Nr. 13 Die Gleichheit ISS Hochverrat gab der russischen Regierung einen billigen Vor» wand zur Geheimhaltung ihrer Justizkoinödie und zugleich zum Staatsstreich, der der eigentliche Zweck der Schurkerei war. Die zweite Duma mußte abgewürgt werden, saßen in ihr doch 53 sozialistische Volksvertreter. Das letzte Grollen des gewaltigen revolutionären Gewitters klang in ihr lauter .und drohender nach, als es die Ohren der Reaktionäre ver­tragen konnten. Nach der Verhaftung von 37 sozialdemo­kratischen Abgeordneten löste die Negierung die zweite Duma auf und setzte ein neues Wahlgesetz durch, das, noch ver­krüppelter als das damals bestehende, die Herrschaft der Großgrundbesitzer und der Großkapitalisten sicherte. Die Minister und anderetreue Diener" des Zaren konnten sich nun des geglücktenMeisterwerkes" freuen. Ohne die Kritik der sozialdemokratischen Volksvertreter fürchten zu müssen, konnten die reaktionären Gewalten niedertreten, was das Volk durch Mut und Opferfähigkeit, Solidarität und Be­geisterung während der Revolution errungen hatte. Viereinhalb Jahre sind seitdem vergangen. Viereinhalb Jahre unaussprechlicher Qualen für die bedauernswerten Opfer der Niedertracht des Zarismus. Zwei der gemarterten Volksvertreter hielten die Härten der Katorga nicht aus, sie erlagen ihren Leiden. Ein anderer Führer der sozialdemo­kratischen Fraktion Zeretelli, dessen geistige Überlegenheit und persönlicher Zauber sogar von den Feinden anerkannt wurde liegt an Schwindsucht todkrank danieder, ein vierter, ein frischer, lebenskräftiger Genosse, ist dem Irrsinn verfallen. Die Gesundheit und Kraft fast aller ist gebrochen. Die Frauen und die Mütter der Märtyrer wendeten sich in ihrer Verzweiflung an die Regierung. Sie erflehten die be­scheideneGnade", die Verurteilten möchten aus dem hohen Norden nach dem Süden überführt werden, damit ein wenig Sonnenlicht durch die schmalen Kerkerfenster zu ihnen dringe. Sie baten vergebens. Nur einige Schwerkranke sind schließ­lich nach russischen Gefängnissen gebracht worden. Was von Anfang an vermutet worden war, das hat nun seine Bestätigung gefunden. Die Enthüllungen eines ehe­maligen Lockspitzels, Brodski, lassen keinen Zweifel darüber, daß der angebliche Hochverrat der sozialdemokratischen Ab­geordneten ein Machwerk der geheimen politischen Polizei, der berüchtigtenOchrana " gewesen ist. Der Hauptnachweis desHochverrats" sollte die Deputation einer Geheimorgani­sation von Soldaten sein, die in Zivilkleidern den sozial­demokratischen Abgeordneten ihre Forderungen vortragen wollte. Der Fraktion kam die Sache sehr verdächtig vor, sie wies die Deputation daher zurück, nahm aber eine Petition von ihr entgegen. Nun steht fest, daß die Soldaten der Depu­tation die Zivilkleider in der Wohnung eines Geheim­polizisten erhalten hatten, und daß ihre Petition vom Chef der Ochrana verfaßt wurde. Um die Vertreter der Arbeiter­klasse aus dem Wege zu räumen, wie einen Staatsstreich zu ermöglichen und dabei vor dereuropäischen Kulturwelt" den Schein der Gesetzlichkeit zu wahren, ist der Zarenregie­rung kein Mittel zu schlecht! Sogar ein bürgerlicher Ab­geordneter, Teslenko, erklärte, daß schon die Untersuchungs­kommission der zweiten Duma, die sich mit der Angelegenheit beschäftigen mußte, einmütig zu der Überzeugung gekommen war, es handle sich hier keineswegs um eine Verschwörung der Sozialdemokratie gegen den Staat, sondern um eine Verschwörung der Petersburger Geheimpolizei gegen die zweite Neichsduma. Versuche, die Wiederaufnahme des Prozesses zu erreichen, sind bis jetzt trotz allem erfolglos geblieben. Aber nun erklingt diese Forderung stärker. Neue Tatsachen müssen zu einer Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens führen, das ist ein Recht, auf das der gemeinste Verbrecher einen Anspruch hat. In Massenversammlungen heischt das russische Proletariat die Revision des Prozesses. Seit einigen Monaten führt in der