Nr. 24

Die Gleichheit

teil. Das ist für die vorliegenden Verhältnisse eine gute Bahl. Be­sonders erfreulich waren der Ernst und die Begeisterung der Ver­handlungen. Die Presse hob hervor, daß diese Frauenkonferenz einen überraschend sachlichen Verlauf genommen habe und daß man das Vorhandensein und die Fortschritte einer sozialistischen Frauenbewegung in Italien zugeben müsse, trotz allem, was von ber Unmöglichkeit einer solchen behauptet worden sei. Es könne nicht mehr bestritten werden, daß wachsendes Klassenbewußtsein die Proletarierinnen in immer größerer Zahl den gewerkschaftlichen und politischen Organisationen zuführt, und daß mehr Genos­finnen als früher eine energische und zielbewußte Agitation unter ben Frauen des arbeitenden Volkes betreiben.

Der Bericht der Genoffin Kulischoff stellte fest, daß die am Anfang des laufenden Jahres gegründete sozialdemokratische Frauenzeitung Difesa delle Lavoratrici" eine Auflage von 14 000 Exemplaren erreicht hat und daß sie bereits ohne jeden zu­schuß des Parteiverlags Avanti" erscheinen kann. Um diesen un­erwartet glänzenden Erfolg nach seiner wahren Bedeutung be­urteilen zu können, muß man wissen, wie in Italien die Verhält­niffe für die Arbeiter- und Parteipresse liegen. Es gibt im Lande wohl mehr als hundert wöchentlich erscheinende sozialistische Zei­tungen, aber nur etwa 5 Prozent von ihnen können materiell aus eigener Kraft bestehen. Die meisten sind auf Unterstübungen durch Genossen angewiesen oder auf Zuschüsse aus den Parteikassen. Da jedoch auf die letzteren sehr wenig zu rechnen ist, kommt es sehr häufig vor, daß eine Parteizeitung wegen Mangel an Mitteln ihr Erscheinen einstellen muß. Daß es dem sozialdemokratischen Frauenblatt gelungen ist, in kurzer Zeit eine so große Verbreitung zu finden, ist ein Beweis dafür, daß die Aufklärung und Or­ganisierung des weiblichen Proletariats als dringende Notwendig­feit von der sozialistischen Partei empfunden wird. Es ist zu wünschen, daß alle Gewerkschaftsführer für die Verbreitung des Blattes eintreten und seine Einführung als obligatorisches Organ der organisierten Frauen befürworten. Genosse Reina, der Se­tretär der Hutmacher, hat das schon getan und mit großem Erfolg. Die Frauenkonferenz beschloß, den kleinen überschuß, den ,, La Difesa" bereits ergeben hat, zur Agitation unter dem weib­lichen Proletariat zu verwenden. Der neue Parteivorstand soll ver­anlaßt werden, zu demselben Zwecke Mittel zur Verfügung zu ftellen. Von einigen Genossinnen, namentlich solchen, die unter ben Landarbeiterinnen agitieren, wurde beantragt, daß die Difesa" eine ganz populär gehaltene Beilage für die Aufklärung des ländlichen Frauenproletariats erhält. Des weiteren tam zum Ausdruck, wie notwendig die theoretische Schulung der tätigen Agitatorinnen fei. Zum Zwecke dieser Schulung sollen, wo irgend möglich, Vorträge gehalten werden, die die Genossinnen in das jozialdemokratische Programm und die materialistische Geschichts­auffassung im allgemeinen tiefer einführen. Die ,, Difesa" soll eine Reihe theoretischer Fragen in Artikeln erörtern, die dann als Bro­schüren herauszugeben sind. Daß gleichzeitig mündlich und schrift­lich auch praktische Fragen behandelt werden müssen, wurde nach brücklich anerkannt. Den Genofsinnen soll die Möglichkeit gegeben werden, mit Sachkenntnis die einzelnen Tagesfragen in der münd­lichen Agitation und in der Presse zu vertreten.

39

Damit die Agitations- und Organisierungsarbeit unter den Ar­beiterinnen und Arbeiterfrauen systematischer als bisher betrieben werden kann, setzte die Konferenz ein siebengliederiges Na­tionalfomitee der Vereinigung sozialistischer Frauen ein. Ihm gehören die Genossinnen Altobelli, Ba­labanoff, Clerici , Faedi, Goia, Kulischoff und Terruzzi an. Der ausführende Ausschuß hat seinen Sit in Mailand und besteht aus den Genoffinnen Clerici , Kulischoff und Terruzzi. Komitee und Ausschuß sollen bei planmäßigem Eintreten für die Verbesserung der Lage des weiblichen Proletariats bestrebt sein, die sozialistischen Ideen immer mehr auszubreiten und im Bewußtsein der Frauenmassen zu befestigen. Alle Anträge wurden in ihren Einzelheiten ein­gehend erörtert auch die Genossen Reina, Azimonti und andere beteiligten sich an der Diskussion und gelangten ein­ftimmig zur Annahme. Das gilt auch von dieser Resolution: Die Frauenkonferenz erkennt die dringende Notwendigkeit für bas Leben und die Entwicklung der Arbeiterbewegung und der Sozia listischen Partei, daß die Mitarbeit des weiblichen Proletariats auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet immer umfangreicher und wirksamer wird. Sie würdigt die Notwendigkeit, daß die Millionen Arbeiterinnen aktiv an dem Klaffenkampf teilnehmen müssen, da­mit das gesamte Proletariat der kapitalistischen Ausbeutung einen erfolgreichen Widerstand entgegenzusehen vermag. Sie stellt end­lich die Notwendigkeit fest, daß bei den nächsten Kammerwahlen

