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Die Gleichheit

die 1600 der ,, Titanic " auch als Opfer kapitalistischer Profit­jägerei, aber sie starben unter romantischen Umständen. An einem Eisberg zerschellte das größte Schiff der Welt und die Dividende der Aktionäre; auf einem mit fabelhafter Bracht ausgestatteten Dampfer, unter den Klängen der Musikkapelle fanfen die 1600 in die Meerestiefe, am nächt­lichen Himmel funkelten die Sterne, und die Eisberge warfen einen fahlen Schimmer über die Wogen. Doch jene Tausende und Tausende starben in dumpfen Gruben, im schrillen Lärm der Fabriken, auf gewöhnlichen Bauten, sie starben in Erfüllung ihrer Bestimmung, als Arme den Reichen Schäße zu schaffen.

Doch wenn die bürgerliche Gesellschaft sich auch nicht sonderlich aufregt über diese alltäglichen Opfer ihres Wirt­schaftslebens, tut sie nicht wenigstens ihr Möglichstes, um diese Unfälle zu vermeiden? Hat nicht der Kaiser bei der Eröffnung des Reichstags behauptet, die Sozialpolitik nehme einen hervorragenden Platz in unserer Gesetzgebung ein? Nun einzig und allein in zähem Ringen konnte die Sozialdemokratie einen gewissen Schutz des gefährdeten Ar­beiterlebens erzwingen. Und nicht einmal die noch unzu­länglichen Schutzmaßregeln werden von den Unternehmern gewissenhaft beobachtet. Weit mehr Scharfsinn, als um Un­fälle zu verhüten, wird aufgeboten, um die bei den Unfällen geschädigten Arbeiter um ihre Rente zu prellen. Das er­weisen die Ziffern der Berufsgenossenschaften mit aller Deutlichkeit.

Es betrug die Zahl

aller Unfälle

Nr. 16

zogen, daß sich die Verstümmelten auch an das Fehlen von Gliedmaßen gewöhnen fönnen.

Das gleiche Bild ergibt sich bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften:

Dauernde Erwerbsunfähigkeit Vorübergehende

Tod

völlige

teilweise

Erwerbsunfähigkeit

1899.

2608

440

25313

22926

.

2948

668

31428

30959

2843

507

27049

32274

2788

423

21593

31721

1904

1907

1910

Also auch hier mehr Tote, weniger dauernd und mehr vorübergehend Erwerbsunfähige.

Eine weitere beachtenswerte Tatsache erweisen die Er­gebnisse der Berufsgenossenschaften: die Zunahme der Arbeitsunfälle von Frauen und Jugend. I ichen. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften verzeichnen entschädigungspflichtig Verlegte:

1899

Erwachsene

Jugendliche unter 16 Jahren männliche weibliche

männliche weibliche

45638

1712

1640

185

1904

60762

2206

2026

211

1907

69864

2755

2473

278

1910

63 901

2811

2319

280

Und die Landwirtschaft, die als die Erhalterin unserer Volksgesundheit gepriesen wird, führte an entschädigungs­pflichtig Verletzten auf:

1909

1910

1899

664 247

672961

1904

132064

1907

1910

1 118

1072

9363

8857

der entschädigungspflichtigen Unfälle. 139070 der Unfälle mit dauernder, völliger Erwerbsunfähigkeit.

ber Unfälle mit tötlichem Ausgang Während also 1910 die Zahl der Unfälle um 8714 zu­nahm, wurden 7000 weniger Renten zuerkannt. Daß die Bahl der Unfälle seit 1899 stärker gestiegen ist als die Bahl der Arbeitenden, und daß die Zahl der zuerkannten Renten herabgedrückt wird, zeigt folgende Aufstellung für die 66 gewerblichen Berufsgenossenschaften:

Renten pro 100 Unfall verlegte

Jahr

1899

Durchschnittl. versicherte Personen 6658571

Unfall verlegte überhaupt

Bewilligte Renten

Unfälle pro 1000

Versicherte

288918

49175

44,89

16,45

1904 7849120

392 658

65205

50,03

16,60

1907 1910

9018367

465224

9381878

484097

75370 51,59 16,20 69311 51,60 14,34

Auch die Ziffern für die 14 landwirtschaftlichen Berufs­genossenschaften beweisen das Streben, den Verunglückten ihre Renten möglichst abzuquetschen.

