Nr. 2

Die Gleichheit

Für die Wahlfreise Kassel- Melsungen und Schmalkalden­Eschwege fanden in der Zeit vom 16. September bis 8. Ottober eine Reihe von Versammlungen statt, in denen die Unterzeichnete über das Thema referierte: Die Frauen und die bevorstehenden Reichstagswahlen". Versammlungen wurden abgehalten in Großen­ ritte  , Melsungen  , Oberzwehren  , Niederzwehren  , Harles­ hausen  , Wolfsanger  , Niedervellmar  , Elbersdorf  , Dchs­hausen, Jhringshausen, Kassel  , Heiligenrode, Sanders­ hausen  , Grumbach  , Gughagen, Obertansungen und ferner in Schmalkalden  , Barchfeld, Steinbach- Hallenberg  , Seligen tal, Klein Schmalkalden  , Oberdünzebach   und Reichen­ sachsen  . Alle waren sehr gut besucht bis auf die in Nieder­ vellmar   und Sandershausen  . In beiden Orten trugen die Schuld daran persönliche Streitigkeiten, die um so bedauerlicher find, als es gilt, den Wahlkreis Kassel- Melsungen der Reaktion zu entreißen. In allen Versammlungen herrschte eine Kampfesstim­mung, an der man seine helle Freude haben konnte. Überall waren die Frauen sehr zahlreich erschienen, auch dort, wo sie zum ersten Male in eine Versammlung gingen. Besonders hervorgehoben zu werden verdienen die Versammlungen in Elbersdorf   und Jhringshausen. In Elbersdorf   hatte noch nie eine Frau ge­sprochen, deshalb herrschte während der ganzen Woche vor der Versammlung große Aufregung im Dorfe. Diesem Umstand war es wohl zuzuschreiben, daß sich viele Frauen einfanden, trotzdem sie noch nie einer Versammlung beigewohnt hatten. Es war eine Lust, sie zu beobachten, wie sie mit gespannten Mienen dem Vor­trage lauschten und oft durch einen Zuruf ihren Beifall kundgaben. In Ihringshausen  , wo bisher noch keine Organisation bestand, wurde der Grundstein zu einer solchen gelegt. 34 Mitglieder, dar­unter 10 Frauen, traten ihr bei. Besonders schön verlief die Vers sammlung in Kassel  . Der große Saal des Gewerkschaftshauses war voll besetzt. Zum letzten Male tagte eine Versammlung in diesem Saale  , der den Kasseler Arbeitern vier Jahre als Versamm­lungslokal gedient hat. Der Kapitalgewaltige von Kassel  , Fabrikant Henschel, Besitzer einer großen Lokomotivfabrit, hat hinter dem Rücken unserer Genossen das Gewerkschaftshaus in seinen Besitz gebracht, um die Kasseler Arbeiterorganisationen obdachlos zu machen. Seine Hoffnungen werden ihn aber täuschen; die Versamm­lung ließ erkennen, daß die Kasseler Arbeiterschaft sich durch derartige Machinationen der Gegner nicht beirren läßt, sondern troß Henschel und anderen Machthabern unentwegt vorwärts schreitet. 