Nr. 10

Die Gleichheit

Deutschland zu erobern, ihn aber, als sie ihn nicht mehr brauchte, wie eine ausgepreßte Zitrone beiseite warf, so daß er sich endlich in den russischen Knechtsdienst begeben mußte, um sich zu retten. Auch die Schmach der russischen Fremd. herrschaft in Deutschland ist ein Erbe des Königs Friedrich. Er endete seine Laufbahn, indem er, innerlich knirschend, aber äußerlich kuschend, vor der Zarin Katharina demütig im Staube lag und ihr das polnische wie das türkische Wild ins Garn treiben half. In ihren Türkenkriegen unterstützte er sie mit Hilfsgeldern; bei der ersten Teilung Polens mußte er den größten Teil der Schande auf sich nehmen und sich mit dem kleinsten Knochen begnügen.

Das entscheidende und unwiderrufliche Urteil über den König Friedrich und sein Werk hat die Schlacht bei Jena gesprochen. Um den Helden zu retten, hat man zwar gesagt, nicht er sei bei Jena geschlagen worden, sondern seine un­fähigen Nachfolger. Allein so unfähig diese Nachfolger un­zweifelhaft waren, so ist es doch eine ganz unsinnige Vor­stellung, daß sie in zwanzig Jahren ruiniert haben sollen, was Friedrich in mehr als vierzig Jahren angeblich aufge­baut haben soll. Sie haben sein Werk im wesentlichen so er­halten, wie er es geschaffen hatte, es eher noch in manchem Betracht verbessert als verschlechtert. Freilich mag dieser vorsintflutliche Rasterstaat im Jahre 1806 verrotteter er­schienen sein als im Jahre 1786, aber eben nur im Lichte einer vorgeschrittenen Zeit; im Wesen der Sache war er ganz derselbe, und die damaligen Reformer, die Stein und Arndt, waren von einem ganz richtigen Instinkt geleitet, wenn sie den undeutschen König verwünschten, dessen Größe Deutschland zum Verderben und dessen Gedächtnis Deutsch­ land zum Fluche geworden sei.

Wie nun aber erklären, daß der Name dieses Königs bei alledem immer einen gewissen populären Klang behalten hat, daß Friedrich einen Mann wie Carlyle zum Bio­graphen, einen Künstler wie Menzel zum Maler seines Lebens und seiner Taten gewinnen konnte, daß die radikalen Junghegelianer für ihn schwärmten, daß selbst Lassalle noch im Jahre 1858 ihn neben Lessing als ebenbürtigen Befreier stellte? Will man die Antwort auf diese Frage in banal­populärer Form geben, so müßte man sagen, daß der Ein­äugige unter den Blinden König ist. Unter dem verkommenen Fürstengesindel seiner Zeit war Friedrich in seiner Art ein ganzer Kerl, und ebenso ragte er über seine Vorgänger und Nachfolger in der Geschichte der Hohenzollern empor. Er trieb sein schlechtes Handwerk wenigstens mit einem Eifer und Ernst, der den zeitgenössischen Sultanen vollkommen fremd geworden war; das Glück machte ihn nicht übermütig, und das Unglück trug er mit einer Standhaftigkeit, die ge­wiß respektabel war: mit dem Gift in der Tasche, entschlossen, sich lieber selbst aus der Welt zu expedieren, als dem etwas zu bergeben, was er für seine königliche Würde hielt. Die blödsinnige Verschwendung der damaligen fürstlichen Höfe hielt er sich vom Leibe, und namentlich auch den leeren Tand des Größenwahnsinns, der die alberne Neugier des ge­dankenlosen Philisters für bare Münze nimmt, für eine auf­richtige Huldigung an die Monarchie oder gar für eine be­wundernde Anhänglichkeit an die Person des Monarchen. Friedrich schätzte die patriotischen Spektakelmacher ganz richtig als Canaille" ein. Und als bei seinem letzten Besuch in Breslau der Philosoph Garve dem widersprach mit der Bemerkung: Als Ew. Majestät gestern in die Stadt kamen und alles Volk zusammenlief, um seinen großen König zu sehen, das war nicht Canaille," da antwortete der König, viel philosophischer als der patentierte Philosoph:" Seße Er einen alten Affen aufs Pferd und lasse Er ihn durch die Straßen reiten, so wird das Volk ebenso zusammenlaufen." Wie weit war Friedrich damit seiner Zeit voraus und nun gar der unserigen!

