Nr. 11
Elise Schweichel zum Gedächtnis.
Die Gleichheit
Nur wenige Monate sind ins Land gegangen, seit Elise Schweichel zu ihrem 80. Geburtstag herzliche Glückwünsche vieler Genossen und Genossinnen zugingen, die auf dem Parteitag zu Jena versammelt waren.* Die stets allzu Bescheidene nahm diese Ehrungen mur widerstrebend entgegen, als wären sie nicht von ihr verdient, weil sie nie in der Öffentlichkeit als Führerin und Agitatorin aufgetreten ist. Allein der Name Schweichel hat in der deutschen Arbeiterbewegung einen guten Klang, und welcher hervorragende Anteil Elise Schweichel an dem geistigen Ringen und Schaffen ihres Mannes zukam, das wissen all die älteren Genossen, die in Robert Schweichel nicht nur den Dichter, sondern vor allem einen der edelsten Vorkämpfer des Proletariats geschätzt haben. Wohl hat es Elise Schweichel bis an ihr Ende als bitteren Schmerz empfunden, daß dem poetischen Wirken ihres Gatten verhältnismäßig geringe äußere Erfolge beschieden waren, während so manches Talmitalent mit Lorbeeren bekränzt wurde. Jm Proletariat, für das Robert Schweichel gekämpft und gedichtet hat, kannte und würdigte ihn mur ein kleiner Kreis nach Verdienst. Die bürgerliche Kritik, die der hohe künstlerische Ernst seines Strebens anfänglich zur Anerkennung gezwungen hatte, verstummte ihm gegenüber schließlich ganz. Die offizielle Literaturgeschichte schwieg seinen Namen tot. Doch war Frau Elise eine zu feine und stolze Natur und viel zu innig mit den politischen und künstlerischen Idealen ihres Mannes verwachsen, als daß sie ihn jemals gedrängt hätte, dem launenhaft wechselnden Geschmack der literarischen Mode irgendwelche Konzessionen zu machen. Sie war selbst schriftstellerisch befähigt. Die unter ihrem Mädchennamen erschienenen kleineren Erzählungen für den„ Neue- Welt- Kalender", die Romane, Dunkle Mächte"( in der„ Neuen Zeit" erschienen) und„ Vom Stamm gerissen"( im Vorwärts" und in vielen Parteiblättern abgedruckt) sind von freiheitlicher Gesinnung durchglühte Schöpfungen einer reifen Erzählungskunst.
Als geistig ebenbürtige Genossin war Elise Schweichel mit dem Gatten zusammen alt geworden. Nach seinem vor fünf Jahren erfolgten Tode begann für die Witwe die Tragik des hohen Alters, um das es immer einsamer wird. Trotz ihrer großen Geistesgaben war es Elise Schweichel nicht gelungen, sich dem Vorbild ihres Gatten folgend zu voller innerer Harmonie durchzuringen. Man mußte das fein empfindende Herz dieser Frau sehr gut kennen, um sich von ihrem zuweilen herben und unzugänglichen Wesen nicht beirren zu lassen. Ihre einzige Schwester, dann Wilhelm und Natalie Liebknecht, Julie Bebel , sie alle, die in herzlicher Zuneigung jahrzehnte. lang mit ihr verbunden waren, starben vor der Greisin hinweg. Wohl hielt eine kleine Schar jüngerer Freunde und Freundinnen treu zu ihr, aber das Verlorene vermochten sie ihr nicht zu ersehen. Sie war nun müde des Lebens, aus dem der Kinderlosen die Sonne des Glückes entschwunden war.
Vor Jahresfrist verunglückte unsere Genossin schwer. In ihrem bescheidenen Witwenstübchen im Hinterhaus einer Schöneberger Mietkaserne pflegte sie ein von Künstlerhand gemaltes Bildnis Robert Schweichels täglich selbst abzustauben. Dabei kam sie zu Fall und brach sich beide Arme. Hilflos lag sie Stunde um Stunde, bis Freunde, die sie besuchen wollten, sich mit Gewalt Einlaß verschafften. In übermächtiger Todessehnsucht wehrte sie sich lange wie eine Verzweifelte gegen die Bemühungen des Arztes und seiner Helfer. Endlich ergab sie sich in ihr Schicksal, und der gebrechliche Körper gesundete langsam noch einmal. Ihr leidenschaftliches Interesse für alle Vorgänge in der Politik lebte wieder auf. Bis zuletzt blieb sie die Feuerseele, der der Befreiungskampf des modernen Proletariats nicht schnell genug voranging, dessen erste bedeutsame Anfänge sie noch bewußt miterlebt hatte. Wenn man zu ihr von den nun hinter uns liegenden Reichstags
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wahlen sprach, von den Siegen, die man erwartete, sagte die sonst so Lebensmüde wohl mit einem Aufblizen der alten Energie:" Ja, das möchte ich doch noch erleben." Und sie hat mit unaussprechlicher Freude die glorreichen Siegestage noch gesehen, die der Sozialdemokratie 4 Millionen Stimmen und 110 Size im Reichstag brachten. Wenige Tage später begann die Flamme ihres Lebens allmählich zu erlöschen. Am 3. Februar 1912 starb Elise Schweichel; am 5. Februar gab ihr eine kleine Schar von Freunden das letzte Geleit nach dem von großstädtischer Unruhe umbrandeten Friedhof in Schöneberg . Auch Robert Schweichels sterbliche Neste wurden hier dem Schoße der Erde übergeben. Schlicht wie sie gelebt, ward Elise Schweichel bestattet.
