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Die Gleichheit
orte geöffnet hatte. 1909 gingen europäische und nordamerikas nische Schiffe in 38 See- und Flußhäfen ein und aus. Von diesen Stüßpunften aus umspannt das Netz kapitalistischer Einflüsse immer engmaschiger und immer weitreichender das Land. Der aufblütende auswärtige Handel befundet, daß Chinas Wirt schaftsleben in steigendem Maße mit dem der fapitalistischen Staaten verknüpft wird. 1890 betrug die Einfuhr in China den Gesamthandel genommen über 681 Millionen Mark, die Ausfuhr wenig unter 470 Millionen Mark; für 1909 war die Einfuhr auf etwas über 1122 Millionen gestiegen, die Ausfuhr auf mehr als 799 Millionen Mart. 1908 führte das Land fast für 182 Millionen Seide aus und warf bereits nahezu für 29 Millionen Baumwolle auf den Weltmarkt. Der Anbau von Mohn aus dem bekanntlich das Opium gewonnen wird ist stark zurückgegangen, denn das verderbliche Laster des Opiumrauchens ist im Verschwinden begriffen, dagegen ist die Kultur von Tee und Baumwolle beträchtlich gestiegen. Besonders bedeutsam und charakteristisch für die sich voll ziehende Entwicklung ist aber der Bau von Eisenbahnen. Noch 1890 gab es deren in China erst 200 Kilometer, 1909 aber schon 8500 Kilometer. Gewiß ist auch diese Ausdehnung der Eisenbahnen noch zwerghaft, gemessen an den Dimensionen des Riesenreichs. Aber immerhin ist der Fortschritt bemerkenswert, wie auch die Umstände es sind, unter denen er vor sich geht. Bau und Verwaltung der ersten Eisenbahnen waren ausschließlich das Werk ausländischer Techniker, heute ruht die Verwaltung größtenteils in den Händen von Chinesen, und chinesische Techniker sind es mehr und mehr, die den Bau der neuen Bahnen leiten. Die Eisenbahnen tragen aber nicht nur die ausländischen Waren und die Fremden durch das Land. Ihr Bau und ihre Funktionen mit dem Drum und Dran greifen revolutionierend in die wirtschaftlichen Existenzbedin gungen der Kleinbauern, Kleinhandwerker und vor allem der großen Maffe der Taglöhner Kulis ein, die als Last träger und menschliche Zugtiere bei Waren- und Menschen verkehr das armselige Handvoll Reis verdienen, mit dem sie ihr Dasein fristen. Aber auch die Lebensgewohnheiten, die Anschauungen, die Denkweise werden umgewätzt, wo das Dampfroß feuchend über das Land dahinsaust, und das gerade bei einem Bolt, dessen Wirtschaft, Gefühle und Gedanken, dessen Kult usw. so fest mit dem Boden verwachsen ist, wie bei den Chinesen.
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Zu den Strömungen, die von innen heraus an der alten Ordnung der Dinge in China rütteln, gesellen sich so starke zersezende Zustände und Einflüsse, die der Kapitalismus von außen her in das gewaltige Reich trägt. Es liegt auf der Hand, daß die revolutionierenden Mächte der einen und an deren Herkunft je nach den Umständen sich gegenseitig fördern und verstärken, oder aber auch hart zusammenprallen, sich durch freuzen und aufheben, und das alles in der eigenartigen Um welt, welche die bodenständige chinesische Kultur geschaffen und mit tausend großen Mauern" gegen grundlegende Verändes rungen verbarrikadiert hat. Was Wunder da, daß der kapitalis ftische Raubzug nur langsam sich seinem Ziele nähert; daß wir von Zeit zu Zeit von Aufständen und Revolten von verschiedenem und nicht klar zu bestimmendem Charakter erfahren; von Kämpfen um die Macht in der Verwaltung und Regierung zwischen Neue rern" und den Siegelbewahrern des Alten und Herkömmlichen; von gewalttätigen, blutigen Ausbrüchen grimmen Haffes gegen die Ausländer? Allein es begreift sich auch, daß weittragende Reform bewegungen in die Erscheinung getreten sind und sich durchsetzen. Trotz des erbitterten Widerstandes der regierenden Mandschu Dynastie und des größten Teils der verwaltenden Beamten schaft der Mandarine ist das Schulwesen in der Richtung auf den obligatorischen Volksschulunterricht ausgebaut worden; der höhere Unterricht wurde durch die Einführung der Naturwissen schaften in den Lehrplan modernisiert, die Beamtenprüfungen desgleichen; das Heerwesen erfuhr eine Umgestaltung nach europäischem Muster; Verbote wendeten sich gegen die künstliche Fußverkrüppelung der Mädchen usw. Die Regierung mußte ihren Segen zu der Errichtung von Provinzialparlamenten geben und ein Reichsparlament gutheißen, das erst 1917, auf das
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Drängen des Voltes aber dann 1913 eröffnet werden sollte. Den breitesten Massen des chinesischen Volkes hat die vorwärtsdrängende Entwicklung zu den schlimmen Plagen der mittel alterlichen Barbarei noch die drückende Last des einbrechenden räuberischen internationalen Kapitalismus aufgeladen, der weder Betrug noch Gewalt scheut, um sich die Taschen zu füllen. Wollen sie sich nicht zu bloßem Dünger für diesen internatio nalen Kapitalismus zerstampfen lassen, so müssen sie der Ent wicklung der Produktivkräfte in China selbst freie Bahn er kämpfen. So steinebesäet und qualvoll diese Bahn ist, führt sie doch zu der gesteigerten Produktivität der Arbeit, die Grundlage für die einstige Befreiung der Massen vom Joche der Ausbeutung ist, für das gleiche Recht aller auf den materiellen und fulturellen Reichtum der Gesamtheit.
