Nr. 6
-
-
Die Gleichheit
der gegnerischen Torheit oder Gemeinheit mit sicherer Meisterschaft das geschmeidige, funkelnde Florett zwischen die Rippen stößt. Der schneidige Kämpfer war zugleich ein ernster Forscher. Lafargue ging nicht in der Arbeit auf, das Gold des historifchen Materialismus in die kleinen Münzen umzuprägen, deren das Tagesleben der Partei bedarf. In geduldigem Studium strebte er danach, die Theorie des Sozialismus zu bereichern und zu klären. Seine Beiträge zur Geschichte der Urzeit, der Entwicklung der Moralbegriffe, der französischen Revolution und viele andere noch von denen wohl die meisten auch in der„ Neuen Zeit" erschienen sind ebenso sind ebenso beachtenswert wie seine literarischen Studien über Zola, Viktor Hugo usw. Wenn sie auch nicht immer den Gegenstand erschöpfen, weil die Probleme zu gradlinig und ohne ihre vielfach verschlungenen Verästelungen geschaut sind; wenn gelegentlich in ihnen der Hang zum Paradoxalen triumphiert, der von Lafargues geistiger Eigenart untrennbar ist, so haben sie doch stets gefesselt und oft Wertvolleres gegeben als eine lederne Wahrheit: die Anregung zu selbständigem Nachdenken und Forschen. Es sind Beiträge solcher Art, die Lafargue zu einem Lehrer des internationalen Proletariats erhoben haben.
Laura und Paul Lafargue waren durch seltene Harmonie verbunden. Laura stand an innerem Reichtum nicht hinter ihrem Gatten zurück, und was den tiefsten Inhalt seines Lebens ausmachte, das gab auch dem ihren Richtung und Ziel. Ihre bedeutenden Sprachkenntnisse, ihre große Belesenheit und wissenschaftliche Bildung, ihr kunstverständiger Sinn ermöglichten es ihr, Lafargue wichtige Hilfsarbeit zu leisten und waren ihm eine unversiegliche Quelle der Anregung und Selbstverständigung. Besonders wertvoll war es, daß Laura ihm die Kenntnis der deutschen sozialistischen Bewegung vermittelte, ihn mit deutscher Wissenschaft und Literatur vertraut machte. Selbständiges hat Frau Lafargue dadurch geleistet, daß sie deutsche Gedichte so von Heine- ins Englische übersetzte und Mary'„ Kritik der politischen Ökonomie" trotz der großen Schwierigkeit der Aufgabe meisterhaft ins Französische übertrug. Ungenannt hat sie gar manchen kleinen Artikel und manche Notiz für die sozialistischen Parteiblätter der ersten Zeit gefchrieben, meist über die Bewegung außerhalb Frank reichs . Rührend war die unermüdlichkeit, mit der sie in den achtziger Jahren Monate hindurch von Zeitungsfiost zu Zeitungsfiost ging, um durch Nachfrage nach dem Parteiorgan „ Le Socialiste" dessen Verbreitung zu fördern. Wie manchen ersparten Frank verausgabte sie, um das Blatt„ en gros" antzukaufen und dann unter die Arbeiter des äußeren„ Quartier Latin " zu verteilen. Aber ach! diese Kleinarbeit blieb so er folglos wie das Bemühen, mit Hilfe einiger Freundinnen durch Unterrichtskurse die Proletarierinnen der Partei zuzuführen. In ihrer festen Zuversicht auf den Sieg des Sozialismus ist Laura Lafargue durch die kleinen persönlichen Mißerfolge nicht crschüttert worden, ebensowenig in ihrer Überzeugung, daß auch die Frauen diesen Sieg mit erkämpfen müssen, als Vorbedingung ihrer eigenen Befreiung. Mit Freude verfolgte sie das Aufblühen der sozialistischen Frauenbewegung im Ausland, ganz besonders in Deutschland ; die ersten Jahrgänge der„ Gleichheit" enthalten einige Artikel von ihr. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Eleanore Aveling lag das Hinaustreten in die Öffentlichkeit, die starke Willensbekundung nicht in ihrer Natur, im stillen aber hat sie mit der gleichen Hingebung und Treue wie diese für den Sozialismus gewirkt.
