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Die Gleichheit

tinien, um den Eltern und Geschwistern daheim helfen zu können. Im fremden Lande, dessen Sprache sie nicht kennen, werden die Unglücklichen bald durch List, Drohung, durch Gewalt, durch Hunger und im äußersten Falle durch Betäubungsmittel gefügig gemacht und gehen nun, jeder Bestialität preisgegeben, gewöhnlich einem grauenhaften Schicksal entgegen, das in wenigen Jahren mit Siechtum und Tod zu enden pflegt. Eine bestechliche Polizei, eine lare Gesetzgebung begünstigen in sehr vielen Ländern den Handel mit Frauenleibern. Gefängnisstrafen von 3 bis 5 Tagen und Geldstrafen von 50 bis 100 Aronen wie sie 1907 einer Budapester Mädchenhändlerbande zudiktiert wurden werden natürlich nicht abschreckend wirken, wenn Riesen­profite winken. Die Preislisten des Mädchenhandels ver­zeichnen Summen von 500 bis zu 5000 Mt. für jedes auf­getriebene Stück", wie der übliche Fachausdruck lautet.

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Bu 95 Prozent entstammen die Opfer des Mädchen­handels und der Prostitution den unteren Volksschichten. Jede wirtschaftliche Krise läßt ihre Zahl anschwellen. Das erweist das unmittelbare Interesse des Proletariats an dieser Frage. Jede seiner Töchter ist gefährdet, die in die Fremde gehen will, um so mehr, je jünger, schöner und weltfremder fte ist. In den Annoncen der Zeitungen, in gewissen Stellen­bermittlungsbureaus auf Bahnhöfen und Landungsplätzen, sogar in Heimen und Hospizen lauert die Gefahr in ver­schiedenster Gestalt. Wo der Mädchenhändler nicht anders au seinem Ziele kommen kann, schreckt er selbst vor einer Heirat mit seinem Opfer nicht zurück, wobei er sich gewöhn­lich gefälschter Papiere bedient. Hat er ein Mädchen so erst einmal in seine Gewalt gebracht, dann ist es ihm ein Leichtes, es irgendwo im Ausland dem Bordell zu übergeben. Einer der berüchtigsten Mädchenhändler namens Meyrowitz ist auf diese Weise schon dreißigmal verheiratet gewesen. Gewiß kommt es auch vor, daß Abenteuerlust und Leichtsinn Mädchen mit ungefestigten Charakteren freiwillig" das Gewerbe der Prostitution ergreifen lassen, aber wer möchte behaupten, daß sie die volle Tragweite ihres Entschlusses zu übersehen bermögen? Prostitution bedeutet für den weiblichen Teil in der Regel bürgerlichen Tod. Eine Rückkehr in ein geord­netes Leben ehrlicher Arbeit kann die Willkür der Polizei jederzeit vereiteln. Sie macht wenigstens in Deutschland durch ihre plumpen Nachforschungen, ob eine ehemalige Brostituierte wirklich einen dauernden reellen Broterwerb" hat, ihr die kaum gewonnene ehrliche Existenz meistens un­möglich und treibt sie von neuem der Schande zu.

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Der Imperialismus hat die Nachfrage nach käuflichen Frauen ins Riesenhafte gesteigert und neue Absaßmöglich­keiten für den Mädchenhandel geschaffen. In den Parla­menten aller Länder markiert man genau so wie neulich im deutschen Reichstag tiefsten Abscheu gegen den Mäd­chenhandel und alles, was mit ihm zusammenhängt. Allein man duldet es nicht nur, sondern man beschönigt es auch, wenn bei den immer häufiger werdenden Kolonialfriegen eine offizielle Begünstigung von Mädchenhandel und Pro­stitution stattfindet. Im Jahre 1886 ordnete Lord Roberts , der Oberbefehlshaber der englischen Armee, an, daß man für die Truppen in Indien eine ausreichende Anzahl junger, schöner Mädchen beschaffen sollte, die nach einheitlichen Be­stimmungen überwacht wurden. Einen neuen Aufschwung brachte der Burenkrieg für den Mädchenhandel. Wieder wurden für das englische Militär ungezählte Mädchen und Frauen von Großbritannien und anderen europäischen Län­dern nach Kapstadt verhandelt. Das Kriegshandwerk ver­roht den ganzen Menschen. Der legale Massenmord entfesselt in den haltlosen jungen Männern neben einem wahnsin­nigen Blutrausch vor allem die geschlechtliche Bügellosigkeit, das alles genährt und gesteigert durch die ständige Gefähr­dung der Existenz. Deutschland , das sich immer rühmt, an der Spitze der Zivilisation zu marschieren, steht in diesem Bunkte hinter England durchaus nicht zurück. Zum Beweis dessen sei hier nur an den folgenden Tatbestand erinnert:

