Nr. 18
Die Gleichheit
viel Zeit in Anspruch. Auch muß der Herr Inspektor immer erst mit der Nase auf die offenkundigen Ungeseglichkeiten hingestoßen werden. In zahlreichen Fällen waren unseren Abgeordneten grobe Mißstände und Gesetzesverlegungen bekannt, aber die Gewerbeinspektion fümmerte sich nicht darum. Soll diese unter der Herr schaft des Kapitals für die Arbeiter von Wert sein, so muß fie erst noch ausgebaut werden.
Im folgenden sollen vor allem die Ergebnisse über die Arbeit der Frauen, Jugendlichen und Kinder hervorgehoben werden. Won den 1064 Betrieben wurden im Jahre 1910 nur 552 revidiert. Es fanden insgesamt 678 Revisionen statt, in 107 Betrieben kehrte die Inspektion zwei- und mehrmal ein. Die meisten Revisionen, 174, hat die Industrie der Steine und Erden" aufzuweisen. 1909 waren 22688 Arbeiter und Arbeiterinnen der Gewerbeaufsicht unterstellt, 1910 dagegen 27 382. Davon 20122 erwachsene männliche Arbeiter. Die übrige Zahl verteilt sich wie folgt: In 341 Betrieben wurden 4770 über 16 Jahr alte Arbeiterinnen beschäftigt; von ihnen waren 16 bis 21 Jahre alt 2367 und über 21 Jahre 2403. Jugendliche wurden in 550 Betrieben ausgebeutet, und zwar Kinder unter 14 Jahren 18, nämlich 10 Knaben und 8 Mädchen, solche von 14 bis 16 Jahren 2472, nämlich 977 weibliche und 1495 männliche. In den revidierten Betrieben waren beschäftigt 20 208 Personen: Kinder unter 14 Jahren 11; Kinder von 14 bis 16 Jahren 1714,( 863 weibliche und 851 männliche), Erwachsene 18483,( 14182 männliche und 4301 weibliche).
Für 517 Betriebe mit 1722 Arbeitern sind gemäߧ 120 e der Gewerbeordnung besondere Vorschriften des Bundesrats maßgebend. Auf sie entfallen im ganzen 8 Revisionen, die 20 Arbeiter umfaßten. Und doch hätten gerade diese 517 gefahrvollen Betriebe alle untersucht werden müssen, um festzustellen, ob die besonderen Bestimmungen zum Schutze der Arbeiter eingehalten werden. Aber damit dürfte es schlimm stehen, wie schon die Verstöße gegen das Gesetz beweisen, die in gewöhnlichen Betrieben ermittelt wurden. Buividerhandlungen gegen die Arbeiterinnenschutzgesetze wurden in 54 Betrieben festgestellt. 600 Arbeiterinnen waren länger als ge= seglich zulässig beschäftigt worden, und das, obgleich die Behörden den Unternehmern mit der Bewilligung von Überstunden in der größtmöglichsten Weise entgegengekommen sind. Mit ihrer Zustimmung haben in 45 Betrieben 1626 Arbeiterinnen 47510 überstunden, und zwar täglich bis über 2 Stunden, geleistet; außerdem in 32 Betrieben 224 Arbeiterinnen an Sonnabenden bis zu je 3 Stunden 1821 Überstunden. An Sonntagen endlich wurden in 43 Betrieben von 1328 Arbeiterinnen 34434 Überstunden gemacht. Nur ein einziges diesbezügliches Gesuch der Unternehmer wies bie zuständige Behörde zurüd. 30mal fehlten in revidierten Betrieben die vorgeschriebenen Aushänge.
