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Die Gleichheit
in der Schwächlichkeit und Kränklichkeit der Kinder vor Augen. Soll dem törperlichen Verfall großer Schichten der Arbeiterklasse gesteuert werden, so müssen die gesellschaftlichen Gewalten, so muß Staat und Gemeinde eingreifen. Zum Schuße von Müttern und Rindern muß ein ganzes System ineinandergreifender sozialer Fürs forgemaßregeln geschaffen werden. Der Schutz des Kindes fängt bei der Mutter an, und der Schutz der Mutter bereitet den Schutz 1. h. f. des Kindes vor.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
Für die Ausbreitung der sozialistischen Jdeen in Auftralien wirkt seit dem vorigen Jahre Genoffin Dora Montefiore mit all der Begeisterung und Hingabe, die sie früher in England in den Dienst des proletarischen Befreiungskampfes gestellt hat. In Melbourne , Sydney , Wellington und anderen Orten des englischen Kolonialreichs im fernsten Osten ist sie mit Wort und Schrift tätig, die arbeitende Bevölkerung um das Banner des internationalen Sozialismus zu scharen. Sie hält Vorträge vor den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen, spricht in öffent lichen Versammlungen und bei Straßenmeetings, und sie beteiligt sich an den Konferenzen der Arbeiterpartei. Vor einem wissens schaftlichen Forum, vor dem Kongreß der Universität zu Sydney , hat sie die Sache des ausgebeuteten Proletariats verteidigt. Als der Redakteur des„ International Socialist"( ,, Der Internationale Sozialist"), Genosse Holland , plöglich schwer ertrantte, sprang Ge nossin Montefiore hilfsbereit für ihn ein und übernahm zeitweilig die Leitung des Blattes, das in Sydney erscheint. Natürlich läßt sich unsere Genossin besonders angelegen sein, die Frauenfrage vom sozialistischen Standpunkt aus zu behandeln und die Frauen für den Sozialismus zu gewinnen. Genossin Montefiore hat früher schon in Australien gelebt und gehörte dort zu den ersten Frauen, die für das volle Bürgerrecht des weiblichen Geschlechts eingetreten sind. Ihre Tätigkeit ist ein schöner Beweis dafür, daß die Sozia listen überall ein Vaterland haben, wo sie für das Jdeal arbeiten können, das ihrem Leben Richtung und Ziel gibt.
Verschiedenes.
H
Wie sich in bürgerlichen Köpfen die proletarischen Ver. hältnisse malen. Als ich Anfang September mit einer Ge nossin von Frankfurt nach Jena zur Frauenfonferenz fuhr, ge sellte sich in Bebra eine Reisegefährtin zu uns. Wir zwei Genosfinnen unterhielten uns darüber, wie es in Jena werden würde. Als die Dame merfte, wovon wir sprachen, knüpfte sie eine Unters haltung mit uns an, fragte, was wir in Jena beraten wollten und dergleichen mehr. Ich gab zur Antwort, wir wollten darüber berat schlagen, wie den Armen geholfen werden könne. Arme Leute gibt es nicht," entgegnete die Dame überlegen, das heißt, wenn es welche gibt, so sind sie selbst an ihrer Armut schuld." Wir versuchten, ihr klarzumachen, daß heute die Armut eine Massenerschei nung ist, welche durch die kapitalistische Ausbeutung der Arbeiterflasse erzeugt wird.„ Nein," antwortete fie, die Leute werden arm vom Faullenzen, vom guten Essen und Trinken. Ich war einmal bei armen Leuten, die hatten Hasenbraten auf dem Tisch!" Denkt euch, Proletarierinnen, Hasenbraten auf dem Tisch von armen Schluckern! Welch ein Verbrechen wider die Natur und die göttliche Ordnung! Die Hasen laufen doch nur für die Reichen herum! Wo mögen übrigens die Herren von Habenichts zu finden sein, die heutzutage Hasenbraten schmausen? Pferdefleisch ist sicher häufiger auf ihrem Tische zu finden,
Unsere Reisegefährtin entpuppte sich schließlich als Arbeitgeberin. Sie erzählte, die bei ihr beschäftigten Arbeiter seien sämtlich gut gestellt; sie verdienten 3 Mk. am Tag. Jeder von ihnen habe ein Häuschen und Feld, und von den 3 Mt. blieben schöne Ersparnisse übrig. Ich fragte nach den Lebensmittelpreisen, denn ich sagte mir, wenn eine Familie bei 3 Mt. Tagesverdienst des Mannes noch etwas sparen fann, so muß doch der Lebensunterhalt recht billig sein. Aber es war nicht so. Das Pfund Butter kostet in dem be treffenden Ort 1,60 Wit. usw. Wenn wirklich Familien bei dem an gegebenen Verdienst nicht hungern, wenn sie etwas auf die hohe Kante legen, so ist das nicht hohem Lohn" und besonderer Spars samkeit zu verdanken. Nein, der Besiz von Haus und Feld hält die Not fern. Die Arbeit, die dort von dem Manne vor Tagesanbruch und nach Feierabend geleistet wird, bei der Frau und Kinder sich plagen, die macht es möglich, daß die Familie sich recht und schlecht durchbringt. So wird die Ausbeutung des Mannes bei der Berufsarbeit verdeckt. Aber das sind Tatsachen und Vers fnüpfungen, für die unsere Reisegefährtin schlechterdings keinen
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Nr. 3
