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Frauenstimmrecht.

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Die Gleichheit

Die vierte Generalversammlung des Deutschen Verbandes für Fraxenstimmrecht findet vom 5. bis 7. Oktober in Hamburg statt. Die öffentlichen Verbandssitzungen werden außer der Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten Auseinander­setzungen über eine Reihe von Fragen bringen, die für den Cha rakter des Verbandes und seine weiteren Arbeiten von großer Be­deutung find. Drei Landesorganisationen die bayerische, hef= sische und preußische beantragen eine Änderung der Satzungen, die Frage des Beitritts der Verbandsvereine zum Bund deutscher Frauenvereine steht zur Debatte. Im Zusammenhang damit und mit anderem noch dürfte es zu Auseinandersetzungen über die alte Streitfrage bürgerlicher Frauenrechtelei kommen: soll der Verband für das allgemeine Wahlrecht aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts eintreten oder aber für das Frauenwahlrecht schlechtweg", das heißt unter Umständen für ein bloßes Damen­wahlrecht. In Verbindung mit der Generalversammlung finden öffentliche Versammlungen statt. In ihnen werden Refe rate erstattet über: Die Mitarbeit der Frauen in den politischen Männerparteien"," Das Frauenstimmrecht in Beziehung zu Staat, Fortschritt, Kultur", Der alte und der neue Reichstag, Kritik und Forderungen der Frauen". Dieses Thema wird von den Damen Augspurg und Schirmacher behandelt, das zuerst genannte von Frau Breitscheid und Fräulein Heymann. über Das Frauenstimmrecht in Beziehung zu Staat, Fortschritt, Kultur" werden Ansprachen gehalten von Mrs. Philip Snowden aus London , Minna Cauer , Theodore Wolff- Arndt und Luise Koch.

Das Damenwahlrecht hat in der frauenrechtlerischen Führerin Fräulein Heymann eine Verteidigerin gefunden. In einer Polemik gegen den Vorwärts" vertritt fie in Nr. 10 der Zeitschrift für Frauenstimmrecht" die Auffassung, daß ein beschränktes Frauen­stimmrecht im Grunde doch gar nichts so Schlimmes und als An­fang zur Verwirklichung der politischen Emanzipation des weib­lichen Geschlechts wohl akzeptabel sei. Ja mehr noch! Die Dame erdreiftet sich zu versichern, daß die Sozialdemokratie das Wahl­recht für den weiblichen Geldbeutel bekämpfe, weil es ihr nicht Ernst mit der Gleichberechtigung der Geschlechter sei. Sie schreibt: ,, Die Beispiele beweisen, wie recht diejenigen haben, die behaupten, daß auch die sozialdemokratischen Männer nach verschiedenen Prin­zipien handeln, wenn es sich um Erlangung von Rechten für Männer und Rechten für Frauen handelt, und daß es ihnen mit dem Frauen­stimmrecht im Grunde genommen sehr wenig Ernst ist, es dient ihnen lediglich zur Förderung ihrer Parteiinteressen, sie prunten mit der Forderung: gleiches Recht für alle ohne Ansehen des Ges schlechts. Aber wenn dem Worte die Tat folgen soll, wenn der erste praktische Anfang mit dem Frauenstimmrecht gemacht werden soll, dann versagen auch sie und führen Gründe ins Feld, die völlig fadenscheinig für jedermann sind, der nicht durch Parteigeist und Parteidisziplin verblendet ist." So wörtlich zu lesen. Angesichts der Taten der Sozialdemokratie haben wir es an dieser Stelle nicht nötig, unsere Partei gegen die infame Verdächtigung zu ver­teidigen, die Forderung des Bürgerrechts für das weibliche Ge schlecht sei ihr letzten Endes nichts als ein Augenblender. Es hieße auch die Liebesmüh umsonst verschwenden: Niemand begreift ein Ding, das ihm abgeht, und über Geist und Disziplin läßt sich nicht mit Leuten rechten, denen weder Geist noch Disziplin eignet. Was aber die von Fräulein Heymann breitgetretenen Gründe für ein Abfinden mit dem Damenwahlrecht anbelangt, so sind sie die gleichen, wohlbekannten Redensarten, mit denen die englischen Frauenrechtlerinnen diese reaktionäre Losung verteidigen. Und wahrhaftig! Dieses alte Kohlgericht gewinnt dadurch weder an Gehalt noch an Geschmack, daß es zum so und sovielten Male aufgewärmt und in der würzlofen dicken Mehlsauce des Hey­mannschen Deutsch aufgetragen wird. Wir verzeichnen den Vorstoß für das beschränkte Frauenwahlrecht, weil er eine charakteristische Ouvertüre zur bevorstehenden Tagung des Deutschen Frauenstimm­rechtsverbandes bedeutet.

Frauenbewegung.

Die sechste Generalversammlung des Verbandes fort­schrittlicher Frauenvereine hat am 27. und 28. September in Berlin stattgefunden. Es war sozusagen die Tagung eines Parla­mentchens der frauenrechtlerischen Theorie. Im Namen der Ber liner Stadtverordnetenversammlung begrüßte der Landtagsabgeords nete Rosenow die Damen und versicherte sie des Wohlwollens der Reichshauptstadt, die viele Frauen als Arztinnen, Lehrerinnen usw. beschäftige. Persönlich, als Privatmann, versprach er den Frauen jegliche Förderung ihrer Interessen. Seine erste und

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letzte Rede im Landtag habe ihnen gegolten, und wer von diesen Reden noch nicht ganz befriedigt sei, möge das Milieu berücksich­tigen, wo sie gehalten wurden. Da erreiche man oft durch Vorsicht mehr als sonst. Der liebe altbekannte liberale Giertanz: Hier zaghaft angefaßt, da schnell wieder losgelassen. Die Damen schienen nichts­destoweniger sehr angenehm von dem nichtssagenden Gerede berührt.

