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Die Gleichheit
später nach dem ferneren Osten kamen, nach Indien , Tibet und anderen Ländern, glauben konnten, durch Teufelsspuk hätten die dortigen Völker sich der christlichen Formen des Kultus bemächtigt, welche in Wahrheit das viel jüngere Christentum ihnen entlehnt und nachgeahmt hatte.
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Hatten Jesus- Paulus die Kultschulden an die Götter verneint und an deren Stelle die moralische Schuld gesetzt, die nur durch Besserung zu sühnen sei wer sich nicht besserte, war eben kein Christ und wurde aus der Gemeinde gewiesen, so benutzte die neue Priesterschaft den Gedanken der ethischen Schuld dazu, sich zu bereichern. Die christlichen Priester verteilten nicht mehr alle Gaben an die Armen, sie lebten von diesen Gaben und speicherten sie auf wie die Tempelpriester. Jetzt lernten sie die ethische Schuld wieder in Kultschulden umzurechnen und ließen die Sünder brav zahlen. Die von Paulus rein irdisch vorgestellte Erlösung beziehungsweise das innerliche Erlösungs gefühl wurde mit Hilfe der aus der persischen Religion herübergenommenen Märchen von Himmelreich, Fegfeuer und Hölle zu einer bloßen Hoffnung auf Erlösung herabgedrückt, die sich natürlich mit der Menge der Opfer steigerte. So wurde die Kirche, die sich nach und nach eine strenge Zentralisation mit dem Mittelpunkt Rom gab nicht ohne viele blutige Rämpfe- immer reicher und ihre„ Diener" immer zahlreicher, anspruchsvoller, hochmütiger und verschwenderischer, so daß schließlich alle Gaben, Opfer und Kirchensteuern doch nicht mehr zureichen wollten. Aller brauchbare Aberglaube der neubekehrten West und Nordvölker Europas wurde benutzt und aufgebauscht, um die Seelenangst und damit die Gebewilligkeit zu steigern. Eine das Heidentum weit überbietende Kultsucht wurde in den Völkern großgezogen. War die Taufe einst wie bei Johannes nur das äußerliche Zeichen des Gesinnungswechsels und der gelobten Besserung, so war sie jetzt längst ein Symbol wahrhafter Wiedergeburt" und endlich ein solches der Abwaschung der alten wieder hervorgesuchten Erbschuld weshalb sie jetzt auch an den Kindern sofort nach der Geburt vollzogen wurde. Die Buße wurde zu einer Formalität. Mit jedem neuen Jahr hundert wuchsen die Priesterfunktionen und damit die Sporteln der„ Gläubigen". Außer den regelmäßigen und außerordent lichen Gaben für das lokale kirchliche Leben schrieb Rom noch große allgemeine und besondere Ablässe, Steuern, Feste und Jubeljahre aus, die alle große Pilgermassen in Bewegung setzten und ungeheure Gelder nach Italien brachten. Die Christenheit wurde hierbei nicht bloß durch die Ausfuhr des baren Geldes, sondern ebensosehr durch Vernachlässigung notwendiger Arbeit geschädigt. Alle Gelder möglichst nach dem schwelgerischen Rom zu leiten, war das Hauptstreben der höchsten christlichen Kirchen herrschaft. Auch alle Kirchenämter mußten sehr teuer bezahlt werden die Raufpreise quetschten die Käufer wieder aus der gläubigen Herde heraus.„ Schafe sind da, um geschoren zu werden," sagte man. Die ganze Kirchenorganisation hatte sich gegen das elfte Jahrhundert in eine raffiniert eingerichtete Aus beutungsmaschinerie verwandelt, unter deren unablässigem Druck die Menschheit nicht weniger seufzte wie heute unter dem Gewicht des Militarismus. Jene war ebenso international wie dieser.
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Der Kirche waren stets für ihre Zwecke alle Mittel recht. Unter den Germanen und anderen Völkern wurde das Christen tum mit Hilfe der Fürsten und deren Gefolgschaften verbreitet. Die Kirche half der sich bei diesen Völkern bildenden staat lichen Gewalt im Kampfe gegen das politisch wie religiös demokratische Heidentum, wie sie auch die Geburtshelferin war bei der Entstehung der wirtschaftlichen und politischen Macht des Adels. Natürlich sicherte sie sich dadurch die religiöse Oberherrschaft. War diese gefestigt, dann wurden die Priester zur Abwechslung demokratisch, um wieder die Ritter und Herren zu schröpfen. Gewiß: in den Ländern, die noch nicht von der römischen Kultur erfaßt worden waren, ist die Kirche die Ver mittlerin höherer Kultur gewesen. Bedeutsames, Weittragendes hat sie in dieser Beziehung, hat sie auch später noch als Trägerin und Pflegerin höherer Kultur auf allen Gebieten des Gesell schaftslebens geleistet und gerade dadurch mit ihren großen Einfluß erworben. Dieses ihr Werk, das in dem Zusammen
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hang unseres Themas nicht gewürdigt werden kann, soll nicht geleugnet, auch nicht verkleinert werden. Jedoch dürfen wir über diesem Werke nicht vergessen, daß die Kirche im Verlauf des Mittelalters mehr und mehr zu einem Hemmnis des weiteren Fortschritts in allen christlichen Ländern wurde.
