Nr. 8

Die Gleichheit

gegenwärtig mehr denn je eine soziale Lebensnotwendigkeit für sie ist. Bedürfen sie seiner nicht allein schon, um die Ver­schlechterungen ihrer Lebenshaltung abzuwehren, die durch die agrarisch- kapitalistische Sollpolitik des Reiches herbei­geführt wird? Die Scharfmacher in Preußen eröffneten den Reigen, ihr Geschwister in Sachsen   und Hamburg   folgte nach, und in Bayern   war es das Zentrum, das die Landesregie­rung zum Naube des Koalitionsrechtes der süddeutschen Eisenbahner treiben wollte. Und das vor den Wahlen! Wie wird erst nach ihnen der Tanz der Reaktion losgehen!

Der dringend notwendige Ausbau des Arbeiter-, Arbeite­rinnen- und Kinderschutzes ist während der letzten Regis laturperiode faft ganz unterblieben, und soviel er in Angriff genommen ward( Behnstundentag für Arbeiterinnen, Heim­arbeiterschutz), beleuchteten die parlamentarischen Verhand­lungen grell die widerliche Arbeiterschutzheuchelei der Be­sitzenden, die vor jeder durchgreifenden Reform zurückhuften. Wie in der Neichsversicherungsordnung" die Interessen der arbeitenden Massen, insbesondere die der proletarischen Frauen und Kinder mit Füßen getreten sind, haben wir wieder und wieder in der Gleichheit" nachgewiesen.

Am parlamentarischen Kampf nicht teilnehmen zu dürfen, wo über unsere vitalften Interessen entschieden wird, das ist hart und empörend. Doch Proletarierinnen geziemt es nicht, zu klagen, sondern zu kämpfen. Die Empörung ob unserer Rechtlosigkeit muß neben dem Borne ob all dem übrigen Unrecht, das wir als Angehörige der Arbeiterklasse zu er­tragen haben, zum Ausdruck kommen in unserer intensiven, begeisterten und begeisternden Beteiligung am Wahlkampf. Dürfen wir gleich selber noch nicht wählen, so können wir doch Wähler werben, und je mehr wir für die Sozialdemo­fratie Wähler werben, desto früher wird auch der Zeitpunkt tommen, wo wir mit vollem Bürgerrecht ausgestattet am Wahlkampf teilnehmen und durch das, was weibliche Eigen art zu geben vermag, unser politisches Leben beeinflussen. Denn wo immer die Fahne der Sozialdemokratie entfaltet wird, da kämpft man auch treu für Frauenrechte. Darum auf, Genossinnen, nüßen wir noch die wenigen Tage, um im Interesse unserer selbst und unserer Klasse die Entscheidung des Wahltages zu beeinflussen. Ein glänzender Sieg der Sozialdemokratie! so muß die Entscheidung fallen.

Luise Ziez.

Für unser Bürgerrecht.

Wo und wann immer es in den letzten Jahren um die Demokratie, um das Recht des Volkes ging, dessen eine große Hälfte die Frauen ausmachen, da haben die bürgerlichen Par­teien des Reichstags kläglich versagt.

Als das persönliche Regiment 1908 durch seine Gesprächig felt das internationale Geschäft der industriellen, handelnden und spekulierenden Bourgeois gestört hatte, sollte es durch den Parlamentarismus fest an die Kandare genommen wer den. Also verkündeten unter großen, tönenden Phrasen die liberalen Blätter und Politiker. Liberale und Zentrümler ließen es im Reichstag bei den Kolophoniumbliken eines Theaterge­witters bewenden. Sie haben ihre Position nicht genützt, um die Machtfülle des Kaisers durch das Recht des Parlamentes, der Volksvertretung einzuschränken. Kanzler und Minister sind nach wie vor lediglich die Diener ihres allerhöchsten Herrn, der Lukanus bringt sie und trägt sie fort, ohne daß der be­schränkte Untertanenverstand über das Warum Aufklärung er­hält. Ihm muß es genügen, daß er die Steuergroschen zu sammentragen darf, um die Ministergehälter zu bezahlen. Und wie das Volk durch seine erwählten Vertreter nicht bei der Anstellung und Entlassung der höchsten Reichsbeamten ntitspricht, so sind diese ihm auch keine Verantwortung für ihre Amtsführung schuldig. Für den Liberalismus hat sich eine der selbstverständlichsten Forderungen eines wirklich konstitu­tionellen Staates zu einem so belanglosen Etwas verflüchtigt, daß die ganze und volle" demokratische Fortschrittliche Volks­

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partet in thr Einigungsprogramm nicht einmal den alten Grundsatz der süddeutschen Fraktion übernommen hat; die Ministerverantwortlichkeit.

