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Die Gleichheit

sein, denn wir meinen, daß das Wahlrecht keine Gegenleistung ist für die dem Staate dargebrachte Leistung. Wenn es heute Befür­worter eines Frauendienstjahres im allgemeinen Interesse und in sozialem Sinne gibt, so läßt sich dieser Gedanke wohl erwägen, ohne daß das Stimmrecht damit in Verbindung gebracht wird. Wir wollen der Frau den Weg zum Wahlrecht nicht für alle Zeit ver­bauen, wir wollen diesen Gedanken ganz der Entwicklung anheim­geben, aber zunächst sind wir der Meinung, daß es in dem Staatswesen am besten bestellt ist, in dem die Männer für gute Geseze und die Frauen für gute Eitten forgen."

Der konservative Abgeordnete Schmidt ließ gegen die Forderung der Sozialdemokratie wieder die alte Leier erklingen, daß durch die politische' Gleichberechtigung des weiblichen Ge­schlechts die Familie und der Staat zerstört werden solle. Man muß seine törichten Behauptungen lesen, um sie für möglich zu halten. Hier sind sie: Bei aller Anerkennung für die sonstigen Vorzüge der holden Weiblichkeit huldigen wir entschieden dem Grundsatz, den das alte lateinische Sprichwort schon ausdrückt: , mulier taceat in ecclesia. Meine Herren! Die Frau hat im Rate der Manner zu schweigen, dieser Ansicht sind auch wir heute noch, und zwar aus dem Grunde, weil wir den Beruf der Frau ganz anders und in einem viel idealeren Sinne auffassen, und weil wir ferner wissen, daß durch die Politik, durch das Wahl­recht der Frau, daß man dadurch nur zu einer Zerrüttung des Familienlebens kommen würde, und die Familie ist die Grundlage des Staates. Die Sozialdemokratie handelt hier wieder zielbewußt. Sie sagt sich: Schaffen wir etwas, was die Familie zerrüttet, so schaffen wir eine Zerrüttung der Grund­Tagen des Staates, und der Staat wird mürbe und zuletzt fällt uns die Herrschaft in die Hand.( Lachen links.) Meine Herren! Was sollen für Verhältnisse gezeitigt werden, wenn man den Frauen das Wahlrecht gibt? Was soll werden, wenn der Mann müde und abgearbeitet nach Hause kommt und glaubt, es sich ge= mütlich machen zu können, und erfährt, daß seine Frau in eine Wahlversammlung gegangen ist?( Heiterkeit.) Er wird sich nicht sehr gemütlich zu Hause vorkommen, und da läuft er in die Kneipe und die Kinder bleiben allein und aufsichtslos zu Hause. Die Er­ziehung leidet darunter.( Zuruf links.) Der Herr Abgeordnete Müller ruft mir eben etwas zu, wahrscheinlich will er sich dann der armen Kinder annehmen( Heiterkeit!), will die Amme dabei spielen.( Buruf links: Das möchten Sie so machen, was?) Die Sozialdemokratie handelt zielbewußt, sie sagt sehr richtig: Du mußt die Grundlagen des Staates zerrütten, dann fällt der Staat dir selbst zu"

Nachdem der tapfere Herr Schmidt den Staat vor der Ge­fahr gerettet hatte, von der bösen Sozialdemokratie mittels des Frauenwahlrechts meuchlings umgestürzt" zu werden, blieb dem fortschrittlichen Abgeordneten Günther nichts mehr zu tun übrig. Dieser eigenartige" Demokrat" war sehr beredt, um das Kunststück fertig zu bringen, in einem Atem sich für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu erklären und den sozial­demokratischen Antrag zu verdammen, der es für alle mündigen Staatsbürger forderte. Er fand nicht das armseligste Wort, um das politische Recht des weiblichen Geschlechts zu verteidigen. Wahrscheinlich aber werden die liberalen" Frauenrechtlerinnen in der Bescheidenheit ihres bürgerlichen Herzens den Herrn noch dafür belobigen, daß er wenigstens nicht gegen die Forderung ge­sprochen hat. Dem Frauenwahlrecht erstand nur noch ein Ver­teidiger in unserem Genossen Fräßdorf, der vor Schluß der Debatte zu Worte kam. Unter Hinweis auf die Gefahren und Opfer des Wochenbetts betonte er, daß die Frau als Gebärerin so viel für das Vaterland aufs Spiel seze wie der Mann als Soldat. Und er nagelte den Widerspruch, die Unkonsequenz fest, mit der die Gegner des Frauenwahlrechts schreien, daß die Sitte und Sitt­lichkeit durch das Hinaustreten des Weibes in die politische Arena gefährdet werde, aber nicht darauf bedacht sind, Sitte und Sittlich­feit gegen die Bedrohung durch die kapitalistische Ausbeutung zu schüßen. Der Antrag der Sozialdemokratie wurde mit allen bürgerlichen Stimmen abgelehnt. Wir veröffentlichen in der näch­sten Nummer die Nede des Genossen Fleißner, die unseren Genossinnen bei der Agitation für unseren sozialdemokratischen Frauenwahlrechtstag gute Dienste leisten wird.

