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Die Gleichheit
den Ausgaben für das Heer, die Marine, die Kolonien und was damit zusammenhängt, werden aus dem Ertrag der in direkten Steuern und Zölle bestritten. Das besagt nichts anderes, als daß sie in der Hauptsache den breiten Massen des arbeiten den Volkes aufgehalft werden. Wie wir schon andeuteten, wird in der Folge der Konsum des Volkes eingeschränkt, seine Lebenshaltung verschlechtert, die Menschenkultur herabgedrückt, aber auch die übrige Kulturentwicklung hintangehalten. Das hängt so zusammen: Die Unternehmer können durch ihre Kartellierung eine Monopolstellung erhalten, denn ihr Zusammenschluß schaltet die Konkurrenz im Inland aus. Die Zollmauern schützen fie außerdem vor der Konkurrenz des Auslandes. Die Herren find also in der Lage, die Preise, und zwar sehr hohe Preise, diftieren, ihr Profitbedürfnis ausgiebig befriedigen zu können. Der Profithunger, der bei freier Konkurrenz zum Agens, zur treibenden Kraft technischer und sonstiger Verbesserungen des Produktionsverfahrens wurde, ist damit teilweise ausgeschaltet und unwirksam geworden. Die Weiterentwicklung ist zwar nicht gehindert, aber gehemmt.
Zu dieser Hemmung der Entwicklung der Produktionsmittel und der Produktionsmethoden kommt die der Produktion selbst. Einige Beispiele mögen es illustrieren. Die Kartellierung der Kohlenbarone bewirkte, daß die deutsche Kohlenproduktion ganz allgemein eingeschränkt wurde, die Kohlenknappheit sollte es erleichtern, die Preise hinaufzuschrauben. Die Folge waren Feierschichten für die Arbeiter und das berüchtigte Stillegen von Zechen. Das Zechenlegen vernichtete Wohlstand und Entwicklungsmöglichkeit ganzer Ortschaften, zerstörte die Existenz vieler Arbeiter. Viel Kohlenreichtum blieb ungehoben im Schoße der Erde, die Zechen liefen voll Wasser und verfielen. Die Rohlenbarone aber heimsten ungeheuren Profit mühelos ein. Ein anderes Bild: Der Eisen- und Stahltrust bringt dank dem Eisenzoll hier in Deutschland das wichtigste industrielle Roh material, das Eisen zu hohen Preisen in den Handel; den Überschuß verlauft er zu Schleuderpreisen ins Ausland. Die Folge ist, daß Eisenwarenfabriken, zum Beispiel Maschinenfabriken, die für den Export arbeiten, ihre Betriebe ins Ausland verlegten, um daselbst deutsches Eisen zu billigeren Preisen erstehen zu können. Genau so ging es mit den Werften. Auf niederländischen Wersten wird ein Teil deutscher Kauffahrteischiffe gebaut, weil die Eisenteile im Ausland billiger zu haben sind als in Deutschland , wo das Eisenerz gewonnen und in Hochöfen und Walzwerken verarbeitet wird. Die Leidtragenden sind die Arbeiter. Der„ Schutz nationaler Arbeit", wie ihn das „ bewährte Wirtschaftssystem" der Herrschenden bietet, nimmt ihnen die Arbeitsgelegenheit. Ihren Ausbeutern dagegen häuft er neue Schäße, stärkt er die wirtschaftliche Macht, die sie nüßen, um der Arbeiterschaft das Koalitionsrecht in Wirklichkeit zu rauben. Daneben gebrauchen die Herren auch noch ihren politischen Einfluß, der mit dem enormen Besitzstand steigt, um die gesetzliche Estamotierung des Koalitions- und Streifrechts durch zusetzen und aus den Bestimmungen zum Schutze der Arbeiter " weiße Salbe" zu machen.
