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Die Gleichheit

zur Fürsorge und Erziehung für Schwachbegabte und Schwachsinnige vorhanden sind. Genossin Dr. Benthams Kassenbericht wies mit fast 100 Mt. Überschuß einen befriedigenden Stand der Finanzen aus. Genossin Murby, Delegierte der Fabier und Schriftführerin des Frauenrats, hielt einen Vortrag:" Was die Frauen für die Er­haltung des Weltfriedens tun können." Daß große Frauenmassen noch nicht über die Verderblichkeit, das Unrecht der Kriege im Klaren sind, führte die Referentin auf drei Umstände zurück: Die mangel­hafte Bildung und Erziehung, zumal aber der kritiklose, tendenziöse Geschichtsunterricht und das Vorwiegen des Gefühls über wissen­schaftliche Erkenntnis bei der Beurteilung politischer Fragen. Die Inanspruchnahme von Zeit und Kraft der Frauen durch den harten Stampf ums Brot infolge der ungünstigen Arbeitsbedingungen, eine Inanspruchnahme, die den Geist abstumpft. Die politische Rechtlosig­feit mit ihrer Rückwirkung auf die Entwicklung des weiblichen Ge­schlechts. Als Vorbedingungen dafür, daß die Frauen für die Siche rung des Weltfriedens eintreten, empfahl daher Genossin Murby: Reform der Erziehung unter tätiger Mitwirkung der Frauen; Hebung der wirtschaftlichen Lage der weiblichen Erwerbstätigen ; Eroberung des Wahlrechts. Zur Erhaltung des Friedens selbst befürwortete sie den Beitritt der Frauen zu den Friedensgesellschaften und die Entsen­dung von Delegierten zu Friedenskongressen, Friedensausschüssen usw. Folgende Resolution legte sie der Tagung vor: Der internationale Frauenrat erachtet es als das wirksamste Mittel, seiner Auffassung über auftauchende Fragen von internationaler Wichtigkeit durch Re­solutionen an die Presse oder durch andere Demonstrationen öffentlich Ausdruck zu geben, daß ein besonderes Subkomitee eingesetzt wird, welches die betreffenden Fragen erörtern und dadurch die Stellung­nahme dazu vorbereiten muß. Die Schriftführerin des Frauenrats fungiert ex officio( von Amts wegen) als Schriftführerin des Sub­fomitees." Vortrag und Resolution gaben den Anstoß zu einer langen und lebhaften Debatte, in der unter anderem auch die Frage der Errichtung einer Miliz aufgerollt wurde. Die Resolution wurde schließlich zurückgezogen. Es war ihr entgegengehalten worden, daß die im Frauenrat" vertretenen Drganisationen ihre Stellungnahme zu den Fragen der Weltpolitik durch Resolutionen und Demon­strationen bekunden. Der finanzschwache Frauenrat" könne ihre Aktionen nicht überbieten. Mit der Fürsorge für Schwachbegabte und Schwachsinnige soll sich die nächste Delegiertenversammlung be­schäftigen. Man hofft, daß dann eine sachkundige Persönlichkeit darüber referieren wird. Mary Macpherson, London .

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Vom Fortschritt eines sozialistischen Frauenblattes in Eng­land können wir berichten. Die Liga für die Interessen der er­werbstätigen Frauen" gibt ein Drgan heraus, das monatlich er­scheint:" The League Leaflet"( Das Ligablatt). Im Januar 1911 erschien es in einer Auflage von 500, am Jahresschluß von 3500 Exemplaren. Die Zweigorganisationen der Liga" wirften eifrig für die Verbreitung des vierseitigen Blattes, das politische und gewerk­schaftliche Fragen vom sozialistischen Standpunkt aus behandelt. Die Führerin der gewerkschaftlich organisierten Handlungsgehilfinnen, Margaret Bondfield , hat seit dem 1. Januar die Redaktion des ,, Ligablattes" übernommen.

Frauenbewegung.

Ein deutscher Frauenkongreß wird in Berlin vom 27. Fe­bruar bis 2. März in Verbindung mit der Ausstellung tagen, auf die wir in der vorigen Nummer hingewiesen haben. Schon diese Verbindung läßt den ausgesprochen bürgerlichen Charakter des Stongresses scharf hervortreten. Die Ausstellung steht unter dem Protektorat der Kaiserin, die unseres Wissens noch nie Interesse für die Berufsarbeit der Frau, für die Kämpfe bekundet hat, in denen das weibliche Geschlecht um seine Gleichberechtigung in Fa­milie, Gesellschaft und Staat ringt. Umgekehrt wurde diesen Be­strebungen vor einigen Jahren von den Vertretern des altersgrauen Vorurteils ein Wort der Fürstin entgegengehalten. Es besagte, daß das Interesse der Frauen sich in vier S erschöpfen müsse: in der Sorge für Kinder, Kirche, Küche und Kleider. Das ist genau die nämliche Auffassung, die in der bekannten Königsberger Rede Wilhelm II. die Frauen mit erhobenem Schulmeistersinger davor warnte, nach vermeintlichen Rechten zu trachten" und ihnen die Be­schränkung auf das stille Walten im Hause" predigte, von dem allerdings gerade gekrönte Frauen infolge ihrer Repräsentations­pflichten bei Hofe und Manövern wenig genug zu wissen pflegen. Es ist nichts in die Öffentlichkeit gedrungen, daß die Kaiserin ihren hohen Gemahl darüber aufgeklärt hätte, daß die soziale Entwid­lung mit einem Heer von mehr als Millionen hauptberuflich erwerbstätigen Frauen auch im Deutschen Reiche die ehrwürdige Vernunft früherer Zeiten zu Unsinn werden läßt. Und ausgerechnet

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diese Fürstin, die offenbar der modernen Frauenbewegung so fremd und fühl gegenübersteht wie etwa der Montblanc , ist von der bürger­lichen Frauenbewegung auserkoren worden, um ihren Veranstal tungen Glanz zu verleihen. Denn wenn die Kaiserin offiziell auch nur als Protektorin der Ausstellung genannt wird, so ist doch sicher, daß offiziös auch etliche Strahlen der gewährten Gnade auf den Kongreß fallen, der in engster Verbindung mit der Ausstellung steht und von dem gleichen Komitee wie diese organisiert worden ist. Es ist erreicht!