Bei dem Finanzreformschwindel trug es das zartbefaitete Gemüt des Herrn Müller- Meiningen mit Gottergebung, daß dem Volke eine neue Steuer- und Zollast von 400 Mil­lionen aufgeladen werden sollte, aber es rebellierte in tiefster sittlicher Entrüftung gegen die unwürdige Erpresserpolitik", die Bedrängnis der Regierung auszunügen, um größere Rechte für das Volk zu erzwingen. Was Wunder da, daß in der berühmten Königsberger   Rede der Absolutismus   dreist wie je sein Haupt erhob und unter Mißachtung des Blattes Papier  ", das proletarische Rebellenfäuste Preußen eroberten, herausfordernd die Theorie von der Strone von Gottes Gnade allein" verkündete. Und hat nicht erst im letzten Sommer der Panthersprung nach Agadir  , hat nicht die Marokkopolitik des Länderraubs und Länderschachers mit ihrem Drum und Dran bestätigt, daß das Instrument des Himmels nicht bloß hinter dem Rücken, sondern auch auf dem Rücken des Volkes munter weiterspielt? Die bürgerlichen Parteien aber ließen die Aus­schaltung des Reichstags in den Tagen internationaler Gewitter­schwüle zu. Sie steckten die verfassungsgemäße Rechtsforderung in die Tasche, daß das Marokko- Kongo- Abkommen zwischen der deutschen   und französischen   Regierung zu seiner Gültig­feit die Zustimmung des Reichstags erhalten müsse.

Warum das alles? Weil die bürgerlichen Parteien ohne Unter­fchied der Regimentsnummer, die ihre Uniform trägt, am Ende doch lieber mit dem Junker Oldenburg gemeinsam dem Kaiser die Aufgabe zuweisen, einen Leutnant mit zehn Mann zur Auseinanderjagung der Volksvertreter zu kommandieren, als sie eine sozialdemokratische Majorität im Reichstag hinnehmen würden. Als politische Schutztruppe der Besitzenden ist ihnen der gewalttätigste," blutigste Umsturz" des Reiches von oben", der jeder fortschrittlichen Entwicklung Wege und Stege sperrt, das kleinere übel, verglichen mit der friedlichsten Macht­betätigung des Proletariats, die mit der Aufhebung des Privat­eigentums an den Produktionsmitteln alle Springquellen einer höheren Kultur erschließen wird.

Diese geschichtlich begründete Tatsache spricht auch aus der Stellung der bürgerlichen Parteien zur Frage eines wirklich demokratischen Wahlrechtes. Der Hauptschlacht dafür, die in der preußischen Wahlrechtskampagne geschlagen wird, sind fie feige ausgewichen, wenn sie den Kämpfenden nicht gar tückisch in den Rücken gefallen sind. Unverlöschlich bleibt das Verhalten der Zentrümler, Nationalliberalen und Fort­schrittler den proletarischen Massen ins Gedächtnis gebrannt, von den offenen konservativen Wahlrechtsfeinden nicht erst zu reden. Auch die bürgerlichen Demokraten geben im Reichstag das Recht der Arbeiter auf die Straße den Polizeiverfügungen und Polizeiknüppeln preis, und der süddeutsche Volksparteiler v. Payer segnete im Namen der Drdnung auf Vorschuß die Bajonette und Maschinengewehre, die die Regierung gegen die Wahlrechtskämpfer in Bereitschaft hielt. Und das, obgleich mur politische Bettler und Kinder Hoffnungsvolle Toren sein können, die ein demokratisches Wahlrecht in Preußen als Geschenk des Geldsackparlaments erwarten und nicht als den Preis von Massenkämpfen. Kein Sturm der Entrüstung hat im deutschen   Reichstag des allgemeinen Wahlrechts den Reichs­kanzler unmöglich gemacht, der als Ministerpräsident in Breußen hinter den Wällen des Dreiflassenhauses dieses Wahl­recht und die Demokratie in der verächtlichsten Weise ge­schmäht hatte. Aber freilich: im Grunde wird das allgemeine Reichstagswahlrecht selbst den bürgerlichen Parteien mit jedem Machtzuwachs unbequemer und verhaßter, den es den Meu­terern" wider die göttliche Ordnung der kapitalistischen   Profit­macherei verleiht. Daher hüten sie sich auch wie der Teufel vor dem Weihwasser vor einer Erweiterung des Reichstags­wahlrechts, welche die wirksamste Sicherstellung gegen die Umsturzgelüfte der Junker und Scharfmacher wäre.

Der Kapitalismus häuft in Großstädten und Industrie­zentren Riesenheere von Proletariern zusammen, die um einen