1899

1904

1907

1910

Bahl aller Unfallverlegten.. 107861 146 306 141975 131671 Bewilligte Renten überhaupt. 66003 62673 56525 Pro 100 Unfälle. 45,10 44,14 42,92

51287 57,55

Noch schärfer kommt die Rentenprellerei zum Ausdruck, wenn man die Einteilung der entschädigungspflichtigen Un­fälle näher betrachtet.

Als Folgen der entschädigungspflichtigen Unfälle bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften wurden festgestellt: Dauernde Erwerbsunfähigkeit völlige teilweise

Zod

1899

4772

581

23 837

.

1904

4976

603

28868

·

1907 1910

6078

517

30280

.

5292

453

23 800

Vorübergehende Erwerbsunfähigkeit 19985

80758

38441 39766

Die Zahl der völlig Erwerbsunfähigen ist also gegen 1899 gesunken, während die Zahl der vorübergehend Er­werbsunfähigen gestiegen ist, das heißt die Zahl derjenigen, denen nur vorübergehend Entschädigung gezahlt wird, und denen man nach einiger Zeit die Rente wieder entzieht. Und zwar wird die Rente unter der schamlosen Begründung ent­

Erwachsene

Jugendliche

männliche weibliche 34945 14526

männliche weibliche

1394

422

44080

19359

1910

654

41318

18843

1862

650

87157 17167

1641

560

Sowohl in der Industrie wie in der Landwirtschaft ist die Zahl der verunglückten Frauen und Jugendlichen ge­stiegen. Wer die Dinge nüchtern beurteilt, der kann auch dies als nicht weiter auffallend ansehen. Wenn die Zahl der ausgebeuteten Frauen und Jugendlichen wächst, wie die Statistik ausweist, so muß auch die Zahl der Verunglückten von ihnen steigen. Es ist eine alte Erfahrung, daß das aus­beutende Kapital feine Rücksicht auf Geschlecht und Alter fennt. Es nimmt seinen Profit, woher es ihn kriegen kann, und fischt ihn ohne Efel aus Aloafen heraus und ohne Ge­wissensbisse aus Menschenblut, aus dem Blute von Frauen und halben Kindern. Man hört manchmal, die Frau fönne feine politischen Rechte beanspruchen, weil sie ihr Blut nicht für das Vaterland zu versprißen braucht. Doch auf dem Schlachtfeld der Arbeit, im Dienste des Kapitals versprigt die Frau so gut ihr Blut wie der Mann, ohne daß ihr dafür das mindeste politische Recht zuerkannt wird. Das sollten die Frauen des arbeitenden Volkes besonders bedenken. Dank der guten Handhabung der Rentenquetsche mögen die angeführten Zahlen für die bürgerliche Welt kein Grund zu besonderer Erregung sein. Für die Proletarier und Pro­letarierinnen sind sie dagegen die aufreizende Begründung der Forderungen, die sie am 1. Mai bei ihrer Kundgebung erheben. Dazu gehört eine durchgreifende Arbeiterversiche­rung, die wirklich den Namen einer Reform verdient. Dar­unter befinden sich Vorschriften zur Verhütung von Un­fällen. Da steht an erster Stelle die Forderung des Acht­stundentags. Ist es doch Tatsache, daß die Unfälle mit der Länge der Arbeitszeit zunehmen, daß sie am Ende des Arbeitstags wie am Ende der Arbeitswoche fich häufen. Die Frauen der ausgebeuteten Massen müssen sich um all diese Forderungen scharen. Sind es nicht auch ihre gesunden Glieder, die in Tausenden von Fällen zerrissen, zerstümmelt werden? Mutet man nicht auch ihnen zu, sich an ihr Unglück zu gewöhnen" und als Krüppel unter Qualen ihr Brot zut verdienen? Sind nicht die verunglückten Arbeiter Väter, Gatten, Brüder von Frauen, die an ihrer Not teilnehmen. Denken wir nur der Witwen und Waisen der Männer, die auf dem Schlachtfeld der Arbeit fallen.