Nr. 16

Die Gleichheit

zeichnen wegen seiner Vielseitigkeit, die sich schon im Namen auss drückt, und die Mitteilungen über seine Tätigfeit zeigen, welche Summe von Kraft den organisierten Arbeitermassen auf den ver­schiedensten wirtschaftlichen Gebieten innewohnt. Das Wachstum des Vereins ist ungeheuer; der erste Geschäftsbericht im Jahr 1899, das Gründungsjahr, sprach von 2859 Mitgliedern, Ende 1911 aber waren es 57930! Allein im letzten Jahre, also innerhalb eines Jahres, stieg die Zahl der Mitglieder um 8618. Eine spezialisierte Berufsstatistit zeigt, daß die Mitglieder fast durchweg Arbeiter, Pro­letarier sind. Der Gesamtumsatz betrug im Jahr 1911 16511790 Mt., das ist 3404 621 Mt. mehr als im Vorjahr. Der Durchschnittsumsag auf das einzelne Mitglied weist allerdings feine erfreuliche Höhe auf, denn er beträgt nur 259 Mt. Jm Bericht wird hierzu festge= stellt, daß 38 Prozent der Mitglieder, also mehr als ein Drittel, Waren in der Genossenschaft nicht kauften. Das ist ein wunder Punkt des sonst so mustergültigen Unternehmens. Der Prozentsatz der Nichtläufer war im letzten Geschäftsjahr noch genau so groß wie im ersten; in den übrigen Jahren schwankte er zwischen 36 und 43 Prozent. Auf die kaufenden Mitglieder berechnet, beträgt der Durchschnittsumfag 422 Mt., und er hat sich gehoben. Über die Ursachen des ungünstigen Verhältnisses zwischen faufenden und nicht­faufenden Mitgliedern macht der Bericht nähere Angaben nicht. Es scheint, als ob viele die Genossenschaft mehr als Spar- oder Bau­verein, denn als Konsumverein betrachten.

Die Waren wurden am Jahresschluß in 125 Verkaufsstellen um­gesezt. Davon waren 22 Fleischer-, 22 Brot- und 2 Grünwaren­

läden.

Der Verein hat im letzten Jahre seine geschäftliche Form geändert. Für den Verkaufsbetrieb und die Produktionsbetriebe wurde eine Handelsgesellschaft Produktion" gegründet. Den Anlaß hierzu gab ein der Genossenschaft sehr ungünstiges Steuergesetz, das für Hamburg beschlossen wurde und in Straft getreten ist. Der Reingewinn betrug 661577 Mt. Er ist verhältnismäßig niedrig, die Dividende" beträgt 5 Prozent. In dieser Beziehung ist die Ge­nossenschaft vorbildlich. Ein Zustand, wie er hier besteht, trägt zur inneren Stärfung der Genossenschaft bei, während alle Stonsum vereine mit hoher Rückvergütung mehr oder weniger unter mangeln­Der Kapitalkraft leiden, wodurch ihr Ausbau und ihre weitere Ent­widlung meist sehr gefährdet wird. In Hamburg hat man von Anfang an gesunde Grundsäge befolgt und damit die Grundlage für die schnelle und riesige Entwicklung geschaffen.

Am 31. Dezember beschäftigte der Verein insgesamt 1100 Per­sonen, an die 1 529 783 Mart Gehälter und Löhne gezahlt wurden. Die Arbeitsverhältnisse sind im Einvernehmen mit den in Betracht fommenden Gewerkschaften tariflich geregelt. Sie können den Privatbetrieben als Muster dienen sowohl im allgemeinen wie was die sozialen Einrichtungen im besonderen betrifft. Die ein zelnen Angaben, die der Vericht darüber macht, sind bereits von früher her bekannt. Über die allgemeinen hierbei befolgten Grund­fäße wird bemerkt: Von Anfang an war die Genossenschaft be= strebt, den Lohn- und Arbeitsverhältnissen in Gemeinschaft mit den gewerkschaftlichen Instanzen eine feste Regelung zu geben und die niederen Lohnklassen, soweit nur immer die Umstände es gestatten, günstig zu gestalten." In dieser Richtung kann allerdings ein großer Konsumverein manches tun, ohne das Ge­schäft besonders belasten zu müssen. Nämlich dadurch, daß er die Gehälter der oberen Beamten nicht so unverhältnismäßig hoch hält, wie es in gleichartigen Privatbetrieben der Fall ist, und daß er dafür die der unteren Angestellten erhöht. In diesem Ausgleich fommt auch eine gerechtere Wertung der Arbeitsleistung der ein­zelnen zum Ausdruck. In der Tätigkeit des Vereins spielen

