Nr. 3

Die Gleichheit

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beutung und Klaffenherrschaft ruhig weiter erträgt. Dies der Deutschlands als Erbteil vom, liberalen" Bürgertum zugefallen ist. letzte Sinn dieses Vorspiels zum Jugendfang.

In innerer Verbindung mit der behandelten Frage stand der Abschluß der Generalversammlung, fühn nannte man es die Krönung der Tagung, eine öffentliche Jugendversamm lung. Die Damen blieben dabei mit ihrer Jugendpflege gleichsam im eigenen Hause, bei den höheren Töchtern. Im Inseratenteil der bürgerlichen Blätter waren die ehemaligen Schülerinnen der städtischen höheren Mädchenschulen Braun­schweigs aufgefordert worden, an dieser Versammlung teil zunehmen. Trotzdem war der Besuch ein fläglicher, höchstens fünfzig junge Mädchen, ausschließlich aus besseren" Familien, mögen anwesend gewesen sein. Fräulein v. Felsberg unter­nahm den Versuch, Verständnis für die soziale Frage, das soziale Elend und die Notwendigkeit sozialer Hilfe zu wecken. Er mißglückte vollkommen und zeigte nur, daß die Dame auch nicht über die geringste Einsicht in die Triebkräfte des sozialen Wirtschaftslebens verfügte. Überzeugend, wenn auch echt bürgerlich, begründete sie dagegen die Notwendigkeit der poli­tischen Gleichberechtigung der Geschlechter und die Forderung des Frauenstimmrechts. Frau Ender sprach über Organi sation und Gründung einer Jugendgruppe". Ste be­tonte, daß die Angehörigen der bevorzugten Stände" Gelegen heit hätten, sich in der sozialen Hilfstätigkeit ein neues Jdeal und einen neuen Lebensinhalt zu schaffen. Die Jugendgruppen sollen die Vorstufen der Vereine geschulter Frauen sein, die in diesem Sinne wirken. In ihnen soll die weibliche Jugend mit der Notwendigkeit sozialer Hilfe, mit der Kenntnis der Frauen­bewegung und der gesellschaftlichen Zusammenhänge vertraut gemacht werden. Durch systematische Belehrung und Aufklärung, durch Referate und Diskussionen sind hier die modernen Frauen heranzubilden. In den monatlichen Versammlungen sollen unter Leitung älterer Frauen Vorgänge des öffentlichen Lebens und literarische Erscheinungen besprochen werden, ebenso die Gebiete der sozialen Arbeit und der Wohlfahrtspflege, wo die jungen Mädchen gleichzeitig zur Betätigung heranzuziehen sind. Den Jugendgruppen fönnen Frauen bis zum dreißigsten Lebensjahr angehören. Eine besondere Propagandakommission hätte sich mit den Schulleitungen in Verbindung zu sehen, um die Kon­firmandinnen für die Gruppen zu gewinnen. Der Beitrag kann 2 bis 3 Mt. pro Jahr betragen, die Jugendorganisationen müssen selbständig bleiben.

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Außer der Jugendversammlungen fanden in Verbindung mit der Generalversammlung- wie üblich noch öffentliche Abendversammlungen statt. Trotz aller innerer Tätigkeit" fann auch die gemäßigte" Frauenrechtelei der äußeren Macht der Agitationsmittel" nicht entbehren. In der ersten Abendversamm lung beantwortete Helene Lange die Frage: Was verstehen wir unter Gleichberechtigung der Geschlechter?" Die Referentin hob hervor, daß die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen in beruflichen und sozialen Dingen meist teine persönliche, sondern eine kollektive Macht ist. Aus diesem Grunde muß den Frauen auch das Recht zur Mitbestimmung an den Stellen zustehen, wo die höchsten Entscheidungen fallen: in den gesetzlichen Berufsvertretungen, in Staat und Gemeinde. Von einer wirklich schöpferischen Tätigkeit der Frauen kann nur dann die Rede sein, wenn sie prinzipiell das gleiche Recht beftzen auf alle ihnen richtig erscheinenden Tätigkeitsgebiete und Leistungen. Nicht, um das Gleiche zu tun wie der Mann, vielmehr um ihre besonderen Kräfte und Fähigkeiten einzusetzen zur Herstellung einer nicht nur äußerlichen und mechanischen, sondern wesens gemäßen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Das Mit bestimmungsrecht der Frau im Staate dient der Durchführung einer organischen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf der ganzen Linie der gemeinsamen Kulturarbeit. Die Fordes rung des Frauenstimmrechts fann aber nicht erreicht werden durch lärmende Phrasen, nicht durch eine ver­hegende Agitation, sondern durch stille positive Ar­beit. In dieser Erklärung haben wir die ganze gemäßigte". Frauenrechtelet leibhaftig vor uns, sie ist der geradezu klassische Ausdruck der Schwäche, die der bürgerlichen Frauenbewegung

