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Die Gleichheit

zu den freien Gewerkschaften nicht aufhalten, die auf dem Boden des Klassenkampfes stehen.

Zum Schlusse müssen wir noch einen Blick auf die Verbände der Arbeitgeber und die von ihnen ausgehaltenen Arbeiterorganisationen werfen. Die Arbeitgeber­organisationen zählten 1911 nicht weniger als 3085 Verbände, gegen 2928 im Jahre 1910. 2019 dieser Verbände geben ihre Mit­gliederzahl mit 132 485 an und 1547 die Zahl der beschäftigten Arbeiter mit 4 378 275. Man sieht, die Kampforganisationen der Kapitalisten machen Fortschritte. Die im Dienste der Ausbeuter stehenden Arbeiterorganisationen, die Gelben" und die Baterländischen", werden in der Statistik des Reichs­arbeitsblatts" diesmal unter dem schönen Titel Wirtschafts­friedliche Vereine" zusammengefaßt. Die Zahl ihrer Mit­glieder stieg von 121 126 im Vorjahr auf 162 262 im Berichtsjahr. Wir werden wohl in der nächsten Zeit noch mit einem weiteren Wachsen dieser Streifbrecherorganisationen zu rechnen haben. Denn noch hoffen die Unternehmer mit dieser schmutzigen Waffe die klassenbewußten Arbeiter wirksam bekämpfen zu können.

Die elende wirtschaftliche Lage der Krankenpflegerin nen wurde auf dem Internationalen Kongreß des Weltbundes der Krantenpflegerinnen besprochen. Nach einer einjährigen, durchaus unzureichenden Ausbildungs­zeit, so wurde ausgeführt, werden unerhörte Leistungen verlangt. In größeren Anstalten kommt eine Pflegerin auf 5 bis 8 Patienten, in kleineren auf 8 bis 12 und in Privatkliniker sogar auf 12 bis 16 Patienten. Von 31 000 Pflegerinnen hatten 40 Prozent eine Dienstzeit von 13 bis 14 Stunden täglich, 42 Prozent von 14 bis 17 Stunden, und nur 18 Prozent hatten weniger als 13 Stunden Dienst. In vielen Fällen wird noch in den sogenannten freien Stunden Unterricht erteilt, dazu kommen Nachiwachen und an­dere Besorgungen, so daß in Einzelfällen 30 bis 33, ja bis zu 40 Stunden ununterbrochener Dienst geleistet werden muß. Die Be­zahlung steht in keinem Verhältnis zu der aufreibenden Tätig keit; sie beträgt in der Regel jährlich 300 bis 500 mt. bei freier Station, als Höchstgehalt wurden 700 Mt. ermittelt. Von dem Gehalt fließen 5 bis 16 Prozent an die Pensionskasse. Die Ge sundheitsverhältnisse der Pflegerinnen find natürlich außerordent­lich schlechte. Todesfälle, besonders an Tuberkulose, sind er­schreckend häufig, auch ist die Zahl der Selbstmorde entsetzlich hoch. Wie weltfremd aber diese zum Teil durch religiöse Orden zur Demut Erzogenen den wirklichen Dingen gegenüberstehen, geht aus der Resolution hervor, in der sie an die Vorstände der Krankenhäuser die ernstliche Bitte richten, dem Problem der über­arbeit unter den Pflegerinnen die gleiche Aufmerksamkeit zuzu­wenden, wie sie die Leiter der industriellen Betriebe gegen ihr Personal beweisen. Die so maßlos ausgebeuteten Proletarierin­nen der Krankenhäuser haben also keine Ahnung davon, daß, so­weit in der Industrie die überarbeit schon beseitigt ist, dies nicht der Einsicht der Unternehmer, sondern dem eigenen zähen Kampfe der Industriearbeiter um die Verkürzung der Arbeitszeit und ihrem gewerkschaftlichen Zusammenschluß zu verdanken ist.

Das herausfordernde Auftreten der Arbeitswilligen in dem kleinen ostpreußischen Städtchen Ragnit gab die Veranlas­fung zu einer förmlichen Straßenschlacht. Nach einem Sauf­gelage griffen die Hingebrüder die organisierten Arbeiter tätlich an. Einem Arbeiter wurde die Pulsader zerschnitten. Als die Tätlichkeiten sich auch gegen den Polizeifommissar richteten, gaben die Gendarmen Feuer, und dabei wurde ein Arbeiter erschossen, der am Streit und an den Krawallen völlig unbeteiligt war. Bei der Beerdigung dieses Erschossenen sezten die Behörden einen sehr sonderbaren Auftritt in Szene. Die zum Friedhof führenden Straßen waren von dem mittlerweile nach Ragnit beorderten Militär stark bejezt. Militärpatrouillen verhinderten jede An­sammlung von Menschen. Auf dem Kirchhof selbst waren an verschiedenen Stellen Militärposten aufgestellt. Während die Töne eines Chorals aus der Halle drangen, nahmen die Soldaten mit scharf geladenem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett vor der Leichenhalle und auf dem Friedhof Aufstellung. Dem Ganzen setzte die Geistlichkeit die Krone auf, indem sie dem erschossenen Arbeiter die Kirchlichen Zeremonien verweigerte. So wurde ein deutscher Arbeiter mit militärischen Ehren" begraben.

