Nr. 22

Die Gleichheit

bis 24. Mai hielt die Unterzeichnete in Württemberg Agitations. versammlungen unter den Frauen ab. Jm großen und ganzen war der Erfolg recht gut. Befriedigte auch der Bersammlungsbesuch in einzelnen Orten nicht, so muß man eben die besonderen Ver­hältnisse des Landes und den Umstand berücksichtigen, daß alle Ver­anstaltungen nur als Frauenversammlungen einberufen worden waren. In vielen Orten war es das erstemal, daß die Frauen eine Bersammlung besuchten, und in den meisten wurde erst in der Ver­sammlung der Grundstein zu ihrem politischen Zusammenschluß gelegt. In allen außer drei Versammlungen sprach die Unterzeich nete über die Frage: Warum und wie betätigen sich die Frauen am politischen Leben?" Besonders hervorzuheben ist die Veranstaı-= tung in Nürtingen  , wo es noch keine weiblichen Parteimit­glieder gab. Es war eine Freude, zu sehen, mit welcher Begeiste= rung die Frauen dem Vortrag lauschten. 26 von ihnen traten hier der Organisation bei. Auch in Ludwigsburg  , einer kleinen Militärstadt, in der ein strenger Kastengeist herrscht, war der Er­folg verhältnismäßig gut. 18 Frauen wurden hier für die Partet gewonnen. Schlecht besucht war die Versammlung in dem benach­barten Stammheim  . Immerhin schlossen sich von den 27 er­schienenen Frauen 10 uns an. Sehr befremden muß es, daß nur 21 Personen an der Versammlung in Badnang teilnahmen, einem Orte, an dem vor allem die Lederindustrie eine große An­sahl Frauen in den Fabriken beschäftigt. Meines Erachtens war es verfehlt, daß die dortige Parteileitung die Flugblätter erst am Abend des Versammlungstags verbreiten ließ. Gerade die Frauen müssen doch schon einige Tage zuvor von dem Stattfinden einer Versammlung unterrichtet sein, damit sie ihre Hausarbeit so ein­richten können, daß sie den betreffenden Abend frei sind. Nicht gut waren auch die Versammlungen in Holzheim und Uhingen  besucht. Um so erfreulicher war die Versammlung in Sindel= fingen. In diesem Kleinen Städtchen fand zum erstenmal eine Frauenversammlung statt, und hauptsächlich waren Textilarbeite­rinnen unserem Rufe gefolgt. Die Lebhaftigkeit, mit der die Frauen bei der Sache waren, läßt erwarten, daß der Samen auf guten Boden gefallen ist. Groß war der Jubel, als am Schlusse der Versammlung mitgeteilt wurde, daß 31 Frauen und 7 Männer thren Beitritt zur Partei erklärt hatten. Guten Erfolg hatten auch die Versammlungen in Raltental, Rommelshausen   und Weilim Dorf, wo Frauengruppen gegründet wurden, und in Feuerbach  . In Frankenbach   glaubten die Genossen, eine Frauenversammlung nicht zustande zu bringen; sie veranstalteten beshalb einen Familienabend, und in Form einer Festrede klärte bie Unterzeichnete die Frauen über die Notwendigkeit und die Ziele der politischen Organisation auf. Der Besuch der Versammlung in Blingen und Kirchheim u. Ted, die am 12. Mai statt­fanden, entsprach leider nicht der Bedeutung des Frauentags. Be­sondere Erwähnung verdient noch die Versammlung in Leon= berg, in der neben einer größeren Anzahl Arbeiter und Arbeite­rinnen auch noch sämtliche Stüßen der Gesellschaft", wie Pfarrer, Behrer, Gerichtssekretär, Fabrikant und andere mehr erschienen waren. Der Herr Dekan hielt es für seine Pflicht, den Frauen in ber Diskussion zu sagen, daß die Politik nicht für sie tauge; weiter behauptete dieser Prediger der Wahrheit, daß es in Württemberg  überhaupt keine Not und kein Glend gebe. Nichts war ja leichter, als dieses Gefasel zu widerlegen, was einige Genossen und die Rednerin in ihrem Schlußwort gründlich besorgten. Der unmittel­bare Erfolg der Versammlung bestand in einer Anzahl neuer Mit­ftreiter. Selbst in Gegenden, in denen das Zentrum herrscht, er­wachen die Frauen allmählich zum Bewußtsein ihrer sozialen Lage. Das bewiesen die Versammlungen in Tuttlingen   und Ravens­ burg  . Obwohl sie nur klein waren, gewannen wir doch in ihnen 85 weibliche Mitglieder für die Partei. Versammlungen fanden noch statt in Sedelfingen, Untertürkheim  , Münster  , Aleineislingen, Ebingen  , Sontheim, Vödingen, Schorndorf  , Neckarsulm  , Nedargartach, Urach  , Mekingen, Ostheim, Möhringen  , Schramberg   und Eningen  . In allen diesen Orten wurden zahlreiche neue Mit­glieder für die Sozialdemokratie gewonnen. In Schramberg  allerdings war die Versammlung nicht gut besucht, obgleich gerade in diesem Schwarzwaldort, der in einer hervorragend schönen Ge­gend liegt, die Ausbeutung besonders groß ist. Hier herrscht die Uhrenindustrie, die neben Männern und Frauen auch Kinder aus­beutet. In der Heimindustrie müssen Kleine bereits im zarten Alter von fünf Jahren für ein paar Pfennige arbeiten. Ebenso schlimm liegen die Verhältnisse in der örtlichen Strohhutfabrika­tion. Trotz des Elends hatten die Proletarierinnen nicht den Weg in die Versammlung gefunden, in Scharen wanderten sie dafür am Abend, das Gebetbuch in der Hand, zur Messe. Noch viel Auf­