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In ihren Klöstern und Kirchen stapelte sie ungeheure Mengen Gold, Silber und Edelgestein auf, entzog es dem Umlauf und hinderte so zu Beginn der Geldwirtschaft den wirtschaftlichen Aufschwung. Höchstens Baukunst und Kunstgewerbe- beides fonnten sich auf Kosten des allgemeinen Luxusindustrien industriellen Fortschritts weiterentwickeln. Es war wirklich eine „ tote Hand", in die das zum Besten der Seelen Geopferte fiel. In den Klöstern fristete eine immer mehr anwachsende Schar arbeitsfähiger Männer und Frauen auf Kosten der schaffenden Boltsschichten ihr Leben. Ebenso wurde der ungeheure Grundbesitz der Kirche, den diese im Laufe der Zeit an sich gerafft hatte, und der durch Fronarbeit bewirtschaftet wurde, schließlich zu einer Fessel der neuen sich entwickelnden Produktivkräfte.
Bebels Lebenserinnerungen.
( Fortsetzung statt Schluß.)
Raum hatte ich mich in meiner Zelle häuslich eingerichtet, als ich wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Die großen Anstrengungen und Aufregungen der letzten Jahre hatten mir nicht zum Bewußtsein kommen lassen, wie sehr meine Kräfte heruntergekommen waren. Jetzt, wo ich gewaltsam zur Ruhe verwiesen worden war und die Spannung nachließ, brach ich zusammen. Die Erschöpfung war so groß, daß ich wochenlang keine ernste Arbeit vornehmen konnte. Aber absolute Ruhe und frische Luft brachten mich allmählich wieder auf die Füße. Mein Hausarzt hatte recht, als er meine Frau tröstete, ein Jahr Festung werde meiner Gesundheit nützlich sein. Später stellte sich bei einer genauen ärztlichen Untersuchung auch heraus, daß mein linker Lungenflügel stark tuberkulös angegriffen war und eine Kaverne aufwies, die auf der Festung ausheilte. Freunde, die das erfuhren, meinten lachend, da sei ich ja dem Staate Dank schuldig, daß er mich auf die Festung geschickt. Ich antwortete: Dant würde ich ihm schulden, hätte er mich zu meiner Gesundung zu Festung verurteilen lassen. Ich hatte wieder einmal, wie so oft im Leben, Schwein" gehabt. Was mein Ver derben sein konnte, schlug zum Guten aus.
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Nachdem unabänderlich feststand, daß ich für einunddreißig Monate meine Freiheit eingebüßt hatte, entschloß ich mich, diese Zeit mit aller Kraft zu verwenden, um die Lücken meines Wissens einigermaßen auszufüllen. Sobald ich also wieder arbeitsfähig war, stürzte ich mich mit aller Energie in die Arbeit, das beste Mittel, über eine unangenehme Situation hin wegzukommen. Ich studierte hauptsächlich Nationalökonomie und Geschichte. Zum zweitenmal studierte ich Mary'„ Rapital", dessen erster Band damals nur vorlag, Engels'„ Lage der arbeitenden Klassen in England", Lassalles„ System der erworbenen Rechte", Stuart Mills Politische Ökonomie", Dührings und Careys Werke, Lavelanes„ Ureigentum", Lorenz Steins„ Geschichte des französischen Sozialismus und Kommunismus", Platos , Staat", Aristoteles ', Politit", Machiavellis„ Der Fürst ", Thomas Morus' Utopia", v. Thünens„ Der isolierte Staat". Von den Geschichtswerken, die ich las, fesselten mich besonders Buckles„ Geschichte der englischen Zivilisation" und Wilhelm Zimmermanns„ Geschichte des Deutschen Bauernkriegs ". Letztere gab mir die Anregung, eine populäre Abhandlung zu schreiben unter dem Titel„ Der Deutsche Bauernkrieg mit Berücksichtigung der hauptsächlichsten sozialen Bewegungen des Mittelalters". Das Buch erschien bei W. Bracke in Braunschweig ; später, unter dem Sozialistengesetz, wurde seine Verbreitung verboten. Eine zweite Auflage, die eine Neubearbeitung erforderte, gab ich wegen Zeitmangel nicht mehr heraus. Auch die Naturwissenschaften vernachlässigte ich nicht. Ich las Darwins„ Die Entstehung der Arten", Häckels, Natürliche Schöpfungsgeschichte", L. Büchners„ Kraft und Stoff" und" Die Stellung des Menschen