Duma die kleine, aber tapfere sozialdemokratische Frak­tion einen erbitterten Kampf gegen die reaktionäre bürger­liche Mehrheit, die sich gegen die Gerechtigkeit stemmt. In wenigen Tagen kommt im Plenum deS russischen Parlament» die schon mehrmals von den Sozialisten eingebrachte Inter­pellation über den Justizmord zur endgültigen Beratung. Es geht um das Geschick der gemarterten Vertreter der Ar­beiterklasse Rußlands . Es gilt, die reaktionären Gewalten zur Verantwortung zu ziehen, die ihre Herrschaft auf die schändlichsten Verbrechen aufbauen. Einmütige Protestkund­gebungen des internationalen Proletariats müssen den Kampf der russischen Sozialdeinokratie stärken und das selbst­zufriedene Behagen des russischen Zarismus stören. Da» Solidaritätsgefühl der Arbeiterklasse, die keine künstlichen Schranken zwischen den Völkern kennt, bewährt sich auch in diesem entscheidungsschweren Augenblick. In Frankreich und in Belgien , in Schweden und in Osterreich , überall erheben die Sozialisten ihre Stimme, um das schändliche Verfahren der Zarenregierung zu brandniarken. Die sozialdemokratischen Abgeordneten des Reichstags und der Landtage in Deutsch­ land haben einen Protest veröffentlicht, überall finden Volks­versammlungen zu demselben Zwecke statt. Den Frauen der Arbeiterklasse darf diese Angelegenheit nicht fremd bleiben, auch ihnen sollte das Schicksal der Vertreter ihrer russischen Schwestern und Brüder am Herzen liegen. Es leiden die Gatten, die Söhne, die Väter der Klassen- und Kampfes- genossinnen, es leiden die tapferen Männer, die angesicht» der wachsenden Reaktion in Rußland allein den Mut be­saßen, bis zum letzten Augenblick die Interessen der ausge­beuteten und unterdrückten Volksmassen zu verteidigen. Da» erschütternde Drama ist letzten Endes keine rein russisch« Angelegenheit. Es ist eine Episode des heißen Kanipfes, in dem um die Befreiung des Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung durch den Menschen gerungen wird. Wenn die Justiz in den Händen der Herrschenden Urteilssprüch« voll schreienden Unrechts fällt, so hat die wachsende Macht internationaler Solidarität der Arbeiterklasse die stolze Auf­gabe, mit allem Kraftaufwand und aller Hingabe die unter­drückte Gerechtigkeit einmütig zu fordern und ihren Sieg zu erkämpfen. Alexandra Kollontay. Die Teuerung. ' F�r die Lese- und Diskussionsabende. Von Käte Duncker . 3. Die Organisation der Produzenten. (Schluß von Abschnitt Z.) Das Hüttenwerk, das vom Kohlensyndikat seinen Kohlen­bedarf, das Walzwerk, das vom Roheisensyndikat sein Roh­material zu den hohen Syndikatspreisen kaufen mußte, war von vornherein in seinem Profit wesentlich beeinträchtigt, in seiner Konkurrenzfähigkeit bedroht. Deshalb gliedern sich häufig die Hüttenwerke eigene Kohlengruben an oder Walz­werke verbinden sich mit Hochöfen und Stahlwerken. Solche kombinierten Betriebe, die mehrere Produktionsstufen um­fassen, nennt man gemischteWerke. Diese sind im Kon­kurrenzkampf den sogenanntenreinen Werken" natürlich bei weitem überlegen. Nicht nur dadurch, daß sie ihre Rohmaterialien statt zu den teuren Kartellpreisen zum Selbstkostenpreis beziehen, sondern vor allem auch, weil die. Kombination technische Vorteile bietet, deren Ausnützung ihnen eine höhere Produktivität sichert. Wo zum Beispiel Walzwerke gleich an den Hochofen angegliedert sind, da spart man die Transportkosten für das Rohmaterial: da läßt man das Roheisen nicht erst erkalten, um es dann zur Weiterverarbeitung wieder in Glut zu versetzen: da ver­wandelt man die Hochofengase in elektrische Kraft, mit der man die Weiterverarbeitung betreibt. So bedeutet der Über­gang vom reinen zum gemischten Werk einen gewaltigen technischen Fortschritt, der es ermöglicht, die Eisenwaren mit geringeren Kosten herzustellen. Die kartellierte Eisenindustrie jedoch kann mit Hilfe der Schutzzölle trotzdem die hohen Eisenpreise festhalten. Der technische Fortschritt