33 Die Gleichheit Nr.Z gehabten Wahlkreis anordnen. Der Wahltag wurde auf den 20. Januar festgefetzt. Die ganze Partei betrachtete es als eine Ehrensache, nicht bloß das Mandat für mich wiederzuerobern, sondern auch mit höherer Stimmenzahl. Was an agitatorischen Kräften zur Verfügung stand, eilte in den Wahlkreis. Auer, Motteler, Vahlleich, Wilhelm Stolle , Walster, Jork usw. gingen an die Arbeit. AlS Gegenkandidat hatten die Gegner den Be- zirkSgerichtsdirektor Petzoldt in Glauchau aufgestellt, ein wegen seines leutseligen Wesens im Wahlkreis sehr beliebter Herr. Aber daS half ihnen nichts. Am Abend des Wahltags wurden für mich 10740, für meinen Gegner 4240 Stimmen gezählt. Ich brauche nicht zu versichern, daß diese? Wahlresultat im Wahlkreis wie in der ganzen Partei stürmischen Jubel hervor­rief. DaS Resultat war eine klatschende Ohrfeige für den Ge­richtshof, der mir das Mandat aberkannt hatte. Ich hatte fast 4000 Stimmen mehr erhalten als am 3. März 1871. lind da­mit nicht genug. Einige Tage nach der Wahl veröffentlichte mein besiegter Gegner in der Presse des Wahlkreises seinen Dank an die Partei, die den Wahlkampf gegen ihn in so an­ständiger Weise geführt habe. Liebknecht und ich hatten selbstverständlich das Bedürfnis, wenigstens mit den führenden Genossen draußen in möglichster Fühlung zu bleiben. Das war allerdings nur in beschränktem Maße möglich. Konnten wir auch öfter Briefe heimlich hinaus­bringen, die Gefahr bestand, daß durch eine ungeschickte Ant­wort dieser Verkehr dem Anstaltsdirektor verraten wurde, und baS hätte für uns unangenehme Folgen gehabt. Es galt also, vorsichtig zu sein. So schrieben wir nach Möglichkeit direkt, obgleich diese Korrespondenz der amtlichen Kontrolle unterlag. Ab und zu nahm dieselbe auch einen humoristischen Charakter an. Einen Brief, den ich von Most als Antwort aus einen solchen von mir aus dem Zwickauer Landesgefängnis erhielt, woselbst er wegen verschiedener Preß« und Redeoergehen über «in Jahr zu verbüßen hatte, bringe ich hier zum Abdruck, weil »r zugleich die Persönlichkeit Mösts am besten charakterisiert. Most antwortete mir: Zwickau , den 21. 4 73. Mem lieber Bebel! AuS Deinem Schreiben, das wie ein lichter Blitzstrahl auS dü­sterem Himmel in meine Einsiedelei fuhr, ersehe ich und freue mich darüber, daß es Euch ruchlosen Bösewichtern, die Ihr mittels Stahlfedern und Tintentöpfen den Staat in Gefahr gebracht haltet, ganz vortrefflich ergeht. Ihr wollt nun auch wissen, wie es mit mir steht; glaub's gern, da ich mir denken kann, daß«S Euch ge­rade so ergehen wird, wie es mir erging, ehe ich hier meinen Ein­zug hielt, daß Ihr nämlich bei dem Namen Zwickau stets an«in Zwicken denkt und einAufschreien zu vernehmen wähnt. Ich muß gestehen, daß es mir trotz meiner zähen Katzennatur und meines Balgenhumors ohne mich gerade einer Angstmichelei hinzugeben nicht ganz so wohl war wie den bekannten 500 Säuen, wenn ich vor meiner Hieherkunft an dieselbe dachte, jetzt aber, wo ich da bin, hat die Sache ein ganz anderes Gesicht. Natürlich, solch «in Jagdschloßleben wie Ihr führe ich nicht» sondern eher ein Kartäusermönchsdasein, allein Langeweile habe ich desungeachtet auch nicht, da ich ja noch gar vieles nachzuholen habe und jetzt daher die Gelegenheit zu fleißigem Studieren benütze. Zur Zer­streuung dienen mir die Zeitungen, welch« ich erhalt«, und alle meine leiblichen Bedürfnisse befriedige ich in gewohnheits­mäßiger Weise(Kost, Kleidung usw.). überhaupt erdulde ich nur ein« Freiheits-, nicht aber auch eine Leibesstrafe, wofür ich alles halt«, was dem Gefangenen außer der Entziehung seiner Frei­heit angetan wird. Bequemlichkeiten Hab« ich, von einem zu schrift­lichen Arbeiten geeigneten Tische abgesehen, nicht. Nach einem eigenen Bette empfinde ich kein Bedürfnis, während ich aber mein eigenes Kopfkissen benütze. Di« Zelle ist eben ein« solche, wie sie Vahlteich schilderte(der ebenfalls länger« Zeit im Landesgefängnis zu Zwickau war); andere gibt es hier nicht; man gewöhnt sich in­des bald daran, zumal diese Zellen trotz des hochgelegenen Fensters sehr hell sind. Spazieren gehe ich pro Tag zwei Stunden in einem Räume, welcher ein Mittelding zwischen Hof und Garten ist, und zwar allein. Besuch« macht mir niemand, weshalb ich natürlich auch kein« annehmen kann. Dir wird es seinerzeit nicht verwehrt werden, daß Du mit Deinen Familiengliedern verkehrst. Ebenso wird man Dir so wenig wie mir den Bart abnehmen wollen. Acht brenne ich bis 10 Uhr. So, das wäre das Wesentlichste, waS ich Dir von meiner Sozialistenklaus« aus berichten kann. Betreffs der Studien seid Ihr freilich schön heraus, da Ihr gleich Euren Pro­fessor bei Euch habt. Ich fühle