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Die Gleichheit

machen, in großen Demonstrationsversammlungen im ganzen Reich Ausdruck gegeben. So heftig ihre Entrüstung aber ist, so wenig ist fie verwundert über diese Junkertaten. Es entspricht der Art des Junkers, roh und täppisch dreinzuschlagen; ihm kommt gar nicht der Gedanke, es könne etwas geben, das er mit seiner brutalen Ge­walt nicht überwinden kann. Was aber nie vergessen werden darf, das ist das völlige Versagen des Liberalismus in dieser Angelegen heit, des Liberalismus, der sich bei den Wahlen nicht genug tun fonnte in großen Worten gegen die Junker und der sich als der einzig wahre Verteidiger des Rechts aufzuspielen liebt. Aber selbst die Fortschrittler bekundeten heillose Angst davor, daß sie etwa mit den unmanierlichen" Sozialdemokraten in einen Topf geworfen werden könnten. Ihre Presse konnte sich nicht genug tun in der lauten Versicherung, daß der Fortschritt zwar den Hausknechts­paragraphen grundsäglich mißbilligt, daß er aber den Widerstand der Sozialdemokraten deswegen durchaus nicht gutheißt. Denn höher als das Recht des Parlamentariers und damit des Volkes steht dem Fortschritt alleweil der gute Ton in allen Lebenslagen. So hat er denn bei der Abstimmung über Borchardts Protest dem Präsidenten Recht gegeben. Und es befundet nur sein schlechtes Gewissen, daß er dabei zugleich einen aussichtslosen Antrag auf Aufhebung des Hausknechtsparagraphen angekündigt hat. Nur zwei Mann aus den fortschrittlichen Reihen wagten es- nicht etwa gegen den Präsidenten zu stimmen, sondern sich der Abstimmung zu enthalten und mit ihnen die Polen . Auf die Seite der Sozial­demokraten traten ganze zwei Mann, die beiden Dänen des Hauses. Inzwischen ist nach der Militär- auch die Marinevorlage im Reichstage glatt bewilligt worden. Die bürgerliche Einigkeit war in diesem Falle so groß, daß nur die zwei Sozialdemokraten zu der Sache sprachen, sämtliche bürgerliche Parteien schwiegen.- Um­gehend ist indes auch die Antwort Englands erfolgt. Marine­minister Churchill hat im englischen Unterhause angekündigt, daß die Überschüsse des Budgets für Schiffsbauten verwendet werden sollen. Das Wettrüsten geht also weiter. In der Deckungs­frage hat das Zentrum schließlich noch eine bemerkenswerte Schwen­fung vollzogen. In Gemeinschaft mit den Nationalliberalen hat es in der Kommission den Antrag eingebracht, daß die Regierung für 1913 den Entwurf eines Besitzsteuergesezes einbringen soll. Offen­bar hat das Zentrum Angst um seine Wähler, wenn es sich weiter ber Besitzsteuer widersetzt. Der Antrag ist freilich so unbestimmt gehalten, daß noch nicht abzusehen ist, ob nicht etwa der Versuch einer Schiebung dahinter steckt. Die Budgetfommission hat ihn gegen die Konservativen angenommen und offen gelaffen, ob diese Steuer Vermögens- oder Erbschaftssteuer sein soll. Hinterher wurde dann noch gegen Konservative und Zentrum ein forschrittlicher Antrag angenommen, der lediglich die Erbschaftssteuer fordert.

Gewerkschaftliche Rundschau.

H. B.

Den Arbeiterinnenschutz zu verschlechtern, sind die Unter­nehmer wieder einmal am Werke. Die Bestimmungen der Gewerbe­ordnung über die ausnahmsweise Beschäftigung von Arbeiterinnen über die gesetzlich zulässige Arbeitszeit hinaus genügen den Aus­beutern noch lange nicht. Sie wollen unbeschränkt über die Ar­beitszeit ihrer Lohnsklavinnen verfügen. Nach den jetzt geltenden Bestimmungen der Gewerbeordnung fann wegen außergewöhnlicher Häufung der Arbeit die Polizeibehörde auf Antrag des Unter­nehmers die Überzeitarbeit erwachsener Arbeiterinnen bis 9 Uhr abends, mit Ausnahme des Samstags, auf die Dauer von zwei Wochen gestatten. Weiter kann der Bundesrat Überarbeit an vierzig Tagen im Jahre für solche Gewerbezweige zulassen, in denen an einzelnen Tagen ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis auftritt. Beide Bestimmungen kommen den Unternehmern schon viel zu weit entgegen. Denn wie man den Berichten der Fabrikinspektoren ent­nehmen tann, erheben diese mit Hilfe der Behörden die Ausnahme zur Regel. Aber sie verlangen noch größere Ausbeutungsfreiheit. Der deutsche Handelstag hat beschlossen, bei der Reichsregierung und beim Bundesrat eine anderung der Gewerbeordnung zu be­antragen. Und zwar soll danach dem Unternehmer gestattet werden, in besonders dringenden Fällen für die Dauer von drei Tagen so­fort überarbeit leisten zu lassen, Bedingung dafür ist nur, daß der Unternehmer am ersten Tage der zuständigen Berwaltungsbe hörde Kenntnis von der Überarbeit gibt und die Erlaubnis dazu nachträglich einholt. Wie schlau, die Erlaubnis nachträglich ein­zuholen! Die nachträgliche Versagung der Erlaubnis tut ja nicht weh, die Arbeit aber ist geleistet. Und es ist eigentlich nur ver­nünftig, daß der Unternehmer auch noch von der geringfügigen Geld­strafe befreit sein will, die ihn heute im übertretungsfalle trifft. Ferner verlangt der Deutsche Handelstag, daß die Zahl der Aus­