Sinn hatte. Wir hätten sie ebensogut einer Wand darlegen können. In einem nur waren wir mit der Dame einig: daß die Arbeiter feinen Schnaps trinken sollen. Aber die Leserinnen dürfen nicht etwa glauben, unsere Reisegefährtin sei wie wir der Überzeugung gewesen, daß der Alkohol schädlich ist. Beileibe! Sie selbst stärkte fich ja gelegentlich aus einem Fläschchen, wenn unsere Unterredung fie allzusehr angegriffen und erregt hatte. Aber nach ihrer Meinung gehört der Altohol wie der Hafenbraten zu den Dingen, die nur für den Magen ,, befferer Leute" taugen. Wenn die Arbeiter Schnaps trinken, so tun sie, was ihrem Stande nicht zukommt". In dem Hochhinauswollen" und der„ Genußsucht" der Proletarier erblickte die Dame die Wurzel alles sozialen Übels im allgemeinen und des Elends der Werftätigen im besonderen. Daher kommen nach ihr auch die vielen Streits. Hatten sich nicht im Wohnort unserer Reisegefährtin die Maurer einfallen lassen, zu streifen, um eine Erhöhung des Stundenlohns von 50 auf 55 Pf. durchzudrücken! Aber sie fanden mit wem zu tun! Die Maurermeister zahlten jüngeren Streifbrechern 70 Pf. pro Stunde. Nur nicht flein beigeben, Knecht muß Knecht bleiben". Ich wollte der Dame flar machen, daß und warum die Leistungsfähigkeit des Arbeiters bei hohem Lohn und furzer Arbeitszeit steigt. Aber natürlich predigte ich tauben Ohren. Die Klaffenlage der Besitzenden zieht in der Regel ihrem Ver ständnis enge Grenzen. Was die Proletarier aus ihren Lebens verhältnissen heraus im Nu begreifen, das bleibt den meisten Bürgerlichen unverständlich.... Inzwischen hatte unser Zug Weimar erreicht, wo wir uns von der Dame trennten nicht mit schwerem K. O. Herzen.
Daß die Profitgier das Gewissen tötet, ist eine alte Er fahrung, die täglich in dieser unserer göttlichen" Ordnung aufs neue bestätigt wird. In dem langen Rapitel solcher Erfahrungen ein Beitrag, der die Moral jener Kreise beleuchtet, die sich so gern ihrer höheren Kultur rühmen. Gine Gerichtsverhandlung enthüllte, daß die Gewinnsucht zu unerhörten Zuständen in den Mol. fereien Groß- Berlins geführt hat. Wegen Beleidigung hatte sich ein Redakteur des„ Rixdorfer Tageblatts" vor der dritten Straf fammer zu verantworten. Er war angeklagt, die Geschäftsführer der " Interessengemeinschaft Märkischer Milchproduzenten" durch den Ausdruck„ Milchpantscherei" beleidigt zu haben. Als im vorigen Jahre die Maul- und Klauenseuche in Berlin und Um gegend grassierte, hatte die Genossenschaft an ihre Mitglieder eine " Belehrung" erlassen. In ihr wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die Wilch seuchenkranker Tiere nur dann abgegeben werden dürfe, wenn sie vorher auf 90 Grad erhigt worden sei. Die Ge noffenschaft ftefte zu diesem Zwede Apparate und Kessel zur Ver fügung. Der Redakteur hatte in einem Artikel den einzig richtigen Standpunkt vertreten, daß im Interesse der Volksgesundheit überhaupt nicht gestattet sein dürfe, die Milch von seuchentranten Kühen in den Handel zu bringen, denn das sei Milchpantscherei. Diesen Ausdruck bezogen die drei Geschäftsführer der Interessengemein schaft" auf sich und verklagten den Redakteur. In der Verhandlung ließ sich nun Geschäftsführer Krause eine aufsehenerregende Mit teilung entschlüpfen. Er erklärte, daß im vorigen Jahre fast sämt liche Molkereien Groß- Berlins verseucht gewesen seien. Ein großer Teil der Milch aus den verseuchten Ställen wurde aber nichts. destoweniger umabgefocht in den Handel gebracht. Um dieser geseg widrigen Handlung entgegenzutreten, sei die„ Belehrung" erlassen worden. Man bedenke, was die mit dürren Worten festgestellte „ Geschäftspraxis" der Molkereien bedeutet! Nicht mehr und nicht weniger als ein Attentat gegen die Gesundheit großer Bevölte. rungsfreise. Wie vielen Säuglingen, schwächlichen und franken Kindern mag doch die verseuchte Milch zu einem Gift geworden fein. Die Verhandlung endete mit einem Vergleich, in dem der Beklagte erflärte, daß sich der Ausdruck Milchpantscherei" nicht auf die Intereffengemeinschaft" beziehen sollte. Ob sich wohl ein Staatsanwalt finden wird, der gegen die gewiffenlosen Profitjäger einschreitet? Haben sie doch durch ihre Praftifen die Gesundheit Tausender gefährdet und wahrscheinlich vieler geschädigt, nur um den eigenen Beutel zu füllen. Ein Narr wartet auf Antwort. Wir leben in Preußen- Deutschland nicht nur in der besten aller Welten, sondern obendrein im Reiche der gottgewollten Abhängigkeiten" der öffentlichen Gewalten von Juntern und Juntergenossen. An den Profit der Herren Agrarier rühren, wäre schlimmer als alle fieben Todsünden zusammengenommen. Für diese Herren und was zu ihnen gehört, wachsen bei uns im Reiche nur Extragewinne durch Zölle, Einfuhrscheine, Liebesgaben und indirette Steuern. 1. h. f. Zum Handel mit verseuchter Milch die Teuerungspreise!
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