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Die Gleichheit
längeren Gespräch machte der Aufseher ein Ende. Er bedeutete mir, daß der Friedhof geschlossen werde.
Langsam schritt ich dem Ausgang zu. Die Sonne neigte sich zum Untergang, ich mußte an den Heimweg denken. Vor meiner Seele stand das alte gebückte Mütterchen mit dem sorgenverwetterten, vergrämten Gesicht. Alles an ihr redete von einem harten Leben der Arbeit. Und wie würden nun die letzten Tage der Armsten sein? Die Stütze der Alten, ihre Hoffnung auf einen milden Lebensabend, sie ist nicht mehr. Ich dachte der Zärtlichkeit, mit der die Mutter einst am Bette des Knäbleins gestanden, der Fürsorge, mit der sie es auferzogen. Und der Knabe war ein Mann geworden. Ein fleißiger und rechtschaffener Mann. Er hatte treulich für seine alte Mutter gesorgt. Vorbei war alles. Warum? Weil ein unerbittliches Natur gesetz es so wollte? Ach nein! Weil der Menschen Goldgier einen vorzeitigen Tod heraufbeschworen hatte. Der Tote war ein Proletarier. Er frondete unter der Geißel der fapitalistischen Ausbeutung. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Das Kommandowort des Herrn treibt den Abgerackerten zu hastigem Schaffen. Müdig keit und Eifer verschließen sein Auge vor der drohenden Gefahr. Sein Schicksal ereilt den Mann. Nun hat er Feierabend, für immer. Die Mutter aber weint und hungert. Der Herr fragt nicht nach dem Verunglückten, dem Toten. Der bringt ihm feinen Profit mehr. Der Herr fährt spazieren, während die Arbeiter ihren Kameraden zur letzten Ruhe betten. Es kümmert ihn nicht, ob die Mutter heute und morgen zu essen hat. Versammlungen dürfen, seine Arbeiter" nicht besuchen. Das Wissen könnte sie beschweren. Die Aufklärung würde sie flüger machen, als der Profitgier des Herrn lieb ist. Knechtsinn ist die„ Tugend", die sie zieren soll. Also ist des Herrn Wille, und sein Wille ist Befehl. Proletarierlos in dieser besten aller Welten!
Unter bitteren Gedanken verfolgte ich in der Abenddämmerung meinen Weg, bis ich wieder unter Menschen fam, die zur Stadt zurückzogen. Manche von ihnen gingen an mir vorüber, deren Ges sichtern das Brandmal der Knechtseligkeit aufgedrückt war. Die kurze Sonntagsfreude hatte es nicht zu tilgen vermocht. Aber ich sah auch andere, die hochaufgerichtet einherschritten. Auf ihre Stirnen hatte die Erkenntnis ihre leuchtenden Zeichen geschrieben, und ihre Blicke waren fest und fühn geradeaus gerichtet. Manchmal nickten zwei einander zu, und es war dann, als ob der stumme Gruß von einem Einverständnis und einer großen Hoffnung redete. Nicht fern von der Bahnstation, wo meine Wanderung ein Ende nahm, brauste Stimmengewirr aus einem großen Saale. Dort mußten viele beieinander sein. Plöglich bekamen die Stimmen Gleichklang. Eine Melodie flog in die Abendstimmung hinaus, auch helle Frauen stimmen sangen mit. Mahnend und stürmisch, jubelnd erscholl es: Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet,
Zu unsrer Fahne steh' zuhauf,
Ob auch die Lüg' uns noch umnachtet, Bald steigt der Morgen hell herauf."
Ich schüttelte ab, was mich drückte. Was die Kirchhofsszene einen Augenblick in den Hintergrund gedrängt hatte, das stand wieder lebendig vor mir. Proletarierlos heißt nicht bloß leiden, es heißt auch fämpfen. Der einzelne fällt, die Gesamtheit fiegt. B. L.