In 14 Betrieben mit 53 Jugendlichen wurden Übertretungen der regelmäßigen Dauer der Beschäftigung ermittelt. Jn 5 Betrieben mußten 8 Kinder ganz von der Arbeit ausgeschlossen werden. Wegen zu langer Beschäftigung von Kindern erfolgten 4, wegen Beschäftigung ohne Anmeldung und Arbeitsfarte 9 und wegen Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren 3 Bestrafungen. Abschreckend können aber die verhängten Geldstrafen von 1 bis 15 Mt. auf die Ausbeuter wahrlich nicht wirken. In einer Ziegelei wurden 4 noch schulpflichtige Kinder beim Abtragen von Ziegeln angetroffen. Der Ziegeleibefizer und der betreffende Ziegelstreicher wurde zu je 3 wt. Geldstrafe verurteilt. Es gibt noch milde Richter!
Unfallanzeigen liefen im Betriebsjahr 875 ein gegen 820 im Borjahr. 57 Unfälle betrafen jugendliche männliche und 8 jugendliche weibliche Arbeiter. 5 Unfälle hatten unmittelbar den Tod zur Folge. Auf die Beschäftigung an Maschinen waren 10,5 Prozent der Unfälle zurückzuführen. Und daß hauptsächlich der Mangel an borgeschriebenen Schußvorrichtungen die lirsache dieser letteren Infälle war, beweist der Umstand, daß die Gewerbeinspektion in zahi reichen Fällen die Anbringung der vorgeschriebenen Schutzvor richtungen anordnen mußte. So birgt der Bericht eine Fülle von Material für den Kampf um eine wirksame Sozialpolitit. Er läßt flar erkennen, wie unzulänglich die Gesellschaft die arbeitenden Männer und Frauen und ihre Kinder schüßt, und beweist auch, wie selbst dieser färgliche Schutz von den Ausbeutern frech in den Boden getreten wird. Bruno Kühn , Gotha .
Soziale Gesetzgebung.
Der Heimarbeiterinnenschuh in Frankreich . Die Arbeitsfommission der französischen Deputiertenfammer berät zurzeit die Vorlage über die Regelung der Lohnverhältnisse der Heimarbeite rinnen, die im Bekleidungsgewerbe tätig sind. Nach dem Bericht zur Begründung der Vorlage wies die Zählung von 1906 nicht
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weniger als 1230000 Arbeiterinnen des Bekleidungsgewerbes aus. Von ihnen arbeiteten 380000 in Werkstätten, 850000 aber zu Hause, ohne jeden gesetzlichen Schutz in bezug auf Arbeitszeit und Hygiene, isoliert und ohne die Möglichkeit einer Vereinigung zum Schuße ihrer Interessen. Eine solche Bereinigung fehlt übrigens auch unter den französischen Werkstättenarbeiterinnen gänzlich. Es heißt im Bericht von der Lage dieser Arbeiterinnen:„ Die Not zwingt sie, sich den bestehenden Mißbräuchen zu fügen und durch überarbeit die Unzulänglichkeit der ihnen angewiesenen Lohnfäße auszugleichen. Indem sie Arbeiten übernehmen, die sie allein in der vorgesehenen Zeit zu vollenden nicht imstande find, sehen sie fich gezwungen, ihrerseits auszubeuten, sei es andere Arbeiterinnen oder ihre eigene Familie. Da fie für sich fast gar keine freie Zeit haben, so bernachlässigen sie selbst die allernotwendigsten hygienischen Bedürf nisse." Der Bericht weist mit Berufung auf die vom Arbeitsamt borgenommene Erhebung auf die Unterbietung der Löhne hin. Er erklärt aber, man müsse einschränkende Maßregeln ber meiden, die das Verschwinden der Heimarbeit zur Folge haben würden. Unter den Heimarbeiterinnen gebe es einen be trächtlichen Verhältnissaz Unqualifizierter, denen die Werkstättenarbeit versagt sei.(?) Weiter seien häufig qualifizierte Arbeiterinnen durch ihre Tätigkeit in der Familie, durch Alter oder Krankheit verhindert, ihre Wohnung zu verlassen.
