326
Die Gleichheit
dium erreicht hatte, als die Regierungsvorlage zur Abstimmung im Parlament gelangte. Da befürchtete der linke Flügel der Genossinnen, daß die Annahme dieser Vorlage zu einer Stärkung der Stimmen und der Macht der bürgerlichen Parteien führen könnte. Und in der richtigen Erkenntnis, daß eine solche im Interesse der Arbeiterklasse vermieden werden muß, wollten sie von der Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion zu der Reform nichts wissen. Wie die Dinge dagegen in Wirklichkeit lagen, hätte die Einführung der unvollkommenen Reform die Interessen des Proletariats nicht bedroht. Umgekehrt würde sie das Stimmenverhältnis zugunsten des werktätigen Volkes, der Sozialdemokratie etwas gebessert haben. Es ist daher begreiflich, daß Es ist daher begreiflich, daß unter den vorliegenden Umständen die sozialdemokratische Fraktion der Vorlage als einem kleineren übel" ihre Stimme gab, nachdem ihr eigener Antrag auf weiterreichende Demokratisierung des Wahlrechts abgelehnt worden war. Gemessen an dem bestehenden Stande der Dinge, wäre die Einführung des vorgeschlagenen Frauenwahlrechts immerhin ein Fortschritt gewesen, ganz besonders auch in dem Sinne, als er die Macht der Arbeiterklasse gestärkt hätte, für ein besseres, demokratischeres Wahlrecht zu kämpfen. Gerade diese Wirkung widerlegt die Befürchtung, die ein Teil der Genossinnen hegte. Nämlich daß bei Annahme der Regierungsvorlage die vollständige Demokratifierung des Wahlrechts auf unabsehbare Zeit verschoben worden wäre. Die proletarischen Wählerinnen würden der sozialdemokratischen Forderung mehr Nachdruck verliehen haben, denn sie hätten die Zahl der Stimmen verdoppelt, die hinter ihnen steht. Vor allem darf aber bei der Beurteilung der Sachlage das eine, das Wichtigste nicht vergessen werden. Die Notwendigkeit zur intensivsten Aufklärungsarbeit unter den proletarischen Frauen, die durch die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts trotz der beschränkenden Klauseln geschaffen worden wäre. Politisch geschult kann eine Frau nur durch aktive Betätigung im politischen Leben werden. Der Besitz des Wahlrechts ist ein starker Anreiz, ist der Zwang zu solcher Betätigung. Damit wird neuer Boden erschlossen, auf dem die Sozialdemokratie sät und erntet. So stärkt das Frauenwahlrecht die Sozialdemokratie nicht nur im Kampfe gegen die bürgerliche Gesellschaft, sondern dient ihr auch zur überwindung eines gefährlichen„ inneren" Feindes: die politische Indifferenz der ausgebeutetsten und gefnechtetsten Schicht des Proletariats, der unaufgeklärten, schüchternen und geduldigen proletarischen Frauen. Das waren die Gedankengänge, die den ,, rechten Flügel" der schwedischen Sozialistinnen beeinflußt hatten. Nun leuchtet der Agitation der Genossinnen wieder das stolze Banner der grundsäßlichen sozialdemokratischen Forderung voran. In geschlossener Front, mit einer Losung werden sie den Kampf für das volle politische Bürgerrecht des weiblichen Geschlechts führen.
Alexandra Kollontay.