eS besonders bei Sprachstudien, wie sehr da ein Lehrer mangelt, zumal ja die Konversation ohne einen solchen gar nicht gepflogen werden kann. Apropos! Was für«in Lehrbuch benutztest Du fürs Französische? Mir hat Vahl­teich auf meinen Wunsch nach einer französischen Grammatik«inen ganz anliken, unbrauchbaren, unausstehlich-uinständlichen und ver­kehrten Schunken(Hirzel) übermittelt, den ich schon manchmal vor Zorn am liebsten mitten entzwei gerissen hätte. Was Du von Thiers schreibst, ist klar. Dieser Knirps ist der größte Intrigant Frankreichs , der lebendig gewordene Geldsack und zugleich die einzige Person, welche die Sache der Monarchie zu fördern ver­stand, freilich ohne Erfolg, allein der Plan war wenigstens nicht schlecht angelegt: den Status quo so lange wie möglich auirechtzu- erhalten und so schön langsam, gleichsam unmerklich, die Republik erblassen und die Monarchie erscheinen zu lassen. Jeder ander» Monarchist würde an seiner Stell« längst einen Staatsstreich ge­macht haben und dabei das Genick gebrochen, wie überhaupt der Monarchie den letzten Rest gegeben haben. In Spanien tst man zu glauben versucht haben die regierenden Tralschweiber vor lauter Schwätzen ihr bißchen Verstand verloren, sonst könnte es doch wahrhaftig nicht möglich sein, daß sie mit der Handvoll karlistischer Mordbrenner nicht fertig werden. Nun, hoffentlich wird da, wie in Frankreich , bald energisch ausgemistet. Du staunst über die Fortschritte, die unsere Sache in der jüngsten Zeil gemacht hat; nun, die Ursachen sind zahlreich genug, um solch« Wirkungen zu erzeugen. Ich sage Dir: nur 1000 Mann wie Du, oder selbst nur wie ich(ohne Selbstüberhebung) und Europa , nicht bloß Deutschland , ist binnen fünf Jahren sozialistisch. Es erstehen zwar neue Kräfte genug, und wenn die Feigheit nicht so groß wäre, zeigte sich noch mancher, aber es sind viel zu wenig. Man sollte glauben, die meisten Menschen fallen bei der Geburl auf den Kopf oder gar auf den Mund, weil sie nicht imstande sind, den letzteren ordentlich aufzumachen. Und wir brauchen weiter nichts als bloß Leute, die Mund und Herz am rechten Flecke haben. Wenn ich mich schon in keinen großen Hoffnungen wiege, so freue ich mich immer- hin gewaltig auf die nächste Wahtkampagne. Wenigstens wird agi­tatortisch gefletscht werden, daß die Funken sprühen. Di« Situation ist für unS wie geschaffen. Fortschritts-Bankrolt, Elegestaumel- Katzenjammer, Jnvalidenfrage, Wohnungsfrage, Schuifrage, Milli­ardenfrage, Friedensfrage, Gründerfrage,Kulturkämpfe-Angelegen­heit, Fabrikantenbünde, Maßregelungen, Versolgungen, Schubsereien usw. werden ihr Scherflein zu unseren Gunsten beitragen. Somit konservier« ich meine Lungenflügel und wetze meinen Schnabel, um dereinst mit wahrer Wollust, wenn die Wahlschlacht tobt, fo manchen politischen Sumpfpiraten in den Grund bohren zu können. In Sachsen freilich werde ich direkt nicht lospauken können, allein es gibt anderwärts auch viele Leute, denen man die Bretter loslösen muß, welch« vor ihre Hirnkäflen genagelt sind. Aus Sachsen wurde ich nämlich polizeilich ausgewiesen, wiewohl sich die höheren In­stanzen noch nicht darüber ausgelassen haben, ob dieses Ding der gesetzlichen Unmöglichkeit auch durchgeführt werden soll, allein ich erwarte nichts Gutes, es ist mir aber auch ganzschnuppe", wie die Sache abläuft. Wenigerschnuppe", ja geradezu unbegreiflich ist es mir, daß zu diesem Akt...' der sanfte Julius" bisher nicht zu bewegen war, einen Kommentar zu liefern. Richtig, das Schönst« hätte ich bald vergessen: im Falle ich trotz Ausweisung wieder in Sachsen mich zeigen sollte, wurde mir aktenmäßig bedeutet, steckt man mich in«in Korrektionshaus!! Und auch darüber wird geschwiegen. Nun, wenn ich wieder frei bin, ist auch noch Gelegenheit zum---. Im allgemeinen befinde ich mich sehr wohl und bin bei aus­gezeichnetem Humor. Jetzt lebe wohl, grüße alle Insassen des So­zialistenseminars und sei auch Du bestens gegrüßt von Deinem Joh. Most. Mir kam der Gedanke, daß ich mich auch als Gesangencr in sehr nützlicher Weise an der Wahlagitation beteilige» könnte durch Abfassung einer Broschüre über die bisherige Tätigkeit des Reichstags, die den Kandidaten und Agitatoren der Partei das nötige Material liefere. Gedacht, getan. Die Broschüre er­schien rechtzeitig unter dem Titel: Die parlamentarische Tätig­keit des Reichstags und der Landtage und die Sozialdemokratie " Di« Slelle wurde durch den Komrollbcamten gestrichen. " Vahlteich. Most beschuldigte Vahlteich, daß er seine tiandldatur istr ben Reichtlag in Chemnitz unmöglich zu machen suche und die Verössei»- lichung verschiedener Milteilungen für dieChemnitzer Freie Presse" miicr- drückte.