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Die Gleichheit
sofort die Arbeiterinnen waren, die dem Verband zuftrömten. Dieser zählte Ende 1893 unter seinen 2811 Mitgliedern nur 211 weibliche. Die ersten umfassenden Lohnbewegungen zeigten jedoch, daß der Verband an den organisierten Arbeiterinnen zuverlässige Rämpferinnen gewonnen hatte, wenigstens soweit die Großstädte in Frage kamen, die den überwiegenden Teil der weiblichen Mitglieder stellten. Ende 1896 musterte der Verband schon 1465 weibliche Mitglieder; diese machten bei 6258 Organisierten insgesamt also fast 25 Prozent der Mit gliedschaft aus. Dieser Anteil erhöhte fich bis Ende 1903 nicht erheblich, damals wurden bei 12254 Mitgliedern überhaupt nur 3823 weibliche gezählt. Nun aber seßte eine stärkere, be schleunigte Aufwärtsbewegung des weiblichen Mitgliederstandes ein. Der Buchbinderverband umschloß am Ende des dritten Duartals 1911 bei insgesamt zirka 30100 Mitgliedern zirka 15650 Arbeiter und zirka 14450 Arbeiterinnen; das ist also ein Verhältnis von 43,5 Prozent weiblicher Mitglieder.
Weder der Buchbinderverband, noch seine weiblichen Mitglieder haben es zu bereuen gehabt, daß sie sich zusammen gefunden haben. Gewiß drängte die ganze technische Entwicklung des Gewerbes zu der Vereinigung. Aber bestimmte Umstände wirkten auch gegen sie. Die Arbeitgeber waren stets geneigt, die billigere weibliche Arbeitskraft gegen die teurere männliche auszuspielen und suchten dabei die Kurzsichtigkeit der Arbeiterinnen zu erhalten, ihren Egoismus anzustacheln. Andererseits legten die Herren den Gehilfen nahe, sich nicht um die Organisierung der Arbeiterinnen zu fümmern, da man sich dann um so leichter über die Gehilfenlöhne einigen werde. Es zeugt von der guten gewerkschaftlichen Erziehungsarbeit des Buchbinderverbandes, wie von der Einsicht der Arbeiterinnen, daß solche Bemühungen kein Gehör fanden. Die Arbeiterinnen des Buchbindergewerbes stehen ihren Berufsgenossen treu in dem Bestreben zur Seite, eine sachlich gerechtfertigte Abgrenzung der Gehilfen und Frauenarbeit durchzusehen, die einer Schmutzkonkurrenz gegen die erstere vorbeugen soll. Das mag nach außen zünfilerisch erscheinen, ist aber durchaus nicht von zünstlerischen Gesichtspunkten dittiert, sondern erscheint als der einzig mögliche Weg, um einer Unterbietungskonkurrenz zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern abzuwehren, die in ihren Wirkungen taum abzusehen ist. Die Erfahrung in Leipzig lehrt uns leider, daß die Übertragung von Gehilfenarbeiten an Arbeiterinnen zu einer erheblichen Lohnfenfung führt. Solche Arbeiten wurden bis zu 30 Prozent unter dem Tariffaz entlohnt, wenn Frauen und Mädchen sie verrichteten, und zum Teil werden sie in diesem Falle jetzt noch 20 Prozent unter dem Tarif bezahlt. Das Ziel zur Lösung der Frage bleibt gewiß die Forderung: Für gleiche Arbeit gleichen Lohn. Allein der Verwirklichung stehen vorläufig außerordentlich große Hindernisse entgegen, die Schritt für Schritt durch Arbeit und Kampf in der Richtung des Ziels überwunden werden müssen. Da heißt es zunächst treucs Eintreten für die Hebung der Arbeiterinnenlöhne. Das wird begreiflich angesichts der Tatsache, daß in dem sogenannten „ Dreistädtetarif für Buchbinder", dem Tarif für Berlin , Leipzig und Stuttgart , das Minimum und Maximum der Stundenlöhne, fich für geübte Arbeiter zwischen 52 und 69 Pf. bewegt, dagegen für geübte Arbeiterinnen zwischen 28 und 89 f.