Den ersten Vortrag hielt der Münchener Nationalökonom Dr. Dorn über Die Konkurrenz der Frauenarbeit und der Männer­arbeit". In folgendem das Wesentliche daraus: Die Konkurrenz der Frau kann für den Mann sowohl Lohndruck wie Arbeitslosig­keit bewirken. Das erstere tritt ein infolge der Niedrigkeit der Frauenlöhne, durch die Vermehrung des Arbeitsangebotes bei gleichbleibender Nachfrage nach Arbeitskräften, durch das Sinfen der Minimalgrenze der Löhne. Die Frauenarbeit kann relative und absolute Arbeitslosigkeit herbeiführen. Relative durch langsameres Vorrücken, verlängerte Wartezeit, verminderte Arbeitsgelegenheit für die Männer; absolute durch ihre Verdrängung in alten Be­rufen sowohl wie in neuen. Lohndruck und Arbeitslosigkeit können in einer ganzen Reihe verschiedener zeitlicher und ursächlicher Um­stände zusammen offenbar werden. Das Studium der Frage ver­langt Studium der einzelnen Berufsarten, des Tempos der Kon­furrenzentwicklung und des gesamten Wirtschaftslebens. Der Redner kam zu dem Schluß, da es fein Mittel gäbe, die Männerlöhne zu erhöhen, so sei die Erwerbsarbeit der Ehefrauen unentbehrlich. Angesichts dieser Unentbehrlichkeit der Erwerbsarbeit unverheirateter und verheirateter Frauen muß der Zielpunkt aller praktischen Sozial­politik sein: nicht die Frauen vor der Erwerbsarbeit bewahren, sondern in der Erwerbsarbeit emporheben. Der Redner vertrat auch die durchaus unzutreffende Ansicht, der Ausbau der Arbeiterinnen­schutzgesetzgebung müsse, so notwendig er sei, verhältnismäßig zurück­treten hinter den Bestrebungen nach einer möglichsten Steigerung der Löhne der Frauen. Die Vorbereitung der Frauen für die Er­werbsberufe darf nicht auf die rein fachliche Ausbildung beschränkt bleiben. Auch die Allgemeinbildung der Frauen muß auf die Er­werbsarbeit gerichtet werden. In der Diskussion nannte es Helene Simon ein bedauerliches Faktum der modernen Gesellschaft, daß die junge Mutter erwerbstätig sein müsse. Vom nationalökonomi­schen Standpunkt aus sei eine höhere Wertung der Mutterschaft nötig, und zur Hebung der Lage der Arbeiterin müßten verschie= dene Wege eingeschlagen werden. Ohne Arbeiterinnenschutz ist die Erreichung höherer Löhne ausgeschlossen, das lehrt die Geschichte der Arbeit im neunzehnten Jahrhundert. Je ungeregelter die Ar­beitszeit der Frauen, je mehr sind diese Lohndrückerinnen.

Die Nachmittagsreferate des ersten Tages wurden vor sehr schwach besuchtem Saale gehalten. Professor Gauer über Höhere Berufe" zu hören, war fein Genuß. Er brachte absolut nichts Neues oder Bemerkenswertes und sprach so dozierend, daß etliche Augen müde zufielen. Bedauerlich war, daß das Referat von Meta Gadesmann über Volksschule und Fortbildungsschule" tein besseres Echo fand. Wenngleich es ebenfalls nichts Neues bot, wenngleich das nämliche von unseren sozialistischen Führern und Führerinnen schon oft ausgeführt worden ist, so war es wenigstens volkstümlich gehalten. Dem Referat lagen die nachfolgenden Leit­sätze zugrunde:" Durch die wirtschaftliche Entwicklung sind Mil­lionen von Frauen in neue Erwerbstreise gedrängt. Schlecht oder gar nicht vorgebildet treten die meisten Frauen in das Berufsleben ein. Ein Stehenbleiben bei untergeordneter, mechanischer, gering entlohnter Arbeit ist die notwendige Folge. Die geistigen und schöpferischen Kräfte vertümmern. Es fehlen die innerlichen Be ziehungen vom Menschen zur Arbeit. Die Arbeit befriedigt nicht. Sie verliert den sittlichen Wert. Die Entlohnung reicht oft nicht zur Befriedigung der Existenzbedürfnisse. Unterernährung und das mit Schädigung der Volksgesundheit ist unausbleiblich. Für die Volksgesundheit bedeutet die ungelernte oder wenig qualifizierte Frauenarbeit eine Gefahr, da sie in wachsendem Maße auf weib­liche Arbeitskräfte angewiesen ist. Obligatorische Mädchenfort­bildungsschulen, die Berufsschulen sein müssen, werden bei zweck­mäßiger Ausgestaltung und Gliederung in erster Linie geeignet sein, der großen Masse der Berufsarbeiterinnen ein Mindestmaß von Fachbildung zu vermitteln. Die Schaffung solcher Schulen ist da­her eine dringende Aufgabe von Staat und Gemeinden, schon im Interesse der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt. Es geht nicht an, daß ein Drittel der Arbeiterschaft, die Frauen, ungelernte Arbeiter bleiben. Für die Fortbildung der männ lichen Jugend gibt der Staat 6580356 Mt. aus, für die weibliche Jugend dagegen ganze 465 248 Mt. Von dem Rechte, durch Orts­statut Zwangsfortbildungsschulen einzurichten, machten für die weib­liche Jugend nur 80 Städte, für die männliche 600 Städte Ge­brauch. Von den Schülern der Fortbildungsschulen sind 93 Prozent

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