Wie die Dinge liegen, ist das Drängen und Kriechen der bürger­lichen Frauenrechtelei nach höfischer Gunst mehr als eine byzantinische Geschmacklosigkeit: eine Würdelosigkeit. Aber diese hat in dem vor­liegenden Falle ihren besonderen politischen" Sinn. Sie sollte das Ihrige dazu helfen, den Veranstaltungen die Mitwirkung der kon servativen und streng konfessionellen Elemente zu sichern. Ausstellung und Kongreß schaffen einen Boden, auf dem im Schatten der natio­nalen, vaterländischen Phrase die frauenrechtlerischen Gruppen und Grüppchen aller Schattierungen sich begegnen und Schwesterntüsse tauschen können. Der Kongreß wird mit den reaktionärsten Frauen­rechtlerinnen auch die radikalsten" vereinigen. Die hatten zwar nach einer Mitteilung von Frau Breitscheid ihre Mitwirkung bet der Vorbereitung der Ausstellung abgelehnt, weil dazu die Arbeite­rinnenorganisationen nicht als gleichberechtigt hingezogen worden waren. Allein ihre Entrüstung darüber scheint wieder einmal wie Schnee an der Märzensonne hinweggeschmolzen zu sein. Unter den Mitgliedern des Ausschusses für die Ausstellung der Frauenarbeit auf dem Gebiet der Presse und Literatur finden wir waschechte Radikale", und Frau Breitscheid selbst ist auf dem Kongreß Referentin über die Frage: Stellung und Mitarbeit der Frauen in den politischen Parteien". Wie Figura zeigt: wie das Gericht Rindfleisch und Pflaumen bei Frizz Reuter ist Konsequenz eine schöne Sache, so man sie hat.

Der Kongreß zerfällt in Tages- und Abendversammlungen und schließt mit einer Jugendversammlung. In den ersteren werden fol gende Fragen in einer großen Zahl von Einzelvorträgen behandelt: Hauswirtschaft und Frauenfrage; Bildungs- und Erziehungsfragen; Berufsfragen( an zwei Tagen); die Frau im öffentlichen Leben. Die vier Abendversammlungen bringen Vorträge über: Die Bedeutung der Frauenbewegung für die berufstätigen Frauen; die Bedeutung der Frauenbewegung für das Verhältnis der Geschlechter; die Stel lung der interkonfessionellen Frauenbewegung zur Religion; die Frau im firchlichen und religiösen Leben; die Bedeutung der Frauens bewegung für die persönliche Kultur, für die Familie, für das soziale Leben. In der Jugendversammlung erfolgen drei Ansprachen". Es muß auffallen, daß sich unter den vielen Vorträgen, die Berufs. fragen" erörtern, fein einziger befindet, der eine Anfrollung der Arbeiterinnenfrage in ihrer ganzen Tiefe und Breite verspricht, da­für wird Reichstags- und Landtagsabgeordneter Graf Praschma über die wirtschaftliche und soziale Lage der Strankenpflegerinnen in den katholischen Drden referieren. Es ist gewiß selbstverständlich, daß auch dieses Thema behandelt werden muß, wenn wie auf dem Kongreß die Frage der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Krankenpflegerin zur Erörterung steht. Aber wir meinen, daß der Arbeiterinnenfrage eine andere Behandlung gebührt hätte, als fie in einigen Vorträgen vorgesehen ist. Es ist bezeichnend, daß in den Tagesversammlungen Diskussion stattfinden soll, in den Abend­versammlungen nicht. Am Tage sind die Damen hübsch unter sich, das um so mehr, als die Karten zur Teilnahme an allen Versamm­lungen für Nichtmitglieder frauenrechtlerischer Vereine und Nicht­delegierte von Organisationen 5 Mt. kosten. Da ist es so gut wie sicher, daß in der Diskussion mur approbiert bürgerliche Anschauungen vorgetragen werden. In die Abendversammlungen könnte sich leichter ein Bekenner des sozialistischen Standpunktes verirren. Wir sind allerdings der Meinung, daß Genossinnen und Genossen bei der ganzen Veranstaltung nichts zu suchen haben. Dieser Kongreß wird alles andere sein, nur nicht eine Stätte, die der Bekundung sozia­listischer Überzeugung und der Agitation für die sozialistische Auf­fassung der Frauenfrage dienen könnte.

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Immatrikulierte Frauen als Mitglieder studentischer Ver­einigungen läßt die Universität Jena nun zu, entgegen einem früheren Verbot. Daß sich das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter endlich durchgesezt hat, wird von den weiblichen Studie­renden freudig begrüßt werden, denen bisher die Beteiligung an wissenschaftlichen Vereinigungen ihrer Studiengenossen verwehrt war. Die freie Studentenschaft hat sich in anerkennenswerter Weise darum bemüht, daß der alte Zopf des Verbots endlich gefallen ist.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.§. in Stuttgart .