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Die Gleichheit

In Jena , Weida und Bürgel sprach Genossin Brandenburg über die Bedeutung des Frauentags. Die Versammlung in Weida am 18. Mai war nur mäßig besucht, obgleich hier viele Proletarier besonders in der Leder- und Textilindustrie tätig sind. So beschäftigt eine Jutefabrik gegen 1500 Personen, zum größten Teil Frauen. Läßt die Organisation, namentlich die gewerkschaftliche, auch noch zu wünschen übrig, so berechtigen doch die fräftigen Ansätze sowohl in der allgemeinen Parteibewegung wie in der Jugend- und Frauenbewegung zu guten Hoffnungen für die Zukunft. In Jena war die Frauenversammlung am Sonntag den 19. Mai von ungefähr 140 Personen, meist Frauen, besucht. Wirkungsvoll eingeleitet durch den Gesang eines Männer­chors, wurde der Vortrag mit Begeisterung entgegengenommen. Eine Resolution für das Frauenstimmrecht und eine andere gegen die Polizeischmach im preußischen Abgeordnetenhaus wurden ein­ftimmig angenommen. In Bürgel, einem fleinen Städtchen im Wahlkreis Weimar III, war die Versammlung start besucht, hauptsächlich von Frauen. Hier ist die Kunsttöpferei zu Hause. Doch nicht diese, sondern die Stockfabriken stellen die Kerntruppe der gut organisierten Arbeiterschaft. Ein Drittel der Organi­fierten bilden die Frauen. Auch hier wird, den Anzeichen nach, die Nachwirkung des Frauentags eine gute sein.

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e. g.

Von den Organisationen. In Zittau hatte die sozialdemo fratische Frauenbewegung bisher nie so rechte Fortschritte gemacht, obschon ein kleiner Stamm von Parteigenossinnen dem sozialdemo kratischen Verein seit Jahren angehörte. Dabei ist der Boden einer Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung günstig, denn der Ort wird beherrscht von der Textilindustrie, die eine große Zahl weiblicher Arbeitskräfte ausbeutet. Erfreulicherweise hat denn auch die Erkenntnis von der Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Organisation unter den Proletarierinnen festen Fuß gefaßt. Das zeigt die große Anzahl der Arbeiterinnen, die sich dem Deutschen Textilarbeiterverband angeschlossen haben. Und dies, trotzdem die Bittauer Unternehmer Buderbrot und Beitsche anwenden, um ihre Lohnstlaven für die gelbe Organisation zu prefsen, den fogenannten Baterländischen Arbeiterverein, die höchsteigene Grün­dung der Herren. Die weitaus meisten Arbeiter und Arbeiterinnen weigerten sich mit Entschiedenheit, dieser Streitbrecherorganisation beizutreten, und so siecht denn diese im Verborgenen dahin. Vom politischen Leben hielten sich die Proletarierinnen von rühm­lichen Ausnahmen abgesehen noch fern. Es wird dies begreif lich, wenn man bedenkt, daß die meisten nach der Arbeit in der Fabrik die häuslichen Verrichtungen erwarten. Die Überbürdung mit Pflichten raubt Zeit und Lust, sich um Politik zu fümmern. Durch die Frauentage wurde auch das politische Interesse unter den Zittauer Frauen gewedt. In diesem Jahre ging der Beranstaltung im ersten Streise eine Agitationsreise der Genossin Mühle Halle voraus. Und sie hatte den besten Erfolg. In Bittau gelang es unserer Genossin, durch ihre aufklärenden und anfeuernden Ausführungen die Zurückhaltung der Frauen gegen die Partei zu brechen. Eine große Anzahl der Versamm­lungsbesucherinnen trat der politischen Organisation bei. So war der Frauentag gut vorbereitet. Gewiß war die Beteiligung der Proletarierinnen an ihm bescheiden, gemessen an der Demon­stration in größeren Städten, aber trotzdem bedeutet fie einen schönen Fortschritt in Berücksichtigung der hiesigen schwierigen Berhältnisse. Zu begrüßen ist ferner, daß die Genossinnen in dieser Versammlung selbständig auftraten, indem sie aus ihren Seihen die Leitung stellten. Erfolg hatten auch drei Leseabende für die Frauen, die sich dem Frauentag anschlossen. An den beiden ersten dieser Abende erläuterte Genosse Rauch in flarer Weise die Wahlrechtsfrage und die Wehrvorlage. Aus der Mitte der Frauen kam die Anregung dazu, daß sie vom 1. Juli dieses Jahres ab von der Parteiorganisation die Gleichheit" un entgeltlich erhalten. Einem Teile der Genossinnen wird das Blatt bereits vom Textilarbeiterverband zugestellt. Ferner beanspruchen die Genoffinnen eine Bertretung im Borstand des hiesigen sozial­demokratischen Vereins. Dieser Wunsch wird berücksichtigt werden, bekundet er doch, daß das Interesse der Frauen für die Sozial­demokratie kein plößlich aufflackerndes Strohfeuer ist, sondern daß sie es ernst mit ihrer Mitarbeit innerhalb der Partei der ausgebeuteten Massen meinen. Die neuen Kämpferinnen sind uns herzlich willkommen. Hoffentlich wirkt das gute Beispiel auf weitere Frauenkreise zurück, so daß sich um unser Banner immer mehr Arbeiterfrauen und Arbeiterinnen sammeln, die bisher noch nicht den Weg zu uns gefunden haben. Möchten die proletarischen Frauen auch in Zittau ihre Ehre darein sehen, es den Männern gleichzutun, die die richtigen Folgerungen aus der volls­bedrückenden Politik der bürgerlichen Parteien gezogen haben und

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in den beiden letzten Jahren in stattlicher Anzahl der sozial demokratischen Organisation beigetreten sind. Sind es jetzt aber 42 Frauen unter 425 Parteimitgliedern, so seßen die Genossinnen ihren Stolz darein, daß ihre Schar möglichst bald 100 Mitstreite­rinnen zähle. Bei den vielen gewerkschaftlich organisierten Ar­beiterinnen kann das nicht allzu schwer sein. Frisch auf ans Werk! Vorwärts zur Agitation! Richard Schreiter.

