Nr. 11.

Frauenstimmrecht.

Die Gleichheit

Für die Einführung des paffiven Gemeindewahlrechts der Frauen in Oldenburg   hat sich im Landtag dieses Großherzogtums eine geringe Mehrheit gefunden. Der Landtag hatte einen Antrag zur Reform der oldenburgischen Gemeindeordnung zu beraten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Forderung erhoben, das Bürger­recht der Männer auf die Frauen auszudehnen. Der Antragsteller und gleichgesinnte Abgeordnete begründeten die Forderung damit, daß die Einführung des Frauenstimmrechts dem Staat nüße, weil sie ihm alle Kräfte dienstbar mache. Zum Beweis für den Wert der weiblichen Mitarbeit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ver­wiesen sie auf die Leistungen der Frau in der Kranken-, Waiſen­und Armenpflege. Die Gegner des Frauenstimmrechts warteten mit den alten und alltäglichen Gründen platter Philisterweisheit auf. Die Zuerkennung des Wahlrechts an die verheirateten Frauen werde den ehelichen Frisden stören und zu Ehescheidungen führen, meinte der eine. Es könne wohl gar vorkommen, daß die Mehrheit eines Gemeinderats aus Frauen bestände! Offenbar würde das in den Augen des biederen Landesboten so etwas wie einen kleinen Welt­untergang bedeuten. Ein anderer Herr fand die Damen   viel zu gut für die wüsten Wahlzänkereien", schien aber gegen ihr Eingreifen in wüste" Auseinandersetzungen am häuslichen Herd weniger aus­zusetzen zu haben. Er erklärte nämlich: Der Frau im Hause meinet­wegen drei Stimmen, aber außerhalb desselben keine." Die sozial demokratischen Abgeordneten traten für das volle, unbe­schränkte Frauenwahlrecht ein, ihre Forderung fand aber nur ganz vereinzelte Zustimmung. Die oldenburgische Regierung erklärte sich durch zwei Vertreter gegen jede Ausdehnung des Gemeinde­wahlrechts auf die Frauen. Einer der Herren begründete den ab­lehnenden Standpunkt damit: Oldenburg   hat nicht die Aufgabe, damit( mit der Einführung des Frauenstimmrechts) in Deutschland  voranzugehen." Das Ergebnis der Verhandlungen war folgender Vermittlungsantrag: Das passive Wahlrecht zu den Körperschaften der Gemeinden ist allen im Vollbesitze der bürgerlichen Ehren­rechte befindlichen weiblichen Gemeindeangehörigen zu verleihen, die das 24. Lebensjahr vollendet, seit 3 Jahren der Gemeinde an­gehört haben und entweder verheiratet sind oder als selbständig steuerpflichtig 3 Jahre zu den Gemeindelaften beigetragen haben."

Der Antrag wurde mit 22 gegen 19 Stimmen angenommen, Zentrum und Konservative stimmten gegen ihn. Der Antrag will ein recht beschränktes, sonderbares Wahlrecht einführen. Er legt wohl die Wählbarkeit der Frauen zu den Gemeindekörperschaften fest, verleiht ihnen aber nicht das Recht, selbst wählen zu können. Die weiblichen Mitglieder der Gemeindekörperschaften sollen also von den Männern gewählt werden. Wir sind überzeugt, daß in der Folge die prophezeite erschreckliche Gefahr einer Mehrheit von Frauen in sehr nebelgrauer Ferne liegt; viel größer dünkt uns die Wahr­scheinlichkeit, daß die männlichen Wähler nur wenige Frauen in die Gemeindekörperschaften entsenden werden, zumal in die Gemeinde­räte selbst. Das fehlende aktive Wahlrecht der Frauen wird also zum Teil das gewährte passive Wahlrecht zu einem toten Buchstaben machen. Unter dieser Beschränkung werden alle Frauen zu leiden haben. Die anderen undemokratischen Bestimmungen treffen vor allem die Frauen des werktätigen Volkes. Vielen von ihnen bleibt auch das verkümmerte Recht versagt, wenn dessen Besitz daran ge= knüpft ist, daß die verheirateten Frauen drei Jahre der Gemeinde angehört, die unverheirateten drei Jahre selbständig die kommunalen Steuern entrichtet haben müssen. Bei der starken Fluktuation der Arbeiterbevölkerung bringt die Aufenthaltsklausel allein schon viele Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen um das zuerkannte dürftige Recht, und die Steuerpflicht der ledigen Proletarierinnen muß ebenso wirken. Nähere Nachrichten über die Verhandlungen und ihr Um und Auf liegen uns zurzeit nicht vor, auch keine Auszüge aus den Reden unserer Genossen. Wir wissen daher nicht, welche Umstände sie ver­anlaßt haben können, entgegen den Beschlüssen unserer Parteitage, sowie internationaler Konferenzen und Kongresse einem Antrag zu­zustimmen, der ein so mehrfach verkrüppeltes undemokratisches Frauen­wahlrecht schaffen will. Wir halten daher einstweilen mit unserem Urteil zurück, jedoch: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!"