Nr. 21
einen Ring- oder Kettenfabrikanten, einen Graveur, Emailleur oder Chatonsfabrikanten, eine Doublefabrik, eine Scheideanstalt, eine Steinschleiferei oder Steinhandlung. Denn in Pforzheim wird so gut der kostbare Schmuck geschaffen, den die Weltdame trägt und der Tausende Mark Wert besigt, wie der billige Tand in Massenfabrikation hergestellt, der für wenige Groschen im Warenhaus erhältlich ist. Der Ursprung der heutigen Pforzheimer Schmuckindustrie reicht bis ins achtzehnte Jahrhundert hinauf. Damals lebte in Pforzheim die Markgräfin Karoline von Dietlingen, eine recht kaufmännisch veranlagte Frau. Ihr unterbreitete ein französischer Handelsmann mit Namen Autran den Plan, eine staatliche Uhrenfabrik nach französischem Muster einzurichten. Dieser Plan sagte der Markgräfin um so mehr zu, als sich in der Stadt ein Waisenhaus befand, dessen Insassen als billige Arbeitskräfte in dem neuen Gewerbe Verwendung finden konnten. Pforzheim war früher schon, im Mittelalter, der Sitz eines blühenden Goldschmiedegewerbes gewesen. Von diesem hatten sich aber zur Zeit der Autranschen Gründung nur noch fümmerliche Reste erhalten, und das neue Unternehmen stand in keinem Zusammenhang mit dem alten Gewerbe. Am 1. April 1768 wurde der Betrieb eröffnet. Das Kapital dafür gab die fürstliche Herrschaft, die Leitung hatte der französische Handelsmann, und als Vorarbeiter waren französische Hugenotten tätig, die ihre Ausbildung in Paris und Genf erhalten hatten. Autran war verpflichtet, jährlich 20 Anaben und 4 Mädchen auszubilden, die vom zwölften Lebensjahr ab sechs Jahre in die Lehre gehen mußten. Die fremden Vorarbeiter mußten neben ihrer Berufstätigkeit die Waisenkinder ausbilden und anlernen, und Autran verkaufte die fertigen Waren im Ausland. Neben Uhren wurden in dem Betrieb englische Stahlwaren hergestellt und später auch Bijouterie in Gold und Silber. Das Geschäft blühte und beschäftigte im Jahre 1771 bereits 274 Personen.
Im Franchschen Verlag zu Stuttgart ist eine Sonderbeilage der Technischen Monatshefte erschienen, in der Professor Rück I in einen weiten Einblick in das kunstgewerbliche Schaffen der Pforzheimer Industrie gibt. Der Verfasser widmet das Buch der gebildeten Laienwelt.„ Unter dieser gebildeten Laienwelt seien auch die Frauen mit inbegriffen, die ja in erster Linie als Verbraucher für die Pforzheimer Erzeugnisse in Frage kommen." Daß diese„ gebildeten" Frauen viel Sinn für die Arbeit des Verfassers haben werden, bezweifeln wir. Die Damen der Gesellschaft und die Bürgersfrauen behängen sich wohl mit Schmuck, werden aber wenig danach fragen, wie und unter welchen Verhältnissen er hergestellt wird.
Das Charakteristische der Pforzheimer Industrie ist die Verbindung von kunstgewerblicher Technik mit fabrikmäßigem Betrieb. Der Kabinettmeister fertigt die Beichnung, und der Goldschmied hat dann den Entwurf in Formen von Blech oder Draht nachzubilden. Er sägt, feilt, biegt und tieft auf, sezt zusammen und lötet. Die Gruppe der Goldschmiede scheidet sich wieder in Arbeiter für mon
Am nördlichen Fuße des Schwarzwaldes, am Zusammenfluß der Würm, Nagold und Enz , liegt die Stadt Pforz heim . Dem Fremden, der in der Frühe nach Pforzheim kommt, bietet sich ein eigenartiges Bild. Aus dem Bahnhof ergießt sich wie ein Strom ein Menschenschwarm hinab in die Stadt. Immer neue Massen von Männern und Frauen bringen die Arbeiterzüge herbei. Alles eilt den Werkstätten und Arbeitssälen zu. Es sind die Bijouteriearbeiter und -arbeiterinnen. Der größte Teil von ihnen wohnt nicht in der Stadt, sondern kommt aus den umliegenden„ Goldschmiededörfern", deren entfernteste bis zu 15 und 20 Rilometer von Pforzheim abliegen. In der Stadt selbst sind es die vielen Firmenschilder, die uns auffallen. Fast in jedem zweiten oder dritten Hause finden wir einen Bijouterie-,
feineren Schmuck. Das gleiche Muster wird nur in wenigen Stücken, oft nur in einem einzigen ausgeführt. Für die furanten Waren werden die Einzelteile in Massen vorgepreßt, und der Goldschmied hat sie nur auszusägen und zusammenzulöten, eine Tätigkeit, zu der natürlich mehr technische Gewandtheit als künstlerische Begabung notwendig ist.
Die zweite Gruppe neben den Goldschmieden bilden die Fasser oder Juweliere. Sie fügen die Steine fest in das Metall ein, sie fassen. Die Fasserei ist ausschließlich Handarbeit, die Kostbarkeit des Materials, wenn es echt ist, und die Empfindlichkeit, wenn es unecht ist, verlangen eine geschickte und sorgfältige Hand. Die Gold- oder Flachstich graveure haben mit dem Stichel Verzierungen in die Oberfläche oder in den Hintergrund der Fassung einzuschneiden. Der Stahlgraveur ist eine Art