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Klärungsarbeit muß hier geleistet werden, bis die Frauen er­kennen, daß die Kirche sie von der Ausbeutung nicht erlösen kann und nicht erlösen will und daß sie im Verein mit ihren Arbeits­brüdern und schwestern für ihre Befreiung kämpfen müssen. Die Agitationstour hat gezeigt, daß der Boden für die Organisierung der Frauen in Württemberg   vorhanden ist. Die immer weiter schreitende Industrialisierung dieses Landes, namentlich durch das Textilfapital, bereitet den Boden für uns vor, indem sie immer größere Scharen von Frauen aus dem kleinbäuerlichen Leben in die kapi­talistische Fron reißt. Diese Frauen können und müssen wir für unsere Sache gewinnen, und wir dürfen uns nicht dadurch ent­mutigen lassen, daß die meist noch stark kleinbäuerliche Lebens­und Denkweise der württembergischen Proletarierinnen unserer Aufklärungsarbeit große Hindernisse in den Weg stellt. Mögen auch unsere Genossen in den einzelnen Orten ihre Fürsorge den jungen, neugegründeten Frauengruppen zuwenden. 335 Frauen und 20 Männer wurden auf dieser Agitationstour für die sozialdemokra tische Partei geworben. Wir hoffen, daß sie nicht nur treue Mit­glieder, sondern auch tätige Mitstreiter der Partei werden, und daß sie ganzen Anteil nehmen an dem Kampfe um die Befreiung der Arbeiterklasse. Margarete Raschewsti.