Eine Konferenz der sozialdemokratischen Frauen des Bo­ chumer Reichstagswahlkreises fand am 23. Juni in Bochum statt. 44 Vertreterinnen hatten die Orte des Wahlkreises zu ihr entsandt. Genosse Scheibe hielt einen lehrreichen Vortrag über die Organisierung der Frauen, über die Mängel und die bessere Ausgestaltung der Organisationen. Die Genossinnen beteiligten fich lebhaft an der Erörterung dieser Frage, und ihre Vorschläge zeugten von dem Ernste, mit dem sie ihre Aufgabe auffassen. Die Konferenz entsandte Genoffin Schulz- Witten als Beisitzerin in den Wahlkreisvorstand der Partei. Die nächsten Frauenver fammlungen in den einzelnen Orten des Wahlkreises werden Stellung nehmen zu den Verhandlungen der Konferenz und den auf ihr gemachten Vorschlägen, vor allem in bezug auf die Liefe rung der Gleichheit".

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Politische Rundschau.

Die Klassen justiz hat in der letzten Zeit wieder mehrere besonders auffällige Urteile gefällt. Vor der Straftammer in Halle a. S. wurden zwei Arbeiter zu je vier Monaten Gefäng nis verurteilt, weil sie bei der Reichstagswahl des Januars in einem Wahllokal des Wahlkreises Mansfeld versucht hatten, die zur Auszählung aus der Wahlurne genommenen Stimmzettel durcheinanderzuwerfen. Sie wollten auf diese Weise auf eigene Faust das Wahlgeheimnis vor Berlegung wahren, nachdem fie bom Wahlvorstand vergeblich das Durcheinanderschütteln ber Stimmzettelumschläge gefordert hatten. Es hat die Richter bet ihrem harten Spruche nicht beirrt, daß die beiden Arbeiter zu ihrem Vorgehen wahrlich Grund genug hatten. Die Wahlproteste erzählen von so vielen Fällen, in denen Wahlborstände dem Wahl­gesetz zum Hohn die Wahlkuverts in Bigarrentisien, Suppen­terrineu und ähnlichen kleinen Behältern sorgsam der Reihenfolge nach aufschichteten und in derselben Reihenfolge die Auszählung und Öffnung der Kuverts vornahmen, so daß mit Hilfe einer Liste über die Reihenfolge der Abstimmenden das Wahlgeheimnis gäng lich aufgehoben war. Daß sie Leute bestraften, die dem Gesetz Ach tung verschaffen wollten, das bekümmerte die Richter nicht, und ebensowenig empfinden sie es als Nachteil, daß ihr Spruch gesehe berletzende Wahlvorstände in ihrem widergesetzlichen Tun ermutigen muß. Sie haben sich lediglich an den formellen Tatbestand gehalten, sie haben in den Leuten, die die Verlegung des Wahlgesetzes ver­hindern wollten, lediglich Krafeeler, Unruhestifter und Menschen geschen, die sich eine Einmischung in eine Amishandlung, eine Bedrohung einer zu amtlicher Handlung bestellten Persönlichkeit erlaubten. Daß auf diese Weise das formale Recht zum schlimm sten Unrecht wurde, das hat sie weiter nicht aufgeregt. Jm selben Wahlkreis hatten mehrere Gutsbesizer als Wahlvorstandsmit glieder die Kontrolleure der Sozialdemokratie nicht allein wider das Gesetz aus dem Wahllokal gewiesen, sondern sie auch auf das schmählichste beschimpft. Einer dieser Herren hatte einen unserer Genossen sogar gröblich mißhandelt. Unsere Genossen stellten Strafantrag gegen die feine Gesellschaft. Aber die Staatsanwalt schaft fand an der Verfolgung dieser Straftaten kein öffentliches Interesse. Unsere Genossen mußten die Privatklage gegen die Herren Gutsbesitzer anstrengen. Und der ganze Erfolg war, bas selbst der Rohling, der eine gröbliche tätliche Mißhandlung be­gangen hatte, zu einer für seine Verhältnisse einfach lächerlich geringen Geldstrafe verurteilt wurde. Selbst wenn die Agrarier ihre Roheiten als Brivatpersonen berübt hätten, wären die Strafen außerordentlich milde gewesen. Nun aber haben jene die Straf­taten in ihrer Eigenschaft als Wahlvorsteher und Wahlvorstands­beisiger begangen, das heißt in einer Stellung, in der sie zur Wahrung des Gesetzes berufen waren, in der sie als Vertreter der Obrigkeit öffentlich- rechtliche Funktionen ausübten. Und sie haben durch ihre Straftaten neben den einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuchs gerade auch das Gesetz verlegt, zu dessen besonderer Hut sie eigens bestellt waren, nämlich das Wahlgeset. Denn dieses Gesetz schreibt die Öffentlichkeit der Wahlhandlung vor. Das alles find Umstände, die ihre Bergehen weit schwerer machen. Jedoch trotz dieser erschwerenden Umstände wurden die agrarischen Ge­segesverächter von den Richtern mit Samthandschuhen angefaßt.