Nr. 9
22. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Prets der Nummer 10 Pfennig, durch die Doft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Dfennig. Jabres- Abonnement 2.60 Mart.
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Inhaltsverzeichnis.
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Der Zukunft entgegen. Jungdeutschland. Von Mathilde Wurm.- Bur Lage der Heimarbeiterinnen in der Hutfabritation. II. Von Johannes Heiden. Vom Proletarierhaushalt. Von E. L. Die Organisation der Arbeiterinnen im Buchbindergewerbe. Von Emil Kloth.
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Aus der Bewegung: Ein internationaler Gruß den deutschen Genossinnen zum Wahlsieg des 12. Januar. Von Helene Ankersmit. Die Genossinnen im Wahlkampf. Von der Agitation.- Von den Organisationen. Aus dem ersten Berliner Wahlkreis. Von R. R. Politische Rundschau. Von H. B. Gewerkschaftliche Rundschau. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Soziale Geseßgebung.- FrauenSoziale Gesetzgebung. Frauen stimmrecht. Frauenbewegung. Verschiedenes.
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Der Zukunft entgegen.
Die Hauptschlacht ist geschlagen, das eigentliche politische Treffen von geschichtlicher Bedeutung, in dem die sozialen Gegenfäße scharf, start zum Ausdruck kommen, die die treibende Kraft des politischen Geschehens sind. Und wahrhaftig: soweit es sich um die politische Entwicklung Deutschlands selbst handelt und nicht um ihr schwächliches, verfälschtes Abbild in der parlamentarischen Konstellation der Parteien, hat der 12. Januar mit wünschenswertester Deutlichkeit gesprochen. Er hat einen Sieg des revolutionären Sozialismus gebracht, wie er in der gegenwärtigen Situation glänzender nicht erhofft werden konnte, ja, wie er unsere kühnsten Erwartungen übertrifft. Dieser Sieg ist schon an sich wichtig genug, seine Bedeutung wird jedoch noch durch bestimmte Tatsachen erhöht. Diesmal wird auch der gehässigste Verkleinerer unserer Erfolge nicht behaupten können, die Sozialdemokratie habe es über ahnungslose, schlecht vorbereitete Gegner davongetragen. Und auch das nur dank einem Heere unklarer Mitläufer, die ihr als der schärfsten Oppositionspartei von der„ Verdrossenheit" über die Reichspolitik zugeführt worden seien. Ganz im Gegenteil! Was der Kolonialrummel im Zeichen der nationalen Sammlungsphrase der Sozialdemokratie 1907 an solcher Gefolgschaft entrissen hat, das hat ihr der diesmalige Wahlkampf sicherlich nicht zurückgebracht.
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Die Fußtritte, mit denen Konservative und Regierung die Liberalen die Fortschrittler inbegriffen aus dem bürgeraus dem bürgerliche Politiker alleinseligmachenden Regierungsblock hinausgeworfen hatten, waren nicht ganz wirkungslos geblieben. Nachdem der Liberalismus für die Reaktion so viel getan, daß ihm zu tun fast nichts mehr übrig bleibt, hatte er verwogen den Hut des Frondeurs auf den kahlen Schädel gestülpt und sich in die Pose der Opposition geworfen. So wenig das war, es genügte den bescheidenen Ansprüchen jener flein- und mittelbürgerlichen Streise, deren„ Stampf" gegen die Reaktion sich darin zu erschöpfen pflegt, mit der Faust dröhnend auf den Stammtisch zu schlagen und in vertrautester Runde Majestätsbeleidigungen zu flüstern. Die bürgerlichen Elemente aber, die als konsequente Verfechter eines grundsätzlichen Liberalismus dem Fortschritt eine Gasse brechen wollten, konnten sich um die„ Demokratische Vereinigung " scharen.
Zuschriften an die Redaktion der Gleichbets find zu richten an Frau Klara Zetkin ( 3undel). Wilbelmsböbe, Poft Degerloch bet Stuttgart . Die Erpedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
Daher ist unstreitig die Zahl der Wähler- zumal der bürgerlichen Wähler- gering gewesen, die ihres Winters Mißvergnügen über die Reichspolitik durch die Abgabe eines roten" Stimmzettels befunden wollten. Soweit die Ergeb nisse der Hauptwahl vorliegen, wird dies durch das Anschwellen der liberalen Stimmen bestätigt.
Das deutsche Bürgertum ist politisch regsam, aktiv gewesen, wie kaum je bei Wahlen. Allein seine politische Aktivität hat sich weit weniger gegen die vielberufene Junker- und Pfaffenherrschaft" gekehrt, als vielmehr gegen deren kraftvollsten und entschiedensten Feind: gegen die Sozialdemokratie. Nicht einmal der„ volle, ganze" Linksliberalismus ist in einheitlicher, geschlossener Front gegen rechts marschiert. Der Klassengegensatz zu den Rittern von Habenichts, die auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft nie Hütten bauen können, hat diese Front überall dort gesprengt, wo die Sozialdemokratie, als die Partei der Enterbten, als die Partei der sozialen Zufunftshoffnung in einer Stärke auf den Plan trat, die bürgerliche Mandate gefährdete. Das ist namentlich in Wahlkreisen in die Erscheinung getreten in die Erscheinung getreten so in Stuttgart , Frank furt a. M. usw., wo das„ liberale" Bürgertum von vornherein in den Wahlkampf mit der Losung zog: Sammlung gegen die Sozialdemokratie. Ebenso auch in den gewaltigen Industriegebieten von Rheinland, Westfalen, Sachsen , wo sich Liberale mit Konservativen, Zentrümlern, Evangelisch- Sozialen und noch anderen reaktionären Fraktionen gegenseitig Stichwahlhilfe zugesagt haben, um die verhaßte Sozialdemokratie zu werfen.
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Der Anschluß nach rechts vollzog sich glatt, im Zeichen des Imperialismus, dessen Ideologie der patriotischen Phrase den gleißenden Deckmantel lieh, unter dem sich alle bürgerlichen Parteien zu der einen reaktionären Masse gegen die „ vaterlandslose" Sozialdemokratie zusammenfanden. Konservative und sonstige unverhüllte Reaktionäre von rechts jauchzten der Politik des Rüstungswahnsinns und der Kolonialabenteuer lärmend und unter Säbelrasseln zu. Zentrümler und Liberale taten es, indem sie mit Friedenspalmen fächelten und vom Standpunkt der„ königlichen Kaufleute" und der " Hauptleute der Industrie" über„ Notwendigkeiten der deutschen Nationalwirtschaft" und der„ Stulturpflicht" ein langes und breites redeten, barbarische und halbbarbarische Völker„ an der Hand zu nehmen", eine erzieherische Tätigkeit, die durch die bluttriefenden Greuel der Kolonialgeschichte aller Länder fattsam illustriert worden ist. Im Wesen und in der Wirkung bleibt das natürlich trotz des verschiedenen äußeren Brimboriums gehupft wie gesprungen. Auf der ganzen Schlachtlinie mußte daher die Sozialdemokratie ihre schärfsten Waffen gegen die politischen Schußtruppen des Imperialismus richten, mochten sie von rechts oder von links her diesem unheimlichen Gesellen zuströmen. Der Zwang der geschichtlichen Umstände sorgte dafür, unwidersprochener wie die Theorie, daß für ihren Kampf ein„ Hüben und Drüben" nur galt.
Unter den 64 Mandaten 11 mehr als in dem großen Siegesjahr 1903, welche unsere Partei im ersten Wahlgang