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Die Gleichheit

Nr. 9

lasses vom 18. Januar in zweckdienlicher Weise für die Jugendpflege dienstbar gemacht werden."

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Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, für den besagt das: Das preußische Stultusministerium darf nicht offen und ehrlich gegen eine Sache sich wenden, die S. M. gut heißt und die von lauter treuen Vaterlandsstüßen getragen wird, an deren Spitze gar ein Mann steht, dessen Einfluß sehr weit­reichend ist. Aber in dieser Erziehung zur förperlichen Er­tüchtigung unserer Jugend"- wie es neuerdings so schön heißt sieht das verantwortliche geistliche Haupt Preußens nur ein Beiwerk, nicht die Hauptsache der staatsbürgerlichen Jugenderziehung. Kommt doch die körperliche Erziehung der Jugend, wie sie Freiherr von der Goltz fordert und durch feine Gründung praktisch propagiert, legten Endes den Forde rungen der Sozialdemokratie: Erziehung der Jugend zur allgemeinen Wehrhaftigkeit", bedenklich nahe. Scheidet man all die patriotischen Phrasen aus, so verlangt Goltz eine ge­funde Erziehung der deutschen Jugend. Daß der Jugend dabei schon der unbedingte Gehorsam mit Erfolg eingeimpft werden fönne, glaubt er wohl selber nicht. Es gibt kein Machtmittel, die freiwillig dem Bunde beitretende Jugend zum Gehorsam zut zwingen, denn bei allzu strenger Zucht bekommen selbst die vielversprechendsten jugendlichen Streber die Soldatenspielerei satt und laufen davon. Deshalb liegt dem preußischen Kultus­ministerium nicht sowohl an einer fräftigen Arbeiterjugend als daran, die Jugend zur Demut, zur Unterwürfigkeit zu erziehen. Die Fortbildungsschule soll in den Dienst dieser Jugenderziehung gestellt werden; sie soll die Arbeiter jugend geistig fnechten, sie zu Feinden der Klasse erziehen, der fie entstammen das ist Sinn und Zweck all der Jugend­fürsorge, die nicht den Kreisen der Arbeiterschaft entstammt.

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Aber nicht nur im Ministerium für geistliche Angelegen heiten findet Herr v. d. Goltz Widerstand, auch in den ihm nahestehenden Streifen des militärischen Drills ist man nicht durchweg begeistert von der ganzen Richtung. So schrieb ein Generalleutnant 3. D. v. Reichenau sehr scharf im Tag" gegen die neue Art der Jugenderziehung: Die jugendliche Soldaten spielerei erfüllt die Knaben nur zu leicht mit einer Eitelkeit und Überhebung, die den sonstigen Aufgaben der Erziehung hinderlich werden muß. Uniformen, Fahnen, Paraden, öffent­liche Bewunderung und Hurrabeifall bringen den Knaben falsche Begriffe über ihr Können und die Bedeutung ihrer Leistungen bei. Das ist ungesund, verdirbt den Charakter, tilgt die Harmlosigkeit kindlicher Auffassung aus und begünstigt die Neigung zur Großmannssucht, die der modernen Jugend ohnehin gefährlich ist. Das beeinträchtigt auch die aufmerk fame Hingabe an den Schulunterricht. Kann man erwarten, daß Knaben, denen noch die ihnen geltenden Hurras von gestern in den Ohren flingen, heute geneigt sein werden, sich aufmerksam mit wissenschaftlichen Dingen zu beschäftigen? Es taugt nichts, wenn Kinder an die Öffentlichkeit gezogen wer­den!" Das ist eine bittere Bille für den Herrn Generalfeld­marschall v. d. Golz, der mit seinem Jugendkorps in Uniform richtige Übungen" abhält, mit Schreckschußpistolen schießen läßt und sich alle Mühe gibt, seine Blauweiße Union" richtig Krieg spielen zu lassen!

Aber mögen die guten Patrioten ihre Meinungsverschieden heiten unter sich ausfechten; wir haben aus all diesen Dingen, auch aus dieser Neugründung Jungdeutschland", nur eine Lehre zu ziehen: Proletariereltern, wahret euer heifigstes Gut, eure Kinder! Unterschätzt nicht die Anstrengungen der bürger­lichen Jugendfreunde! Ihre Vereine wissen euren Kindern manches Verlockende zu bieten! Bei den herrschenden Klassen wächst in gleichem Maße mit der Furcht vor dem Umsturz", die nach Ausnahmegesezen gegen die Sozialdemokratie schreit und schon die Jugend in der Schule in staatserhaltende Vereine hineinzwingen will, auch das Bestreben, den profe­tarischen Nachwuchs durch Zuckerbrot zu gewinnen. Darum ist es die heiligste Aufgabe aller Proletariereltern, ihre Kinder in sozialistischem Geifte zu erziehen und die Schulentlassenen der freien Jugendbewegung zuzuführen. Nur wenn diese Pflicht

gewissenhaft erfüllt wird, werden eure Kinder nicht eines Tages eure Feinde sein, sondern Kämpfer für den Sozia­Mathilde Wurm. lismus!

