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Die Gleichheit
revolutionären Bürgertums bekundeten? Der" gute" Ludwig XVI. jagte derweilen die Hirsche und trug des Abends ins Tagebuch die dentwürdige Einzeichnung ein:" Heute nichts vorgefallen." Nichts vorgefallen" für einen König, während sich vor dem Prachtgitter des Schlosses Tausende Hungriger drängten.„ Nichts vorgefallen", während vor den Türen der königlichen Schlafgemächer bereits die Füße der tapferen Frauen standen, die ohne Respekt vor dem gläns zenden Plunder des Gottesgnadentums und ohne Furcht vor seinen Bajonetten den König mit seiner Familie und die Nationalversamm lung nach Paris zurüdzwangen. Der Geschichtschreiber Michelet nennt diesen„ Leichenzug der absoluten Monarchie" in Frankreich das Werk fämpfender Frauen.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
I. K. Fur die politische Gleichberechtigung der Frauen in Desterreich hat das Frauenreichskomitee der Genossinnen abermals eine größere Aktion unternommen. In der Zeit vom 10. bis 17. März hat es zahlreiche Versammlungen einberufen, als Stundgebungen gegen den Ausschluß der Frauen von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen. In Wien allein fanden 15 solcher Versammlungen statt, eine große Anzahl auch in der Provinz. In allen Veranstaltungen sprach außer der Referentin noch ein Abgeordneter. Die Versammlungen waren sehr gut besucht und von Kampfesstimmung beherrscht. Sie wurden gleichzeitig zur Agitation für die bevorstehenden Gemeinderatswahlen und für den Frauentag ausgenüßt. Bekanntlich hat das österreichische Abgeordnetenhaus schon den§ 30 des Vereinsgesetzes aufgehoben, der Frauenspersonen" von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen ausschließt. Nach diesem Beschluß wurde jedoch das Parlament aufgelöst, ehe noch das Herrenhaus zugestimmt hatte, und die ganze Reform fiel so ins Wasser. Dem neuen Hause wurde nun von der Regierung der Entwurf eines Vereinsgesetzes vorgelegt, das die Ausschließung der Frauen von den poli tischen Organisationen nicht mehr enthält, doch ruht die Vorlage im Verfassungsausschuß. Die Genossinnen wollen aber nicht länger die separaten politischen Frauenorganisationen haben, sondern den politischen Vereinen angehören zusammen mit den Genossen. Um auf das Parlament einzuwirken, wurden diese Versammlungen veranstaltet. Es gelangte folgende Resolution zur Annahme:„ Die am.. März tagende Frauenversammlung erhebt neuerlichen entschiedenen Protest gegen jene Bestimmung des Vereinsgesetzes(§ 30), welche Frauen von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen ausschließt. Die Frauen erwarteten, daß das neugewählte Parlament es als eine seiner ersten Aufgaben betrachten würde, jene reaktionäre Bestimmung zu beseitigen. Dies um so mehr, da die Mehrheit des früheren Parlaments schon beschlossen hatte, den§ 30 zu eliminieren. Die Frauen empfinden es als empörend, daß man sie, die als Mütter und Arbeiterinnen schwere Pflichten erfüllen und als Staatsbürgerinnen alle direkten und indirekten Steuerlasten zu tragen haben, für unwürdig und unreif befindet, selbst jene primitiven politischen Rechte zu befizzen, welche die Frauen jedes anderen Landes schon haben. Den Frauen fehlt leider das Recht, mit dem Stimmzettel ihre Interessen selbst zu vertreten, aber sie erwarten bestimmt, daß es im österreichischen Parlament genug einsichtige Männer gibt, die be reit sind, diese bescheidene und berechtigte Forderung, die von bielen Tausenden Frauen in ganz Österreich erhoben wird, zu erfüllen. Die heute tagende Frauenversammlung fordert die sozialdemokratischen Abgeordneten auf, für die Reform des Vereinsgesetzes entschiedenst einzutreten; die Frauen dagegen geloben, nicht zu rasten und zu ruhen, bis sie im Besitz der vollen staatsbürgerlichen Gleichberechtigung sind."
a. p.
