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Die Gleichheit

dium erreicht hatte, als die Regierungsvorlage zur Abstim­mung im Parlament gelangte. Da befürchtete der linke Flügel der Genossinnen, daß die Annahme dieser Vorlage zu einer Stärkung der Stimmen und der Macht der bürger­lichen Parteien führen könnte. Und in der richtigen Erkennt­nis, daß eine solche im Interesse der Arbeiterklasse vermieden werden muß, wollten sie von der Zustimmung der sozial­demokratischen Fraktion zu der Reform nichts wissen. Wie die Dinge dagegen in Wirklichkeit lagen, hätte die Einführung der unvollkommenen Reform die Interessen des Proletariats nicht bedroht. Umgekehrt würde sie das Stimmenverhältnis zugunsten des werktätigen Volkes, der Sozialdemokratie etwas gebessert haben. Es ist daher begreiflich, daß Es ist daher begreiflich, daß unter den vorliegenden Umständen die sozialdemokra­tische Fraktion der Vorlage als einem kleineren übel" ihre Stimme gab, nachdem ihr eigener Antrag auf weiterreichende Demokratisierung des Wahlrechts abgelehnt worden war. Gemessen an dem bestehenden Stande der Dinge, wäre die Einführung des vorgeschlagenen Frauen­wahlrechts immerhin ein Fortschritt gewesen, ganz besonders auch in dem Sinne, als er die Macht der Arbeiterklasse ge­stärkt hätte, für ein besseres, demokratischeres Wahlrecht zu kämpfen. Gerade diese Wirkung widerlegt die Befürchtung, die ein Teil der Genossinnen hegte. Nämlich daß bei An­nahme der Regierungsvorlage die vollständige Demokrati­fierung des Wahlrechts auf unabsehbare Zeit verschoben worden wäre. Die proletarischen Wählerinnen würden der sozialdemokratischen Forderung mehr Nachdruck verliehen haben, denn sie hätten die Zahl der Stimmen verdoppelt, die hinter ihnen steht. Vor allem darf aber bei der Beurtei­lung der Sachlage das eine, das Wichtigste nicht vergessen werden. Die Notwendigkeit zur intensivsten Aufklärungs­arbeit unter den proletarischen Frauen, die durch die Ein­führung des allgemeinen Frauenwahlrechts trotz der be­schränkenden Klauseln geschaffen worden wäre. Politisch ge­schult kann eine Frau nur durch aktive Betätigung im poli­tischen Leben werden. Der Besitz des Wahlrechts ist ein starker Anreiz, ist der Zwang zu solcher Betätigung. Damit wird neuer Boden erschlossen, auf dem die Sozialdemokratie sät und erntet. So stärkt das Frauenwahlrecht die Sozialdemo­kratie nicht nur im Kampfe gegen die bürgerliche Gesell­schaft, sondern dient ihr auch zur überwindung eines ge­fährlichen inneren" Feindes: die politische Indifferenz der ausgebeutetsten und gefnechtetsten Schicht des Proletariats, der unaufgeklärten, schüchternen und geduldigen prole­tarischen Frauen. Das waren die Gedankengänge, die den ,, rechten Flügel" der schwedischen Sozialistinnen beeinflußt hatten. Nun leuchtet der Agitation der Genossinnen wieder das stolze Banner der grundsäßlichen sozialdemokratischen Forderung voran. In geschlossener Front, mit einer Losung werden sie den Kampf für das volle politische Bürgerrecht des weiblichen Geschlechts führen.

Alexandra Kollontay.