62 neue Mitglieder wurden in dieser Versammlung der Partei zugeführt, darunter 37 Frauen. Am Tage nach der Versammlung zu Großen ritte hat ein dortiger Bierverleger seinem gepreßten Herzen Luft gemacht. Er äußerte in einer Wirtschaft, daß er das Mensch", das die Frechheit" besessen hat, sogar die Frauen über die Sün­den der Gegner aufzuklären, am liebsten mitsamt der Versammlung aus dem Dorfe hinausgeworfen hätte. Unsere Genossen werden dafür sorgen, daß der Mann nicht mehr in nahe Berührung mit Sozialdemokraten kommt. Im Wahlkreise Schmalkalden- Eschwege verlief die Versammlung in Barchfeld besonders lebhaft und an regend. 46 neue Mitglieder, darunter 17 Frauen, wurden in der Versammlung zu Schmalkalden   gewonnen. An ihr nahm eine große Anzahl Anhänger der Antisemiten teil, aber keiner dieser Herren wagte es, in der Diskussion das Wort zu ergreifen, wozu der Vorsitzende mehrfach aufforderte. Besondere Erwähnung ver­dient noch die Versammlung in Steinbach- Hallenberg  . Der Drt, der hervorragend schön gelegen ist, macht einen trostlosen Ein­druck. Die Kleineisenindustrie herrscht in ihm, fast in jedem Hause befindet sich eine Schmiedewerkstatt, in der Nägel, Bangen, Brennscheren und dergleichen hergestellt werden, zum Teil mit den rückständigsten Produktionsmitteln. Die Händler fommen in den Ort und taufen die fertigen Produkte auf. Da in Steinbach­Hallenberg die gewerkschaftliche Organisation leider noch kaum Fuß gefaßt hat, so sind die Löhne sehr niedrig. Bei 18 bis 14stündiger täglicher Arbeitszeit gibt es Wochenlöhne von 12 bis 15 Mart, Vereinzelt stehen auch noch Frauen am Amboß   und arbeiten ihren Männern in die Hand. Das Elend ist ungeheuer; alle Lebensmittel, auch Butter, Eier, Milch, sind fast ebenso teuer wie in der Stadt. Die einzige Freude ist leider infolge der großen Not für viele Ar­beiter der Schnaps. Unter solchen Verhältnissen ist es schwer, Auf­flärung zu verbreiten. Aber die Versammlung war trotzdem sehr gut besucht, und besonders erfreulich war es, daß auch hier die Frauen zum ersten Male zahlreich erschienen waren. Viele äußerten den Wunsch, öfter einen Vortrag zu hören. Es ist also Interesse für unsere Bestrebungen vorhanden und damit die Hoffnung, daß es auch in dieser dunklen Gegend einmal hell wird. Im ganzen wurden auf der Tour außer zahlreichen Abonnenten für die Partei­presse 375 Parteimitglieder gewonnen, darunter 193 Frauen. Unser