Vom Kampf der österreichischen Genoffinnen. In Österreich find wie unsere Genossinnen oben gelesen haben die Frauen in vereinsrechtlicher Beziehung heute noch so rechtlos, wie wir es vor dem Mai 1908 gewesen sind. Der§ 30 des Vereinsgesetzes von 1867 bestimmt, daß„ Ausländer, Frauenspersonen und Minderjährige" als Mitglieder politischer Vereine nicht auf genommen werden dürfen. Seit geraumer Zeit sind aber auch in Osterreich die Entwidlungskräfte eifrig am Werke, die den Besig der politischen Rechte besonders für die proletarischen Frauen zu einer dringenden Lebensnotwendigkeit machen. Die Frauenarbeit ist dort prozentual viel stärker wie in dem fapitalistisch doch bedeutend mehr entwickelten Deutschland ( 73 Prozent zu 48 Prozent). Bei längerer Arbeitszeit sind die Löhne noch niedriger wie bei uns, der gefeßliche Arbeiterschuß stedt noch tiefer in den Kinderschuhen, so daß das proletarische Elend in jeder Hinsicht furchtbar in Erscheinung tritt. Die Lasten der Zölle und indirekten Steuern wachsen auch in Österreich von Jahr zu Jahr dank der wahnwigigen Groß
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machtspolitik der herrschenden Klassen. Der Militarismus schröpft das Volk bis zum Weißbluten. Die Staatsschulden sind in dem verhältnismäßig armen Lande auf beinahe elf Milliarden Kronen angewachsen, auf den Kopf der Bevölkerung entfallen 360 Kronen. Wie man sieht, haben die österreichischen Proletarierinnen ein ganz gewaltiges Interesse, für eine durchgreifende Verbesserung ihrer Ver hältnisse zu kämpfen und als Waffen für diesen Kampf sich die politischen Rechte zu erringen. Zur Mitwirkung bei der umfassenden Agitation für volles Vereinsrecht der Frauen war die Unterzeichnete vom schlesischen Frauen- Landeskomitee unserer Genossinnen aufgefordert worden. Sie referierte in: Mähr.- Ostrau, Jägern dorf , Troppau , Odrau , Wigstadtl und Bautsch . Die Ver sammlungen waren gut besucht, und in allen wurde die vom FrauenReichskomitee in Wien vorgeschlagene Resolution einstimmig und begeistert angenommen, in der die Wünsche und Forderungen der Genossinnen flar und scharf zum Ausdruck kamen. Wir wünschen unseren tapferen Schwestern in Österreich auch an dieser Stelle einen recht baldige. glänzenden Sieg in ihrem Stampfe. B. Selinger. Die Frau in öffentlichen Aemtern.
Für die Mitarbeit der Frauen auf kommunalem Gebiet in Stuttgart trat der sozialdemokratische Gemeinderat Sperka bei der Beratung des städtischen Haushaltungsplans für 1912 mit Wärme ein. Er führte aus:
" Zum Schlusse muß ich noch eine Frage berühren, die in den letzten Jahren in einer Reihe von großen Städten erörtert worden ist: die Mitarbeit der Frauen in der Gemeindeverwaltung.( 8urufe.) Erschrecken Sie nicht, ich spreche hier nicht von der Beteiligung der Frau an der Gemeindevertretung, fie muß von der Gesezgebung beschlossen werden. Die Frau ist mehr und mehr auf den Erwerb in allen Berufszweigen angewiesen und wird damit steuerpflichtig wie der Mann. Aber die gleichen Rechte, die dieser genießt, werden ihr noch immer vorenthalten. Auch in der Familie hat die Frau keine leichte Aufgabe zu erfüllen. Sie muß bei den teuren Lebensverhältnissen sparen und sorgen, und dann ist die Frau vielfach in der Familie der Sturmbod, an dem alles anprallt, was das heutige hastende und nervöse Treiben mit sich bringt. Es gibt Gebiete in der Gemeindeverwaltung, auf denen sich die Frau zum Nußen der Stadt betätigen kann. Ich erinnere nur an die sozialen Einrichtungen der Stadt, an die Armenverwaltung, an die Schulräte, die Waisenfürsorge und auch an die Untersuchungen bei beantragter Fürsorgeerziehung, wo in vielen Fällen die Mitwirkung der Frau erwünscht wäre. Andere Großstädte, wie Mannheim , haben die Frauen zur Mitarbeit in der Gemeinde bereits herangezogen."
Leider scheint die sozialdemokratische Anregung auf steinigen Boden gefallen zu sein. Auch nicht ein einziges bürgerliches Mitglied der Gemeindefollegien hat den Vorschlag des Genossen Sperka unterstützt. ja ist auch nur auf die angeschnittene Frage einge gangen. Die liberalen" Freunde der Frauenrechte haben wieder einmal gründlich versagt.
Zu dem am 12. Mai stattfindenden diesjährigen Frauentag erscheint wie im verflossenen Jahre eine Agitations: zeitung für das
Frauenwahlrecht
Herausgegeben von Klara 3etkin. 16 Seiten im Format der Gleichheit.
Die Zeitung wird einen reichen Inhalt und eine Reihe guter Illustrationen bringen. Das Blatt soll der Agitation unter den breitesten Massen dienen.
Preis der Einzelnummer für den Wiederverkauf 10 Pfennig. Die Organisationen erhalten das Blatt zu den für die Gleichheit üblichen Bedingungen.
Bestellungen sind sofort an die Expedition der Gleichheit, Stuttgart , Furtbachstraße 12, einzusenden.
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