Mit Hilfe der bewaffneten Macht ist ein Streit russisch­polnischer Landarbeiter auf dem oftpreußischen Gute Althof bei Barten beendet worden. 30 russisch- polnische Ar­beiter und Arbeiterinnen wollten die Arbeit niederlegen. Der Guts­besizer drohte ihnen mit der Ausweisung, was die Leute in große Erregung versette. Darauf holte der Gutsbesizer den Gendarmen, der die Ausständigen aufforderte, ihre Arbeit aufzunehmen. Als sie

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dieser Aufforderung nicht nachkamen und eine Arbeiterin offenen Widerstand gegen die Staatsgewalt" leistete, machte der Gendarm von seiner Waffe Gebrauch. Die Arbeiterin wurde als Rädels­führerin verhaftet, 5 Arbeiter wurden über die Grenze geschafft, um drüben berichten zu können von den Herrlichkeiten des west­europäischen Rechtsstaats", und die anderen nahmen die Ar­beit auf.

Arbeitslosenzählung im Deutschen Textilarbeiterverband. Die Julizählung ergab 793 Arbeitslose, darunter 273 Arbeite­rinnen. Im Vormonat waren 635, im Juli des Vorjahrs 852 Be­schäftigungslose verzeichnet worden. Am gleichen Tage wurden als auf der Reise befindlich gemeldet insgesamt 145 arbeitslose Mitglieder, darunter 11 weibliche; im Vormonat 170, im Juli des Vorjahrs 182. Die Zählung erfaßte 89,8 Prozent der Mitglieder, 25 Filialen mit 1622 Mitgliedern haben sich nicht an ihr beteiligt. Die Zahl der Mitglieder betrug 85 829 männliche und 52 526 weib­sk. liche, zusammen 138 355, im Vormonat waren es 138 684.

Boykott der Waren der Firma Harry Trüller , Gelle, Zwieback, Waffel- und Keksfabrik. Als Hörige behandelt der Zwieback, Waffel- und Ketsfabrikant Trüller in Celle bie Arbeiter seines Betriebs. Mit peinlichster Aufmerksamkeit werden fie überwacht, daß sie ihrer gewerkschaftlichen Organisation nicht beitreten. Wer sich trotzdem erlaubt, von dem ihm gefeßlich zu­stehenden Rechte Gebrauch zu machen, fliegt auf die Straße. Neu­eintretende müssen diese Erklärung unterzeichnen:

Ich verspreche, daß ich nicht Mitglied des Bäder- und Kon­ditorenverbandes bin und verpflichte mich, weder innerhalb noch außerhalb der Arbeitsstätte für diesen Verband tätig zu sein. Wie nötig aber gerade in dieser Fabrik die Ausgebeuteten es haben, sich zu organisieren, zeigt die Tatsache, daß hier heute noch Arbeiterinnen mit einem Wochenlohn von 8 Mt. eingestellt wer­den, wovon noch Abzüge für Arbeitskleidung gemacht werden. Alle Versuche scheiterten, auf gütlichem Wege von Herrn Trüller die Anerkennung des Koalitionsrechts der Arbeiter zu erwirken. Die organisierte Arbeiterschaft in Celle beschloß daher einstim mig in einer öffentlichen Versammlung, bei den zuständigen Ge wertschaftsinstanzen die Verhängung des Boykotts über die Waren der Firma Trüller zu beantragen. Diesem Antrag wurde statt­gegeben. Die Firma ist mit ihren Massenartikeln hauptsächlich auf die Arbeiterschaft als Verbraucher angewiesen. Sie seht ihre Waren in Konsumbereinen, Bädereien, Kolonialwarengeschäften und auf Bahnhöfen ab. Man achte daher genau auf die Ber­packung und weise jede Ware aus der Firma Trüller zurück. Die Arbeiterfrauen haben die Pflicht, ihre Brüder und Schwestern in ihrem Kampfe um ihr Recht zu unterstützen. Arbeiterfrauen, meidet so lange den Bezug von Zwieback, Waffeln und Nets von der Firma Harry Trüller in Celle , bis sich dieser Unternehmer bequemt, den Beschäftigten das ihnen gesetzlich zustehende Koa­litionsrecht zu gewähren.

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Genossenschaftliche Rundschau.

Der Sächsische Wohnungsbauverein, der in Dres­ den seinen Sitz hat und die Form eines eingetragenen Vereins besitzt, hat den Konkurs anmelden müssen. Der Verein, der seit etwa zehn Jahren besteht, hatte sich die Aufgabe gestellt, auf ge meinnüßiger Grundlage preiswerte Wohnungen für Minderbemit­telte zu beschaffen". Er ist seinerzeit unter behördlichem Schut ins Leben gerufen worden, und auch der Landesverein Sächsischer Heimatschuß eine durchaus honorige Gesellschaft- stand seinen Bestrebungen sehr nahe. Es handelte sich also bei dem verkrachten Verein um eine bürgerliche Unternehmung, mit der Arbeiter nichts zu tun hatten. Auch die Bestrebungen des Vereins dienten nicht den Allerärmsten, sondern dem kleinen Bürger- und Beamten­tum. Die Leiter gehören durchweg der besseren Gesellschaft" an. Das festzustellen ist wichtig, weil von gewisser Seite sicherlich ver­sucht werden wird, den Fall zu einer Hehe gegen die Baugenoffen­schaften im allgemeinen auszunüßen. Dazu liegt aber durchaus kein Grund vor. Denn der Verein ist, wie sich aus Angaben in der Presse zeigt, an seinen eigenen Fehlern und Mängeln, an denen er von vornherein krankte, zugrunde gegangen. Der Krach liefert also höchstens den Beweis, daß in bürgerlichen Kreisen Begabung und guter Wille für solche Aufgaben nicht gerade in großem Maße vorhanden sind. Über die Ursachen des Konkurses wird unter anderem folgendes berichtet: Es ist seinerzeit von den Grün­dern des Vereins verschmäht worden, für den Zusammenschluß der Interessenten die strengere Form der Genossenschaft mit beschränk ter Haftpflicht zu wählen. Bei dieser ist durch die gesehliche Revi­sion sowie durch die Haftung der Genossen mit ihren Anteilen und