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Das Frauenwahlrecht vor dem Kongreß der katholischen Demokraten in Belgien . Der letzte Kongreß der Römisch- Katho­lischen Demokraten Belgiens , der in Courtrai stattgefunden hat, beschäftigte sich mit der Frage des Frauenwahlrechts. Das Referat dazu erstattete Fräulein Van den Plas. Es brachte eine Widerlegung der Einwände, die gegen das Frauenwahlrecht erhoben

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werden. Zur Annahme gelangte folgende Resolution: Die verschie denen Gründe gegen das Frauenwahlrecht halten einer durchaus un parteiischen Prüfung nicht stand. Andererseits würde die Beteiligung der Frauen an den Gemeinde-, Provinzial- und auch den Staats­wahlen Sittlichkeit, Ordnung und Wohlstand der Nation fördern, denn die Länder, welche den Frauen irgendeine Art des Wahlrechts gewährt haben, ernteten dank der Neuerung viele Vorteile und litten nicht unter den prophezeiten Mißständen. Der Kongreß erklärt es daher für dringlich, daß das belgische Parlament im Falle einer Reform des geltenden Wahlgesetzes den Frauen die nämlichen Wahl. rechte zuerkennt wie den Männern, und das unter den gleichen Be­dingungen, die für diese gelten." Ein Teil der nichtdemokratischen Klerikalen in Belgien liebäugelt bekanntlich schon seit längerer Zeit wenigstens gelegentlich mit dem Frauenwahlrecht.

Politische Gleichberechtigung der Frauen in China . Wie andere bedeutende revolutionäre Kämpfe, so hat auch die Revolution in China die Frau als Verfechterin politischer Freiheit und gesell­schaftlicher Umgestaltung in die Öffentlichkeit gerufen. Frauen haben mit allem Opfermut die revolutionäre Erhebung in aller Stille mit vorbereiten helfen; Frauen haben in jeder Weise die Kämpfenden unterstützt; Frauen sind selbst mit den Waffen in der Hand zu kämpfe­rinnen gegen die alten knechtenden politischen Mächte geworden. Die Republik hat unter ihren Verteidigern ein Amazonentorps" von Chinesinnen in militärischer Tracht und Ausrüstung, von den vielen Frauen zu schweigen, die ohne solche Ausstaffierung für die Sache der Revolution gekämpft haben und gefallen sind. Alle die Einzel­heiten, die über die Beteiligung der Chinesinnen an der Erhebung berichtet worden sind, weisen darauf hin, daß auch in dem alten Riesenreich Scharen von Frauen nach Erlösung von der bisherigen Gebundenheit, nach Gleichberechtigung verlangen. Dieses Verlangen setzt sich bereits im Süden Chinas durch, dem Hauptherd der Revo­lution. Dr. Sunjatsen, der Theoretiker und geistige Führer der Revolutionäre, hat der französischen Frauenrechtlerin Dr. Belletier folgenden Brief geschickt:

,, Nanking, den 16. Februar.

Madame! Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß für die Provinzialversammlung von Canton vier Frauen als Mit­glieder gewählt worden sind. Ich hoffe, daß die Tatsache von Inter­esse für Sie sein wird."

Die Provinzialversammlung für Canton ist das Parlament eines großen, weit fortgeschrittenen Teiles von China .

Die Einführung des Frauenwahlrechts in Rußland wird in einem Antrag von den Parteien der Linken in der Reichs­duma gefordert. Zur Begründung der verlangten Reform machen sie geltend, daß die Frauen bei der Arbeit auf sozialem Gebiet viel Schaffenstraft und Organisationstalent bewiesen haben, ebenso im Kampfe gegen Trunksucht und Armut und auf dem Felde der Er­ziehung. Man dürfe erwarten, daß sie sich auch größeren Aufgaben gewachsen zeigen würden. Die Einführung des Frauenwahlrechts werde von großer ethischer Bedeutung für die ganze Nation sein. Nähere Angaben über die Art des geforderten Frauenwahlrechts fehlen. Das geltende Wahlrecht zur Reichsduma ist auf das männ liche Geschlecht beschränkt und annähernd so schlecht wie das mise­rabelste aller Wahlrechtssysteme in Preußen.

Von den englischen Suffragettes. Während in Großbritannien der imposante Generalstreik der Bergarbeiter die ganze Kultur­welt in Atem hält und die gekreuzten Arme von mehr als einer Million Lohnsklaven der bürgerlichen Gesellschaft zum Bewußtsein bringen, daß sie letzten Endes von der Gnade der Ausgebeuteten lebt, erachten es die Suffragettes für flug, ihre Taktik der bisher üblichen Anrempelungen von Ministern und anderen politischen Persönlichkeiten durch die Tollheit eines systematischen Feldzugs zur Zertrümmerung der großen Glasscheiben in Geschäftshäusern, Restaurants usw. zu krönen. Mit einem ernsten Kampfe hat dieser Vandalismus so wenig gemein wie das reaktionäre Ziel der Suf­fragettes ein beschränktes Damenwahlrecht mit der poli­tischen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Der Raum­mangel zwingt uns, erst in nächster Nummer einen gedrängten Überblick über diese Vorgänge und ihr gerichtliches Nachspiel zu geben. Geradezu unglaublich klingt es und redet Bände von der sozialen Verständnislosigkeit der randalierenden Damen, daß diese sich für ihr Vorgehen auf den Streit der Bergarbeiter mit seinem Schaden für die bürgerliche Gesellschaft berufen. Zu dem überwältigenden geschichtlichen Ereignis des Bergarbeiterkampfes verhält sich das Wüten der Suffragettes noch nicht einmal wie die plumpe Posse zum Drama großen Stils.

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Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Betfin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart .

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