So wenig er im historischen Sinne ein aufgeklärter Despot gewesen ist, so sehr war er es im persönlichen Sinne. Ein Typus der drückendsten Geistesknechtschaft, verschmähte

151

er doch der Heuchelei dürftige Maske" insofern, als er sie nie mit frommen Redensarten auszuschmücken versuchte. Ihn als Geburtshelfer unserer klassischen Literatur und Philosophie zu feiern, gehört zu den abgeschmacktesten Le­genden, von denen sich die bürgerliche Literaturgeschichte nährt, aber ein Aufklärer im Sinne des von ihm bewun­derten Voltaire, ein Anhänger der Aufklärung, von der Schneider und Schuster nichts wissen dürfen, ist Friedrich allerdings gewesen, und daraus hat er in seinen Briefen und Schriften nie das geringste Hehl gemacht. Er gebrauchte die Religion als despotisches Machtmittel; er hat die Jesuiten geduldet, als der Papst Ganganelli den Jesuitenorden auf­hob, und ebenso die lutherische Orthodorie vor allen auf­klärerischen Attentaten geschützt, so daß selbst sein lamm­frommer Bewunderer Gleim sich zu dem Spott aufschwang: Er ließ uns alle Freiheit, selbst die Freiheit, dumm zu sein. Allein für seine Person war ihm alle Religion höchst wider­wärtig, und er mißbrauchte sie auch nicht, um seine Politik zu beschönigen; er hat seinen Raub am Hause Habsburg nie als eine Wendung durch Gottes Fügung" gefeiert. Aus den Produkten seiner Feder läßt sich ein ganzes Arsenal von boshaften und auch geistreichen Spöttereien über die Reli­gion und religiöse Gegenstände zusammenstellen.

Wie wenig Friedrichs bornierter Despotismus dadurch entschuldigt wurde, hat schon Lessing erkannt in seiner be­kannten Äußerung über das sklavischste Land in Europa ", das der preußische Staat sei und bleibe, trotz aller Sottisen gegen die Religion", die in Berlin auf den Markt gebracht würden. Zum Glück für Friedrichs Nachruhm aber legte, sich sein Nachfolger, nach alter überlieferung der Hohen­ zollern , wieder auf die frömmelnde Seite, trotz des sardana­palischen Lebenswandels, den er führte, und er krönte diese nichtswürdige Heuchelei, indem er behauptete oder durch seine Kreaturen behaupten ließ, daß sein Vorgänger den Haupt­grund zur Freidenkerei gelegt habe. So kam Friedrich in den ganz unverdienten Ruf, ein lichtbringender Genius ge­wesen zu sein. In den Tagen nach Jena wurde sein histo­risches Wesen dann von den preußischen Reformern wieder richtig erkannt, allein als sich nach den Siegen über Napo­leon die Heilige Allianz konstituierte, die den frechsten Despo­tismus in frömmelnde Tracht kleidete, wurde Friedrich zum zweiten Male ein Held der Aufklärung, zumal da Preußen in der Heiligen Allianz die erbärmlichste und unwürdigste Rolle spielte, und die preußischen Machthaber der zwanziger und dreißiger Jahre alles taten, was in ihrer Macht stand, um das Andenken des kezerischen Königs zu verdunkeln.

Bekannt sind Heines zornige Worte aus dem Jahre 1832 ,, gegen dieses Preußen, diesen langen frömmelnden Ka­maschenhelden mit dem weiten Magen und dem großen Maul und mit dem Korporalstock, den er erst in Weihwasser taucht, ehe er damit zuschlägt, dieses christlich- philosophische Sol­datentum, dieses Gemengsel von Weißbier, Lüge und Sand, dieses steife, heuchlerische, scheinheilige Preußen, diesen Tar­tüffe unter den Staaten". So konnte Heine nur im Aus­land schreiben, und es ist gewissermaßen die andere Seite der Medaille, wenn sieben Jahre später der radikale Jung­hegelianer Köppen, unter dem Drucke der Zensur, diesem Preußen aus den Schriften des Königs Friedrich, der seinen Korporalstock wenigstens nie in Weihwasser getaucht hatte, einen Spiegel entgegenhielt, worin es seine ganze Schlechtig­keit erkennen und daran verrecken sollte, was es denn freilich nicht getan hat.

Heute wissen wir allzu gut, daß der leibhaftige Kampf mit leibhaftigen Gegnern nicht dadurch gefördert werden kann, daß wir Gespenster aus den Gräbern beschwören, zu mal Gespenster vom Schlage des Philosophen von Sans­ souci , der dem Junkertum nicht minder hold und gewärtig gewesen ist, als heute der Philosoph von Hohenfinow . Auf dem Despotismus des alten Frizz lastet noch immer der Fluch der Nation, und zwar um so wuchtiger, je verhängnisvoller seine Nachwirkungen sind. Den zweihundertsten Geburts­