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Die Gleichheit
bescheidene Anteil, den man ihnen im 20. Jahrhundert eingeräumt hat, erhellt aus diesem Paragraphen:„ Den Kommissionen für das Armenwesen, für Unterrichts- und Erziehungsangelegenheiten, für das öffentliche Gesundheitswesen und für solche Aufgaben, bei denen nach der Art des Gegenstandes die Mitwirkung von Frauen wünschenswert ist, müssen Frauen als Mitglieder angehören; es kann bestimmt werden, daß diesen Kommissionen bis zu einem Viertel der Mitglieder Frauen mit Siz und Stimme angehören sollen." Wie man sieht, haben auch in Baden die Frauen noch so gut wie alles Bürgerrecht zu erkämpfen, nicht bloß im Staat, auch in der Gemeinde. Das muß ein starker Ansporn für sie sein, sich am bevorstehenden Frauentag zahlreich und entschlossen um das Banner der Sozialdemokratie zu scharen. Denn die Geschichte zeigt, daß unsere Partei zuerst und bis heute mit der größten Treue die Forderung des vollen Bürgerrechts für das weibliche Geschlecht vertreten hat. Die Genossinnen werden die Maifeier zur kräftigen Agitation für unsere Frauenwahlrechtskundgebung benußen. m. g.
Sittlichkeitsfrage.
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Die Zivilisation ist auf dem Marsch, verkündete Genosse" De Felice der Welt, als die italienischen Schiffsgeschüße vor Tri polis losdonnerten. Fürs Erste vergoß die Zivilisation viel Blut, hängte, mezzelte Wehrlose, Frauen und Kinder nieder und zerstörte Dasen. Dann ward sie in ihrem weiteren Vormarsch durch Sand dünen und die Flinten der Araber und Türken aufgehalten.. Jezt läßt die Zivilisation wieder etwas von sich hören. Der„ Messagero" berichtet, man habe eine Anzahl der in Rom herumlaufen den Dirnen in die neubesetzten Provinzen befördert. Das tam so. Die italienische Regierung hatte die Araber wissen lassen, daß ihr Glaube und ihre Frauen geachtet werden sollten, und entsprechende Regimentsbefehle waren an die Truppen erlassen wor= den. Man sah aber voraus, daß die militärische Besetzung Tripolis lange dauern würde, und daß auf die Dauer die Soldaten vor Ausschreitungen gegen die arabischen Frauen schwer zurückzuhalten seien. In ihrer Weisheit beschloß daher die italienische Regierung, den Hunger der Soldaten nach Weibern mit römischen Dirnen zu stillen. In deutschen militärischen Kreisen wird man daraufhin wohl die italienische Striegsführung etwas günstiger beurteilen, als bisher. Waren doch die deutschen Truppen in China und Südwestafrika so gut wie mit Feldgeistlichen auch mit einem Bordell versehen. Über dem Bordell wehte die schwarzweißrote Fahne und am Eingang saß ein„ Stellvertreter Gottes auf Erden", ein Unteroffizier, und nahm„ unsern Jungens" das Eintrittsgeld ab. Überall erweist sich der Imperialismus als Zuhälter der Prostitution und des Mädchenhandels. An dieser Tatsache ermesse man die Verlogenheit und Verlegenheit, mit der bürgerliche Parteien und Regierungen Gesetze gegen den Mädchenhandel machen.
Die Frau in öffentlichen Aemtern.
Die Frauen in der Gemeindeverwaltung. Genossin Blos, die Mitglied des Stuttgarter Ortsschulrats ist, veröffentlicht in der„ Kommunalen Praxis" einen beachtenswerten Artikel " Zur Tätigkeit der Frau in der Gemeindeverwaltung". Außer einem Bericht über die eigene Tätigkeit der Verfasserin im Ortsschulrat von Stuttgart gibt er eine Übersicht über die Ämter, in denen heute Frauen in der Gemeindeverwaltung arbeiten. Diese Zusammenfassung bringen wir nachstehend zum Abdruck, während wir auf das erfolgreiche Wirken der Genossin Blos selbst später zurückkommen werden.„ Schon im Jahre 1868 wurde die Forderung der Zulassung von Frauen zu kommunalen Ämtern gestellt. Aber erst 1896 wurde die Heranziehung der Frauen zur öffentlichen Armenpflege als eine dringende Notwendigkeit bezeichnet. Heute arbeiten über 12000 Frauen in der kommunalen Wohlfahrtspflege, teils als vollberechtigte Pflegerinnen mit Sitz und Stimme in den Bezirkssizungen. Wir haben eine stattliche Anzahl besoldeter weiblicher Beamten in der Wohlfahrtspflege, deren Tätigkeit sich nicht nur auf die Armen-, Waisen- und Säuglingspflege sowie auf die Ziehkinderüberwachung erstreckt, sondern die fich auch mit der Fürsorge förperlich und sittlich gefährdeter Frauen und Kinder zu befassen haben. Wir haben Wohnungsinspektorinnen zum Beispiel in Halle und Bitterfeld . Wir haben weiter Schulschwestern, die auf Veranlassung der Schuldeputation die Sorge für vernachlässigte Schulkinder übernehmen und besonders die Befolgung ärztlicher Verordnungen zu überwachen haben. Die ersten Schulschwestern stellten Charlottenburg und Mannheim an. Auch zu der Mitarbeit in den Schulaufsichtsbehörden( Deputationen, Kommissionen und Kuratorien) werden
