Nr. 2

Die Gleichheit

29

Die Einnahmen beliefen sich auf S,6 Millionen Mark, die Aus­gaben aus 4,9 Millionen, das Vermögen bezifferte sich auf 6,i Mil­lionen Mark. Daß sich die Christlichen trotz dem Singsang von der Jntereffenharmonie zwischen Kapital und Arbeit in steigendem Maße an Lohnkämpfen beteiligen müssen, dafür spricht eine Tatsache. Der relativ höchste Posten ihrer Ausgaben entfällt mit 1,2 Millionen Mark auf die Unterstützung solcher Kämpfe. Die Hirsch-Duncker- schen Gewerkvereine zählten in 2263 Ortsvereinen 122ö7l Mit­glieder gegen 1V8628 Mitglieder im Borjahre. Die verhältnismäßig bedeutende Zunahm« von über 14000 Organisierten ist auf den korporativen Beitritt des Württembergischen Eisenbahnerverbandes mit rund 8000 Mitgliedern zurückzusühren. Die Einnahmen der Gewerkvereine betrugen 2,9 Millionen Mark, die Ausgaben 2,8 Mil- lionen, das Vermögen stellte sich auf rund 2 Millionen Mark. Für Streikunterstützung wurden 340000 Mk. verausgabt. Die gelben Gewerkschaften berichten von 80000 Mitgliedern in 92 Werk­vereinen. Besonders erwähnt sei der Bund der gelben Bäcker­gesellen mit 10000 Mitgliedern, die Werkvereine in Berlin und Umgegend mit 26000 und die für Bayern und Rhein­land mit je 13000 Mitgliedern. Die vaterländischen Arbeiter­vereine musterten 33000 Mitglieder. Weit stärker ist die Gefolg­schaft der konfessionellen Arbeitervereine. 968 evangelische Organisationen verzeichneten 160000 und 3843 katholische nahezu 600000 Mitglieder. Endlich müssen noch die unabhängigen Bereine mit 711000 Mitgliedern erwähnt werden, von denen der Verband derEisenbahnervereine mit 460000 Mitgliedern der größte ist. Spielen schon die christlichen und besonders die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften im Ringen für den Aufstieg der ausgebeuteten Massen eine untergeordnete Rolle, so sind alle an­deren Organisationen dafür erst recht bedeutungslos. Manche von ihnen kümmern sich überhaupt nicht um die Verbesserung der Lebens­lage ihrer Mitglieder und leisten dem Unternehmertum nur Schild­knappendienste, andere sind der ödesten Vereinssimpelei verfallen, und die Interessenvertretung der Berufsgenossen ist ihnen nichts als Aushängeschild. Es sind denn auch mehr und mehr die freien Gewerkschaften, die jene Arbeiter und Arbeiterinnen erziehen, denen es ernstlich darum zu tun ist, sich auf der Grundlage besserer Ar­beits- und Lebensbedingungen kulturell emporzuheben. Ihre werbende Kraft wird schon durch den Prozentsatz ersichtlich, den nach der Reichs­statistik ihre Mitglieder zu der Zahl der Organisierten in allen ge­werkschaftlichen Vereinigungen stellen. Von diesen waren nämlich über 60 Prozent in den freien Gewerkschaften zusammengeschlossen. So lassen schon die Zahlenbilder erkennen, daß die sreien Gewerk­schaften im Vordertreffen der wirtschaftlichen Kämpfe für das Recht der Arbeiterschaft auf eine menschenwürdige Existenz stehen. Wo ihre Banner wehen, da werden die Interessen der Ausgcbeutelen mit Treue und Kraft, aber auch mit Einsicht und Begeisterung gegen die ausbeutende Kapitalsgewalt vertreten. Die Lohnbewegung im Steindruckgewerbe gewinnt an Ausdehnung. In Leipzig stehen über 1000 Lithographen und Steindrucker im Ausstand. Da es in der Kündigungszeit zu keiner Einigung kam, so haben in einer Reihe anderer