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cine Anzahl Fonds eine Rolle. Der Notfonds wird von den einzelnen Mitgliedern angesammelt und wird als Sparguthaben verwaltet. Sein Zwed ist, den Mitgliedern in besonderen Not­fällen materielle Hilfe zu gewähren. Am Jahresschluß hatten 22 826 Mitglieder 854 910 Mt. in diesem Fonds angesammelt. 12 378 Mitglieder entnahmen ihm im Laufe des Jahres 327 075 Mark; trotzdem erhöhte er sich um 172 123 Mt. Die Einzahlungen überstiegen also die Auszahlungen beträchtlich. Man braucht nicht in das oft übertriebene Lob einer solchen Einrichtung ein­zustimmen. Von einem gewissen Werte würde sie aber um so eher sein, wenn aus den Gesamtmitteln der Genossenschaft Zuschüsse geleistet werden könnten. Ein Warenvorschußfonds soll dazu dienen, vorübergehend mittellofen Mitgliedern den Weiter bezug von Waren zu ermöglichen. Die Vorschüsse werden auf Dividendenmarken gewährt. Eine ähnliche Einrichtung besteht ja in den meisten Konsumvereinen, wenn auch in etwas anderer Form. Der Bildungsfonds wird hauptsächlich für die ge­nossenschaftliche Propaganda verwendet. Aus dem Disposi tionsfonds werden Unterstützungen an in Not geratene An­