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in den letzten Jahren weibliche Kräfte herangezogen. In der Hauptsache handelt es sich dabei um die Aufsichtsbehörden der höheren Mädchenbildungsanstalten. Württemberg war wohl der erste Bundesstaat, der durch das am 1. April 1910 in Kraft ge= tretene Volksschulgesetz Frauen als Mitglieder des Ortsschulrats heranzog. Die städtischen Lehrerinnen besißen bei sieben- und mehrklassigen Schulen nicht nur das aktive, sondern auch das passive Wahlrecht zum Ortsschulrat, so daß in den größeren Gemeinden auch Lehrerinnen Mitglieder des Ortsschulrats sind. Es können aber auch Frauen als Vertreter der Schulgemeinde in den Ortsschulrat berufen werden. Dem Beispiel Württembergs sind verschiedene andere Staaten, zum Beispiel Baden , gefolgt. Einzig steht aber wohl heute noch die Stadt Stuttgart da, die als eine der beiden Vertreterinnen der Schulgemeinde eine Sozialdemokratin berief." Genoffin Blos schließt die Darlegung der Aufgaben, die ihr in ihrem Amte erwuchsen, mit den folgenden Worten:„ Einfluß bekommen auf Schul- und Erziehungsfragen unserer Volksschüler und schülerinnen, der Jugend unseres Proletariats so viele Bildungsmöglichkeiten zuwenden, wie nur für fie erreichbar sind, mithelfen, daß die Volksschule aus dem Aschenbrödel zum wichtigsten Faktor unserer Gemeinde erhoben wird, das erscheint mir als eine der idealsten Aufgaben der Sozialistinnen. Möchte bald die Zeit kommen, in der es als selbstverständlich erscheint, daß überall Frauen in die Ortsschulräte gewählt werden, von denen man weiß, daß die Interessen der minderbemittelten Bevölkerung die ihren sind." Diese Ausführungen sind wie die mitgeteilten Tatsachen des Berichtes eine vorzügliche Begründung für die Forderung des kommunalen Frauenwahl= rechts, die wir am 12. Mai erheben.
Für die Berufung von Frauen in städtische Aemter und Kommissionen hat der Verband fortschrittlicher Frauenvereine ein Gesuch an die deutschen Stadtgemeinden gerichtet. Der Verband fordert, daß Frauen mit nationalökonomischem und juristischem Fachwissen bei der Besetzung höherer Beamtenstellen mit sozialpolitischen Aufgaben berücksichtigt werden, wie sie die Armen-, Waisen- und Wohnungspflege mit sich bringt. Ferner verlangt er die Berufung von Frauen in die Kommissionen für Schul- und Fortbildungswesen. und Jugendfürsorge. Viele Stadtgemeinden haben den Anregungen im Prinzip zugestimmt.
Von der Tätigkeit der weiblichen Gemeinderäte in Los Angeles ( Kalifornien ). Daß Frauen wissen, wo Frauen der Schuh drückt, beweisen die Neuerungen in der Stadt Los Angeles , zu denen die Anregung von den neugewählten weiblichen Gemeindebertretern ausgegangen ist. Diese beantragten die Errichtung öffentlicher Bade- und Waschhäuser. Die letteren sind mit den besten Maschinen ausgestattet und stehen den Frauen des Volkes zur unentgeltlichen Benutzung offen. Ihre Errichtung bedeutet eine große Zeit- und Kraftersparnis für die minderbemittelten Hausmütter, außerdem aber auch mehr Hygiene, Ruhe und Behaglichkeit für das Heim, das von dem ungesunden Dunst und der Ungemütlichkeit der„ großen“ und„ kleinen" Waschtage befreit ist.
3u dem am 12. Mai stattfindenden diesjährigen Frauentag erscheint wie im verflossenen Jahre eine Agitations: zeitung für das
Frauenwahlrecht
Herausgegeben von Klara Zetkin .
16 Seiten im Format der Gleichheit.
Die Zeitung wird einen reichen Inhalt und eine Reihe guter Illustrationen bringen. Das Blatt soll der Agitation unter den breitesten Massen dienen.
Preis der Einzelnummer für den Wiederverkauf 10 Pfennig. Die Organisationen erhalten das Blatt zu den für die Gleichheit üblichen Bedingungen.
Bestellungen sind sofort an die Expedition der Gleichheit, Stuttgart , Surtbachstraße 12, einzusenden.
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