Paul und Laura Lafargue waren vollsaftige Menschen, deren Eigenart der Sozialismus nur schärfer ausgeprägt hatte. Denn er war ihnen mehr als eine graue ökonomisch- historische Doktrin: der grüne Lebensbaum einer einheitlichen Weltanschauung voll duftender Blüten, mit denen sie sich freudig das Haupt bekränzten. Früh hatten sie sich zu jener abgeflärten Lebensweisheit durchgerungen, welche die besten Zeiten der Antife ausgezeichnet hat und deren Grundlage das Bewußtsein von der Einheit und dem ewigen Flusse alles Seins ist. Nicht demütige Zertnirschung, stolze Ruhe strömte ihnen aus der Erkenntnis zu, daß auch sie mur Atome seien in dem
85
unerschöpflichen, grenzenlosen All, Atome, die die Welle hebt und verschlingt. So werteten sie ihr Leben nicht nach vorgefaßten Schablonen, sondern nach dem, wie sie selbst es mit schöpferischer Hand zu formen verstanden. Und wenn auch ihnen dabei nicht alle Blütenträume reiften, so trugen sie das in der frohen Zuversicht, daß viele Geschlechter sich dauernd an ihres Daseins unendliche Kette reihen" und daß ihr ewiger Strom doch im Lande der Sehnsucht mündet. Die Stubengelehrsamkeit in Schlafrock und Pantoffeln lag ihnen ebenso fern wie das sich bewundernde ästhetentum; dürre Pedanterie lockte sie so wenig wie verzückte Aszese. Die bunte Welt mit ihren Höhen und Tiefen, ihren Schmerzen und Wonnen, ihren Schönheiten und Häßlichkeiten war ihnen ein unerschöpflicher Born des Genusses. Eine gesunde Freude am Leben erfüllte sie, und wenn sie dessen gute Dinge zu schäßen wußten, so trugen sie nicht minder seinen„ Unverstand" mit der Heiterkeit von Weisen. Sie waren beide Lebenskünstler im edelsten Sinne des Wortes.
Aus dieser ihrer Lebenskunst ist ihnen der Wille und die Freudigkeit zum gemeinsamen freiwilligen Tod erwachsen. Nicht als eine drückende Bürde oder ein verächtliches Gut haben sie das Leben von sich geworfen. Sie löschten es aus, weil sie wußten, daß seine Flammen so hoch und hell gebrannt hatten, daß nun kein trübes, qualmiges Schwälen folgen durfte. Das Beste, was sie gewesen, hatten sie gegeben, das Schönste, was sie genießen konnten, hatte sie erfreut. Sie konnten ihr Lebenswert und ihre Lebensfreude nicht dadurch verringern, daß sie zu dem Weniger grauer Alltäglichkeit herabstiegen, indem sie sich selbst überlebten. Sollen wir im Angesicht dieser Toten über die Leistungen jammern, die unseres Freundes rüstiges Alter der Partei vielleicht noch verheißen hätte? Ein Mann von der Vergangenheit und dem Wesen Lafargues durfte in dieser Gewissensfrage wohl sein eigener Richter sein. Der kleinen persönlichen Eitelkeit mag als Wertmesser der eigenen Bedeutung das Lob der anderen genügen; der große reine Ehrgeiz der Selbstlosen trägt die Maße dafür in Gestalt seiner Ideale in der eigenen Bruſt. Ziemt es sich, am Grabe dieser Tapferen über die erschütternde Tragit" ihres Sterbens zu klagen? Lassen wir doch endlich die Toten ihre Toten begraben, und haben wir den Mut zur Umwertung eines Wertes, den uns eine zweitausendjährige Knechtung des Geistes durch den kirchlichen Spiritualismus in die Seele gehämmert hat. Schenken wir unser Bedauern den Greisen, die der Tod endlich auf dein Krankenpfühl würgt, nachdem durch langsame Auflösung alles in ihnen erstorben ist, was ihr wahres Leben war. Verstehen wir die Stolzen, die in sittlicher Freiheit und Straft zu sterben wissen, che daß Leib und Seele verfällt. Paul und Laura Lafargue sind in unerschütterlicher Überzeugung von dem Siege des Sozialis mus von uns gegangen, sich selbst treu bis zum letzten. Sie haben in Schönheit gelebt, sie sind in Schönheit gestorben, ohne Pose, einfach und schlicht. Die Frommen mögen sie schelten, die Kleinmütigen sie bedauern, wir neigen uns in Freundschaft vor ihnen als vor Starken und Freien.
Die Teuerung.
Für die Lese- und Diskussionsabende. Von Käte Duncker .
2. Die Anarchie der Produktion.*
Jm vorigen Kapitel lernten wir die Rückständigkeit der deutschen Landwirtschaft, ihr Zurückbleiben hinter der industriellen Entwicklung als einen Grund der Teuerung kennen. Wir haben es aber hier nicht mit einer Tatsache zu tun, die etwa dem deutschen Wirtschaftsleben allein eigentümlich ist, sondern vielmehr mit einer Teilerscheinung der
Benußte Literatur: Hilferding , Finanzkapital. Marrstudien, 3. Band. Wien 1910, Verlag von Ignaz Brand& Co. Bauer, Mary' Theorie der Wirtschaftskrisen. Artikelfolge in der„ Neuen Zeit", 23. Jahrgang, 1. Band. Kautsky , Finanzkapital und Krisen. Artikelfolge in der Neuen Zeit", 29. Jahrgang, 1. Band.