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gestellte gezahlt. Die Sparkasseneinlagen erreichten die Höhe von 6 978 373 Mt. auf 20 321 Kontos. Daß die Spar­kassenverbindlichkeiten zu 54 Prozent durch flüssige Mittel gedeckt sind, ist als ein außerordentlich günstiges Verhältnis anzusprechen. Großen Umfang besiken die Betriebe der Eigenproduk­tion des Vereins. Der Umsatz in der Bäckerei betrug 1740 558 Mt. und ist um fast 13 Prozent gegen das Vorjahr ge= stiegen. Es mußte eine zweite mit 15 Doppelöfen versehene Bäckerei gebaut werden, die vor kurzem betriebsfertig geworden ist. Allein in der Bäckerei wurden 77 Personen beschäftigt, die in drei Schichten einen ununterbrochenen Betrieb aufrechterhalten. Große Bedeutung hat ferner die Schlächterei. Ihr Umsak macht über 30 Prozent des Gesamtumsages des Vereins aus und betrug 5 023 500 Mt. Davon entfallen 435 744 Mt. auf andere Konsumvereine. Die Waren sind allgemein als erstklassig in ihrer Beschaffenheit anerkannt. Die Schlächterei beschäftigte 225 Per­sonen, davon 81 in den Verkaufsläden. Die Arbeiten für einen Erweiterungsbau sind im Gange. Auch mit der Konservenfabri­tation hat man begonnen, nachdem vorsichtige Versuche gute Er­gebnisse brachten. Der Schlächtereibetrieb des Hamburger Konsum­vereins ist wohl einer der bedeutendsten in Deutschland ! Weiter macht der Bericht noch Angaben über die Kaffeerösterei, die Mi­neralwasserfabrikation, die Schroterei und das Kohlengeschäft. Als Nebenbetriebe werden aufgeführt: Tischlerei, Klempnerei, Wä­scherei, Montage. Bemerkenswert sind die Angaben über den Fuhr­park des Unternehmens. Am Jahresschluß waren 36 Brot- und Lastwagen, 31 Pferde und 10 Automobile mit 3 Anhängern im Betrieb. Eine Berechnung ergibt, daß der Lastbetrieb mit Auto­mobilen etwas vorteilhafter ist als mit Pferden. Doch wird einer zweckmäßigen Verbindung beider Beförderungsmittel das Wort geredet, weil dabei beide am zweckmäßigsten ausgenügt werden könnten. Einen größeren Raum beansprucht auch der Baubericht. Im Berichtsjahre wurden 957 000 Mt. für Bauerei ausgegeben. Bis jetzt hat der Verein insgesamt 736 Wohnungen hergestellt, und 36 Läden befinden sich in eigenen Häusern. In Barmbeck machte die Vermietung der Wohnungen Schwierigkeiten, weil sie den Mitgliedern zu teuer waren, trotzdem nur der Selbstkosten­preis für die Miete in Anrechnung gebracht wurde. Die Mieten mußten infolgedessen um 40 bis 45 Mt. herabgesetzt werden.(!) Als Grund dieser Erscheinung wurde angegeben: Hohe Boden­preise und Fehlen von Läden im Parterre, die mehr Miete bringen als Wohnungen. Der Bericht meint, die Erfahrung lehre, daß die Arbeiter gezwungen sind, auf hygienisch gute und den An­forderungen der Neuzeit entsprechende Wohnungen zu verzichten, sobald der Mietpreis auch nur ein wenig höher ist als der für alte schlechte Wohnungen. Eine Vereinigung für genossenschaft­liche Hauspflege" hat die Aufgabe, für zwanglose Ordnung und ge­sellige Unterhaltung der Mieter zu sorgen sowie erzieherisch auf die Kinder einzuwirken. Ein Mitgliederausschuß unterstützt die Verwaltung Vorstand und Aufsichtsrat bei der Propa­ganda und Weiterentwicklung der Genossenschaft und ermöglicht eine zweckmäßige Dezentralisation der agitatorischen Arbeit. Der Ausschuß bestand am Ende des Jahres aus 237 Personen. Man kann nur wünschen, daß die Tätigkeit der großen Arbeiter­genossenschaft Hamburgs anregend und anspornend auf andere H. F. Orte wirke.

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Notizenteil. Dienstbotenfrage.

Die Generalversammlung des Verbandes der Hausange­stellten fand vom 14. bis 16. April in Berlin statt. 20 weibliche Delegierte und 5 Mitglieder des Vorstandes und Ausschusses nahmen an ihr teil. Die Wiener Dienstbotenorganisation ließ sich durch Ge­nossin Popp vertreten. Der Vorstand berichtete über eine Tätigkeit von 2 Jahren. Dem Zentralverband schlossen sich bei seiner Grün­dung 17 Einzelvereine an, heute umfaßt er 35 Ortsgruppen. Nach einer Berechnung des Vorstandes umfaßte 1909 der Verband 4170 Mitglieder, 1911 aber 5474. Die Auflage des Fachorgans beträgt jetzt 8000. Der Verband gewährte im Jahre 1910 in 19, im Jahre 1911 in 35 Fällen Rechtsschutz. Die am 1. April 1910 eingeführte Krantenunterstützung wurde sehr stark in Anspruch genommen. Schon im ersten Jahre gelangten 1857,50 Mt. zur Auszahlung, 1911 bereits 3118 Mt. Die Zentrale wie die einzelnen Organisationen vertraten mit Eifer die wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder. Als das neue, jedoch ungenügende Stellenvermittlungsgesetz in Straft trat, reichten auf Aufforderung der Behörden viele Ortsgruppen des Verbandes Vor­schläge für die Festsetzung der Gebührentage ein, die für die ge­