse Nagel in einem Vortrag über Wein, Bier, Schnaps" die schädlichen Wirkungen des Alkohols vor. Der Boykott als Waffe im wirtschaftlichen Kampfe" war das Thema, das Genosse Amann behandelte. Er zeigte, wie insbe­sondere bei Lohnkämpfen der Bäcker und Mezger, die einen Boy­kott im Gefolge haben, die Frauen entscheidend mitwirken können. Jn ausführlicher Weise schilderte Genosse Braun die Stellung der Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft". Genosse Wehner behandelte Die materialistische Geschichtsauffassung". über das Thema Die Entwicklung der kapitalistischen Produktions­weise" referierte Genosse Strobel, über Antike Sklaverei" Ge­nosse Remmele. Die Genossen Engel und Seyler erörterten die Frage Was ist Bildung?" Sie wiesen auf die Notwendigkeit hin, daß sich die Arbeiterklasse mit Wissen und Bildung für die kommenden Kämpfe rüsten muß. Jeder möge der Worte Liebknechts gedenken: Wissen ist Macht". Über Die Entwicklung des Sozia­lismus und seine Ziele" referierte in klarer Weise Genossin Kehl . Ihr Vortrag war eine gedrängte Zusammenfassung des Materials, das Genosse Duncker in einem Kursus von acht Vorträgen gegeben hatte. Die Unterzeichnete hielt zwei Referate über die Machtmittel des Proletariats" und" Agitation und Organisation". In den vier öffentlichen Frauenversammlungen referierten die Genossinnen Zieg und Zetkin und die Genossen Dr. Friedmann- Mannheim und Lantes- Hamburg . Bei dem Vortrag der Genossin 3ieß über Die Frauen im Kampfe gegen die Lebensmittelverteuerung" war der große Saal des Gewerkschaftshauses überfüllt; 63 Neuauf­nahmen wurden in der Versammlung gemacht. Am sozialdemo­fratischen Frauentag am 19. März referierte Genossin 3ettin über Das Frauenwahlrecht ". Trotzdem die Versammlung schon um 2 Uhr mittags beginnen mußte, war der Besuch zahlreich. Die Versammlung brachte 30 neue Mitstreiterinnen. Der praktische Arzt Genosse Dr. Friedmann behandelte das Thema Männer­sünden und Frauenleiden" in einer öffentlichen Frauenversamm­lung, an der die Beteiligung so groß war, daß der Saal des Ge­werkschaftshauses nicht ausreichte, weshalb der Vortrag im Herbst