Die neunte Generalversammlung des schwedischen Landes. vereins für Frauenstimmrecht hat im Januar d. J. stattgefunden. Besondere Erwähnung verdient der Beschluß, der Landesverein folle ein eigenes Organ herausgeben: Rösträtt för Kvinnor" ( Stimmrecht für Frauen), das zweimal im Monat erscheinen und unter der Kontrolle des Arbeitsausschusses der Organisation stehen wird. Nach dem Bericht der Schriftführerin, Frau Boheman, ist die Tätigkeit des Landesvereins im Jahre 1911 cine besonders rege gewesen; es wurden unter anderem 35 Bro­

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schüren und Flugblätter in 70 000 Exemplaren herausgegeben. Dem Verhalten der Presse zum Frauenstimmrecht ist besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Es wurde ein Komitee er­nannt, das einen Plan ausarbeiten soll, nach welchem die Nach­richten der schwedischen Bresse über das Frauenstimmrecht genau verfolgt und, wenn nötig, berichtigt werden können. Hauptgegen­stand des Interesses in einer halböffentlichen Versammlung waren die Berichte der weiblichen Stadtverordneten über ihre Erfahrungen in dem neuen Amte. Aus den Berichten ging hervor, daß die Frauen in den Stadträten das liebenswürdigste Entgegenkommen gefunden haben. Wenn Frauen mit der nötigen Sachfenntnis ausgerüstet waren, so erzielten sie bei der Vertretung ihrer Ansichten und Forderungen ebensogut Erfolge wie die Männer. In Fragen, die spezielle Fraueninteressen berühren, in der Armenpflege und dergleichen, erkennen ihnen die Männer von vornherein die größere Kompetenz zu. Die Stadtverordnetenver­sammlung, das wurde betont, sei eine gute Schule für den Mann, die Frau als Arbeitsgenossin im öffentlichen Leben schäßen zu lernen. In Schweden   gibt es gegenwärtig 46 weibliche Stadträte. Der Vorsitzende der Männerliga für Frauenstimmrecht" brachte die erfreuliche Nachricht, daß die Regierung während der kommen­den Reichstagssession eine Vorlage betreffend Stimmrecht und Wählbarkeit der Frauen einbringen werde. Durch ein Telegramm dankte die Generalversammlung dem Ministerpräsidenten, daß er so bald das gegebene Versprechen gehalten habe und die Frage vor die Reichsboten bringe. Die Einführung des Frauenstimm= rechtes in Schweden   ist um einen großen Schritt näher gerückt. N. Kohnberger.

I. K. Für das kommunale Frauenwahlrecht in Oesterreich  traten die Genossinnen kräftig ein. Dem neunzehnten Landes­parteitag der Sozialdemokraten Niederösterreichs   wurde von den 27 weiblichen Delegierten folgender Antrag unterbreitet: Nicht nur im Landtag und in der Reichshauptstadt, sondern in allen Gemeinden ist bei Einbringen von Anträgen auf Erweiterung des Wahlrechts das Frauenwahlrecht ausdrücklich zu fordern und zu begründen." In der Debatte führte die Sprecherin der Genossinnen aus, daß es nicht genüge, wenn es nur heiße, das Wahlrecht werde für alle Staatsbürger verlangt, wie jüngst im Landtag. Bei der geringen Beachtung, die man bisher den Frauen im öffentlichen Leben geschenkt habe, falle es niemanden ein, unter Staatsbürgern auch Frauen zu verstehen. Es müsse ausdrücklich vom Frauenwahl­recht gesprochen werden. Die Sozialdemokratie werde wegen so vieler Forderungen verhöhnt, daß es gar nicht darauf ankomme, daß ihre Feinde sie auch noch wegen des Frauenwahlrechts verspotteten. Tat­sache sei trotz allem, daß auch in Österreich   das kommunale Frauen­wahlrecht sich im Vormarsch befinde. Die Rednerin erinnerte daran, daß die Klerikalen es in Laibach eingeführt haben, dann in Vor­ arlberg  , zulegt wurde es in der Stadt Steyr   in Oberösterreich   be­schlossen; die Stadt Klagenfurt hat seine Einführung von der Mei­nung der Regierung abhängig gemacht. Die von den Klerikalen in Oberösterreich   eingebrachte Wahlrechtsreform für die Gemeinden enthielt auch das Frauenwahlrecht, allerdings nur ein Wahlrecht für Steuerzahlerinnen. Da aber selbst an die kleinste eigene Steuer­leistung der Besitz des Wahlrechts geknüpft ist, so würden auch viele Arbeiterfrauen wahlberechtigt werden, wenn sie zum Beispiel einen Handel treiben oder sonst ein eigenes Einkommen versteuerten. Tat­sache sei weiter, daß bis zum Jahre 1869 die Frauen in Nieder­ österreich   das Landtagswahlrecht besessen haben. Durch die re­aktionären Liberalen wurde es ihnen damals entzogen. Der Referent sprach sich ebenfalls in entschiedener Weise für die Forde­rung des Frauenwahlrechts aus und empfahl dem Landesparteitag, dem Antrag der Genofsinnen zuzustimmen. Dieser wurde ein stimmig angenommen. a. p.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

I. K. Der internationale Frauenrat der sozialistischen   und Arbeiterorganisationen in Großbritannien   hielt Anfang Januar die Quartalfitung seiner Delegierten ab. Vertreten waren die Genos­finnen der Sozialdemokratischen Partei, der Unabhängigen Arbeiterpartei, der Fabier und der Liga für die Interessen ber erwerbstätigen Frauen. Die internationale Korrespondentin Genoffin Macpherson erstattete ihren Bericht, der besonders die erfolgreichen Konferenzen der deutschen   und österreichischen Genoss finnen hervorhob, sowie die Versuche zur besseren Aufklärung und Organisation des weiblichen Proletariats in Italien  . Sie wurde beauftragt, Informationen einzuholen über die Organisation der Dienstmädchen in Wien  , sowie über die Maßnahmen und Einrich­tungen, die in Deutschland   und anderen Ländern des Kontinents