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In dem Strafverfahren gegen den Genossen Kunert wegen Beleidigung von Mitgliedern des ostasiatischen Expeditions­forps, 1905, wurde auch bewiesen, daß in China unter deut­schem Schuße, unter der schwarz- weiß- roten Flagge Bor­delle als amtliche Institutionen etabliert wor­den waren. Es gab dort zwei Abteilungen, die eine für Offiziere, die andere für die Mannschaften. Aufschriften in verschiedenen Sprachen lauteten: Nur für deutsches Militär. Ein aufgestellter Wachtposten verstärkte den amtlichen Cha­rakter der Bordelle, in denen Sanitätstruppen tätig waren. Wiederholt kam es hier zu schweren Ausschreitungen von Soldaten. Trotzdem die Bordelle unter deutschem Schuße standen und über ihnen das deutsche Banner wehte, wurden sie von deutschen Soldaten gestürmt, man plünderte die Rasse, mißhandelte, verwundete und vergewaltigte die Mäd­chen. Diese Tatsachen sind unter Eid vor Gericht bekundet und später im Reichstag in der 81. Sizung am 31. März 1906 zur Sprache gebracht worden. Die Entrüstung der bürgerlichen Politiker im Parlament richtete sich aber nicht etwa gegen die vorgekommenen Roheiten oder gegen die Institution der Bordelle unter deutscher Flagge, sondern ausschließlich gegen den Sozialdemokraten, der jene für die Manneszucht unseres herrlichen Kriegsbeeres so gravieren­den Dinge vorgebracht hatte. Ja, ein Nationalliberaler, der Abgeordnete Held, brachte es sogar fertig, die deutsche Vor­delleinrichtung in China ,, eine der weisesten sanitären Maß­regeln" zu nennen, welche jemals von einer Behörde ein­geführt wurde". Zustimmung aus dem Hause unterbrach den Redner hierbei und als er meinte, daß bei Bordell­mädchen von Vergewaltigung nicht gesprochen werden könne.

Wenn man sich dieser Tatsachen erinnert und dann die von sittlicher Entrüstung triefenden Reden liest, die von den Vertretern der Bourgeoisparteien im Reichstag neulich über den Mädchenhandel gehalten wurden, dann wird man von Efel erfaßt über die Verlogenheit und Heuchelei, die den Sittlichkeitsbestrebungen unserer angefaulten Gesellschaft den charakteristischen Einschlag gibt. Unter der heutigen Ge­sellschaftsordnung, die sich mit der Prostitution als einem notwendigen übel" längst abgefunden hat, ist ein ernst­licher Kampf gegen diese und den mit ihr verschwisterten Mädchenhandel niemals zu hoffen, denn der kapitalistische Sumpfboden muß diese riesigen Schmaroßerpflanzen immer von neuem mit Notwendigkeit hervorbringen. Nur das so­zialistische Proletariat, das mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln die Voraussetzungen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufheben will, vermag diesen Kampf ehrlich und mit Erfolg durchzuführen. Indem es den Kapitalismus durch den Sozialismus ersetzt, be­seitigt es die wirtschaftlichen Nötigungen, die den Mann in der heutigen Gesellschaft verantwortungslosen Geschlechts­genuß suchen und finden lassen. Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, das bedeutet auch das Ende der Schmach des Mädchenhandels und der Prostitution. Mit diesem Ziele vor Augen gilt es aufklärend und werbend zu wirken, um den Sieg der Menschlichkeit über die Bestialität vorzu­bereiten. M. Kt.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Vom 16. bis 25. März hatte die Leitung des Wahlkreises Meiningen I eine Reihe öffentlicher Versammlungen zu dem Zweck veranstaltet, das Interesse der Frauen am öffentlichen Leben wachzuhalten, das sich bei der Reichstagswahl gezeigt hatte, und die Proletarierinnen über ihre Stellung im Wirtschaftsleben aufzuklären. Genossin Röhl- Neukölln referierte über das Thema: " Die Frau im wirtschaftlichen Stampfe". Sie hatte außerordentlich aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer, die mit ihrem Beifall nicht targten. In allen Versammlungen wurden Mitglieder in die Partei aufgenommen. Darunter befanden sich in Klein- Allendorf 16, in Meiningen 14, in Schwallungen 4 Frauen, und die Vereine in Steinbach und Gumpelstadt gewannen gleichfalls mehrere weibliche Mitglieder. In Wildprechtroda , wo noch teine Partei­