Soweit es in seinen Kräften stand, ist der Buchbinderverband für die Interessen seiner weiblichen Mitglieder mit Verständnis und Zuverlässigkeit eingetreten. Aber die erzielten Erfolge sind auch der gewerkschaftlichen Betätigung der Arbeite rinnen zu verdanten.„ Sich regen, bringt Segen," heißt es auf gewerkschaftlichem Gebiet. Ein Beispiel möge zeigen, in welchem Maß die Arbeiterinnen an den Lohnbewegungen des Buchbinder verbandes und an den dadurch errungenen Erfolgen beteiligt waren. Wir entnehmen es dem Jahresbericht des Verbandsvorstandes für 1910. Die 92 Lohnbewegungen, die sich in der Berichtszeit in 72 Orten und 1140 Betrieben mit 11795 Beschäftigten abspielten, hatten mehr weibliche als männliche Mits glieder erfaßt, und zwar auch dort, wo die Lohnbewegungen mit Arbeitseinstellung verbunden waren. Es fanden statt:
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Nr. 9
27 Angriffftreits mit 1260 männlichen, 1888 weiblichen Mitgliedern 6 Abwehrstreiks 2 Aussperrungen
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1342 männlichen, 2159 weiblichen Mitgliedern. Entsprechend ihrer Beteiligung hatten die Arbeiterinnen Anteil an den Errungenschaften der Bewegungen. Genauere Angaben können darüber nicht gemacht werden, weil bei der Verzeichnung der Erfolge für Arbeiter und Arbeiterinnen nicht getrennt gerechnet worden ist. Der Buchbinderverband erreichte 1910 für insgesamt 4719 Arbeitskräfte eine Arbeitszeitverkürzung von 7943 Stunden pro Woche, und für 7646 Personen eine Lohn erhöhung von 11438 Mt. wöchentlich. Die„ Gleichheit wird an weibliche Mitglieder auf Wunsch in beschränkter Zahl vom Buchbinderverband unentgeltlich abgegeben; obligatorisch eingeführt ist die Buchbinder- Zeitung".
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Wie die Zahlen deutlich zeigen, sind die Arbeiterinnen weder immun gegen das„ Streiffieber" noch geschützt vor dem Aussperrungsfieber" der Unternehmer. Die Kämpfe des Buchbinderverbandes werden in ihrer Mehrzahl durch die Beteiligung der Arbeiterinnen erleichtert. Diese sind meist schwerer als die Av beiter zu ersetzen, besonders wenn es sich darum handelt, vou auswärts Arbeitswillige herbeizuziehen. Die weit geringere Freizügigkeit" der Arbeiterinnen erschwert den Unternehmern das Geschäft. Eine weibliche Hingegarde" fehlt glücklicher weise noch! Alles in allem bestätigt die Entwicklung des Buch binderverbandes, daß die Arbeiterinnen sehr wohl für die gewerkschaftliche Organisation zu gewinnen sind und daß ihre Mitgliedschaft die Schlagkraft der Gewerkschaften zweifellos bedeutend hebt. Emil Kloth .
Aus der Bewegung.
Ein internationaler Gruß den deutschen Genoffiunen zum Wahlsieg des 12. Januar.„ Ehre der deutschen Sozialdemokratie, Ehre den deutschen Genossinnen, die so klarblickend und tapfer mit ihr gekämpft haben! Die Wahlschlacht ist auch für das Wohl, das, Recht der erdrückenden Mehrzahl der Frauen geschlagen worden. Wo das rote Banner weht, da wird für Menschenrechte gefämpft! Hoch die rote Internationale! Helene Antersmit, Amsterdam ." Die Genoffinnen im Wahlkampf ist ein glänzendes Rapitel ber Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Eine geradezu verblüffende Summe von Arbeit haben sie geleistet, sowohl für die allgemeine Stampagne, wie auch außerdem für die Aufklärung und Organisierung der proletarischen Frauen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte von ihrer politischen Reife, von ihrer Kampfestüchtigkeit und Stampfesfreudigkeit, er wäre jegt gründlich erbracht. Es dürfte kaum eine Wahlkreisorganisation geben, die nicht mit Stolz und Freude der Mitarbeit ihrer weiblichen Mitglieder gebenft. Wir werden auf die Beteiligung der Genossinnen am Ball tampf noch ausführlicher zurückommen, nachdem die Stichwahlen stattgefunden haben, bei denen die Sozialdemokratie noch einmal ihre gange straft einsetzt, um den Sieg vom 12. Januar zu vollenden.
Bon der Agitation. Auf Wunsch der Parteileitung des sechsten schleswig- Holsteinischen Wahlkreises sprach die Unterzeichnete Anfang Januar in den Orten Lofstedt, Eidelstedt , Barmstedt und Elmshorn . Selbstverständlich lautete angesichts der Reichstagswahlen die Tagesordnung in allen Versammlungen:„ Die Frauen und die bevorstehenden Wahlen." In Lokstedt war die Versamm lung sehr schwach besucht, obgleich eifrig für sie geworben worden war. Schuld daran war wohl das schlechte Wetter, das den Frauen die weiten Wege zum Versammlungslokal verleidete. Die Versamm lungen in Eidelstedt und Barmstedt waren bedeutend besser besucht, namentlich von organisierten Männern; die wenigen anwesenden Frauen gehörten auch bereits der Partei an. In Elmshorn hatten wir einen überfüllten Saal, und ganz besonders start waren hier die Frauen vertreten. Von ihnen traten 50 in der Versamm lung der sozialdemokratischen Partei bei. Überhaupt ist in dieser Gegend, in unmittelbarer Nähe Hamburgs , noch viel für uns zu erreichen; das beweisen auch die schönen Erfolge der Aufklärungsarbeit, die Genoffin Lange- Dttensen mit großem Eifer unter der Frauen der ländlichen Bevölkerung betreibt. Es geht auch hier vorwärts. Elisabeth Röhl . Früher als sonst ist mit der Agitation für die Reichstagswahlen begonnen worden. Die Unterzeichnete hat seit Ottober in 78 Wersammlungen gesprochen. 31 davon, die sich vorwiegend mit der