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einen Ring- oder Kettenfabrikanten, einen Graveur, Email­leur oder Chatonsfabrikanten, eine Doublefabrik, eine Scheideanstalt, eine Steinschleiferei oder Steinhandlung. Denn in Pforzheim wird so gut der kostbare Schmuck ge­schaffen, den die Weltdame trägt und der Tausende Mark Wert besigt, wie der billige Tand in Massenfabrikation her­gestellt, der für wenige Groschen im Warenhaus erhältlich ist. Der Ursprung der heutigen Pforzheimer Schmuckindustrie reicht bis ins achtzehnte Jahrhundert hinauf. Damals lebte in Pforzheim die Markgräfin Karoline von Dietlingen, eine recht kaufmännisch veranlagte Frau. Ihr unterbreitete ein französischer Handelsmann mit Namen Autran den Plan, eine staatliche Uhrenfabrik nach französischem Muster ein­zurichten. Dieser Plan sagte der Markgräfin um so mehr zu, als sich in der Stadt ein Waisenhaus befand, dessen In­sassen als billige Arbeitskräfte in dem neuen Gewerbe Ver­wendung finden konnten. Pforzheim war früher schon, im Mittelalter, der Sitz eines blühenden Goldschmiedegewerbes gewesen. Von diesem hatten sich aber zur Zeit der Autran­schen Gründung nur noch fümmerliche Reste erhalten, und das neue Unternehmen stand in keinem Zusammenhang mit dem alten Gewerbe. Am 1. April 1768 wurde der Betrieb eröffnet. Das Kapital dafür gab die fürstliche Herrschaft, die Leitung hatte der französische Handelsmann, und als Vorarbeiter waren französische Hugenotten tätig, die ihre Ausbildung in Paris und Genf erhalten hatten. Autran war verpflichtet, jährlich 20 Anaben und 4 Mädchen auszu­bilden, die vom zwölften Lebensjahr ab sechs Jahre in die Lehre gehen mußten. Die fremden Vorarbeiter muß­ten neben ihrer Berufstätigkeit die Waisenkinder ausbilden und anlernen, und Autran verkaufte die fertigen Waren im Ausland. Neben Uhren wurden in dem Betrieb englische Stahlwaren hergestellt und später auch Bijouterie in Gold und Silber. Das Geschäft blühte und beschäftigte im Jahre 1771 bereits 274 Personen.

Im Franchschen Verlag zu Stuttgart ist eine Sonder­beilage der Technischen Monatshefte erschienen, in der Pro­fessor Rück I in einen weiten Einblick in das kunstgewerb­liche Schaffen der Pforzheimer Industrie gibt. Der Ver­fasser widmet das Buch der gebildeten Laienwelt. Unter dieser gebildeten Laienwelt seien auch die Frauen mit in­begriffen, die ja in erster Linie als Verbraucher für die Pforzheimer Erzeugnisse in Frage kommen." Daß diese ge­bildeten" Frauen viel Sinn für die Arbeit des Verfassers haben werden, bezweifeln wir. Die Damen der Gesellschaft und die Bürgersfrauen behängen sich wohl mit Schmuck, werden aber wenig danach fragen, wie und unter welchen Verhältnissen er hergestellt wird.

Das Charakteristische der Pforzheimer Industrie ist die Verbindung von kunstgewerblicher Technik mit fabrikmäßi­gem Betrieb. Der Kabinettmeister fertigt die Beich­nung, und der Goldschmied hat dann den Entwurf in For­men von Blech oder Draht nachzubilden. Er sägt, feilt, biegt und tieft auf, sezt zusammen und lötet. Die Gruppe der Goldschmiede scheidet sich wieder in Arbeiter für mon­

Von der Pforzheimer Schmuckindustrie. tierte und kurante Arbeit. Die montierte Arbeit schafft den

Am nördlichen Fuße des Schwarzwaldes, am Zusammen­fluß der Würm, Nagold und Enz , liegt die Stadt Pforz­ heim . Dem Fremden, der in der Frühe nach Pforzheim kommt, bietet sich ein eigenartiges Bild. Aus dem Bahnhof ergießt sich wie ein Strom ein Menschenschwarm hinab in die Stadt. Immer neue Massen von Männern und Frauen bringen die Arbeiterzüge herbei. Alles eilt den Werkstätten und Arbeitssälen zu. Es sind die Bijouteriearbeiter und -arbeiterinnen. Der größte Teil von ihnen wohnt nicht in der Stadt, sondern kommt aus den umliegenden Gold­schmiededörfern", deren entfernteste bis zu 15 und 20 Rilo­meter von Pforzheim abliegen. In der Stadt selbst sind es die vielen Firmenschilder, die uns auffallen. Fast in jedem zweiten oder dritten Hause finden wir einen Bijouterie-,

feineren Schmuck. Das gleiche Muster wird nur in wenigen Stücken, oft nur in einem einzigen ausgeführt. Für die furanten Waren werden die Einzelteile in Massen vorge­preßt, und der Goldschmied hat sie nur auszusägen und zu­sammenzulöten, eine Tätigkeit, zu der natürlich mehr tech­nische Gewandtheit als künstlerische Begabung notwendig ist.

Die zweite Gruppe neben den Goldschmieden bilden die Fasser oder Juweliere. Sie fügen die Steine fest in das Metall ein, sie fassen. Die Fasserei ist ausschließlich Handarbeit, die Kostbarkeit des Materials, wenn es echt ist, und die Empfindlichkeit, wenn es unecht ist, verlangen eine geschickte und sorgfältige Hand. Die Gold- oder Flach­stich graveure haben mit dem Stichel Verzierungen in die Oberfläche oder in den Hintergrund der Fassung einzuschneiden. Der Stahlgraveur ist eine Art