Nr. 24
Die Gleichheit
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II.
Am Schluß unseres ersten Artikels haben wir dargelegt, wie kläglich nach 25jähriger Kolonialpolitik das Verhältnis der Zahl der in den Kolonien weilenden Deutschen zur Höhe der aufgewendeten Mittel und des Reichszuschusses ist. 22000 Weiße leben in unseren Kolonien, und von ihnen sind 4000 Beamte. Nicht viel besser steht die Sache, wenn man die Erfolge deutscher Kolonialpolitik am Handel der Kolonien mit dem deutschen „ Mutterland" bemißt. Für 1911 liegen die amtlichen Zahlen vor für den Handel mit den afrikanischen Kolonien Südwestafrika, Ostafrika , Kamerun und Logo. Danach betrug die Ausfuhr Deutschlands nach diesen vier Kolonien im Jahre 1911 81 579 442 Mt., was gegen das Vorjahr einen Rückgang von 1063 113 Mt. bedeutet. Der Rückgang wird durch Südwestafrika verursacht, von dessen trostloser wirtschaftlicher Lage trotz der Diamantenfunde- schon im ersten Artikel die Rede war. Die wertvollste unserer Kolonien" hat 1911 um 6118 124 Mr. weniger an deut schen Waren eingeführt als 1910. Hingegen haben Ostafrika , Kamerun und Togo ihre Warenbezüge aus Deutschland gesteigert. Ostafrika hat für 1 632 366 Mr. mehr deutsche Waren als im Vorjahr eingeführt, Kamerun für 1327 216 M., Togo für 2 095 429 Mt. mehr. Merkwürdigerweise hat die lettere Kolonie dieser Mehreinfuhr deutscher Waren einen Rückgang ihrer Ausfuhr nach Deutschland gegenüberzustellen; es sandte dem Reiche für 1 197 091 Mt. weniger als im Vorjahr. Dagegen stieg die Ausfuhr Ostafrikas nach Deutschland um 7 232 865 Mt., die Kameruns um 3 047 007 m., die Südwestafrikas um 957 674 Mr. Es wäre indes verfrüht, aus diesem Steigen der Ein- und Ausfuhr ohne weiteres auf eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung der betreffenden KoIonien zu schließen. Die rohen Zahlen lassen nämlich nicht erkennen, wieviel von den aus den Schußgebieten ausgeführten Waren Erzeugnisse der planmäßigen Arbeit der Eingeborenen und der Weißen sind, und wieviel davon lediglich das Produkt bloßer Sammlungstätigkeit ist, die zum großen Teil Raubbau an den Naturschäßen des Landes darstellt. Dieser Raubbau erschöpft die Vorräte an Kautschuk, Elfenbein, Hölzern usw., die der Tropenwald bietet, und er liefert einen nicht unerheblichen Teil der Ausfuhr unserer Kolonien. Steigende Ausfuhrzahlen einer Kolonie sind daher nicht immer ein Zeichen dafür, daß ihre Produktion sich hebt und daß das Mutterland auf immer größere Posten an Rohstoffen und Nahrungsmitteln aus solchem Gebiet rechnen darf. Ebenso bedürfen die Einfuhrzahlen der Kolonien einer fritischen Betrachtung. Steigen sie, so bedeutet das noch lange nicht, daß sich die Bedürfnisse und die Kaufkraft der Bevölferung heben, daß also die Kolonien zu immer aufnahmefähigeren Absazmärkten für das Mutterland werden. Die Einfuhr Südwestafrikas war am höchsten zur Beit des blutigen Krieges, als Verpflegung für eine große Truppenmasse nachgeführt werden mußte. Ebenso bewirken die Eisenbahnbauten, die die deutschen Steuerzahler bezahlen bezw. verzinsen müssen, ein Anschwellen der Einfuhr. Das plötzliche erhebliche Sinken der Einfuhr Südwestafrikas ist ein Beispiel dafür, wie infolge des Wegfalls solcher Ursachen die Aufnahmefähigkeit der Kolonie für Waren des Mutterlandes reißend zurückgehen kann.
Stellt man nun gar den Handel Deutschlands mit seinen Rolonien seinem Gesamthandel gegenüber, so ergibt sich, daß die Bedeutung dieser Kolonien für den deutschen Handel zurzeit noch äußerst gering ist. Die vier afrikanischen Kolonien, also die größten und bedeutendsten Teile des deutschen Kolo ntalreichs, hatten 1911 in Einfuhr und Ausfuhr einen Handel mit Deutschland von 210 920 583 Mt. Der Gesamthandel Deutschlands aber betrug in Ein- und Ausfuhr in jenem Jahre 15 812 095 000 mt. Also 210 Millionen gegen 15 Mil liarden! Das Verhältnis verbessert sich zwar etwas zugunsten der Kolonien, wenn man den Handel Kiautschous und der
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Gebiete in der Südsee Neuguinea, Bismarckarchipel , Samoa , Mariannen und Karolinen hinzuzählt. Die amtlichen Zahlen für 1911 liegen noch nicht vor, 1910 betrug die Ausfuhr Deutschlands nach diesen Gebieten 5 017 000 m., die Einfuhr Deutschlands aus ihnen 8021 000 mt., insgesamt also ihr Handel mit dem Mutterlande 13 038 000 mt. Jedenfalls bleibt aber die Summe im Vergleich zum Gesamthandel Deutschlands so klein, daß man ruhig feststellen kann: die Kolonien spielen für das deutsche Wirtschaftsleben eine recht geringe Rolle.