Nochmals unfaire Agitation und Verichterstattung. In Nr. 25 des Wochenblattes Das Freie Volt" vom 22. Juni antwortet Frau Regine Deutsch   auf meine Kritik ihrer Berichterstattung und der Art der Agitation, wie sie der Stimmrechtsverband jüngst in Berlin   be­liebte. Die Entgegnung von R. D. bildet ein köstliches Durchein­ander," da sie in einem Satz bestreitet, was sie im nächsten zugibt. Gleichzeitig bringt sie aber auch gegen die Redaktion der Gleich­heit" und mich unglaubliche Unterstellungen. Eine Antwort ist des­halb unerläßlich, die ich aber möglichst furz halten möchte, da fich nicht lohnt, auf alle die frauenrechtlerischen Widersprüche einzugehen. Frau R. D. zitiert zunächst, was ich über die Behandlung schrieb, die Frau Cauer auf dem letzten Frauenkongreß erfuhr, und bestreitet sodann die Richtigkeit meiner Schilderung. Sie schreibt unter anderem: Das Gegenteil( meiner Darstellung) sei richtig. Frau C. sei mit Jubel Begrüßt und unter ostentativem Beifall habe sie ihre Rede beendet." Diese Darstellung ist falsch, weil nicht vollständig. Beifall und Jubel schallte Frau Cauer entgegen, gewiß! aber nur von der kleinen Minorität des Kongresses. Die Majorität jubelte den sehr aggressiv gegen Frau Cauer gerichteten Ausführungen der Korreferentin Frau Fischer- Eckert zu, deren reaktionäre Auße­rungen Frau R. D. notgedrungen zugibt. Und in Nr. 19 der Gleich heit" habe ich nur behauptet, daß die große Majorität des Non­gresses gegen Frau C. war. Sollte es ferner Frau R. D. nicht auf­gefallen sein, daß alle Referate und Korreferate des Kongresses sein borsichtig abgefaßt und abgestimmt waren, um augenscheinlich jede Differenz, jede aggressive Auseinandersetzung zu vermeiden? Daß Gertrud Bäumer   diese Absicht offiziell kundgab und sich gegen einen zu lebhaft geäußerten Beifall wandte, der einer Rednerin zuteil wurde, die sich polemisch gegen eine Referentin gewandt hatte? Diese Taktik hörte aber auf, als Frau Cauer das Wort erhielt. Als es auf dem Kongreß gegen" links" in der bürgerlichen Frauenbewegung ging, wurde die Debatte sehr lebhaft und sehr aggressiv! Daß ich in Nr. 19 der Gleichheit" nicht anführte, daß Frau Deutsch   sich auf dem Kongreß gegen Frau Fischer- Eckert gewandt hat, soll eine ,, unfaire" Berichterstattung von mir sein. Aber Frau Deutsch  ! Wollte ich denn über den Kongreß berichten? Nein! Ich zählte nur eine Reihe von Beispielen auf, die beweisen, daß die bürgerlichen Frauen und unter ihnen die Mitglieder der Verbände für Frauen­stimmrecht keineswegs geschlossen und einheitlich für ein demokratisches Frauenstimmrecht eintreten. Daß vielmehr die radi­tale und die gemäßigte Richtung sich fortgesetzt bekämpfen, seitdem -infolge unserer Kritik die Forderung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in das Programm des Deutschen Frauen­stimmrechtsverbands aufgenommen wurde. Das bestätigen Sie, und dennoch soll ich unrichtig berichten? Die Logik ist mir zu wunder lich und zu hoch, die kann ich nicht begreifen.

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Das Köstlichste, was Frau R. D. sich leistet, ist jedoch das Folgende: Ich hatte Frau Cauers Eintreten für ein demokratisches Frauenwahl recht mutvoll genannt und in derselben Nummer hatte die Redaktion der Gleichheit" irrtümlicherweise berichtet, Frau Cauer habe sich in einer Versammlung des Frauentags in zustimmendem Sinne zu unseren Forderungen geäußert. Das genügt, um bei uns die Absicht zu entdecken, Frau Cauer zu isolieren und den Anschein zu erwecken, als ob sie mit ihren Ansichten allein stehe. D, du heiliger Bimbam! Sollte die hohe Temperatur der letzten Tage die Wirkung bei Frant R. D. erzielt haben, daß sie Gespenster sieht und sich und Frau Cauer von den bösen Sozis verfolgt wähnt?