+

-

383

eine energische Agitation für die Erringung des allgemeinen Frauenwahlrechts entfaltet wird, damit auch die Frauen des are beitenden Volkes Schulter an Schulter mit den Männern ihrer Klasse und mit den gleichen Waffen wie fie ausgerüstet für die Eroberung aller jener politischen und wirtschaftlichen Reformen kämpfen können, die der vollen Befreiung der Arbeiterklasse durch die Beseitigung des Kapitalismus den Weg ebnen. Gestützt auf diese Erwägungen erklärt die Frauenkonferenz, daß nicht etwa eine besondere frauenrechtlerische Spielart des Sozialismus zu schaffen ist, sondern daß es gilt, mittels einer zweckmäßigen Ar­beitsteilung innerhalb der Partei unter dem weiblichen Prole­tariat eine besondere Agitation zu betreiben, die den großen Unter­schieden in der materiellen Lage, in der Eigenart und geistigen Entwicklung der beiden Geschlechter Rechnung trägt. Zu diesem Zwede soll die planmäßige Arbeit der Genossinnen zunächst fol­genden Forderungen und Aufgaben gelten. Unter den Bandarbeiterinnen: Unfallversicherung; landwirtschaftliche Schiedsgerichte; Mutterschaftsversicherung für die weiblichen Be­rufstätigen in der Landwirtschaft; Revision der gesetzlichen Be­stimmungen zum Schuße der Reisarbeiterinnen; Errichtung eines eigenen Inspektorats aur Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften für die Arbeit in den Reisfeldern. Unter den Industrie­arbeiterinnen: Freier Sonnabendnachmittag; Kenntnis der Arbeiterschuß- und Reformgefeße; Durchführung, Ausdehnung und Verbesserung aller bereits errungenen Schutzvorschriften und Für­forgeeinrichtungen; Erhebungen über die Heimarbeit in den großen Industriezentren; schleunige gesetzliche Einführung eines Mindest­lohnes für die Opfer dieses Martyriums. Für das gesamte weibliche Proletariat in Stadt und Land: Vor­wärtsdrängen der Gesetzgebung und Gemeindeverwaltungen au durchgreifender sozialer Fürsorge für die Kinder durch Errichtung von Kinderbewahranstalten, Schülerhorten, Gewerbeschulen, Ein­führung der Schülerspeisung usw.; tatkräftige Beteiligung an der nächsten politischen Wahlkampagne, an der Propaganda und den Kämpfen der sozialistischen Partei, um dadurch die Eroberung des allgemeinen Frauenwahlrechts vorzubereiten." Mit der Zu­stimmung zu dieser Resolution haben sich die tätigen italienischen Genoffinnen ein bestimmtes und sehr reiches Arbeitsprogramm gegeben. Sie werden ihre ganze Kraft, ihren leidenschaftlichen Enthusiasmus für die große Sache des Sozialismus daransehen, es durchzuführen. Angelica Balabanoff . I. K. Aus der sozialistischen Frauenbewegung in den Ver. einigten Staaten. In Auburn tagte Anfang Juli der Kongreß der Sozialistischen Partei des Staates Nem York. Unter den Delegierten, die aus allen Teile des Gebiets entsandt waren, befanden sich 25 Genossinnen. Diese Tatsache war um so bemerkenswerter, als vor zwei Jahren an dem letzten Kon­greß unserer Partei nur 4 Frauen als Delegierte teilnahmen. Die Zahlen beweisen deutlich, daß die Tätigkeit der sozialistischen Frauen während der beiden verflossenen Jahre Früchte getragen hat. An den Arbeiten des Kongresses nahmen die weiblichen Dele­gierten regsten Anteil und waren in fast allen Kommissionen ber­treten. In dem Aktionsprogramm der Partei für die nächste Zeit wurde das Frauenstimmrecht start betont. Dazu kamen noch zwei neue dringende Forderungen. Sie lauteten: Verbot der Lohnarbeit von Frauen zwei Monate vor und zwei Monate nach der Geburt eines Kindes. Während dieser Zeit hat der Staat die Mutter für den Verlust ihres Verdienstes zu entschädigen. Staatliche Ben­fionen für unbemittelte Witwen mit Kindern unter 16 Jahren. Hier in den Vereinigten Staaten , wo die soziale Gesetzgebung noch weit hinter derjenigen in Europa zurücksteht, sind derartige Forderungen selbst für Sozialisten noch neu und weitgehend. Sie wurden auf dem Kongreß mit stürmischem Beifall- begrüßt.

Weibliche Kandidaten der Sozialistischen Partei. Nicht durch Reden und Resolutionen allein, sondern auch durch praktisches Handeln beweist unsere Partei ihre Stellung zur Frauenfrage. So finden wir in diesem Jahre in verschiedenen Städten und Staaten auf dem sozialistischen Stimmzettel die Namen von Frauen, die als Kandidatinnen für recht wichtige #mter aufgestellt wurden. Im Staate New York war unsere Kandidatin für den Posten des Staatesetretärs Frau Carrie W. Allen, eine Frau, die schon seit Jahren ihre ganze Tätigkeit dem Dienste der Partei gewidmet hat. Obgleich im Staate New York die Frauen nur bei Schulwahlen und be Fragen der Steuererhebung ein beschränktes Stimmrecht au3­üben dürfen, gibt es doch kein Gefeß, das die Ernennung einer Frau zu irgend einem politischen Amte verbietet. Die Aufstellung weiblicher Kandidaten der Sozialistischen Partei für solche mer ist eine wirksame Agitation für das Frauenstimmrecht und gleich