Nr. 13
22. Jahrgang
Die Gleichheit
Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen
Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder
Die Gleichbett erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jabres- Abonnement 2,60 Mart.
Inhaltsverzeichnis.
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Märzenstürme. Von N. Luremburg. Für Opfer der Klassenjustiz im Zarenreich. Von Alexandra Kollontay. Die Teuerung.( Für die Lese- und Diskussionsabende.) Won Käte Dunder.- Der deutsche Frauenkongreß. Von Mathilde Wurm . Berufsfragen vor dem bürgerlichen Frauenkongreß. Von g. h. Die Frau in der InDie Frau in der In dustrie und Landwirtschaft Württembergs. I. Von m. Aus der Bewegung: Eine Riesendemonstration der Berliner Genossinnen für den Sozialismus. Von Luise Zieß. Von der Agitation. Von den Organisationen. Politische Rundschau. Bon H. B. Gewerkschaftliche Rundschau. Erfolge gewerkschaftlicher Arbeiterinnenkonferenzen. Von a. e. Aus der Holzindustrie. Von fk. Arbeitslosenzählung im Deutschen Textilarbeiterverband. Von sch. Notizenteil: Dienstbotenfrage. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.- Staatsrechtliche Stellung der Frau. - Frauenstimmrecht.
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Märzenstürme.
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Wenn die Proletarier je im Wust der Tagespolitik den Maßstab für große und kleine Dinge verlieren, wenn sie je im Staube der öden Lebensstraße ermatten und für einen Augenblick an ihrer Kraft verzweifeln sollten, so gibt es ein sicheres Mittel, diese Stimmung zu überwinden: es ist das ein Blick auf die zurückgelegte Strecke ihres geschichtlichen Weges, auf der wie große Marksteine die wichtigsten revolutionären Waffengänge des Proletariats stehen. Die Arbeiterklasse hat auch allen Anlaß, ihren geschichtlichen Erinnerungstagen immer wieder ernste Aufmerksamkeit zu schenken. Sind sie doch für uns das große Lehrbuch, das uns Wegweiser für den weiteren Vormarsch gibt, aus dem wir lernen, alte Fehler zu vermeiden und neue Illusionen zu zerstören. Denn nur durch beständige Selbstkritit, durch das Besinnen auf sich selbst vermag die proletarische Masse ihren großen Klassenkampf und ihre großen Ziele zum Siege zu führen.„ Bürgerliche RevoIutionen," schrieb Karl Marr vor 65 Jahren, wie die des achtzehnten Jahrhunderts stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Ekstase ist der Geist jedes Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Razenjammer erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Laufe, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam- gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr un möglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen: Hic Rhodus, hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!"
Buschriften an die Redaktion der Gleichbett find zu richten an Frau Klara Zetkin ( 3undel), Wilbelmshöhe, Poft Degerloch bei Stuttgart . Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
Der 18. März ruft zwei historische Ereignisse in Erinnerung, die für die internationale Arbeiterklasse wie zwei lodernde Fackeln die Strecke des letzten halben Jahrhunderts beleuchten: die Revolution von 1848 und die Pariser Kommune von 1871. Die deutsche Revolution, die mit dem 18. März ihre siegreiche Schlacht auf den Straßen Berlins geschlagen hatte, ist eine einzige große Lehre vom Bankrott des bürgerlichen Liberalismus. Am 18. März hatte die Arbeiterschaft mit Heldenmut auf den Barrikaden die alte feudale Monarchie geschlagen, hatte sie die Bahn gebrochen für eine fortschrittliche demokratische Entwicklung Deutschlands , für die deutsche Einheit, für die deutsche Republik, für das allgemeine gleiche Wahlrecht in Preußen. Was ist von alledem zur Wirklichkeit geworden? Nichts! Die Bajonette Wrangels , die Rückkehr der geschlagenen Junkerherrschaft, die Konterrevolution und die bleierne Kirchhofsruhe der fünfziger Jahre in Deutschland und dann in den siebziger Jahren die Karikatur der deutschen Einheit in Gestalt der neuen deutschen Reichsherrlichkeit, mit einer Karikatur der Volksvertretung in Gestalt des heutigen Neichstags als Geschent aus den blutigen Händen Bismards, geboren unter dem Fluche des modernen Militarismuß, das waren die Ergebnisse niederträchtigen Verrats der liberalen Bourgeoisie, die schon am Tage nach dem Siege der Berliner Arbeiter hinter deren Rücken ein Techtelmechtel mit der Reaktion begann. Schon damals war den Vätern der heutigen Fortschrittler und Nationalliberalen das schimpfliche Joch des Junkerregimentes auf eigenem Nacken lieber als der Anblick des steifnackigen revolutionären Ungestüms der Proletariermassen; schon damals hatten sie ihren historischen Beruf darin gefunden, sich von Proletarierhänden Kastanien aus dem Feuer der Reaktion holen zu lassen und im gleichen Augenblick die Helfer in der Not an dieselbe Reaktion für einen Judaslohn zu verkaufen. Und doch waren damals die liberalen Bourgeois in Deutschland die Herren der Situation, die berufenen Führer der Volksmasse, denn noch war der Riese Proletariat ein Knabe, unbewußt seiner Kraft und seiner Ziele, und noch standen an der Spize des Liberalismus Männer, die sich bei all ihrer Feigheit und Jämmerlichkeit selbst als Schatten noch neben dem heutigen Geschlecht wie Riesen ausnehmen. Und von diesen zwerghaften Enkeln ihrer verräterischen Großväter, von diesen Deserteuren des Kampfes, die im Verlauf der ganzen späteren Geschichte von Stufe zu Stufe der Schmach und der Erniedrigung gesunken und bis aufs Mark der Knochen korrumpiert sind: von ihnen ausgerechnet sollte heute das deutsche Proletariat eine Waffenbrüderschaft im Kampfe mit der Reaktion erwarten? Heute, wo die Macht und das revolutionäre Klassenbewußtsein der Arbeiter die bürgerliche Welt mit Schrecken erfüllen, wo der Liberalismus von der Höhe seiner historischen Führerrolle ins Jammertal des engen Daseins zwischen die zwei großen Mühlsteine der modernen Geschichte geraten ist: zwischen die Mühlsteine der Arbeit und des Kapitals? Ehe der deutsche Liberalismus von den Toten aufersteht, um die Welt mit dem Waffengeklirr feiner Ruhmestaten zu erfüllen, würden die