Städte noch etwa 1600 Lithographen und Steindrucker dieselben Forderungen gestellt wie ihre Berufsgenossen in Leipzig . Die Unternehmer kündigten daraufhin weiteren 2000 Arbeitern. Das Hilfspersonal wird nun ebenfalls in den Kampf hineingezogen. In Leipzig wird in der Folge ein interessanter Tariskonflikt zur gerichtlichen Entschei­dung kommen. Der Steindruckereihilfsarbeiterverband schloß seinerzeit mit den Unternehmern einen Tarisoertrag, der bis Ende dieses Jahres Gültigkeit hat. Als die Lithographen und Steindrucker ihre Kündigungen einreichten, schritten die Unternehmer zu Masjen­kündigungen der Hilfsarbeiter, obwohl diese beschloffen hatten, in dem ausgebrochenen Kampfe Neutralität zu bewahren. Einer An­rufung der Tarifinstanzen, dieses Vorgehen betreffend, wichen die Herren aus. Da somit ihrerseits ein offenkundiger Tarifbruch vor­lag, hielten sich die Hilfsarbeiter ebenfalls nicht mehr an den Ver­lrag gebunden, beschlossen seine Aufhebung und reichten Forderungen ein. Einige Unternehmer haben nun beim Landgericht Klage auf Wiederherstellung des Tarifvertrags erhoben. Bei der Tarifrcvision im Buchdruckergewerbe» die jetzt nach fünf Jahren fällig war, drohte ein ernsthafter Konflikt aus­zubrechen. In dreizehntägiger Verhandlung kam es aber doch schließ­lich zu einem friedlichen Abschluß. Di« Löhn« der Gehilfen wurden um durchschnittlich 10 Prozent aufgebessert, wozu noch in vielen Orten eine Erhöhung der Lokalzuschläge um 2'/, Prozent kommt. Der geforderten Verkürzung der Arbeitszeit setzten die Unternehmer den heftigsten Widerstand entgegen, so daß sich die Gehilfenvertreter Ichließlich mit einer Herabsetzung der Arbeitszeit von 63'/» auf ü3 Stunden in der Woche bescheiden mußten. In Anbetracht der

Preissteigerung des Lebensbedarfs dünkte ihnen die Lohnerhöhung das wichtigst« Ergebnis der Verhandlungen. Zu der angedrohten Aussperrung in der westfälischen Tabakindustrie nahm eine Konferenz der Zahlstellenverwal­tungen und Vertreter der Zentralvorstände des Tabakarbeiter­verbandes und des Zigarrensortiererverbandes Stellung. Die Konferenz beauftragte ihre Vertreter, zur Beilegung der Diffe­renzen Unterhandlungen mit dem Vorstand des Westfälischen Zigarren- sabrikantenverbandes anzubahnen. Sollte keine Einigung zustande kommen, so erwartet die Konferenz, daß alle organisierten Tabak­arbeiter und-arbeiterinnen einmütig in den Ausstand treten. Ter Kampf in einigen BerlinerGeschäftsbücherfabriken war nur von kurzer Dauer: die bestreikten Unternehmer bewilligten die schon in den anderen Fabriken anerkannten Forderungen. In der Chemnitzer Kartonnageindustri« sind 247 Arbeiterinnen und 100 Arbeiter ausständig. Naturgemäß beteiligen sich die Ar­beiterinnen stark am Streikpostenstehen. Wenn sie dieser ihrer Ehren­pflicht genügen, so werden sie von den Polizeibeamlen mit den ge­meinsten Beschimpfungen belegt. Ein Beweis dafür, daß diese Stützen der Ordnung" nicht umsonst ihr Gehalt aus der Tasche der Steuerzahler erhalten. In der Schokoladen-, Zucker waren- und Waffelindustrie in Dresden wird es wahrscheinlich zum Ausstand kommen. Auf die eingereichten Forderungen der Arbeiter und Arbeiterinnen haben von 68 in Betracht kommenden Firmen nur 7 geantwortet, und diese auch noch ablehnend. Die Weltfirma Hartwig sc Vogel will den Arbeitern 2 