Zur Lage der Heimarbeiterinnen in der Hutfabrikation.

Bon Johannes Seiden.

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II.

Niedrige Löhne, lange ausgedehnte Arbeitszeit, Nacht- und Sonntagsarbeit sind aber nur Glieder in der Kette von Not und Elend, die in sich geschlossen, die Heimarbeiterinnen fest umklammert hält. Eine fast unvermeidliche Folge der Heim­arbeit für die Hausfrau, die auch den Anforderungen des Haushaltes gerecht werden muß, ist frühe Erschöpfung und fortwährendes Stränkeln. Dieser Zustand begreift zwar nicht immer ernstliches Krantsein und Arbeitsunfähigkeit in sich, ist aber auch weit entfernt von voller Gesundheit und normaler Leistungsfähigkeit. Von 40 Heimarbeiterinnen, die Angaben über ihren Gesundheitszustand gemacht hatten, waren 23 mit einem törperlichen Leiden behaftet. Nicht in allen Fällen mag die Heimarbeit die Ursache der Erkrankung sein, weil für den allgemeinen Gesundheitszustand von hervorragendem Einfluß die Einkommensverhältnisse sind, die nicht allein durch die Heimarbeit geschaffen und bedingt werden, doch sind die zahl­reichen Augenerkrankungen 14 Heimarbeiterinnen waren augenleidend zweifellos auf die Heimarbeit zurückzuführen. Neben Erkrankungen der Augen waren hauptsächlich allge­meine Nervenleiden anzutreffen, deren Ursache wohl minde­stens zum Teil auch in der überanstrengung zu suchen ist, zu der die Heimarbeit führt. Die häufigen Erkrankungen der Heimarbeiterinnen sind von um so größerer Bedeutung, als viele dieser Frauen keiner Krankenkasse angehören. Es ist klar, daß die nichtversicherte Arbeiterin im Krankheitsfall nicht so schnell die Arbeit ausseßt, sich schont und Maßnahmen zur Wiederherstellung trifft wie die Arbeiterin, die der Kranken­tasse angehört, und die bei Krankheiten nicht nur ärztliche Hilfe und Heilmittel frei hat, sondern auch ein Krankengeld erhält, mag es auch gering sein. Die Folgen des Fehlens von Krankenfürsorge machen sich bei Frauen des Proletariats im allgemeinen schon mehr geltend als bei den Männern, bei den Heimarbeiterinnen natürlich ganz besonders.

Die Vorschriften der Gewerbeordnung über Arbeiterinnen­schutz, die die Fabrikarbeiterinnen wenigstens in bescheidenem Maße vor Gesundheitsschädigungen bewahren, existieren für die Heimarbeiterinnen nicht. Daß die Arbeit vielfach zur späten Abendstunde oder gar in der Nacht ausgeführt wird, erwähnten wir schon. Sie wird aber auch oft in ungeeigneten Räumen verrichtet, fast immer in einem Raum, der noch zu anderen Zwecken benutzt wird, häufig in der Küche. Für die Heimarbeiterinnen fehlt es sowohl während der Schwanger­schaft wie des Wochenbettes an jedem nennenswerten Aus­ruhen. Von 28 Frauen, die während ihrer Beschäftigung als Heimarbeiterin niederkamen, hatten viele vor der Entbindung die Arbeit überhaupt nicht ausgesetzt, und manche hatten schon wenige Tage nach der Entbindung das Wochenbett verlassen und die Arbeit wieder aufgenommen.

Auch in der Hutfabrikation ist also die Heimarbeit fast ganz dem Einfluß der sozialen Gesetzgebung entzogen, bor allem macht sich das Fehlen jeder Schutzbestimmung bemert­bar. Für die Heimarbeiterinnen gibt es keine Begrenzung der täglichen Arbeitszeit, für sie gelten auch keine Vorschriften über die Beschaffenheit der Arbeitsräume, und keine Gewerbeinfpet­tion sorgt dafür, daß wenigstens die minimalſten Forderungen der Gewerbehygiene erfüllt werden. Die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung über Regelung des Betriebs zur Ver­meidung von Gefahren, gegen willkürliche Entlassungen, über Sonntagsruhe und Verbot der Nachtarbeit und Verbot oder auch nur Beschränkung der Arbeitszeit für Kinder und Jugend­liche sind für die Heimarbeit nicht vorhanden.