Genau in derselben Weise wirkt die agrarische Zoll- und Liebesgabenpolitif. Schon oft wurde erörtert und zahlenmäßig nachgewiesen, wie die hohen Getreide, Fleisch- und Viehzölle in Verbindung mit den Grenzsperren, den Einfuhrverboten und den schifanösen Einfuhrbestimmungen preissteigernd wirken, wie sie die Lebenshaltung der Minderbemittelten schädigen. Wir wollen heute nur an die eine harte Tatsache erinnern, daß in der Folge das Kilo Brot um 6 bis 6,5 Pf. und das Kilo Fleisch um 35 Pf. verteuert wird. Es soll nicht die Rede sein von der Wirkung des Butter- und Margarinezolls, der Zölle auf Graupen, Grüße, Hülsenfrüchte, Mehl, Backobst, Kaffee, Tee, Tabat, Salzheringe, Petroleum usw., von der fünstlichen Preissteigerung durch die indirekten Steuern auf Zucker, Salz, Bier, Branntwein, Streichhölzer usw. Dagegen seien einige besondere Züge der deutschen Zollgesetzgebung und ihre unheil vollen Folgen beleuchtet. Zunächst das System der Ein suhrscheine. Nachdem der Identitätsnachweis bei der Ausfuhr von Getreide aufgehoben worden ist, wurde es zu einer
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ansehnlichen Ausfuhrprämie für deutsches Getreide. Bei der Ausfuhr jedweden Getreides erhalten die exportierenden Großgrundbesitzer an der Grenze den„ Einfuhrschein" über eine so hohe Summe, als der Zoll betragen würde, der bei der Einfuhr der gleichen Menge des Getreides zu zahlen gewesen wäre. Dieser Schein ist gleichwertig barem Gelde in derselben Höhe. Er fann verkauft oder es kann dafür Getreide, Kaffee oder Petroleum zollfrei eingeführt werden. 100 bis 130 Millionen Mark haben die deutschen Großgrundbesitzer in den Jahren 1909 und 1910 auf diese Weise aus der Staatskasse als Extragabe erhalten. Solche Ausfuhrprämie reizt natürlich zur Kornausfuhr, die just bei reichen Ernten so lange erfolgt, bis der deutsche Markt so weit vom Getreide entblößt ist, daß der steigende und steigende Preis dafür die Höhe des Weltmarktpreises plus Zoll erreicht. In den besten Erntejahren müssen wir in Deutsch land den höchsten Brotpreis zahlen. Das ist der schlimmste Brotwucher, den man sich denken kann, denn die arbeitenden Massen müssen ihn buchstäblich mit ihrem Hunger bezahlen. Staat und Konsumenten werden zugunsten der Junker, der schlimmsten Reaktionäre und Arbeiterfeinde ungeheuerlich belastet!
Die Branntweinliebesgabe für die großen Brenner, die auf Grund des Kontigentierungsgesetzes jährlich 40 bis 44 Millionen Mart beträgt, fließt gleichfalls hauptsächlich in die Taschen der Junker und ihrer Freunde. Noch nicht lange ist es her, daß auch die Zuckerbarone eine Liebesgabe erhielten in Gestalt der Zuckerausfuhrprämie. Erst durch die Brüsseler Zuckerfonvention ist sie beseitigt worden. Die Verbrauchsabgabe für Zucker beträgt aber immer noch 14 Pf. pro Kilo. Wir haben früher schon einmal in diesem Blatte eingehend die schädigenden Wirkungen der Verbrauchsabgabe und der Ausfuhrprämien nachgewiesen. Die Abgabe verteuerte stark den Zucker und verminderte seinen Verbrauch, der für die Volfsernährung so wichtig ist. Zusammen mit der Ausfuhrprämie bewirkte sie, daß sich in England dank dem eingeführten billigen deutschen Zucker eine blühende Industrie eingemachter Früchte, Marmeladen usw. entwickelte, in der viele Tausende Männer und Frauen Beschäftigung finden. Also der„ Schutz der nationalen Arbeit" bestand auch in diesem Falle darin, daß die Arbeitsgelegenheit aus dem Lande getrieben ward.
Doch noch in anderer Richtung erweist sich der agrarische Schutzzoll als kulturhemmend: Er hält die Anwendung der landwirtschaftlichen Maschinen und wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in der landwirtschaftlichen Produktion zurück. Erklärlich genug: der Grund und Boden ist das wichtigste landwirtschaftliche Produktionsmittel, und dieses ist durch die Zollpolitit start verteuert worden. Ein Beispiel mag das zeigen. Nehmen wir an, daß vor der Einführung der hohen agrarischen Zölle der Ertrag eines Grundbesitzes sich jährlich auf 3000 Mr. stellte. Bei den geltenden Zollsägen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse ist er auf 3750 Mt. gestiegen: für die Wertbemessung des Grund und Bodens ist das nicht gleichgültig. Sie richtet sich nach dem kapitalisierten Ertrag bei Bu grundelegung von 5 Prozent Zinsen, die der jährliche Ertrag für das in Grund und Boden steckende Kapital abwerfen soll. Unser Grundstück war danach bei dem niedrigen Ertrag 61000 Mark wert, bei dem gestiegenen Ertrag jedoch 75000 Mt. In der Praxis hat das folgende Konsequenzen. Für ein Grundstück muß der Pächter einen höheren Pachtzins, der Käufer einen höheren Preis zahlen. Beide sind dadurch gezwungen, um exiftieren zu können, von vornherein mit dem höheren Ertrag rechnen zu müssen, der auf Grund der Zollsätze erzielt wird. Der eine infolge des höheren Pachtes, der andere infolge der höheren Hypotheken, mit denen er sein Land belasten mußte. Die stärkere Investierung des Kapitals im Grund und Boden, im wichtigsten Produktionsmittel der Landwirtschaft aber macht sich unheilvoll geltend. Namentlich bei weniger fapitalfräftigen Landbesitzern oder Pächtern hemmt sie die Einführung moderner Produktionsmittel: landwirtschaftliche Maschinen, die zudem durch industrielle Zölle( Eisenzoll) verteuert sind; erschwert sie die Anwendung der Chemie, der Elektrizi tät usw., durch die die Ergiebigkeit des Bodens enorm gesteigert