Pf. und den Arbeiterinnen 1 Pf. Lohnerhöhung zubilligen. Zur Abschfteßung eines Tarifvertrags will sie sich über­haupt nicht verstehen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen haben diese Zulagen als zu winzig abgelehnt und vorerst das Gewerbegericht als Einigungsamt angerufen. Eine Verständigung ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Bei einem Streik der Brauereiarbeiter in Bremen , an dem etwa 900 Personen beteiligt sind, liefern die arbeitswilligen Hintzebrüder wieder förmliche Schlachten. Sie lassen Revolver, Messer, Gummiknüppel spielen, die wahrscheinlich von der Brauerei selbst geliefert worden sind. Mehrere Personen erhielten Messer­stiche, jemand wurde durch einen Schuß in den Rücken verwundet. Die Polizei mußte schließlich gegen die staatserhaltenden Elemente «inschreiten, einige von ihnen wurden gefesselt und in Polizei­gewahrsam gebracht. Eine Anzahl Schwerverletzter mußte nach dem Krankenhaus geschafft werden, die weniger schwer Verletzten wurden wahrscheinlich nicht nach dort überführt, sondern zurückgehalten, um im Interesse der ordnungstifrenden Knüppelgarde die Schlacht nicht zu bedenklich erscheinen zu lassen. Ein drakonisches Urteil wird wieder einmal aus Sachsen gemeldet. Der Ausgangspunkt für die Arbeit der Klassenjustiz war der Bergarbeiterstreik in der Oberlausitz . Ein streikender Berg­arbeiter sollte einen Arbeitswilligen belästigt haben. DerAlten­täter" wurde dafür zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Der Spruch war auf Grund der Zeugenaussagen gefällt worden. Empört darüber vergriff sich der Angeklagte nach dem Gerichtstermin an dem Gendarmen, der als Zeuge aufgetreten war und dessen Aus­sag« natürlich schwer gewogen hatte. Gefährlich waren die Schläge sicher nicht, die der Arbeiter dem Gendarmen applizierte, denn dieser lief am anderen Tage schon wieder munter in der Straße herum. Aber der Mann trägt eine Uniform. Deshalb mußte die unbesonnen« Tat besonders gerochen werden. Die Strafkammer in Bauzen verurteilte den Bergarbeiter zu zwei Jahren zwei Monaten Gefängnis! Wie konnte der Unglückliche auch vergessen» was er derObrigkeit" schuldig war, die von Gott »ingesetzt ist und das Schwert nicht umsonst zu Nutz und Frommen der herrschenden Minderheit trägt. AnS der Textilarbeiterbewegung. Di« Unternehmer der Lau­sitzer Tuchbranche haben bekanntlich seinerzeit beschlossen, ab 1. Oktober 1911 den Zehnstundentag auch für männliche Ar­beiter einzuführen. Bei der großen Anzahl weiblicher Arbeitskräfte, für welche der Zehnstundentag gesetzlich vorgeschrieben ist, war auf die Dauer die ungleiche Beschäftigungszeit der Geschlechter un­möglich. Einheitliche Arbeitszeit lag im Interesse der Unternehmer. Statt nun aber einfach diese einheitliche Arbeitszeit ohne sonstige Änderungen der bestehenden Arbeitsbedingungen einzuführe», ver­suchten die Herren, andere den Arbeitern günstige Einrichtungen zu beseitigen. Mit der Verkürzung der Arbeitszeit soll die Wasch­zeit abgeschafft werden. In der ganzen deutschen Tuchindustrie war es bisher üblich, daß die Arbeiterinnen und Arbeiter sich mittags und abends etwa zehn Minuten vor Arbeitsschluß waschen und umkleiden konnten. Soweit es sich dabei um Akkordarbeiler oder -arbeiterinnen handelt, konnte das geschehen, ohne daß die Maschinen