Die Legende aber von der Siedlungskolonie, von der Schaffung eines Neudeutschlands in den Schutzgebieten hat die Negierung selbst zerstört mit dem Eingeständnis, daß sogar das Klima Südwestafrikas den Weißen gefährlich ist. Unsere Kolonialpolitiker ficht das freilich wenig an. Sie behaupten auch, daß sich auf den Hochplateaus Ostafrikas weiße Bevölkerung ansiedeln könne, und werben seit langem eifrig für deren Besiedelung durch Deutsche . Neuere Untersuchungen haben aber ergeben, daß das als ideal bezeichnete Altma dieser hochgelegenen Gebiete dem Europäer bei längerem Aufenthalt kaum minder gefährlich ist als das feuchtheiße Klima in den Niederungen. Im benachbarten Britisch- Ost afrika ist auf den Hochplateaus, die vor denen des deutschen Gebiets noch größere Höhe voraushaben, eine außerordentlich hohe Sterblichkeit unter den Kindern der Weißen beobachtet worden. Und in einem englischen Bericht heißt es darüber: „ Das Klima ist ideal für Touristen und Sportsleute, vorausgesezt, daß sie gewisse Gebiete vermeiden, und es gibt wenig Länder der Welt, wo eine Ferienzeit angenehmer verbracht werden kann; aber die allgemeine Ansicht der Ärzte ist, daß der dauernde Aufenthalt auf dem hochgelegenen Plateau das Nervensystem so stark angreift, daß bei überarbeitung oder wenn Sorgen auf dem Geiste lasten, oft völliger Zusammenbruch des Menschen eintritt. Ansiedler und Kaufleute haben es nötig, regelmäßig Europa aufzusuchen, und leiden an ihrer Gesundheit, wenn sie außer stande sind, dies zu tun..." Der englische Bericht fügt zwar noch hinzu, daß die Zahl der Weißen, an denen Beobachtungen angestellt werden konnten, gering war, so daß sich aus so beschränktem Material noch keine allgemein gültigen Schlüsse ziehen ließen". Indes stimmen diese Erfahrungen überein mit den Beobachtungen, die die Missionsgesellschaften an ihrem Personal auf den Plateaus des deutschen Gebiets gemacht haben. Dessen ungeachtet besigen nicht wenige der deutschen Kolonialschwärmer die Gewissenlosigkeit, die Ansehung von Kleinsiedlern in Ost afrika zu fordern. Diesen würden aber die Mittel sowohl zum regelmäßigen Besuch Europas als auch zur Heimsendung ihrer Kinder fehlen, sie müßten also mit ihrer besonders gefährdeten Nachkommenschaft in dem gefährlichen Klima ständig aushalten.
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Kommt für die Weißen das heißt für die große Mehrzahl nichts Gutes bei unserer Kolonialpolitik heraus, so ebensowenig für die Eingeborenen. Manche Anhänger der Kolonialpolitik suchen ja noch immer sich und anderen einzureden, diese habe das edle Ziel, den unkultivierten Völkern die Segnungen der Kultur zu bringen, und sie glauben damit die Untaten und Verbrechen der Weißen gegen die Wilden rechtfertigen zu können. In Wirklichkeit aber handelt es sich in den Kolonien darum, die Eingeborenen zu willigen Ausbeutungsobjekten der Weißen zu machen. Freilich wissen die Wortführer der Kolonialpolitik auch diese Ausbeutung als eine Kulturtat hinzustellen. Breßt man den Neger unmittelbar oder mittelbar zur Arbeit durch Zwang oder durch Steuerdruck, so erzieht" man ihn zur Arbeit. Diese„ Erziehung" ist so ziemlich die einzige, die ihm die Kolonialpolitiker vom Schlage Liebert und die Pflanzer gönnen. Denn im übrigen halten sie es mit den ostelbischen Junkern, daß der dümmste Arbeiter der beste ist. Die Arbeiteranwerbung in den Kolonien ist ein düsteres Kapitel. So sehr sich auch die Regierungsdenkschriften bemühen, nicht allzuviel Licht darauf fallen zu lassen, sie können doch den Eindruc