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nahmetage auf fünfzig erhöht werden soll, und daß ihre Auswahl dem Unternehmer zusteht. Eine vorherige Anzeige der Überarbeit aber soll nicht erforderlich sein. Das läuft natürlich daraus hin­aus, daß die Schutzbestimmungen außer Kraft gesetzt werden, die die Schlotbarone heute schon möglichst wenig innehalten. Das heißt doch Schindluder mit den Interessen der Arbeiterinnen treiben. Es fehlte gerade noch, daß das bißchen Arbeiterinnenschutz der Pro­fitgier der Unternehmer zuliebe wieder hinweggefegt würde, nach­dem es in jahrzehntelangen Kämpfen errungen werden mußte und die weitere Einschränkung gerade der Auswucherung weiblicher Ar­beitskraft ein immer dringenderes gesellschaftliches Bedürfnis ge worden ist. Daß der Unternehmer bestrebt ist, die täglich in der Industrie zunehmende billigere Frauenarbeit über Gebühr auszu­nützen, ist selbstverständlich, aber ebenso selbstverständlich muß der Widerstand der Ausgebeuteten gegen solche Pläne mit aller Macht einsetzen.

Die angekündigte Aussperrung der Metallarbeiter im Maingau ist inzwischen zur Tat geworden, hat aber bei weitem nicht den Umfang errreicht, den sie nach Aussage der Unternehmer nehmen sollte. Im Aussperrungsgebiet werden von den Unter­nehmern, die Mitglieder ihres Verbandes sind, etwa 15000 Arbeiter beschäftigt. Ausgesperrt haben 61 Verbandsfirmen, die 7536 Ar­beiter verwenden. Davon sind 4031 ausgesperrt worden, unter denen sich 2753 Mitglieder des Metallarbeiterverbandes befinden. Biele Unternehmer sind dem Beschlusse ihres Verbandes nicht nach­gekommen, weil der Anlaß zum Kampfe doch wirklich ein allzu dürftiger ist. Die Differenzen in der Metallindustrie Han novers werden voraussichtlich auch zu einer Aussperrung führen. Eine Sigung der Unternehmer für die Bezirksverbände Hannover , Magdeburg und Halle a. S., die zu einem Kartell zum Zivede partieller Aussperrungen vereinigt sind, hat nämlich beschlossen, 60 Prozent der Metallarbeiter in Hannover auszusperren, falls bis zum 27. Mai die Streitigkeiten dort nicht beigelegt sind. Und wenn dann bis zum 17. Juni die Bewegung nicht beendet ist, sollen in den Bezirken Magdeburg und Halle ebenfalls 60 Prozent der Arbeiter aufs Pflaster fliegen.

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Der Streit der Rheinschiffer hat an Ausdehnung zuge­nommen, indem noch eine weitere Gruppe von Schiffern die Ar­beit niedergelegt hat. Die Polizei geht in der gleichen scharfen Weise wie zu Lande auch zu Wasser gegen die Streitposten vor. Die von Streifbrechern befehten Schleppschiffe werden von Polizei­posten bewacht, die auf jeden sich dem Schiffe nähernden Nachen sofort Schüsse abgeben. Es ist den Streifenden somit unmöglich, an diese Schiffe heranzukommen, um die vom Ausland herbei­gelockten Arbeitswilligen über den wahren Sachverhalt aufau­flären. Die Polizei hat einen Nachen beschlagnahmt, der von Streifposten zu diesem Zwecke gebraucht wurde. Im Ham= burger Hafen schreiten die Verhandlungen vorwärts. Für eine ganze Reihe weiterer Gruppen von Hafenarbeitern sind be­reits neue Tarifvereinbarungen abgeschlossen worden, so daß jett Aussicht besteht, daß es zu einem Kampfe nicht kommen wird. Im Stettiner Hafen sind die Maschinisten und Heizer wegen Lohndifferenzen in Streit getreten. Auch hier werden ähn­liche Forderungen erhoben, wie sie die Maschinisten der Rheinschiffe stellen.

Im Gärtnergewerbe ist eine große Anzahl örtlicher Lohnbewegungen zum Abschluß gebracht worden. Hingegen werden im Bädergewerbe Kämpfe in Halle a. S., Magde­ burg , Leipzig , Rüstringen und anderen Städten geführt, in der Hauptsache um die Abschaffung des Soft- und Logiszwanges beim Meister durchzusehen. In ihren Kämpfen werden die Bäcker in den letzten Jahren von unseren Genossinnen tatkräftigst unterstüßt, die gegen die bestreiften Meister wirksame Boykotts durchführen.

Der Jahresabschluß des Tabalarbeiterver. bandes besitzt für uns besonderes Interesse. Sind doch in diesem von der Gesetzgebung so mißhandelten Gewerbe viele weibliche Arbeitskräfte tätig, und hat doch der Verband eine große Aus­sperrung hinter sich. Auch im Jahre 1911 litt die deutsche Tabak­industrie noch erheblich unter den Folgen des 1909 in Kraft ge­tretenen Steuergesetzes. Trotzdem viele Arbeiter und Arbeiterinnen aus dem Gewerbe verdrängt wurden und sich anderen Erwerbs­tätigkeiten zuwenden mußten, herrschte noch große Arbeitslosig­keit unter den Mitgliedern des Verbandes. Infolge des großen westfälischen Kampfes waren die Leistungen für Kampfeszwecke in der Berichtszeit besonders hohe, sie betrugen 1028 778 wt. 14 000 Arbeiter und Arbeiterinnen standen im Kampfe, doch den Unternehmern gelang es nicht, den Verband njederzuringen. Dieser hat 198 Lohnbewegungen geführt, an denen 12 500 männ