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Wunsch ist, daß diese Neugewonnenen treue Mitglieder der Partei bleiben und freudigen Anteil am Rampfe gegen unsere Unterdrücker nehmen. Margarete Kaschewski, Berlin  .

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Die Beteiligung der Düsseldorfer Genoffinnen am Wahl­kampf ist eine hervorragende gewesen. Sie machte die Losung wahr: Wenn wir nicht wählen dürfen, so können wir doch wühlen!", und sie hat unzweifelhaft das Ihrige zum Erfolg der Sozialdemokratie beigetragen. Während der ganzen Dauer des Wahlkampfes nahmen unsere Genossinnen an den Beratungen und Arbeiten der Genossen teil. Samstags und Sonntags galt es, Haus für Haus mit Flugblättern zu belegen. Der angesetzte Verbreitungs­termin lag für die Frauen zeitlich ungünstig, aber fleißig mitgetan haben sie trotzdem. Hauspuzen, Kinderbaden, Kochen usw. wurde so eingerichtet, daß man helfen konnte, wenn man wollte, und der gute Wille war bei den Genossinnen da, wie ihre rege Mitarbeit bewies. Ein speziell für die Frauen geschriebenes Flugblatt Was. geht die Frauen die Reichstagswahl an" wurde in 60000 Erem­plaren von den Genossinnen allein verbreitet. Auch der Mitarbeit einer großen Anzahl von Frauen muß gedacht werden, die wochen­lang, Tag für Tag Exemplare des hiesigen Parteiorgans in den Arbeiterwohnungen verteilten. Diese Arbeit, für die es im Gegen­satz zu den anderen Leistungen eine Entschädigung gab, war nicht gerade leicht und angenehm, und die weitaus größte Zahl der Träge­rinnen hat sie mit Geschick und Pflichttreue verrichtet. Eifrig be­suchten die Genosfinnen die Versammlungen, noch nie waren so viele Frauen in ihnen regelmäßig anwesend als während des Wahl­kampfes. Dadurch wurde selbstredend das Verständnis für das poli­tische Leben und die Bestrebungen der Sozialdemokratie erhöht und eine Begeisterung für unsere Ziele entfacht, die den Erfolg vor­bereiten half. Ein starker Glaube an die eigene Kraft, ein fester Wille zur Befreiungstat erfüllte die Genossinnen wie die Genossen. Der Auftakt zu den allgemeinen Wahlen muß einen starten, guten Klang haben, das wird allenthalben anspornen," so hörte man all­gemein, und viele, sehr viele proletarische Frauen haben dazu ge­holfen, daß dem Zentrum kräftig aufgespielt wurde. Auch an den Wahltagen, wo es galt, die letzte Arbeit zu tun, waren nicht bloß einzelne, wenige Genoffinnen tätig. Nein, in allen Bezirken halfen Frauen in großer Zahl als Stimmzettelverteilerinnen vor den Wahl­lokalen, als Listenführerinnen drinnen, als Schlepperinnen" usw. überall, wo Kräfte nötig waren, faßten sie zu. Als die Resultate der Wahlen bekannt wurden, als ein Jubel sondergleichen ausbrach, da durften die Genossinnen mit Stolz sagen, daß der Sieg auch mit ihr Wert war. Das Zentrum endlich besiegt, niedergerungen, welch ein Fortschritt! All das Elend, das uns bedrückt, war in die Schatten der Nacht entrückt." Wenigstens für den Augenblick, denn schon im nächsten befannen sich die begeisterten und beglückten Kämpfer und Kämpferinnen auf die Notwendigkeit, nicht ruhen und rasten zu dürfen. Bemerkt sei noch, daß auch das Zentrum sich eifrig um die Frauen bemühte. Es plagte sich im Schweiße des Angesichts, um seine Schandtaten die gerade die Proletarierinnen brutal drücken in eitel Wohltaten umzulügen. Zu dem Schwindel fam eine beispiellos gehässige Kampfesweise. Es half alles nichts. Gegen die Wahrheit und die Vernunft tam die schwarze Garde nicht auf, die Massen entschieden sich für die Sozialdemokratie, die so zuverlässig und start ihre Interessen vertritt. Hoffentlich wirft das gute Beispiel von Düsseldorf   anfeuernd auf die Genossinnen anderwärts. Wenn die Parteiarbeit überall so freudig und eifrig getan wird wie bei uns, so wird dem Auftakt von Düsseldorf   bei den Reichstagswahlen in sehr vielen Wahlkreisen die Siegesfanfare folgen. Die Sozialdemokraten tönnen dann mit Recht fingen: Mit uns das Volt, mit uns der Sieg!"

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Politische Rundschau.

L. A.

Die Regierungen bleiben nach wie vor der Teuerung gegen über untätig, und nicht wenige Stadtverwaltungen, darunter gerade die der größeren Städte, ahmen sie darin nach. Freilich tönnten die Städte auch nicht die bösen Folgen der Politik des Bollwuchers und der Grenzsperren beseitigen, die das Reich zu gunsten der Großgrundbesizer treibt. Und wenn die preußische Regierung den Städten die Aufgabe zuweist, der Verteuerung des Fleisches durch den Zwischenhandel entgegenzutreten, so ist das nichts als ein Scheinmanöver. Dadurch soll die öffentliche Auf­merksamkeit von der Tatsache abgelenkt werden, daß die Öffnung der Grenzen und wenn auch nur zeitweise Aufhebung der Zölle für ausländisches Vieh und Fleisch, sowie andere Lebensmittel die Verschärfung beheben würde, die der allgemeine Notstand durch die agrarische Politik erfährt. Aber trotzdem ist flar, daß die Stadt­verwaltungen doch einiges gegen die Teuerung tun können und