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Die Hauptbestimmungen des Gesetzentwurfes der Kommission find die folgenden: Artifel 32a: Keine weibliche Person, die zu Hause Arbeiten für das Bekleidungsgewerbe ausführt, darf eine Entlohnung erhalten, die geringer ist als der gewöhnliche Lohn einer in demselben Bezirk im Tag- oder Stundenlohn arbeitenden Artikel 82b: Der für Heimarbeiten unqualifizierten Arbeiterin. angewendete Stücklohn soll so bemessen werden, daß er einer Arbeiterin von mittlerer Geschicklichkeit ermöglicht, in 10 Stunden einen Lohn zu verdienen, der dem im Artikel 32a bestimmten Taglohn entspricht. Artikel 32c: Jeder Fabrikant, Kommissionär oder Zwischenunternehmer, der Heimarbeiten machen läßt, ist verpflichtet, ein Register zu führen, das den Namen und die Adresse aller seiner der= art beschäftigten Arbeiterinnen enthält.- Die Feststellung der Löhne wird den Gewerbegerichten übertragen, nicht wie in England besonderen Lohnämtern. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, können die Arbeitsräte von Amtswegen oder auf Verlangen der Regierung eine Tabelle der Zeit- und Stücklöhne ausarbeiten, die in ihrem Bezirk in den in Betracht kommenden Berufen üblich sind. Fehlen solche Feststellungen, so können die Gewerbegerichte Untersuchungen mit oder ohne Zuziehung von Sachverständigen anstellen.
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Die französischen Ausbeuter weisen in ihrer Beschränktheit und Profitgier diese sicherlich bescheidene Reform zurüd. Die Syndikatsfammern der Unternehmer des Bekleidungsgewerbes erheben da gegen Einspruch im Namen der Rechte, die einem Industriechef zukommen", und im Namen der Gerechtigkeit", die durch die Vorlage bedroht sein soll. Ihre Hoffnung sezen sie auf den Senat, wo die Väter des sozialpolitischen Rückschritts beisammensitzen. G3 wäre natürlich von außerordentlichem Wert, wenn eine starke Gewerkschaftsbewegung die faulen oder widerwilligen Gesetzgeber vorantriebe. Aber leider fehlt nicht nur jede Organisation der von der Borlage erfaßten Arbeiterinnen, sondern noch schlimmer ist, in den Gewerkschaften der Arbeitstonföderation haben die Syndikaliste. die Mehrheit, die in doktrinärer Verbohrtheit den gesetzlichen Arbeiterschutz geringschäzen oder gar befämpfen. Daß aber den wehrTofen Heimarbeiterinnen mit der alleinseligmachenden„ direkten Attion" nicht gedient ist, liegt auf der Hand.
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.
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Der sozialistischen Agitations- und Organisationsarbeit nuter dem weiblichen Proletariat Belgiens hat der 27. Jahreskongreß der„ Arbeiterpartei" zu Brüssel seine Aufmerksamkeit gu gewendet. Genosse Vandervelde trat im Anschluß an den Bericht des Generalrats der Partei mit trefflichen Gründen und eindringlicher Beredsamkeit dafür ein, daß eine besondere Instanz zur Förderung der sozialistischen Frauenbewegung ge schaffen werde. Er meinte, es sei die höchste Beit, daß die Partei endlich mit Ernst und Eifer daran gehe, die Frauen aufzuklären und zu organisieren. Demnächst werden sich die Frauen in Belgien zum ersten Male an den Gewerbegerichtswahlen beteiligen. Auch in anderen europäischen Ländern gewinnt die Tendenz an Boden, den Frauen politische Rechte zu verleihen. Früher oder später wird auch in Belgien das Frauenwahlrecht kommen. Soll dan die sozialistische Partei nicht schwere Enttäuschungen erleben, so muß fie beizeiten durch die Aufklärung und Organisierung der Frauen vorsorgen. In dem gleichen Sinne sprach Genossin