Berichtigung. Der„ Betriebsunfallsteufel" hat seine Hand im Spiele gehabt, um uns im Leitartikel der letzten Nummer einen bösen Streich zu spielen. In dem Saße, der von dem Steigen der Lebens mittelpreise und Löhne in Essen handelt, sind einige Worte ausge fallen. Dadurch wird zwar an dem Sinn des Sages und insbesondere an dem Nachweis nichts geändert, daß die Lebensmittelpreise in der Konsumanstalt Krupp um 8,63 Prozent in die Höhe gegangen sind, die Löhne aber nur um 3 Prozent. Immerhin aber könnte der verstümmelte Satz zu Mißverständnissen Anlaß geben. Wir lassen ihn daher vollständig folgen:
,, Der Verteuerung des wöchentlichen Nahrungsbedarfes um 1,69 Mark oder um 8,63 Prozent steht aber nur eine Lohnsteigerung um 0,16 Mt. täglich, das ist um 0,96 Mt. wöchentlich oder um rund 8 Prozent gegenüber." In voriger Nummer fehlten die gesperrten Worte.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. Zu einer mächtigen Demonstration ge stalteten sich zwei Frauenversammlungen in Nürnberg und Fürth , in denen Genossin Bettin über„ Die Lebensmittelteuerung und die Bedeutung der nächsten Reichstagswahlen für die Frauen" referierte. An die tausend Frauen nahmen an der Nürnberger Versammlung teil, nur wenige Männer fanden in dem dichtbesetzten Saale noch einen Stehplay. Ein Aufleuchten ging über die müden
Nr. 3
Gesichter der Proletarierinnen, als Genossin Zetkin darlegte, daß Menschen die Teuerung beseitigen können, die Menschen aus Selbst sucht und Profitgier geschaffen haben. Eingehend zeigte die Refe rentin, daß die Teuerungspreise fünftlich erzeugt wurden und welches ihre Ursachen sind. Ganz besonders hob sie ihren Zusammenhang mit dem Rüstungswahnsinn der besigenden Klassen hervor. Brausender Beifall ertönte, als die Referentin mit der Aufforderung an die Frauen schloß, den Sieg der Sozialdemokratie bei den Reichs tagswahlen vorzubereiten, der ein neuer Schritt nach dem Ziele sei: dem Lande der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit! In der Diskussion fritisierte Genoffin Grünberg Ausführungen des Gemeindebevollmächtigten, Meggermeisters Weinberger, über die Fleischteuerung und das Verhalten der Gemeindeverwaltung. Die Stadt Chemnitz hat 80000 Mt. für Einlauf und billigen Verkauf von Kartoffeln bewilligt, Nürnberg aber nur ganze 3000 Mart bei einer Bevölkerung von 350000 Personen. Außerdem findet der Verkauf der Kartoffeln in Nürnberg an einer entlegenen Stelle statt, dem Gaswert, in Mannheim dagegen auf den Straßen. Auch in besseren" Kreisen werde über die Teuerung geflagt, und ihre Folgen lasse man dort besonders die Dienstmädchen fühlen. Die Rednerin machte auf die Vorteile aufmerksam, die der Konsum verein bietet, der auch mit der Brotverbilligung bahnbrechend vorgegangen ist. Sie ermahnte die Frauen, das Ihrige dazu zu tun, daß den Freifinnigen bei den Gemeindewahlen am 30. November ebenso wie bei den Reichstagswahlen die richtige Antwort dafür gegeben werde, daß sie ernste tommunale Wlaßregeln zur Betampfung der Teuerung abgelehnt haben. Genossin Grünberg wies am Schlusse ihrer mit großem Beifall aufgenommenen Ausführungen die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisation nach und forderte zum Eintreten in den sozialdemokratischen Wahlverein auf. Viele Frauen beherzigten diese Mahnung. Auch in Fürth nahm die Versammlung einen prächtigen Verlauf. Eine Diskussion fand hier nicht statt. +
Um gegen die Lebensmittelteuerung zu protestieren, wurden in einigen Orten des Regierungsbezirks Magdeburg Versammlungen abgehalten, in denen die Unterzeichnete referierte. Da in Ummen dorf der Partei kein Lokal zur Verfügung steht, sollte die Vers sammlung in einem Garten abgehalten werden. Der Amtsvorsteher versagte jedoch die Genehmigung dazu, da die Zugangstraße die zu erwartenden Massen nicht fassen könne. Die Straße hat eine Breite von 6 bis 8 Meter! Als dann die Versammlung in einer leerstehenden Stube angemeldet ward, versagte der Amtsvorsteher die Genehmigung mit der Begründung, daß in den anliegenden Gehösten die Maul- und Klauenseuche herrsche. Die Warnungstafeln, die Seuche betreffend, waren schon vier Wochen früher entfernt worden! In dem Bewußtsein, das Recht auf ihrer Seite zu haben, ließen sich die Ummendorfer Genossen die Versammlung nicht illusorisch machen. Sie sorgten dafür, daß die Maßnahmen des Dorfgewaltigen zur besten Agitation für die Veranstaltung wurden. Da sich die Stube natürlich als viel zu klein erwies, um die Erschienenen aufzunehmen, mußte die Versammlung nach dem Garten verlegt werden und gestaltete sich hier zu einer wirkungsvollen Kundgebung gegen die Versuche der Behörden, den Arbeitern die Wahrheit über die gewissenlose Kriegsheße und die schamloje Ausplünderung des Volkes vorzuenthalten. In Rogäy, Neuhaldensleben, Förderstadt und Stendal erfreuten sich die Versammlungen gleichfalls eines guten Besuchs, besonders zeigten die Frauen durch ihr zahlreiches Erscheinen, daß sie Mittel und Wege kennen lernen wollten, sich gegen überteuerung schüßen zu können. Eine große Anzahl Aufnahmen für die Partei, Bestel lungen auf die Parteipresse des Bezirks und die Gleichheit" be wiesen, daß die Ausführungen der Referentin auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Noch in einem anderen Bezirk sanden Agitationsversammlungen statt. In Sangerhausen , Kelbra , Gonna und Artern behandelte Unterzeichnete das Thema„ Arbeiterhaushalt und Steuerlast". Die Versammlungen waren gut besucht, nur in Gonna nicht, wo es an einem Lokal fehlte und schlechte Witterung die Veranstaltung unter freiem Himmel ungünstig beeinflußte. Auch durch diese Agitationstour wurden der Partei Witglieder zugeführt sowie der„ Gleichheit" und der übrigen Parteipresse neue Abonnenten gewonnen. Angesichts des kommenden Reichstags= wahlkampfes ist es ganz besonders erfreulich, daß der Lesertreis der örtlichen Parteizeitungen ein immer größerer wird.
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Vom Hamburger Arbeiterbildungswesen. Hamburgs Ar beiterbildungswesen weckt schöne Hoffnungen. Die Wahl seiner Leitung hat sich als glücklich erwiesen, und der Lerneiser der Genoffen und Genossinnen, die gleichmäßig von der Partei und den Gewerkschaften zu den Bildungskursen delegiert werden, läßt eine