Ehre dem Andenken dieser tapferen und aufrechten Frau! Dank ihr über das Grab hinaus für die Unbeugsamkeit und Treue der Gesinnung, worin sie uns alle Zeit vorbildlich sein soll! M. Kt.
Die braunschweigische Wahlreform.
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In Braunschweig hat dieser Tage das Ministerium des Ländchens den Entwurf einer Reform des Landtagswahlrechtes veröffentlicht. Da in diesem Entwurf das Frauenwahlrecht mit keinem Worte erwähnt, nicht einmal zwischen den Zeilen auch nur angedeutet ist, könnte man die Frage aufwerfen, was denn die Frauen als solche für diese Wahlreform interessieren solle. Die Frage wurde kürzlich auf der Redaktion des braunschweigischen Volksfreundes" von einer Arbeiterfrau sehr einfach und richtig beantwortet. Die Frau erschien weinend mit ihrem siebenjährigen Knaben, der wegen einer kleinen Unaufmerksamkeit von dem Lehrer in unmenschlicher Weise mißhandelt worden war. Der linke Oberschenkel des armen Kindes schillerte zwei Hand breit in allen Farben. Braun, blau, grün und gelb hatte der Kindererzieher dem kleinen Jungen im wahrsten Sinne des Wortes das Fell gegerbt.„ Beschwerden nußen nichts," meinte die Frau, der Landtag hat sich ja selbst fürs Prügeln erklärt, und die Minister haben beigestimmt. Da können die Lehrer so viel prügeln, wie sie wollen." So ist es in der Tat. Der rückständige, aus der Dreiklassenwahl hervorgegangene braunschweigische Landtag hat vor einiger Zeit einstimmig die Regierung getadelt, weil ein Prügelpädagoge wegen Schülermißhandlung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Ein Landtagsabgeordneter, der Gymnasiallehrer ist, schnitt die Frage an und verlangte volle Prügelfreiheit für die Lehrer. Es sei eine Schande, daß die törichten Eltern mit dem geprügelten Jungen zum Arzte gegangen seien, statt sich beim Lehrer für die Prügel zu bedanken. Ein anderer Landtagsabgeordneter und Menschenfreund, der den Titel Sanitätsrat führt, entschuldigte die Ärzte, die Zeugnisse über Prügelwunden ausstellten. Er schicke die Leute fort und sage ihnen, der Junge hätte noch viel mehr Prügel verdient! Auch wenn einmal ein Junge so verhauen worden sei, daß er acht Tage lang nicht siten konnte, so sei das keine gesundheitsschädliche Mißhandlung; doch käme der Arzt schließlich nicht darum herum, ein Zeugnis über den Befund auszustellen. Ein ländlicher Abgeordneter pries die Prügel als die Grundlage der christlichen Weltanschauung und schloß seine Rede mit den Worten:„ Der christliche Staat kann den Prügel nicht entbehren; Gott regiert die Welt und der Knüppel die Menschheit." Der weißhaarige Alterspräsident des Landtags, ein Großgrundbesitzer und Gemeindevorsteher, meinte, wenn ein Junge einmal so verprügelt werde, daß er acht Tage nicht siten könne, so schade das dem Jungen gar nichts, dann solle er eben acht Tage lang liegen. Zwei Sigungen hindurch schwelgte der Landtag in rohester Prügelverherrlichung. Kein einziger der Abeordneten redete der Menschlichkeit und Vernumst das Wort. Die Minister entschuldigten sich, daß sie gegen die Verurteilung des Prügelpädagogen nichts hätten machen können. Sie hätten
* Siehe auch den Artikel„ Elise Schweichel" in Nr. 25 der„ Gleich- ihm aber ein Schreiben gesandt, in dem sie seine Verurteilung heit" vom Jahre 1911.
bedauerten und die Hoffnung aussprachen, daß er sich dadurch