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-In der zweiten öffentlichen Abendversammlung sprach Frau Dr. Altmann Gottheiner über Der Rultureinfluß der Frau als Konsumentin". Die Rede war ein Gemisch von Plattheiten und Naivitäten, die sich oft wie eine Verhöhnung der ausgebeuteten Massen anhörten. Die Referentin forderte zum Beispiel vom Staate, vom Staate der Reichen", er müsse jeder Bevölkerungsklasse ein Existenzminimum sichern. Es sei eine Kulturaufgabe der Frau, nach einem zweckmäßigen Wirt­schaftsplan mit dem Wirtschaftsgeld auszukommen und Kunst und Asthetit im Heim zu pflegen. Wie das Proletarierinnen fertigbringen sollen, die zehn Stunden in der Fabrik arbeiten und mit 15 Mr. Wirtschaftsgeld in der Woche den Lebens­unterhalt für fünf Personen und mehr beschaffen müssen, dafür hatte Frau Altmann- Gottheiner später ein billiges Rezept zur Hand: Sie riet den nichtanwesenden Hausfrauen, sie sollten lernen, ohne den Aufwand größerer Mittel besser zu leben und die Kunst ins Haus zu bringen. Es sei ihr dazu nur ein Wort gesagt: vormachen! Der Vortrag streifte die verschiedensten Fragen: den Kampf gegen den Alkohol, die Verlockungen der Warenhäuser, die Schädlichkeit der Erzeugung und des Ankaufs von Tand, die Teuerungspreise, die Verwerflichkeit von Hunger revolten und Demonstrationen, das Elend der Heimarbeit, kurz alles und etliches mehr". Nach einer Empfehlung des Käufer­bundes" landete die Referentin glücklich bei der Lösung der Dienstbotenfrage. Frau Altmann- Gottheiner machte sich diese recht leicht. Die Dienstboten dürfen nicht herabgesetzt werden, es gilt die Kluft zwischen ihnen und den Herrschaften zu ver ringern. Über das Wie schwieg Salomonis Weisheit, ließ aber dafür das goldene" Wort von den Lippen träufeln, daß in der Sparsamkeit Raum für die höchste Tugend ist. Auch in dieser Versammlung trat die steigende Aufmerksamkeit der bürgerlichen Welt für das heranwachsende Geschlecht zutage.

Gertrud Bäumer erörterte Die Pflichten des ge­bildeten Hauses gegenüber der weiblichen Jugend". Der Vortrag sfizzierte die Konflikte, die in den Familien der höheren Stände zwischen Eltern und Töchtern so oft aus der äußeren oder inneren Notwendigkeit erwachsen, daß auch die weibliche Jugend nach neuen Formen der Berufsarbeit greift. Die gebildeten Väter sollten der neuen Entwicklung volles Verständnis entgegenbringen, damit der fulturelle, fonservative Einfluß der Familie gewahrt bleibe, der den Charakter festigt. Der geistige Lebensinhalt der Frau und ihr Persönlichkeitswert wächst, wenn die Bedeutung ihres Erwerbslebens auch in dem gebildeten Hause anerkannt wird. Der weiblichen Jugend soll durch Aufklärung ermöglicht werden, den Übergang dazu zu finden. Der Einzug der gebildeten Frau in das öffentliche Leben wird die häusliche fonservative Erziehung mit den öffent­lichen Berufspflichten in Harmonie bringen.-

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Unwillkürlich lenken sich die Blicke von dieser Tagung bürger­licher Damen auf unsere sozialdemokratischen Frauenfonferenzen. Wie anders ist ihr Wesen! Immer und immer wieder wird man hier daran erinnert, daß vor jeder Teilnehmerin ein großes, ein gewaltiges Ziel steht. Daher Begeisterung, Kraft, freudige Hingabe für das Jdeal der Befreiung des Proletariats, rück­sichtslose Rampfansage an die bürgerliche Gesellschaft. Bei den Frauenrechtlerinnen satte Zufriedenheit, fluge Mäßigung", Kleine Wünsche, Frieden und Freundschaft mit der kapitalistischen Ordnung. Hier eine starke disziplinierte Macht, Entschlossenheit und frohe Siegeszuversicht. Dort klingende Worte, Unklarheit, Lauheit und Halbheit. Um der bürgerlichen Gesellschaft willen bürgerliche Reformen und Reförmchen, das ist der Wunsch der Frauenrechtlerinnen. Hier der revolutionäre Schrei aus der Tiefe nach Erlösung dort der Ruf nach den Vorrechten der besitzenden Männerwelt. Der Gegensatz lönnte nicht größer sein.

O. G.

Bebels Lebenserinnerungen.( Schluß.)

In den ersten Monaten des Jahres 1873 sollte wieder der Reichstag zusammentreten, und so mußte die sächsische Regie­rung wohl oder übel eine Neuwahl für den von mir inne­