So schwelen in China unstreitig schon länger unter der Asche die Gluten revolutionärer Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Verhältnissen. Dem Anschein nach sind sie zu hell lodernden Flammen angeblasen worden durch die zähe Gegnerschaft der regierenden Mandschu Dynastie zu durch greifenden Reformen, durch den tiefen nationalen Gegensatz, in dem sich die eigentlichen Chinesen zu dieser Dynastie und der kleinen herrschenden Kaste ihrer Stammesverwandten fühlen. Denn die herrschenden Mandschu sind eine tungusische Völker schaft, die den Chinesen wohl geistig und kulturell nachsteht, jedoch kraft kriegerischer Überlegenheit 1644 die Herrschaft über das Land an sich riß, seither die wichtigsten Bosten im Heere wie in der Verwaltung in Händen hält und der Hort aller Reaktion ist. Der Mittelpunkt der Revolution sind die brei großen Handelsstädte Hankau , Wutschang und Hanyang, die auf beiden Ufern des Jangtsekiang gelegen zusammen 1% Mil lionen Einwohner zählen. Nicht bloß große und reiche Städte flußauf und flußab und Provinzen im Westen des Reiches haben sich ihr angeschlossen, sondern im Süden auch Kanton, die bedeu tendste Hafenstadt des ganzen Reichs. Die Regierung hat dem Führer des gemäßigten Liberalismus, üanschikai, den Oberbefehl über das Heer zur Bekämpfung der Revolutionäre angeboten. Sie hat in Pefing das Vorparlament, die Nationalversamm lung zusammenberufen und andere Reformen noch verheißen. Yüanschikai hat aber die ihm zugedachte Ehre und Verantwort lichkeit mit dem für die chinesische Geistesart bezeichnenden Borwand abgelehnt: sein frantes Bein fei noch nicht heil ge nug, um den Posten zu übernehmen. Diese Umstände lassen auf die Kraft, die Bedeutung der Revolution schließen.
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Für das Proletariat aller Länder alter tapitalistischer Ent wicklung sind die Vorgänge am Stillen Ozean von der größten Tragweite. In Europa und den Vereinigten Staaten , ja auch in Japan liegen die ausbeutenden Klassen seit langem schon auf der Lauer, um sich Verhungernden gleich auf China zu stürzen. Und die Regierungen der Staaten sind die gehorsamen Diener dieser Klaffen. Gewalttaten gegen Ausländer die trotz des Willens der Revolutionäre in dem besonderen Milien und unter den Umständen der Erhebung nur zu leicht möglich sind können rasch einen bequemen Vorwand zu militärischem Einschreiten der zivilisierten" Mächte bieten. Wie der Dieb in der Nacht sind vielleicht Situationen da, in denen sich ohne die Zustimmung der Völker der angebliche„ Schuz von Leben und Eigentum" der Ausländer in China zum imperialistischen Eroberungszug auswächst. Und so werden es dann die werk tätigen Massen sein, die mit Gut und Blut dafür zahlen müssen, daß der Kapitalismus ihres Heimatlandes mit blutbesudelter Faust und tückischer Lift neue Herrschaftsgebiete an sich reißt, neue Völkerschaften ihres Eigentums und ihres Vaterlandes beraubt und seinen Ausbeutungsbedürfnissen dienstbar macht.
Doch von diesen naheliegenden Möglichkeiten abgesehen, eröffnet die Revolution in China dem geschichtlichen Lauf der Dinge die weitesten Perspektiven. Welches immer ihr unmittelbarer Ausgang sein mag, so wird sie in ihren Wirkungen die kapitalistische Entwicklung Chinas beschleunigen und vorwärtstreiben. Die Blume der Mitte" bietet aber für diese Entwicklung günstige Vorbedingungen: reiche Lager an Eisenerz und vorzüglicher Steinkohle; die klimatischen Vorbedingungen